Johannes Rehm über den bayerischen Sozialpfarrer Werner Schanz (1931-2020) in der ZBKG: „Werner Schanz trat über seine aktive Dienstzeit hinaus für die bleibende soziale Verantwortung der evangelischen Kirche gegenüber der Arbeiterschaft auf dem Hintergrund der wechselseitigen Entfremdungserfahrung des 19. Jahrhunderts ein. Ermutigend ist am Lebenszeugnis von Werner Schanz die lebenslange Freude am biblischen Wort sowie das fast kindlich anmutende unbedingte Vertrauen auf das Evangelium als dem rechten Wort für die Zeit.“

Werner Schanz (1931-2020) – Sozialpfarrer und Kirchenreformer

von Johannes Rehm

Wer sich mit kirchlicher Zeitgeschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Bayern befasst, kann sich nicht auf Kirchengemeinden und Kirchenleitung beschränken. Ein Charakteristikum dieser Zeit ist die Gründung verschiedener überparochialer Werke, Dienste und Einrichtungen.[1] Diese Neugründungen von Fachdiensten in den Nachkriegsjahren haben eine anhaltende bis in die Gegenwart reichende Wirkung entfaltet. In der evangelischen Kirche etablierte sich damals aus einem volkskirchlichen Interesse heraus unter anderem die kirchliche Industrie- und Sozialarbeit, die sich über kirchliche Kreise hinaus in der Gesellschaft immer wieder sozialethisch begründet politisches Gehör zu verschaffen wusste.[2] Dies wäre nicht möglich gewesen ohne einzelne profilierte Persönlichkeiten. Von einer solchen Persönlichkeit soll im Folgenden die Rede sein, indem an die Verkündigung von Sozialpfarrer Werner Schanz erinnert wird, die im Kontext seiner langjährigen Tätigkeit als Leiter des Amtes für Industrie- und Sozialarbeit der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern erfolgte. Er hat, wie sich noch zeigen wird, die Kirchenreformbewegung der 60er und 70er Jahre entscheidend mitgeprägt.

1. Kairos in einem Pfarrersleben

    In nicht wenigen Biographien verdichtet sich das Dienstleben eines Pfarrers oder einer Pfarrerin in einem Ereignis hervorgehobener zeitgeschichtlicher Bedeutsamkeit, in einer herausfordernden Situation, in der es ganz besonders gilt, das Predigtamt geistesgegenwärtig in Vollmacht wahrzunehmen. Solche Ereignisse sucht man sich gewöhnlich nicht selbst. Häufig werden sie in ihrer Bedeutung erst im Nachhinein erkannt. Diese besonderen Gelegenheiten beinhalten die Notwendigkeit, dass die allgemeine Berufung zur Predigt sich mit dem spezifischen Charisma eines Pfarrers öffentlichkeitswirksam verbindet.

    Dieser vielleicht nicht in jedem Pfarrersleben so leicht zu identifizierende Kairos öffentlicher Verkündigung ereignete sich in kirchengeschichtlich herausgehobener Weise im Pfarrersleben von Werner Schanz bei der endgültigen Schließung der Maxhütte in Sulzbach-Rosenberg nach dem Konkurs im Jahr 1989.[3] Nach einem langjährigen Kampf von Belegschaft, Betriebsrat und der Gewerkschaft IG Metall, an der sich Kommunalpolitiker aller Parteien, die Kirchen und zahlreiche Gruppierungen des öffentlichen Lebens beteiligten und dabei durchaus Gehör bei den politisch Verantwortlichen, insbesondere bei der bayerischen Staatsregierung, fanden, ließ sich der Verlust zahlreicher Arbeitsplätze nicht mehr aufhalten. In der nun nutzlos gewordenen Werkhalle wurde für Firmenangehörige und die Bevölkerung ein Fernsehgottesdienst abgehalten. Werner Schanz als Leiter des Amtes für Industrie- und Sozialarbeit wurde um eine Ansprache gebeten, die die Funktion einer Beerdigungspredigt erhielt für einen Ort menschlicher Arbeit an dem mehrere Generationen von Menschen ihren Lebensunterhalt für sich und ihre Familien verdient, einen Großteil ihrer Lebenszeit verbracht und ihr berufliches Geschick sowie ihre Kreativität in den Arbeitsprozess alltäglich eingebracht hatten.

    „Auf dem Weg zur Maxhütte wächst das Gras, ein lebendiges Zeichen für die Hoffnungen, die gestorben sind und begraben wurden. Es ist stiller geworden, seit der Kampf entschieden ist. Das Gras des Schweigens und des Vergessens scheint schnell zu wachsen. Die Schlagzeilen der Presse melden neue Ereignisse. Was gestern war, ist morgen nicht mehr aktuell. Doch über die inneren Wunden, die Ängste, die Enttäuschungen und die Trauer wächst so schnell kein Gras. Zu lang waren die Jahre der Unsicherheit, und das sichere Aus wird für viele noch lange Zeit die Zukunft bestimmen.“[4]

    Stellvertretend für seine Landeskirche sprach Werner Schanz diese Worte der Anteilnahme, die bei den von Arbeitsplatzverlust betroffenen Menschen in der Region der südlichen Oberpfalz und darüber hinaus lange nachwirkten und nicht ohne Echo blieben. Öffentliche Seelsorge verband sich bald mit sozialdiakonischer Hilfe. Für die von Arbeitslosigkeit betroffenen Menschen wurde auf Druck der Öffentlichkeit hin ein Sozialplan entwickelt. Das von Schanz geleitete Amt für Industrie- und Sozialarbeit etablierte einen von Sozialpfarrer Klaus Wunderlich begleiteten „Sozialplänlertreff“, der sich in Gaststätten und Gemeindehäusern in und um die Orte Maxhütte-Haidhof herum regelmäßig versammelte, um gemeinschaftlich die „Lebenskrise Arbeitslosigkeit“ mit den damit verbundenen Existenzsorgen zu bewältigen. Im Jahr 1994 sagte Schanz in einem Grußwort zu den Sozialplänlern: „… als ich vor 15 Jahren in das Amt für Industrie- und Sozialarbeit kam, führte mich eine meiner ersten Dienstfahrten zur Maxhütte nach Sulzbach-Rosenberg. Wenn ich mich recht erinnere, war die Stimmung nach dem Kauf durch den Klöcknerkonzern bereits gedämpft und die Vorahnung ungewisser Zeiten lag in der Luft des Betriebsratsbüros. Der Kampf um die Maxhütte sollte dann auch bald beginnen. Er wurde auch für mich zu einer eindrucksvollen Geschichte von Leid, Solidarität, von Hoffnung und Enttäuschung, von Protestveranstaltungen und Gesprächsrunden, bis wir am Erntedankfest 1989 in den leeren Hallen der Maxhütte-Haidhof einen Fernsehgottesdienst feierten, um das Aus der Hochöfen und der Stahlproduktion vor Gott ins Gebet zu nehmen, um den Weg in die Arbeitslosigkeit nicht ohne Gottes Segen zu beginnen. Vielleicht hat auch die oberpfälzer Frömmigkeit mit ihrer welt- und menschennahen, mit ihrer heimatverbundenen Lebenskraft dazu beigetragen, dass sich in den Jahren der Ungewissheit, in den Tagen, in denen die Kündigungen das Aus unwiderruflich bestätigten, und in den Zeiten des Sozialplanes die Gemeinschaft bewährte und neuer Mut und neue Hoffnung entstand. `Jesus und die Maxhütte`, das war nicht nur ein religiöses Motto, es wurde zur Erfahrung, die den Lebensweg, der nicht mehr zur Maxhütte führte, dennoch begehbar machte.“[5] In der eingangs zitierten Ansprache von Werner Schanz, gehalten anlässlich eines politischen Ereignisses, welches für und im Freistaat Bayern eine geschichtliche Dimension hatte, weil es nämlich den Bedeutungsverlust von industrieller Schwerindustrie zugunsten des Dienstleistungsbereichs in der bayerischen Wirtschaft unübersehbar veranschaulichte,[6]  verdichtete sich das besondere Profil der pastoralen Wirksamkeit von Schanz im ausgehenden 20. Jahrhundert. Charakteristisch für ihn war, dass sich sein Kairos außerhalb von kirchengemeindlichen Zusammenhängen an keinem klassisch sakralen Ort ereignete. Vordergründig weltliche Orte und weltliche Gelegenheiten nutzte er selbstverständlich für eine evangelische Sozialverkündigung, mit der er zu seiner Dienstzeit viele Menschen außerhalb von Kirche und jenseits von Kirchengemeinden erreichte, bewegte und ihnen den Trost des Evangeliums in existentiellen Krisen zusprach. Ihnen wurde er so zum seelsorglichen Beistand im Auftrag seiner Kirche.[7] Dabei legte er keinen erkennbaren missionarischen Übereifer an den Tag, aber eine beeindruckende Freudigkeit am biblischen Wort.

