Von Norbert Lüdecke
I. Begriff
Griech. παππασ, lat. papa = Vater. Ursprünglich Ehrentitel, später Amtsbezeichnung, seit Gregor VII. (Dictatus Papae, Satz 11) exklusiv für den Bischof von Rom. Heute steht Papst gemeinhin und als Selbstbezeichnung für das Oberhaupt der römisch-kath. Kirche. Seine Rechtsstellung ergibt sich aus den im II. Vatikanum (Lumen Gentium 18, 22, 25, NEP) bekräftigten und erläuterten Dogmen des I. Vatikanums und ihrer Entfaltung v.a. im Codex Iuris Canonici 1983.
II. Dogmatische Festlegung
1870 verkündete das 1. Vatikanum in seiner Konstitution über die Kirche Christi (DH 3050-3075) als offenbarte Glaubenslehre, der von Christus an Petrus übertragene Jurisdiktionsprimat über die ganze Kirche bestehe in den Nachfolgern des Petrus, den römischen Bischöfen, fort. Er umfasse die höchste, volle, unmittelbare und ordentliche Gewalt über alle und die einzelnen Kirchen. Äußerungen seiner höchsten Lehrgewalt seien unfehlbar und aus sich unabänderlich. Diese Lehre zu glauben, d.h. ihr auf göttliche Autorität hin vorbehaltlos und unwiderruflich zuzustimmen, ist für kath. Gläubige strafbewehrte Rechtspflicht.
III. Kirchenrechtliche Entfaltung
A. Eigenart des Primats
1. Der Primat des Papstes ist nicht nur Ehrenvorrang, sondern wahre bischöfliche, d.h. rechtsmächtige Regierungsgewalt. Seine Rechte als Bischof von Rom übt der P. nicht selbst, sondern durch einen Kardinalvikar aus. Die Rechte der Ämter des Erzbischofs und Metropoliten der römischen Kirchenprovinz, des Primas von Italien und Patriarchen des Abendlandes sind im Primat aufgegangen. Diese Ämter werden nur noch als Titulaturen geführt.
2. Die Papstgewalt ist als Höchstgewalt nach Erhalt, Ausübung und Behalt gottunmittelbar. Sie wird nicht durch missio canonica seitens einer kirchlichen Autorität übertragen, sondern durch missio divina, d.h. jenen unmittelbar göttlichen Rechtsakt, durch den der rechtmäßig gewählte Papst mit der Annahme der Wahl den Primat erhält (c. 332 § 1). Jedweder menschlichen Gewalt gegenüber unabhängig, autonom und souverän nach außen und innen, ist er jederzeit frei ausübbar (cc. 113 § 1, 331) und immun. Der Papst kann von niemandem gültig vor Gericht gezogen werden (Prima Sedes a nemine iudicatur, cc. 1404, 1406). Rechtlich erledigt ist das Amt nur durch den Tod oder den eindeutigen und freiwilligen Verzicht
(c. 332 § 2). Bei Vakanz oder völliger Behinderung des römischen Bischofsstuhls darf in der Leitung der Gesamtkirche nichts verändert werden (c. 335). Nach theologischer Auffassung verliert der Papst auch aufgrund zweifelsfreien und sicher unheilbaren Verlusts des Vernunftgebrauchs in Analogie zum Tod oder bei Häresie de facto seine Gewalt. Geregelt durch spezielles päpstliches Gesetz (Papstwahlordnung) sind nur die interimistische Leitung bei Sedisvakanz und die Bestimmung der Nachfolge. Die Höchststellung wird akzentuiert in den Titeln Stellvertreter Christi, Nachfolger des Apostelfürsten, Oberster Hirte oder Bischof der Gesamtkirche (c. 333 § 2, 336, 749) und Haupt des Bi-[1719]schofskollegiums (c. 331). Der Titel Souverän des Vatikanstaates bringt die weltliche Souveränität des Papstes zum Ausdruck. Sie gilt als notwendiges Substrat der geistlichen Souveränität.
3. Die Primatialgewalt ist eine ordentliche, d.h. nicht delegierte, sondern mit dem Amt gegebene und nicht nur subsidiär, zur Ergänzung unzureichender oder Ersetzung versagender teilkirchlicher Gewalt, einsetzbare.
