Trutz Rendtorff, Zehn Thesen zur theologischen Auseinandersetzung mit dem Terrorismus vom Juni 1977: „4. Das theologische Problem, das uns im Terrorismus begegnet, ist das Problem der Freiheit, ihrer Wirklichkeit, Begründung und Gestalt. Die theologische Begründung der Freiheit hat die Überwindung der unmittelbaren Selbstdurchsetzung des Menschen zum Inhalt. 5. Gewaltanwendung und Kampf um Selbstbestimmung treten heute oft zusammen auf. Aber zwischen ihnen muß ein definitiver Unterschied gemacht werden. Ein Freiheitsbewußtsein, das mit der Möglichkeit seiner gewaltsamen Realisierung liebäugelt – aus was für moralischen oder sozialen Gründen immer –, ist noch nicht zu seiner eigenen Wirk­lichkeit gekommen.“

Zehn Thesen zur theologischen Auseinandersetzung mit dem Terrorismus vom Juni 1977

Von Prof. Trutz Rendtorff

1. Terrorismus als planmäßige Anwendung von Terror zur Erreichung politischer oder sozialer Ziele ist nicht mehr zu verstehen als Ausdruck politischer oder gesellschaftlicher Konflikte. Terrorismus ist das Handeln eines Willens zu unmittelbarer rücksichtsloser Selbstdurchsetzung.

2. Zum Terrorismus kann man sich darum auch nicht mit analogen Ausdrücken (Ge­sten) verhalten wollen. Die Auseinandersetzung, die er provoziert, muß sich auf den be­sonderen Willen konzentrieren, wie er in der Gewaltanwendung klar hervortritt.

3. Die Auseinandersetzung kann nur so geführt werden, daß dem Terrorismus kompromißlos widerstanden wird. Denn der terroristischen Gewaltanwendung kann direkt nicht widersprochen werden, weil sie sich selbst in keiner offenen Kommunikation mehr be­wegt.

4. Das theologische Problem, das uns im Terrorismus begegnet, ist das Problem der Freiheit, ihrer Wirklichkeit, Begründung und Gestalt. Die theologische Begründung der Freiheit hat die Überwindung der unmittelbaren Selbstdurchsetzung des Menschen zum Inhalt.

5. Gewaltanwendung und Kampf um Selbstbestimmung treten heute oft zusammen auf. Aber zwischen ihnen muß ein definitiver Unterschied gemacht werden. Ein Freiheitsbewußtsein, das mit der Möglichkeit seiner gewaltsamen Realisierung liebäugelt – aus was für moralischen oder sozialen Gründen immer –, ist noch nicht zu seiner eigenen Wirk­lichkeit gekommen.

6. Die Unterscheidung von der gewaltsamen Durchsetzung kann nicht gegen die Freiheit gefordert werden; sie muß vielmehr durch sie selbst gemacht werden. Hier liegt heute die entscheidende theologische Herausforderung.

7. Die Autorität der Freiheit besteht darin, wie sie sich durch Sozialität realisiert und dann auch gebunden weiß. In den Gestalten der Rechtsgemeinschaft, der demokratischen Konsenssuche, der Sitte und Verantwortung empfängt der einzelne sein reales Leben und ist er zugleich für andere da.

8. Wir haben heute allen Grund, die Realität des demokratischen Rechtsstaates eindeu­tig über die Wünsche einzelner Gruppen zu steilen, die um ihrer Selbstbestimmung willen sich außerhalb dieses Systems gegenseitiger Anerkennung begeben.

9. Den demokratischen Rechtsstaat verteidigen, heißt aber inhaltlich, die Institutionen dieses Staates als Angebot der Freiheit annehmen. Die unerfüllten Möglichkeiten von Frei­heit des einzelnen dürfen sich nicht als Negation der Freiheit in Gemeinschaft bestimmen.

10. Die seelsorgerliche Zuwendung zum Terroristen ist nur dann glaubwürdig, wenn sie dessen politischen Willen ganz ernst nimmt und nicht relativiert. Dann kann die Unter­scheidung zwischen der Person, wie Gott sie sieht und annimmt, und der Person, wie sie sich in Gesinnung und Tat selbst will, der Vergebung und Versöhnung den Weg bereiten. Allerdings darf die Seelsorge nicht als Mittel verwendet werden, um politische Sympathien zu bekunden.

Quelle: Kirchliche Jahrbuch 1976/77, S. 142f. Abdruck auch in: T. Rendtorff, Politische Ethik und Christentum, ThExh 200, S. 65f.

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