    2. Sozialpfarrer und Kirchenreformer

    Die Dienstbezeichnung ‚Sozialpfarrer‘ ist aus der Mode gekommen. Formal wurden damit Inhaber von „Sozialpfarrstellen“ bezeichnet, welche in den 50er Jahren in nahezu allen evangelischen Landeskirchen in Deutschland errichtet worden waren.[8] In Bayern war aus der 1954 mit Hans Siebert[9] erstmalig besetzten Sozialpfarrstelle 1971 ein „Amt für Industrie- und Sozialarbeit der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern“ geworden mit zahlreichen Mitarbeitenden unterschiedlicher Berufsgruppen in den verschiedenen Industrieregionen Bayerns.[10] Von 1979 bis 1996 bekleidete Werner Schanz dieses Amt, dessen Zentrale ab 1974 ihren Sitz in Nürnberg-Lichtenhof im kirchlichen Ämterhaus Gudrunstraße 33/ Hummelsteiner Weg 100 hatte. In dieser Funktion war Werner Schanz Sozialpfarrer. Insbesondere bei den kirchlichen Arbeitnehmerorganisationen „Aktionsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen in der Evangelisch-Lutherischen Kirche“ (afa) und „Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für soziale Fragen“ (EAG) wurde diese Dienstbezeichnung als Ehrentitel verstanden für einen Pfarrer, der für sein soziales Gewissen, für seinen Einsatz für Benachteiligte, für die Arbeiter und für seine Nähe zu Gewerkschaften bekannt war. In den Jahren vor der 68er Studentenrevolte und den Jahren danach, in denen das „Soziale“ eine positive gesellschaftsverändernde Vision für breite gesellschaftliche Kreise beinhaltete, nahmen Sozialpfarrer in den Landeskirchen eine herausgehobene öffentliche Funktion wahr. Sie standen für eine Kirche, die sich politisch exponierte und anwaltlich als eine Kirche verstand, die sich den Interessen und Nöten der sogenannten „kleinen Leute“ annahm. In den 90er Jahren, nach dem Mauerfall, verlor das „Soziale“ seinen Glanz als gesellschaftsverändernde Vision und auch die Funktionsbezeichnung Sozialpfarrer kam immer mehr aus der Mode. Werner Schanz wurde nicht nur Sozialpfarrer genannt, sondern er war sozial engagiert in dem beschriebenen Sinne. Gleichzeitig greifen die sozialreformerischen Zuschreibungen bei ihm zu kurz, denn er war zuallererst ein vielseitig gebildeter, feinsinniger, biblisch gegründeter Theologe, wie sich aus seinem homiletischen Nachlass rekonstruieren lässt.

    Die Bedeutung von Werner Schanz für seine Landeskirche beschränkte sich nicht auf das Tätigkeitsfeld des heutigen Kirchlichen Dienstes in der Arbeitswelt (kda).[11] Obwohl er sich nach den mir bekannten schriftlichen und mündlichen Selbstzeugnissen niemals selbst als Kirchenreformer bezeichnete, so war er dies doch in hohem Maße.[12] Er steht stellvertretend für eine Pfarrersgeneration, die in Bayern 1975 im Vergleich mit anderen Landeskirchen relativ spät endgültig die Frauenordination durchsetzte.[13] Diese Generation von Theologen verband eine Ablehnung einer neulutherisch als Trennung beider Bereiche verstandenen Zwei-Reiche-Lehre. Der öffentliche Raum des Politischen wurde von ihr stattdessen im Gefolge der Barmer Theologischen Erklärung als Raum des Gehorsams gegenüber Gottes Gebot verstanden. Geprägt von Kindheits- und Jugenderfahrungen in Kriegs- und Nachkriegszeit versuchten die Angehörigen der Generation von Schanz die Studentenrevolte der 68er Jahre mit ihrem Drang nach Freiheit und Wahrhaftigkeit in ihren sozial- und individualethischen Konsequenzen theologisch-kirchlich positiv aufzugreifen. Die 60er, 70er und 80er Jahre waren auch die große Zeit kirchenreformerischer Netzwerke.[14] Im beschriebenen Sinn waren in der bayerischen Landeskirche damals wirkmächtig insbesondere die bayerische Pfarrbruderschaft und der aus ihr hervorgegangene Arbeitskreis Evangelische Erneuerung (AEE) aktiv. In beiden Gruppierungen war Werner Schanz über Jahrzehnte sehr präsent und ein durch Vorträge und Diskussionsbeiträge bekannter und geschätzter Theologe. Die Generation von Schanz legte auch allergrößten Wert auf die synodale Verfasstheit der evangelischen Kirche. Insofern war es konsequent, dass Schanz über zwei Synodalperioden als Synodaler tätig war und sich dem Arbeitskreis „Offene Kirche“ anschloss. Über einen ebenfalls langen Zeitraum nahm Schanz den Vorsitz der Konferenz der Werke und Dienste der Landeskirche wahr, wie überhaupt der überparochiale Bereich für die Pfarrer dieser Generation eine bisher in der evangelischen Kirche nicht gekannte allgemeine Bedeutsamkeit gewann.[15] Neue religionspädagogische Ansätze lösten damals die traditionelle Katechetik ab und eine symboldidaktisch ausgerichtete Gottesdienstreformbewegung fand in Jugend- und Familiengottesdiensten ihren Kirche verändernden Ausdruck.[16] Spätestens mit der Wahl von Hermann von Loewenich zum bayerischen Landesbischof im Jahr 1994 wurde die bisherige experimentelle Reform zumindest teilweise zur kirchenamtlich allgemein gewollten Norm.[17] Der bis 1999 amtierende von Loewenich war Altersgenosse, theologischer Weggefährte und persönlicher Freund von Werner Schanz.[18] Sie verbanden weitgehende sozial- und kirchenpolitische Anliegen. „Besonderes Interesse zeigte Hermann von Loewenich in seinen Jahren als Kreisdekan – wie schon als Dekan in Kulmbach und Nürnberg – an den Beziehungen der Kirche zur Wirtschaft, zur Arbeitswelt.“[19]   Bis zum Tod Hermann von Loewenichs im Jahr 2009 blieben die beiden Theologen im engen theologischen, politischen und insbesondere kirchenpolitischen Gedankenaustausch, bei welchem Schanz sehr oft der umfassend belesene inhaltliche Impulsgeber war. Werner Schanz wurde in seiner Zeit als Leiter des Amtes für Industrie- und Sozialarbeit zu einem von vielen respektierten und über die eigene Landeskirche hinaus gehörten Wortführer einer biblisch fundierten theologischen Sozialethik. Sein Eifer war theologisch-inhaltlicher Natur, während er die Personalpolitik gerne anderen überließ und auch kein Interesse an der Übernahme eines noch hervorgehobeneren Kirchenamtes erkennen ließ. Als Sozialpfarrer und Kirchenreformer gab es für ihn auch so genug zu tun.

    3. Biographische Spurensuche

    Am 20. Dezember 1931 wurde Werner Schanz in Memmingen in eine große Handwerkerfamilie hineingeboren, in der eine weltoffene kirchenverbundene Frömmigkeit gelebt wurde. Von seinem Elternhaus berichtet er in einem im Sommer 2019 verfassten Lebenslauf: „Mein Vater, Peter Schanz, war Malermeister. Die Werkstatt war mit dem Wohnhaus eng verbunden. Meine Mutter, Luise geb. Joas, sorgte für den Haushalt. Sie verwaltete sämtliche Büroarbeiten. Beide, Vater und Mutter, verantworteten gemeinsam, wenn auch arbeitsteilig, ihre Lebensgemeinschaft. Die Einheit dieser Lebenswelt, in der ich aufwuchs, habe ich sehr offen erlebt. Das entsprach auch der Frömmigkeit, die uns acht Geschwistern vermittelt wurde, eine offene, freie, verantwortungsvolle. Sie ermöglichte ein lebendiges Miteinander der unterschiedlichen Temperamente und gleichzeitig den Zugang zu kirchlichen Kindergruppen und später auch zu einer aktiven Jugendarbeit in Memmingen.“[20] Der wechselseitige Bezug bzw. das Ineinander und das Beieinander von Lebenswelt und Arbeitswelt, welches später die Sozialverkündigung von Werner Schanz prägen sollte, hat in seiner Kindheit seinen biographischen Erfahrungshintergrund. Anders als manch andere spätere Sozialpfarrer, die aus Arbeiterfamilien stammten, kam Werner Schanz aus einem mittelständisch-kleinbürgerlichen Handwerkerhaushalt. Seine Herkunft aus Schwaben verleugnete er nie, ganz im Gegenteil. Ein Leben lang behielt er seinen schwäbischen Akzent bei. Die Geschichte seiner Heimatstadt Memmingen als einer freien Reichsstadt war ihm sehr präsent. Dies gilt auch für die Reformationsgeschichte Memmingens, die durch die Nähe zur Schweizer Reformation noch einmal zu einem anderen Frömmigkeitstypus führte als die fränkischen „Kernlande“ der heutigen bayerischen Landeskirche mit ihrer stark traditionsbewussten Kirchlichkeit lutherischer Prägung. Das Elternhaus von Werner Schanz war nur unweit der evangelischen Pfarrkirche Unser Frauen gelegen. Er berichtet: „Im März 1945 wurde ich konfirmiert. Mein Konfirmationsspruch aus dem Alten Testament hat mich durchs Leben begleitet: Jes 41,10: ‚Fürchte dich nicht, ich bin mit dir, weiche nicht, denn ich bin dein Gott.‘ Im April 1945 wurde Memmingen den amerikanischen Truppen übergeben. Die Lebensbedingungen veränderten sich dramatisch. Ich erlebte das Kriegsende befreiend: Die Verdunkelung fiel. Das Licht war nicht mehr verboten. Die Ausgangssperren und das Anstehen um Lebensmittel bestimmten die nächsten Monate. Aber wir konnten frei reden, ohne Angst dabei abgehört zu werden. Im September 1945 wurde die Volksschule wiedereröffnet. Den Unterricht hielten Lehrkräfte, die nicht nazi-verdächtig waren. Ich kam in die achte Klasse und der neue Rhythmus der Tage führte ganz von selbst zu der Frage, für welchen Beruf, für welche Lehre ich mich nach Abschluss der Volksschule entscheiden will.“[21]