4. Die Gewalt ist universal, d.h. bezogen auf die gesamte Kirche, territorial auf alle und jede einzelne Kirche(n), personal auf alle und jeden einzelnen Kleriker und Laien.
5. Als unmittelbare Gewalt kann sie ohne Umweg über Träger teilkirchlicher Gewalt direkt ein- und durchgreifen. Der Papst kann alle Rechtsfälle annehmen (c. 1417 § 1) oder an sich ziehen (c. 1404 § 1 n. 4) und über die gesetzlich vorgesehenen Vorbehalte hinaus jederzeit nach freiem Ermessen auf einzelne Angelegenheiten die Hand legen. Entsprechend kann jeder Gläubige seine gerichtliche Streit- oder Strafsache in jeder Instanz und zu jedem Prozesszeitpunkt vor den Heiligen Stuhl bringen (c. 1417 § 1 CIC). Alle Gläubigen müssen dem Papst gegenüber ehrfürchtig sein und ihm unter Strafe gehorchen (cc. 212 §§ 1 und 3, 750, 752, 1371), Kleriker in besonderer Pflicht (c. 273).
6. Der Papst besitzt die formal so qualifizierte Gewalt in ihrer ganzen Fülle. Dem Papst kommt die gesamte Gewalt Christi für seine Kirche auf Erden ohne jede Einschränkung zu. Die Vollgewalt mit ihren Funktionen der Gesetzgebung, der Rechtsprechung und der Verwaltung erstreckt sich auf die Glaubens- und Sittenlehre wie auf die gesamte kirchliche Rechtsordnung, auf Lehre und Disziplin.
- Verkündet der Papst als oberster Hirte und Lehrer aller Gläubigen (ex cathedra) eine offenbarte oder nach seiner Bestimmung eng mit der Offenbarung zusammenhängende Glaubens- oder Sittenlehre als endgültig verpflichtend, kommt ihm Unfehlbarkeit im Lehramt zu. So vorgelegten Dogmen (KKK 88) müssen die Gläubigen unter Strafe vorbehaltlos und unwiderruflich zustimmen (cc. 750, 1364, 1371 n. 1). Seinen übrigen Lehren und moralischen Urteilen über menschliche Dinge jedweder Art bzgl. der Grundrechte der Person und des Seelenheils darf nicht öffentlich widersprochen werden (cc. 752, 1371 n. 1).
- Der Papst ist höchster Gesetzgeber. Schranken sind nur das weder änder- noch dispensierbare göttliche Recht (ius divinum) und die anderen lehramtlich festgestellten Dogmen. Im Übrigen ist er Herr der Gesetze, kann sie ändern, aufheben, von ihnen befreien (Dispens) oder durch Sonder- oder Ausnahmerechte (Privilegien) ersetzen. Er legt seine Gesetze authentisch aus und ist an sie (nur) moralisch gebunden. Er legt die kirchliche Kompetenzordnung fest. Untergeordnete Gesetzgebung gegen päpstliche Gesetze ist ungültig (c. 135 § 1).
- Der Papst ist oberster Richter (c. 1442). Sein Urteil ist inappellabel (c. 333 § 3).
- Als oberster Inhaber der vollziehenden Gewalt regiert der Papst die gesamte Kirche, fördert ihr Gemeinwohl in [1720] höchster Verantwortlichkeit, leitet und überwacht den Vollzug der bestehenden Gesetze. Dazu bedient er sich der römischen Kurie (c. 360). Das kirchliche Leben überwacht er durch Apostolische Gesandte oder andere Beauftragte sowie persönlich, wenn die Diözesanbischöfe alle fünf Jahre zur Rechenschaftslegung vor ihm erscheinen müssen (c. 400). Verwaltungshandeln des Papstes ist nicht rekursfähig (c. 333 § 3).