    Anders als die Pfarrer der kirchlichen Industrie- und Sozialarbeit in den 1950er Jahren, die mehrheitlich als aktive Soldaten und teilweise auch als Offiziere der deutschen Wehrmacht am 2. Weltkrieg teilgenommen hatten,[22] gehörte Werner Schanz einer nächsten Generation an, welche die Nazi-Herrschaft als Kind und in der Hitler-Jugend in der Heimat kennengelernt hatte. Aber der Zusammenbruch des sogenannten Dritten Reiches und das Kriegsende 1945 waren auch für einen Konfirmanden so einschneidende Erfahrungen, dass sie ein Leben lang als ein das Leben prägendes Widerfahrnis erinnert wurden. In diese Zeit fiel auch nach einer Phase des existentiellen Suchens und Fragens die Entscheidung von Schanz Theologe zu werden:

    „Ich fand keine Antwort, denn die Frage stieß auf einen inneren Konflikt, der mich immer stärker bedrängte. Im Konfirmandenunterricht sang ich ‚Bei dir Jesu will ich bleiben‘ und im Jungvolk ‚Die Fahne führt uns in die Ewigkeit, ja die Fahne ist mehr als der Tod‘. Die innere Auseinandersetzung mit meinem ‚gespaltenem Ich‘ und die offenen Gespräche führten zu der Entscheidung: Theologie zu studieren.“[23]

    Die Lehrstelle für Werner Schanz war schon gefunden, als er sich entschloss Theologie zu studieren, was aber bekanntlich eine höhere Schulbildung und ein Abitur zur Voraussetzung hatte. Deshalb galt es, den Lernstoff der ersten beiden Gymnasialklassen größtenteils im Eigenstudium nachzuholen, was von seinen Eltern moralisch, aber nicht fachlich unterstützt werden konnte. Im Jahr 1990 berichtete er vor Theologiestudierenden über seine Jugend und seinen Weg zum Theologiestudium:

    „Mit 10 Jahren kam ich ins Jungvolk. Ich war mal mehr, mal weniger begeistert dabei: 1945 wurde ich konfirmiert. 14 Tage später hörte ich in den Nachrichten, dass Memmingen nach schwerem Widerstand in die Hände der Feinde gefallen war. Das war zum Glück eine Lüge. Aber mich traf diese schwer, denn es zerbrach eine Welt, an die ich glaubte. Ich geriet in schwere innere Kämpfe, die dann mit dem Entschluss vorläufig endeten, Pfarrer zu werden. Das war nicht ganz so einfach, weil ich gerade die Volksschule hinter mir und meine Lehrstelle vor mir hatte. Was mich den langen Weg zur Theologie einschlagen ließ, war die Suche nach einer Antwort, wie ich mit der Erfahrung eines gespaltenen Ichs leben kann. Wie war das möglich, dass ich im Jungvolk sang: ‚Köpfe rollen, Juden heulen, die HJ marschiert, Marxisten an die Wand‘ und im Konfirmandenunterricht den Katechismus lernte und ‚Tut mir auf die schöne Pforte, führt in Gottes Haus mich ein, ach wie wird an diesem Orte meine Seele fröhlich sein.‘ Sie war es nicht mehr, und bis heute ist das nicht ausgeheilt. Die Wunde schmerzt, und ich bin empfindlich geworden, wenn christliche Tradition und die Gesänge der Welt, die Kriegs- und Marktliturgie als zwei geschiedene Äußerungsformen nebeneinander her existieren. Die Zwei-Reiche-Lehre ging in mir jedenfalls zu Bruch, bevor ich wusste, um was es dabei geht.“[24] Auch im hohen Alter kam Schanz immer wieder auf diese Erfahrung eines unguten, unwahrhaftigen und unvereinbaren Gegensatzes zu sprechen, welcher wohl in ihm lebensbestimmend den Wunsch und das Bestreben nach Eindeutigkeit, Stimmigkeit und Geradlinigkeit geweckt hatte. Glaube drängt auf ethische Entscheidung, so fand es viel später in seinen Predigten und geistlichen Impulsen seinen Ausdruck. Möglicherweise brachte er von seiner reformiert beeinflussten Heimatregion Memmingen eine gewisse Reserviertheit gegenüber einer hochkirchlich anmutenden Liturgie mit. So berichtet er von seinen Studienanfängen: „1952 begann ich, in Neuendettelsau mich zu orientieren. Dabei waren drei Begegnungen für mich auch biographisch bedeutsam. Da war zum einen die Begegnung mit einer mir völlig fremden, liturgisch geprägten Gottesdienstwelt. Ich gab mir reichlich Mühe, aber der Sprachstil und die Gestaltungsabläufe blieben mir fremd, bis heute. Der Rat der Studenten und Dozenten, ich solle mich in den Strom kirchlicher Spiritualität und geistlicher Tradition einfach fallen lassen, half nichts. Ich fand keinen Absprungplatz und vor einer Bauchlandung hatte ich Angst. Beim Hebräischlernen wurden mir die Psalmen vertraut, psalmodierend entzogen sie sich mir. Vielleicht ist die unangefochtene Entscheidung, die zweitausendjährige Tradition der Kirche durch das Festhalten an der Liturgie zu demonstrieren, richtig. Ich weiß es nicht. Die theologischen Brüche und Traditionsabbrüche können dadurch überfeiert werden. Es war jedenfalls wegweisend und weise von der Kirchenleitung, dass sie mich früh und endgültig zu anderen Aufgaben berief, die mich aus der aktiven Auseinandersetzung mit dem liturgischen Weg der Kirche befreiten. Mir reichten die Auseinandersetzungen um die Jugendgottesdienste der 60er Jahre. Ich fand für meine Haltung auch gesellschaftliche und theologische Erklärungen. Aber ich will damit nicht anderen ihren Weg abwerten.“[25] In seinem Lebensbericht nennt Werner Schanz frühzeitig das Gefühl des Unbehagens bzw. des Befremdens über eine als erstarrt empfundenen lutherischen liturgischen Tradition, was für die Kirchenreformbewegung seiner Generation, die er nachdrücklich beförderte, zu einem zentralen Reformanliegen werden sollte. In seine Neuendettelsauer Zeit des Studienanfangs fiel das Kennenlernen und die Auseinandersetzung mit den Schriften Rudolf Bultmanns, die für sein theologisches Denken lebenslang wegweisend wurden. Die Beschäftigung mit der Theologie und dem exegetischen Ansatz Bultmanns empfand er für sich als einen hilfreichen Durchbruch zu einem mündigen und reflektierten Glauben.[26] Dankbar stellte er rückblickend fest, dass Bultmann ihm die Bibel lesen gelehrt habe.[27] „Es kamen später noch viele andere Lehrer und Lehrerinnen dazu. Sie erweiterten den Durchbruch, z.B. Prof. Joest, dem ich die dritte Begegnung verdanke. In seiner Einführung in die Theologie Luthers erklärte er: ‚Luther war mit dem, was er gehört und gelernt hat, nicht zurechtgekommen. Er fand das lebendige Wort in der Auseinandersetzung mit der Schrift. Die Kirche stößt die Wahrheit aus. Daraus erwächst das Schriftprinzip. Die Schrift steht im Entscheidungsfall über der Tradition‘.“[28] Dieses Referat der Position von Wilfried Joest durch Werner Schanz gibt sehr zutreffend seine lebenslang vertretene eigene theologische Haltung wieder. Nach seinem Studium in Neuendettelsau, Tübingen und Erlangen legte er 1957 sein erstes theologisches Examen in Ansbach ab. 1958 bis 1961 war er Vikar in Forchheim/Oberfranken.[29] In dieser Zeit machte er 1960 sein zweites theologisches Examen. Für Schanz jedoch waren damit die theologischen „Lehrjahre“ keineswegs zu Ende, sondern er blieb zeitlebens ein theologisch Lernender, der im Gespräch und Austausch mit seinen Kollegen eine theologische Existenz führte. Er berichtet davon so: „Beim Übergang vom Studenten zur Pfarrerexistenz, vom Studium zur Gemeindepraxis las ich Bonhoeffer. Das war gewiss kein Zufall. Ich spürte, dass die gelernte Theologie noch einmal anders durch mich hindurch muss, damit sie nicht in bloßer Anwendung versandet. Es war das Verdienst von Hugo Maser, dass er uns im Predigerseminar theologische Existenz einüben lehrte in kritischer Weitergabe der Erfahrungen der Bekennenden Kirche. Der Ruf in die Nachfolge des gekreuzigten Bergpredigers und die Verpflichtung auf die Bekenntnisschriften als Tür zur kirchlichen Berufslaufbahn – bis beides bei mir dann einigermaßen zusammenging, war ich schon über ein Jahr unordinierter Prediger und Verwalter der Sakramente.“[30] Möglicherweise war die Bedeutsamkeit der Gemeinschaft von Theologen und später auch von Theologen und Theologinnen charakteristisch für Schanz und nicht wenige seiner Generation. Theologische Arbeit war für ihn Gemeinschaftsarbeit. So wurde er zu einem, wie man heute sagen würde, theologischen „Netzwerker“. Die bayerische Pfarrbruderschaft mit ihrer in die Zeit des Kirchenkampfes zurückreichenden Tradition wurde ihm zur geistlichen Heimat und zum bevorzugten Ort gemeinschaftlichen Theologisierens: „Meine zweite kirchliche Sozialisation erlebte ich in der Pfarrbruderschaft, die dafür sorgte, dass Theologie und Biographie weiterhin verbunden blieben. Theologie ohne geschwisterliche Gemeinschaft ist für mich undenkbar. Es ist, denke ich, kein nostalgischer Reflex, wenn ich die gemeinsame theologische Arbeit der 60-er Jahre preise, die mich auf das vorbereitete, was später Paradigmenwechsel genannt wurde.“[31] Nach seinem Vikariat in der oberfränkischen Diaspora Forchheim wurde ihm eine der Pfarrstellen in Nürnberg-St. Peter übertragen, die er von 1961 bis 1965 innehatte. St. Peter war damals eine der sehr großen Arbeitergemeinden in Nürnbergs Südstadt. Die Gemeindemitglieder waren zum Großteil in den Industriebetrieben Nürnbergs tätig. Selbstverständlich patriarchalisch auftretende lutherisch eingestellte konservative Pfarrherren besetzten damals die sogenannten 1. Pfarrstellen der großen Nürnberger Kirchengemeinden. Werner Schanz gehörte zu der unruhigen jüngeren Pfarrersgeneration, die miteinander und mit anderen kontinuierlich im Gespräch war über eine junge Kirche, die sich den gesellschaftspolitischen Herausforderungen ihrer Zeit stellen und versuchen wollte, auf den sich abzeichnenden Traditionsabbruch eine positive Antwort zu finden. Hermann von Loewenich war zeitgleich Studentenpfarrer in St. Egidien.  In St. Peter, einer teilweise auch pietistisch geprägten Großstadtgemeinde, galt es für Werner Schanz den umfangreichen Dienst einer pastoralen Grundversorgung in einer großen Gemeinde zu versehen. Die Verbindung zu St. Peter und seinen Menschen blieb lange erhalten, so wurde er auch in späteren Jahren zur Goldenen Konfirmation als Prediger eingeladen. 1965 erfolgte die Berufung von Werner Schanz zum Landesschülerpfarrer im Amt für evangelische Jugendarbeit, dessen Zentrale nicht weit entfernt von St. Peter in der Gudrunstraße 33/ Hummelsteiner Weg 100 im nahen Lichtenhof untergebracht ist. „Aufbruch-Exodus. Ich wurde wohl für immer aus der Gemeindearbeit herausgerufen. Schülerpfarrer mit der Beauftragung für die Beratung von Kriegsdienstverweigerern und Zivis. So erhielt ich den Stempel ‚links‘ und in einigen Dekanaten Redeverbot. Die Angriffe aus den eigenen Reihen taten weh, auch die Frage, ‚wann kommst du wieder zum Eigentlichen zurück?‘ Ich wusste inzwischen nicht mehr so genau, was das ist und wo ich es suchen sollte: bei Bloch oder Max Frisch, bei Gollwitzer und Sölle, bei M.L. King oder Che Guevara. Am deutlichsten fand ich es in der Begegnung mit tschechisch-slowakischen Theologen und Marxisten. Bei Milan Machovec und Gordavsky lernte ich, was Dialog heißt, und über den ‚Jesus für Atheisten‘ entdeckte ich neu, dass Theologie Auslegung der Bibel ist im Gespräch mit den Menschen und ihren Lebensfragen, die – wie ich langsam begriff – gesellschaftlich vermittelt und bedingt sind.“[32] Mit seinem Auftrag zum Schülerpfarrer waren zahlreiche Dienstreisen verbunden zur Begleitung von regionalen Schülergruppen, die mehrheitlich wohl der gymnasialen Oberstufe angehörten, aber auch die Pflege deutschlandweiter Kontakte bis hin zu politischen Entscheidungsträgern wie dem späteren Bundespräsidenten Johannes Rau u.v.a.. Nicht wenige dieser Verbindungen und Freundschaften bewährten sich über viele Jahre und die folgenden beruflichen Stationen. Zahlreiche künftige Theologiestudierende erlebten als Abiturienten Landesschülerpfarrer Werner Schanz auf von der Landeskirche angebotenen Einführungstagungen in den politisch aufgewühlten Jahren vor und nach den 68er Jahren mit ihren Studentenunruhen, die natürlich auch die bayerischen Universitäten mit ihren beiden theologischen Fakultäten erfassten. Die sogenannten 68er Jahre mit ihren obrigkeitskritischen Studentenbewegungen waren auch eine Zeit einer neuen Pädagogik, welche das Bildungssystem in Deutschland in seiner bisherigen Form grundsätzlich in Frage stellen sollte. Das wichtigste Experimentierfeld für die Jugendarbeit in der bayerischen Landeskirche mit einer weit darüber hinaus reichenden Wirkung war das Studienzentrum für evangelische Jugendarbeit in Josefstal am Schliersee, dessen Leiter Werner Schanz 1970 wurde und bis 1979 blieb. Sowohl als Schülerpfarrer als auch als Studienleiter in Josefstal war Schanz eine der prägenden Persönlichkeiten in der evangelischen Jugendarbeit. Seine Verdienste um die Jugendarbeit wurden 1984 mit dem Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet, wofür ihn der Bayerische Jugendring vorgeschlagen hatte. Über seine Zeit in Josefstal schrieb Bernd Eupen im Jahresbericht des Studienzentrums von 1980 im Namen der Mitarbeiterschaft: „9 Jahre lang war er als Studienleiter in Josefstal tätig; dabei war er mehr Theologe und Kollege als Leiter und Vorgesetzter. In hervorragender Weise hat er es verstanden, den Forderungen von außen nach einer hierarchischen Führung zu genügen und dennoch im Innenbetrieb ein partnerschaftliches und gleichberechtigtes Verhalten zu ermöglichen. Dadurch wurde es möglich, dass aus einem Kreis von Dozenten im Laufe der Zeit ‚das Josefstaler Team‘ wurde, wo jeder sich für die Geschicke des Studienzentrums verantwortlich fühlte und auch in der Lage war, Verantwortung zu übernehmen. In ähnlicher Weise war Werner Schanz als ‚Heimleiter‘ für die Gasttagungen mehr ein verständnisvoller Seelsorger und weniger eine drohende Autorität. Als er einmal dazukam, wie ein Jugendlicher eine Zimmertür eintrat, hat er nicht als erstes aggressiv losgeschimpft, sondern den Jugendlichen gefragt: ‚Warum machst du das?` Mit dieser Mischung aus Verständnis und Festigkeit ist es möglich gewesen, dass Josefstal bis heute für alle Gruppen offengeblieben ist und noch keinem der Zugang verwehrt wurde. Werner Schanz, äußerlich eher konservativ wirkend (immer mit Anzug und Krawatte) hat es verstanden, den Dialog zwischen Theologie und Sozialwissenschaften in Josefstal stets lebendig zu halten. Er hat als Theologe unvoreingenommen von den Sozialwissenschaften gelernt und diese neuen Erkenntnisse immer wieder in seine Bibelarbeit aufgenommen. Dabei gereichte es ihm nicht nur zur reinen Freude, wenn er freimütig erklärte, dass er von Jesus, Marx und Marcuse gelernt habe. Aber sowohl im Team als auch in der Kursarbeit haben wir davon viel profitiert.“[33]

    Im Jahr 1979 fand der bisherige Tätigkeitsschwerpunkt von Werner Schanz, die evangelische Jugendarbeit, der er sich hauptamtlich auf zwei Spezialpfarrstellen sowie nebenamtlich auf zwei Gemeindestellen gewidmet hatte, zu einem Abschluss. Für viele Beobachter des kirchlichen Lebens überraschend, war Werner Schanz zum Sozialpfarrer ernannt worden und bekam als solcher die Leitung des Amtes für Industrie- und Sozialarbeit der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern übertragen. Ab dem 1.11.1979 war sein Dienstsitz erneut das kirchliche Ämterhaus Gudrunstraße 33/ Hummelsteiner Weg 100 in Nürnberg-Lichtenhof. Überraschend war an dieser Personalie, dass Schanz nach vielen Jahren im überparochialen Dienst nicht in den Gemeindedienst zurückkehrte, was damals allgemein übliche Praxis war. Von älteren Mitarbeitenden konnte man noch Jahre später hören, dass der Ernennung von Werner Schanz ein Streit zwischen der Mitarbeiterschaft und dem Landeskirchenrat vorhergegangen war. Der Landeskirchenrat hatte ursprünglich beabsichtigt einen anderen Pfarrer zum Nachfolger des bisherigen Amtsleiters Sozialdirektor Dr. Ernst Guth zu machen. Jener Pfarrer stand in dem Ruf, eine an Ludwig Erhard orientierte Wirtschaftsethik zu vertreten und also eher arbeitgebernah eingestellt zu sein. Eine Entwicklung des Amtes für Industrie- und Sozialarbeit hin zu einer unionsnahen und an den Arbeitgebern orientierten Ausrichtung wollte die Mitarbeiterschaft um jeden Preis verhindern. Die gewerkschaftsnahe Mehrheit im Kollegium des Amtes wünschte sich stattdessen die Ernennung des bisherigen Stellvertreters des Amtsleiters, was wiederum der Landeskirchenrat ablehnte, denn neue Leiter sollten nach damaliger Praxis in der Regel nicht aus der Mitarbeiterschaft, sondern um ihrer internen Unabhängigkeit willen von außen kommen. Der Kompromisskandidat bzw. der beiden Seiten willkommene Kandidat war nun Pfarrer Werner Schanz, dessen politische und kirchliche, in damaligem Sinne progressive Haltung über jeden Zweifel erhaben war. Die Zeit der sozialliberalen Koalition in Bonn war in fast allen Landeskirchen eine Blütezeit der kirchliche Industrie- und Sozialarbeit, welche als Träger und Motor der Kirchenreformbewegung sich großer Wertschätzung und erheblicher Aufmerksamkeit erfreute. Das Motto von Bundeskanzler Willy Brandt „mehr Demokratie wagen“ fiel auch in den evangelischen Kirchen auf fruchtbaren Boden. Das Jahr 1979 war nun auch das Jahr des Nürnberger Kirchentags unter der Losung „Zur Hoffnung berufen“, was möglicherweise für den Landeskirchenrat nicht den geeigneten Zeitraum bildete für eine längere Auseinandersetzung mit den Mitarbeitenden des Amtes um die Besetzung der Leiterstelle. In Josefstal hat sich Werner Schanz mit den damals neuen Ansätzen von Gruppendynamik und Psychoanalyse auseinandergesetzt, was auch seine Bibellektüre beeinflusste. „Von daher war es für mich ganz selbstverständlich, dass mich die theologische Auswahl, die ich immer schon vornahm, zur Befreiungstheologie führte und zur sozialgeschichtlichen Interpretation biblischer Schriften. Jetzt merkte ich das große Defizit männlich geprägter Theologie.“[34] Jedenfalls führte der Berufsweg von Werner Schanz, aus seiner Sicht durchaus inhaltlich konsequent, von einem Laboratorium pädagogischer Erneuerung zu einem anderen Laboratorium, diesmal einem Experimentierfeld einer damit verbundenen gesellschaftspolitischen Erneuerung. Von 1979-1996 war Schanz dann Sozialpfarrer und Leiter des Amtes für Industrie- und Sozialarbeit der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Das Amt für Industrie- und Sozialarbeit war verglichen mit anderen überparochialen kirchlichen Einrichtungen auf EKD–, sowie auf bayerischer Ebene eine große Dienststelle mit über 55 Mitarbeitenden und sogenannten Außenstellen in mehreren industriellen Zentren Bayerns. In der Nürnberger Zentrale, dem Dienstsitz von Schanz, wurden die Aktivitäten der hauptamtlichen Mitarbeitenden mit den assoziierten Ehrenamtsorganisationen Aktionsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (afa) und Evangelische Arbeitsgemeinschaft für soziale Fragen (EAG) verknüpft. In die lange Dienstzeit von Schanz fiel die deutsche Wiedervereinigung, der Wandel der Wirtschaft von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft und in der Landeskirche die Übernahme des Amtes des Landesbischofs durch Hermann von Loewenich in der Nachfolge von Johannes Hanselmann[35] mit all den damit verbundenen Veränderungen. Es war eine Zeit eines umfassenden Wandels, den Werner Schanz kirchlicherseits mitgestaltete in einem Amt, das unter seiner Leitung möglicherweise den gegenüber späteren Zeiten vergleichsweise größten meinungsbildenden Einfluss in der Landeskirche hatte. Viele in der Landeskirche hörten auf Schanz, der bereits als profilierte und respektierte Persönlichkeit in dieses Amt kam. Im Amt selbst kam dem Leiter über seine Funktion als Dienststellenleiter hinaus ein bischöflich anmutendes Ehrenprimat als Cheftheologe zu, von dem Schanz höchstens zurückhaltend und bescheiden Gebrauch machte, denn er fand eine selbstbewusste Mitarbeiterschaft vor, die durch eine traditionell starke Mitarbeitendenvertretung (MAV), durch die Mitarbeiterkonferenz (MAK) und einen Strukturausschuss (SAS) in alle inhaltlichen und insbesondere politisch strukturellen Entscheidungen im Sinne von betrieblicher Mitbestimmung einbezogen sein wollte.