- Mit dem Jurisdiktionsprimat hat das I. Vatikanum die im Mittelalter durch die Kombination von römisch-rechtlichem Prinzip und vicarius-Christi-Gedanke kanonistisch entfaltete und seither das Selbstverständnis der Päpste prägende Vorstellung von der plenitudo potestatis (Innozenz III. 1198-1216) und der legibus solutio (Innozenz IV. 1243-1254) definitiv festgelegt. Im Verstehenshorizont neuzeitlich-restaurativer Autoritäts- und Souveränitätsideen vervollständigte der Lehrprimat die Spitzenstellung des Papstes zur staatsanalogen Souveränität. So kann der Papst seine Gewalt jederzeit nach Gutdünken ausüben (NEP 4). Rechtlich ist er nicht Willkürherrscher, sondern klerikaler absoluter (Wahl-)Monarch, der bei der Ausübung seines Amtes als stets mit den übrigen Bischöfen und der ganzen Kirche verbunden (c. 333 § 2) gilt und sich als Servus Servorum Dei versteht.
B. Verhältnis zum Episkopat
1. Nach nicht definitiver Lehre kommt auch dem Bischofskollegium mit und unter dem Papst höchste und volle Gewalt zu (Lumen Gentium 22 NEP, c. 336). In diesem Kollegium sind die Bischöfe ontologisch durch die Weihe und rechtlich durch die Übereinstimmung mit dem Papst als Haupt der Kirche verbunden. Es ist nur handlungsfähig, sofern in ihm die Primatialgewalt unangetastet bleibt. Allein der Papst entscheidet, ob und wie die kirchliche Höchstgewalt persönlich oder kollegial ausgeübt wird (c. 333 § 2). Kollegiales Handeln wird vom Papst nach seinem Ermessen initiiert bzw. nachträglich gebilligt und verfahrensmäßig geordnet (cc. 337-341). Die Kennzeichnung der formal geringeren Gewalt des Bischofskollegiums als volle und höchste ist ureigentlicher Sprachgebrauch.
2. Aufgrund des päpstlichen Vorrangs an ordentlicher Gewalt über alle Teilkirchen (c. 333 § 1) steht der Umfang der Gewalt des Diözesanbischofs ungeachtet der ebenfalls als unaufhebbar geltenden diözesanen Verfasstheit der Kirche zur Disposition des Papstes. Wie viel Gewalt zur Leitung einer Diözese notwendig ist, bestimmt der Papst in primatialer Souveränität durch die gesetzlichen Amtsbefugnisse sowie durch Vorbehalte zu Gunsten anderer Autoritäten (c. 381 § 2). Nach Inhalt und Qualität seiner Zuständigkeiten ist der Diözesanbischof rechtlich Sachwalter des Papstes in der Diözese.
C. Ökumenische Bedeutung
Die bisherigen ökumenischen Gespräche zeigen, dass jene Gestalt des Papstamtes, die das I. Vatikanum definierte, „ut omnes unum essent“, aus reformatorischer wie aus orthodoxer Sicht eben jener Einheit entgegenstehen. Die kath. Theologie sieht sich trotz aller bisherigen Bemühungen noch immer vor der Aufgabe, in lehramtlich akzeptabler Weise vorzuschlagen, wie eine bestimmte Form der Pri-[1721]matsausübung verbindlich gemacht werden kann, ohne in die Aporie der rechtlichen Beschränkung des als iure humano als nicht beschränkbar definierten Primats zu führen.
Literatur: D. WYDUCKEL, Princeps Legibus Solutus, 1979 – O. STOFFEL, cc. 330-367, in: Münsterischer Kommentar zum Codex Iuris Canonici (Loseblatt), K. Lüdicke (Hg.), 1984 ff. (Lit.) – J.-B. D’ONORIO, Le Pape et le Gouvernement de L’Eglise, Paris 1992 – Papst JOHANNES PAUL II., Enzyklika „Ut unum sint“, in: AAS 87 (1995) 921-982 – G. SCHWAIGER / H. LEIPOLD, Papsttum, in: TRE, xxv1995, 647-699 (Lit.) – C. FID, Erklärung „Il Primato del Sucessore di Pietro nel mistero della Chiesa“, in: OR vom 31.10.1998 – H.J. POTTMEYER, Die Rolle des Papsttums im Dritten Jahrtausend, 1999 – G. BIER, Die Rechtsstellung des Diözesanbischofs nach dem Codex Iuris Canonici, 2001 – B. RIES, Amt und Vollmacht des Papstes, 2003 (Lit.).
Quelle: Werner Heun/Martin Honecker/Martin Morlok/Joachim Wieland (Hg.), Evangelisches Staatslexikon, Stuttgart 42006, Sp. 1719-1721.