    Im Rückblick wurde die „Ära Schanz“ von den älteren Mitarbeitenden, aber auch vom kirchlichen und gesellschaftspolitischen Umfeld trotz aller politischen Umwälzungen allgemein als eine besonders gute und wirkmächtige Zeit der kirchlichen Industrie- und Sozialarbeit beurteilt, die damals in Bayern wie in anderen Landeskirchen noch stark männerlastig geprägt war.  Die Dienststellen waren eine eigenwillige Mischung aus altmodischer kirchlicher Verwaltung und informellem Betriebsratsbüro. Überall wurde, unter Einschluss des Leiters, sehr viel geraucht, so dass bei Mitarbeiterkonferenzen auch in überschaubaren Räumlichkeiten häufig nur die Konturen des Gegenübers sichtbar waren. Auch politisch wurde lautstark Dampf abgelassen. Das Dienstleben folgte einem eigenen gemeinschaftlich ersonnenen Reglement. Leitung wurde in einem eigentümlichen Gemisch aus Patriarchalismus und Gleichberechtigung wahrgenommen. Irgendwie hat es anscheinend funktioniert. Werner Schanz hat zeitlebens gerne auf diesen Abschnitt seiner Dienstzeit zurückgeblickt und blieb seinem letzten Arbeitsfeld immer mit wacher Aufmerksamkeit verbunden, und wenn er, solange es ihm möglich war, den kda betrat, gab es ein großes freudiges Hallo. 1996 war er in den Ruhestand getreten, den er mit seiner Frau Heide in Nürnberg verbrachte. Ihm wurden noch eine ganze Reihe gesunde Jahre geschenkt, in denen er seine aus der Bibel gewonnene Lebensweisheit mit anderen teilte und sie in Vorträgen, Predigten sowie Andachten gerne „unters Volk brachte“. Die Pfarrbruderschaft, ein Kreis theologisch interessierter Emeriti, zuletzt das Rummelsberger Stift, aber gelegentlich auch noch einmal die afa waren die Gruppierungen, in denen er sich mit der ihm eigenen Freudigkeit und Menschenfreundlichkeit einbrachte. Seine letzten Lebensjahre verbrachte er mit abnehmenden Körperkräften, aber in geistiger Wachheit im Nürnberger Rummelsberger Stift, wo er am 6.2.2020 im 89. Lebensjahr verstarb.

    Doch zurück zum Amt für Industrie- und Sozialarbeit der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, das Werner Schanz 17 Jahre lang leitete. Dieses Amt konnte bei Dienstantritt von Schanz bereits auf ein Vierteljahrhundert Kirchengeschichte zurückblicken.[36] Was fand er vor? Und was waren die leitenden Grundsätze der bayerischen Industrie- und Sozialarbeit, auf die er aufbaute?

    4. Amt für Industrie- und Sozialarbeit

    4.1. Zur Geschichte

    „Das Evangelium in der Arbeitswelt“, lautet der Titel des instruktiven Kapitels, das Hermann Blendinger in seiner umfassenden Darstellung der reformerischen Neuansätze der Nachkriegsgeschichte der bayerischen Landeskirche der kirchlichen Industrie- und Sozialarbeit widmet. Denn in dieser wird nicht zuletzt der kirchliche Aufbruch in die Moderne der Nachkriegszeit besonders markant und langjährig prägend sichtbar. Dabei ging es um einen Neuansatz kirchlichen Handelns, eine eigene damals neuartige partnerschaftliche Zugehensweise auf die Industriearbeiterschaft jenseits von alternativen Ansätzen von caritativer Sozialarbeit und evangelistisch vereinnahmender Volksmission.[37]

    Das Amt für Industrie- und Sozialarbeit der Evangelisch-Lutherischen Kirche ist aus kleinen Anfängen hervorgegangen, die in die letzten Jahre der Ära von Landesbischof Hans Meiser fielen. In der Herbstsynode 1952 wurde die Thematik „Kirche und ihr Verhältnis zur Arbeiterschaft“ diskutiert.[38] Bereits zuvor hatte am 1. Januar 1952 die sozialwissenschaftlich ausgebildete Fürsorgerin Dr. Käthe Truhel ihren Dienst als Geschäftsführerin des Evangelischen Arbeiterinnenwerks in Bayern angetreten.[39] Im April 1953 erfolgte die Gründung der Aktionsgemeinschaft für Arbeiterfragen (afa) in Schweinfurt, die auf die Einrichtung der ersten Sozialpfarrstelle drängte, welche im September 1954 mit Ernennung von  Pfarrer Hans Siebert erfolgte. Er war zuvor  Gemeindepfarrer in der Arbeitergemeinde Dreieinigkeitskirche Nürnberg-Gostenhof gewesen und war selbst afa-Gründungsmitglied.[40] Der Berufung von Siebert vorausgegangen war eine engagierte Diskussion auf der Herbstsynode 1952, bei der ins Feld geführt wurde, dass in der „Arbeiterfrage“ etwas geschehen müsse. Denn die Arbeiter dürften doch nicht einem materialistischen Marxismus überlassen werden oder gar der auf diesem Feld bereits tätigen katholischen Kirche ausgeliefert werden. Vielmehr gelte es die Chance zu nutzen, dass die evangelische Kirche wieder zur Heimat des Arbeiters werde.[41] Die Errichtung der Sozialpfarrstelle wäre wohl kaum gelungen, wenn sich nicht ein lebendiger Gesprächskreis mit zahlreichen Teilnehmern und öffentlicher Ausstrahlung zu der vom Landeskirchenrat anerkannten „Aktionsgemeinschaft für Arbeiterfragen (afa) in der Evangelisch-Lutherischen Kirche“ zusammengefunden hätte. Zudem fanden große Arbeitertreffen des „Evangelischen Arbeiterseminars“ in Schweinfurt mit bis zu 1000 Teilnehmern statt.[42] Die Arbeiterfrage war jedenfalls damals von allgemeinem und damit auch von kirchlichem Interesse.[43] Siebert hatte zunächst seine Geschäftsstelle im Amt für Gemeindedienst. Die Frauen der Industriearbeit waren es, namentlich Dr. Käthe Truhel und die Fürsorgerin der Inneren Mission Elisabeth Nägelsbach, welche die Initiative ergriffen zum Bau eines Mietshauses für Arbeiterinnen und ihre Kinder im Arbeiterquartier in Nürnbergs Südstadt in der Halskestraße. Dieses wurde nun für nahezu 20 Jahre zur zentralen Dienststelle des Amtes für Industrie- und Sozialarbeit der Evang.-Luth. Kirche in Bayern.[44] Erst 1974 bezog die Zentrale des Amtes für Industrie- und Sozialarbeit das kirchliche Ämterhaus Gudrunstr.33/ Hummelsteiner Weg 100, in dem seit 1936 bereits das landeskirchliche Amt für Jugendarbeit untergebracht war.[45] Doch hier ist nicht der Ort für eine detaillierte Darstellung der bayerischen kirchlichen Industrie- und Sozialarbeit, die weiterhin ein wissenschaftliches Desiderat bleibt. Vielmehr soll von Werner Schanz die Rede sein, der den Gründungssozialpfarrer Hans Siebert bereits als Vikar im Predigerseminar kennenlernte und ihm in den Jahren danach als Pfarrer im überparochialen Dienst immer wieder begegnete. Der Geist der Gründergeneration „Siebert und Truhel“ war im Amt für Industrie- und Sozialarbeit über deren Lebenszeit hinaus (Siebert starb bereits 1971) lebendig und prägend. Der unmittelbare Vorgänger von Schanz war Sozialdirektor Dr. Ernst Guth, der als Volkswirt bereits in den 50er Jahren in der Geschäftsstelle des Sozialpfarrers tätig wurde und nach Sieberts Ruhestandsversetzung die Amtsleitung übertragen bekam. Die Frage stellt sich, warum der Sozialpfarrer Wilhelm Scheuerpflug nicht Nachfolger von Siebert wurde; vielleicht weil er womöglich als zu linkslastig galt.

    „Das Evangelium in der Arbeitswelt“, hatte Hermann Blendinger in seinem Buch das Kapitel mit der Darstellung der Anfänge der kirchlichen Industrie- und Sozialarbeit überschrieben.[46] Aber ging es wirklich um die Verkündigung des Evangeliums gegenüber Arbeitern oder nicht doch sehr stark um institutionelle Interessen der Integration von Arbeitern in die Volkskirche[47] oder sogar vorrangig um die Beförderung von sozialpolitischen, gewerkschaftsnahen Anliegen? Waren insofern mit der kirchlichen Industrie- und Sozialarbeit nicht von Anfang an sehr konträre Motivationen verbunden? Deshalb nun:

    4.2. Zum Programm

    Die Programmatik des in der Entstehung befindlichen Amtes für Industrie- und Sozialarbeit ist entfaltet in einer 1968 von Hans Siebert maschinenschriftlich veröffentlichten Schrift mit dem Titel: „Die Arbeit im Amt des Sozialpfarrers der Evang.-Luth. Kirche in Bayern.“ In diesem vom Amt selbst veröffentlichten programmatischen Text wird zuvor bereits eingangs betont, dass die Arbeit mit der afa, also mit Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen, im Vordergrund der praktischen Arbeit stehen würde, was selbstverständlich auch den Kontakt zu Betriebsräten und zu den Gewerkschaften miteinschließe. Aber es wurden auch sogenannte Querschnittsseminare mit Führungskräften sowie Unternehmergespräche hervorgehoben, was deutlich macht, dass Arbeitswelt von Anfang an vom „Amt“ nicht auf die Arbeitnehmerseite begrenzt und damit eng geführt wurde. Ja man fühlte sich, modern gesprochen, einem im Grunde dialogischen Ansatz verpflichtet: „Es gehört vielmehr zu den vordringlichen Aufgaben einer  kirchlichen Sozialarbeit, gerade konkurrierende Gruppen miteinander ins Gespräch zu bringen, biblisch ausgedrückt, sie einander zu Nächsten zu machen.“[48]

    Die kirchliche Sozialarbeit wird als ein vielschichtiges, aufeinander bezogenes Arbeitsfeld mit mehreren Schwerpunkten verstanden. Die Gefahr einer einseitigen Ausrichtung an einem Interessenverband, wie den Gewerkschaften, wird gesehen und als abzulehnen benannt. „Auf diese Weise wird auch deutlich, dass sich die kirchliche Sozialarbeit mit keinem durch eine Gruppe vertretenen Interesse identifizieren darf. Sie muss neben der lebendigen Teilhabe am Tun und Lassen der einzelnen Gruppen, die durch geeignete Mitarbeiter sicherzustellen ist, auf die Wahrung des kritischen Abstandes bedacht sein, auch ihren eigenen Erkenntnissen gegenüber, um so eine möglichst zutreffende, möglichst wenig von Interessen gesteuerte Darstellung der Sachverhalte zu erreichen.“[49] Das damals im Entstehen begriffene Amt für Industrie- und Sozialarbeit sollte also eine differenziert urteilende Facheinrichtung werden. Kirche wird dabei zwar als „ein Teil der Gesellschaft“, aber als eine „Größe eigener Art“ verstanden: „Bleibt sie Kirche, dann muss sie auch immer wieder ganz klar abgegrenzt von der Gesellschaft dieser gegenüberstehen.“[50] Es wird hervorgehoben, dass die Sendung der Kirche sich an alle Menschen wendet und das Leben in allen seinen Dimensionen umfasst. Deshalb wird die Bezeichnung der kirchlichen Industrie- und Sozialarbeit als Sonderdienst als unangemessen abgelehnt. Doch worin bestand nun das Ziel der kirchlichen Industrie- und Sozialarbeit? „Unser Ziel ist die Erarbeitung und Weitergabe eines sozialen Ethos, der ethische Vorstoß in die Gesellschaft.“[51] In diesem Zusammenhang wird auf die Pflicht eines Christen zur Mitgestaltung am öffentlichen, gesellschaftlichen Leben verwiesen. Die zentrale biblische Belegstelle für diese Haltung und diesen Auftrag sei insbesondere Römer 12, 2.[52] Unter Berufung auf das neutestamentliche Zeugnis wird gut evangelisch die Ausrichtung der kirchlichen Industrie- und Sozialarbeit folgendermaßen näherbestimmt: „Damit ist uns die Aufgabe gestellt, die Beziehungen der tatsächlichen, möglichst gut durchschauten sozialen Situation des Menschen zum Glauben aufzufinden. Es geht also um diese Konfrontation. Diese Konfrontation kann in einer kirchlichen Arbeit nur von einem Denken vollzogen werden, das ganz an Christus gebunden ist und sich zugleich um eine Kenntnis der Welt bemüht. Unsere Sozialarbeit hat also nach zwei Seiten hin zu horchen: Sie hat auf Gottes Wort zu hören und auf alle, die ihrem Weltverständnis behilflich sein können. Je besser unserer Sozialarbeit diese Konfrontation gelingt, umso besser hat sie ihre Aufgabe gelöst und ihr Ziel erreicht und umso mehr ist sie berechtigt, ihre Erkenntnisse auf alle mögliche Weise der Öffentlichkeit und natürlich auch der Kirche zu vermitteln.“[53] Der wechselseitige Bezug bis hin zur Konfrontation von gesellschaftlicher Wirklichkeit und biblischem Zeugnis bildet den hermeneutischen Zugriff von kirchlicher Industrie- und Sozialarbeit. Die Gleichgewichtigkeit der beiden Seiten, von der keine das Übergewicht bekommen darf, aber auch keine verzichtbar ist, wird eindrücklich herausgearbeitet. Doch so vernünftig und sachdienlich dies anmutet, so wird aus der Programmschrift von 1968 bereits deutlich, dass sich dieser Ansatz sowie das im Aufbau befindliche Amt gegen kritische Einsprüche von verschiedenen Seiten, insbesondere aus der Kirche selbst, behaupten muss. Das apologetische Interesse der Schrift wird bereits daran sichtbar, dass die sozialwissenschaftliche Sachorientierung verteidigt und auf die aus heutiger Sicht selbstverständliche Diskursivität positiv verwiesen wird. Eindringlich wird die Sachorientierung und der Situationsbezug kirchlicher Sozialverkündigung und kirchlicher Bildungsarbeit angemahnt. „Für die Verkündigung im Raum der gesellschaftszugewandten Dienste ist es charakteristisch, dass die Situation der Adressaten in Form von Einwand, Diskussionsvotum, Bestätigung oder Protest usw. laut wird. Hier muss die Verkündigung die Form einer Zuordnung zu jenen Sachverhalten haben, von deren Problemen die Tagungsteilnehmer bewegt sind. Die Voraussetzung dieser Zuordnung ist eine genaue Kenntnis der Dinge, um die es in der Tagungsthematik geht. Erst so kann es zur nötigen Konfrontation kommen. Das Spezifische dieser Verkündigung besteht also darin, dass nicht von einem Schriftwort ausgegangen wird, dessen Auslegung dann zur Anwendung auf die Lage als für alle verbindlich führt, sondern dass umgekehrt von den sozialen Sachverhalten ausgegangen wird, als von jenen Faktoren, welche die Situation des heutigen Menschen am meisten bestimmen. Von dieser Fragestellung muss zurückgefragt werden nach einem Wort der Heiligen Schrift, welches erlaubt, zu einer christlichen Antwort anzusetzen.“[54]

    Indirekt scheint eine Abgrenzung gegen eine als steil offenbarungspositivistisch empfundene Theologie und möglicherweise auch als patriarchalisch erlebte Verkündigungsweise vorgenommen zu werden, welche im Zuge der Studentenrevolte der 68er Jahre an Plausibilität verlor und durch stärker anknüpfungstheologische Ansätze abgelöst wurde, welche pädagogisch oder poimenisch ausgerichtet und zudem an einer Berücksichtigung sozialwissenschaftlicher Analysen interessiert waren. Allerdings werden bei der Programmatik der kirchlichen Industrie- und Sozialarbeit gesellschaftliche „Ordnungen“ als gegeben und als zu respektieren vorausgesetzt. „Wenn sich die kirchliche Sozialarbeit um die Frage bemüht, wie man sich als Christ in den vorhandenen Ordnungen zu verhalten hat und wie man sich den geltenden Ordnungen gegenüber kritisch zu verhalten hat, dann ist sie nicht, wie oft genug behauptet wird, eine periphere, nicht unbedingt notwendige kirchliche Bemühung, sondern christliche Unterweisung, kirchliche Verkündigung.“[55] Von Anfang an hatte sich, vermutlich auf dem Hintergrund einer den politisch-gesellschaftlichen Bereich ausklammernden bzw. abtrennenden Zwei-Reiche-Lehre, die kirchliche Industrie- und Sozialarbeit gegen eine Abwertung des eigenen Arbeitsbereichs als verzichtbares Adiaphoron kirchlichen Wirkens zur Wehr setzen müssen.  Immer wieder wurde provokativ danach gefragt, ob durch die kirchliche Sozialarbeit Menschen für Christus gewonnen worden seien. Kirche wird von den Verfassern der Programmschrift dabei durchaus zugestanden, dass sie Menschen für Christus gewinnen wolle, denn anders wäre sie schließlich nicht mehr Kirche. „Unsere Arbeit will aber das sein und bleiben, was ihr Name sagt: kirchliche Sozialarbeit. Sie will nicht als Volksmission verstanden werden, die sich das Ziel gesteckt hat, mit Hilfe der Sozialarbeit Menschen für Christus zu gewinnen.“[56] Die kirchliche Sozialarbeit wendet sich besonders „Kirchenfremden“ zu, bei denen Tradition und Liturgie nicht als vertraut vorausgesetzt werden. Ohne den Christusbezug oder den Kirchenbezug zu relativieren, bedarf die Sozialarbeit selbst doch unkonventionellerer Formen. „Unsere Arbeit muss deswegen nach Formen suchen, die es ermöglichen, bei Tagungen und Seminaren unkirchlichen Teilnehmern die Botschaft in einer solchen Form zu bezeugen, dass ihnen darin die reinen Elemente des Evangeliums dargeboten werden, in einer für sie verstehbaren Sprache.“[57] Großer Nachdruck wird auch auf die „partnerschaftliche Form“ gelegt, in welcher die Sozialarbeit geschieht, die auch für Menschen und gesellschaftliche Organisationen offen ist, welche zu Gemeinden und Kirche keinen unmittelbaren Bezug haben.[58] Was bedeutet dies nun für die praktische Arbeitsweise?

    4.3. Zur Arbeitsweise

    Die Arbeitsweise kirchlicher Industrie- und Sozialarbeit leitete sich damals von den Bedürfnissen und Erwartungen der Zielgruppe Arbeiterschaft ab. Deshalb erfolgte noch eine Konkretion und Näherbestimmung dieser „Zielgruppe“ kirchlicher Sozialarbeit[59] über die vorgestellte Programmschrift hinaus. Das Amt für Industrie- und Sozialarbeit legte 11 Jahre später dazu die von Käthe Truhel verfasste Schrift „Zusammenarbeit mit Industriearbeiterschaft. Ein Beitrag aus der Praxis zum Thema Bildung und Arbeiterschaft“ vor. Das Büchlein ist im Juni 1979 im Eigenverlag des Amtes erschienen in der Herausgeberschaft der damaligen Amtsleitung Dr. Ernst Guth und Barbara Bachmann. Im Vorwort wird auf den damals stattfindenden Nürnberger 18. Deutschen Evangelischen Kirchentag verwiesen. Werner Schanz war zu diesem Zeitpunkt bereits der designierte Amtsleiter des Amtes für Industrie- und Sozialarbeit, dessen Dienstantritt aber erst im Herbst des Jahres 1979 stattfinden sollte. Die Schrift war als bilanzierende reflektierte Erfahrung im langjährigen Zusammenleben bzw. im kontinuierlichen persönlichen Umgang mit Arbeitern gekennzeichnet. Die Arbeiterschaft war damals die größte Gruppe von Erwerbstätigen in der Bundesrepublik Deutschland. Mit Recht konnte konstatiert werden: „Industriearbeiterschaft ist die exemplarische Sozialfigur und vorderste Front der Industriegesellschaft.“[60] Unter Arbeit wurde Folgendes verstanden: „Arbeit in der Massenfertigung der Produktion gibt es von Beginn an und bis heute nur als abhängige, fremdbestimmte, arbeitsteilige Lohnarbeit ohne eigene Produktionsmittel und ohne Weisungsbefugnis.“[61] Durchgehend ist die Schrift geprägt von einer sehr pragmatisch praktizierten Sozialarbeit, z.B. von Erfahrungen in sogenannten Schulförderkursen. Käthe Truhel berichtet: „Das Arbeiterkind kommt mit seiner Einschulung in eine ihm fremde Welt, Arbeiterschaft entstand und blieb im Abseits der Gesellschaft. Sie entwickelte sich zu einer eigenen soziokulturellen Gruppe mit den besonderen Merkmalen ihrer Existenz, die sich im Bewusstsein, im Verhalten und nicht zuletzt, in einer ihr eigenen schichtspezifischen Sprache niederschlagen.“[62] Die zentrale sozialpädagogische Weichenstellung, die Käthe Truhel in ihrer Programmschrift vornimmt, besteht in der bewussten Separierung von Arbeitern, welche sie für die Zusammenarbeit mit Arbeitern für zwingend geboten hält, wenn sich Arbeiter frei entfalten können sollen: „Es ist nicht selbstverständlich und wird im allgemeinen von Außenstehenden nicht verstanden, dass bis heute auch eine gewisse Homogenität des Kreises, eine grundsätzliche Beschränkung auf Arbeiterschaft, eine bleibende Voraussetzung ist. Beliebig gemischte Kreise sind leichter aufzubauen. Aber nur unter sich sind Arbeiter – aus genügend genannten Gründen – imstande, sich auf eine kontinuierliche Zusammenarbeit einzulassen. Kontakte solcher Arbeitergruppen mit einzelnen Menschen oder Kreisen einer anderen Schicht ergeben sich später von selbst. Die unvoreingenommene freie Begegnung zeigte sich als der Schlüssel für den Zugang zur Arbeiterschaft. Sie muss das Kernstück aller Zusammenarbeit bleiben. In der uneigennützigen freien Begegnung sind der Glaube an den anderen Menschen und die Achtung vor ihm wirksam.“[63] Eindrucksvoll wird aus dieser  Zielsetzung ein hohes humanistisches Ethos deutlich, aber auch ein stratifiziertes Gesellschaftsmodell von unterschiedlichen Schichten, welche deutlich abgrenzbar sind. Aus kirchlicher Sicht stellt sich die Frage, ob dies mit einem christlichen Menschenbild oder gar mit einem missionarischen Gemeindeverständnis in irgendeiner Weise vereinbar ist. Allerdings gilt es auch, dankbar zu konstatieren, dass dieser Ansatz über Jahrzehnte in der kirchlichen Industrie- und Sozialarbeit eine vorher nicht für möglich gehaltene Zusammenarbeit mit Arbeiterschaft von langjährig anhaltender Resonanz beförderte. Käthe Truhel machte in vielen Jahren kirchlicher Industrie- und Sozialarbeit diese Erfahrung: „Arbeiter brauchen und lieben mehr als Menschen der Mittelschichten Gemeinschaft mit ihresgleichen.“[64] Für Käthe Truhel geht es bei der Sozialarbeit um „Arbeiterbildung“, die sie deutlich gegenüber der in den 70er Jahre stark an Bedeutung gewinnenden Erwachsenenbildung abgrenzt. „In der Erwachsenenbildung steht das Lehren und Lernen heute ganz allgemein unter dem dialogischen Prinzip, das die Beteiligten partnerschaftlich zusammenarbeiten lässt. – Es muss aber hervorgehoben werden, dass Zusammenarbeit mit Industriearbeiterschaft nicht mit Erwachsenenbildung ganz allgemein gleichzusetzen ist. Es ist das Besondere einer Arbeit mit Arbeiterschaft, dass hier einerseits der eine Partner – die Mitarbeiter – aus der Schicht kommen, die heute das Sagen hat, während der andere Partner – eben die Arbeiterschaft – aus der Gruppe im Abseits kommt.“[65]

    Aus der sozialethischen Programmatik sowohl des Theologen Hans Siebert als auch der erwachsenenbildnerischen Programmatik der Sozialwissenschaftlerin Käthe Truhel[66] spricht ein hohes Ethos der Wahrnehmung von Menschen, insbesondere von Menschen in prekären Arbeits- und Lebenssituationen.[67] Aber es wird auch eine gesellschaftliche Struktur von deutlich zu unterscheidenden und gegeneinander abgrenzbaren Schichten vorausgesetzt, die heute so nicht mehr zutrifft und deshalb befremdlich wirkt.[68] Für kirchliche Mitarbeiter eher ungewöhnlich wird das Thema unterschiedlicher Gestaltungsmacht von Menschen deutlich angesprochen und durchgehend mitgedacht.

    4.4. Perspektiven

    Mit der Darstellung der Ansätze von Siebert und Truhel[69] ist das programmatische Profil des Amtes für Industrie- und Sozialarbeit beschrieben, welches Werner Schanz bei seinem Dienstantritt als Amtsleiter im Jahr 1979 vorfand und welches in seiner Dienstzeit und darüber hinaus profiliert das Selbstverständnis von Mitarbeitenden und Dienststelle prägte.[70] Es handelte sich damals um eine herausfordernde Leitungsaufgabe eines der Spezialämter der Landeskirche mit zahlreichen Mitarbeitenden und den verschiedenen Außenstellen in den großen Industrieregionen Bayerns. Die größte Berufsgruppe der Mitarbeiterschaft waren in der Dienstzeit von Schanz die Sozialsekretäre und Sozialsekretärinnen, die im Idealfall selbst aus der Arbeiterschicht stammten, Gewerkschaftsmitglieder waren und eigene in einem säkularen Beruf erworbene Arbeitserfahrung in den kirchlichen Dienst einbringen konnten.[71] Doch was war nun das besondere persönliche Profil, das Werner Schanz selbst bei seinem Wechsel von der Jugendbildungsarbeit in das Amt für Industrie- und Sozialarbeit mitbrachte bzw. das er dort weiter  entwickelte? Es war damals, wie bereits erwähnt, sehr ungewöhnlich, dass ein Pfarrer von einer überparochialen Spezialaufgabe zum nächsten Spezialpfarramt wechselte, wie das bei Werner Schanz der Fall gewesen war. Schanz wurde aber sehr schnell als Idealbesetzung für diese politisch brisante Stelle wahrgenommen, da er einerseits über Rückhalt bei der Kirchenleitung verfügte und sich andererseits rasch das Vertrauen von Haupt- und Ehrenamtlichen seines neuen Arbeitsbereichs erwarb. Den von Siebert und Truhel vorgegebenen und geprägten Rahmen schien er als gesetzt zu akzeptieren und wohl auch wertzuschätzen. Jedenfalls ist nicht bekannt, dass er sich um einen programmatischen oder strukturellen Neuansatz bemüht oder diesen für erforderlich gehalten hätte. Der Frage nach seinem ureigenen Profil oder nach seiner spezifischen Mission kommt man vor allem dann und nur so näher, wenn man sich den fünf schmucklosen Leitz-Ordnern zuwendet, welche Predigten, Andachten, kleine Aufsätze und Vorträge enthalten, die Werner Schanz in seinen 17 Dienstjahren im „Amt“ verfasst und vor Gemeinden, in der politischen Öffentlichkeit und vor Mitarbeitenden gehalten hat.[72] Dabei gilt es zu bedenken, dass die Mehrheit seiner Zuhörerschaft nicht zu den sogenannten kirchlich hochverbundenen regelmäßigen Kirchgängern gehörte. Diese Ordner hinterließ er seinen Nachfolgern und seinen Mitarbeitenden, weil die darin sich ausdrückende biblische theologische Sozialethik zu seinem ureigensten persönlichen Anliegen, zu seiner Mission und zu seinem Erkennungszeichen geworden war. Werner Schanz soll aus den maschinenschriftlich vorliegenden Quellen noch einmal zumindest in Zitaten selbst zu Wort kommen.

    5. Gepredigte theologische Sozialethik

    Was waren nun die Themen und der theologische Ansatz des Verkündigungsdienstes von Werner Schanz? Welche waren die charakteristischen Fragen und Probleme, welche theologischen Ansätze seiner Generation der „Kirchenreformer“ griff er auf? Der Generation der „Kirchenreformer“ gehörte Schanz schon rein biografisch an. Was war zeitgebunden und was ist von zeitunabhängiger grundsätzlicher Bedeutung? Was war seine ureigene „Frage“, der er sich in seinem Dienst im Amt für Industrie- und Sozialarbeit widmete?

    5.1. Arbeit in Gottes Auftrag

    In einer Handreichung zur Opferwoche der Diakonie aus dem Jahr 1985 schreibt Schanz: „…wie verhalten sich Leben, Glauben und Arbeiten zueinander? Wie passt das zusammen, die Botschaft von der Liebe Gottes, die den Menschen davon befreit, sein Leben durch Arbeit rechtfertigen und verdienen zu müssen mit der Wirklichkeit, in der handfest definiert wird, was der Mensch wert ist, und zwar durch messbare Leistung, durch Lohn und Gehalt, durch Konsum und Kaufkraft.“[73] Die Antwort auf seine Frage sucht und findet er in der Bibel, der er eindeutige Kriterien und Perspektiven für menschliches Arbeiten und Wirtschaften entnehmen zu können postuliert. „Die geschichtliche Befreiung aus der Sklaverei in Ägypten gehört zur Grunderfahrung alttestamentlichen Glaubens. Darum wird der Glaube zur leitenden Kraft in der Arbeit. Die Arbeitswelt wird dem ersten Gebot zugeordnet, und zwar durch das dritte Gebot, das Sabbatgebot. Es soll an geschenkte Freiheit, an das Geschenk des Lebens erinnern. Arbeit wird verstanden als Auftrag Gottes an die Menschen, gemeinsam und gleichberechtigt die Erde zu bebauen und zu bewahren, um sich von den Früchten der Arbeit zu ernähren. Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde. Darum muss der Mensch seine Würde nicht erst erarbeiten, aber zu seiner Würde gehört das Recht auf Arbeit, dass jeder nach seinen Fähigkeiten arbeiten kann und darf. Arbeitslosigkeit widerspricht dem Auftrag Gottes.“[74] Die Erfahrung der Massenarbeitslosigkeit der frühen 80er Jahre des 20. Jahrhunderts bildet den sozialpolitischen Hintergrund der Ausführungen von Schanz. Sein theologischer Ausgangspunkt ist aber die biblische Geschichte, welche er sozialethisch auslegt, um sie abschließend sozialpolitisch zuzuspitzen.

    Immer wieder hebt Schanz hervor, dass die Evangelien von Glaubenserfahrungen berichten, die Menschen an ihrem Arbeitsplatz machen. Dies ist aus seiner Sicht eine theologisch bedeutsame Wahrnehmung von grundlegender sozialethischer Relevanz. „Wer sich auf das Reich Gottes einlässt, ist die quälende, lebenszerstörende Sorge los, durch Arbeit sein Leben zu erleisten, sich durch Besitz abzusichern, seine Menschenwürde zu verdienen. Leben, menschenwürdiges Leben, ist die Folge, das Geschenk der Zuwendung Gottes und wer von Gott geliebt ist, der wird nicht umkommen. Weil die Liebe Gottes sich selbst an die Arbeit macht, braucht sie nicht mehr fromm oder weltlich erarbeitet zu werden. Sie wird vielmehr zur leitenden Kraft in der Arbeit. In bestimmten Erzählungen der Evangelien wird eine für unser Arbeitsverständnis bedeutsame Glaubenserfahrung weitergegeben: Das Evangelium vom Reich Gottes unterbricht den Menschen in seiner Arbeit. Das erlebten die Hirten auf dem Felde vor Bethlehem: `Euch ist heute der Heiland geboren.` (Lk.2) Sie verließen ihren Arbeitsplatz um des Kindes, des Heilands willen und kehrten voll Freude zurück. Mitten in ihrer Nachtschicht wurden sie angesprochen.“[75]

    Die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus verbindet Himmel und Erde, Zeit und Ewigkeit sowie Arbeit und Ruhe. Die Inkarnation des Gottessohnes beinhaltet das Sicheinlassen und die Einwohnung Gottes in die Menschenwelt, in der Menschen sich von jeher durch Arbeit ihren Lebensunterhalt verdienen oder erarbeiten müssen. Schanz entbirgt in seiner Schriftauslegung die alltägliche Arbeitserfahrung der Menschen, von der die Bibel erzählt, und ermöglicht arbeitenden Menschen der Gegenwart sich mit ihren Erfahrungen in ihnen wiederzufinden.

    Die Erfahrungen arbeitender Menschen sind Schanz nicht zuletzt aus der Zusammenarbeit mit der Aktionsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen wohl vertraut. Und er spricht sie in seinen Predigten in aller Deutlichkeit an, um dann seiner Zuhörerschaft aus dem Evangelium „Ermutigung und Orientierung“[76] zuzusprechen. 1983 bei einem Gottesdienst zum 30. Jubiläum der afa erinnert er an die Probleme des Gründungsjahres 1953: „Offene Wunden des Krieges, unübersehbare Spuren der Zerstörung, Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot.“[77] Aber dabei blieb es nicht, sondern das Geschenk eines begründeten Vertrauens – er verweist auf Psalm 121 – ließ die Menschen der afa sich finden und einander wechselseitig stärken: „Dies Vertrauen war und ist gleichsam die Wegzehrung, die Speise, das Brot, das wir miteinander teilen, um bei Kräften zu bleiben auf dem besonderen Weg der afa. Es ist ja keine Autobahn, die zum Rasen verlockt, eher ein Trimm-dich-Pfad des Glaubens zwischen Mensch und Maschine, zwischen Schichtarbeit und Familie, zwischen Kirche und Arbeitswelt, zwischen Rationalisierung und Arbeitslosigkeit.“[78]

    Für seinen hermeneutischen Zugriff auf die Bibel als einem Buch von arbeitenden und für arbeitende Menschen beruft Schanz sich auf Martin Luther, um eine falsche primär appellative Gesetzlichkeit von vornherein auszuschließen: „Luthers Aussagen über die menschliche Arbeit hängen ganz eng mit seiner Rechtfertigungslehre zusammen. Sein sog. Berufsethos war die Konkretion des Evangeliums in die damalige Arbeitswelt. Der Glaube drückt sich nach Luther in der Arbeit aus. Nicht der Mensch verwirklicht sich in der Arbeit, sondern das von Gott geschenkte Menschsein lebt sich arbeitend aus. Glaube konkretisiert sich in der Treue zur Arbeit, in der Freiheit zum Werk der Liebe. Das Amt, der Beruf ist der Ort, an dem sich zu allererst die Bewährung des Glaubensgehorsams zu zeigen hat.“[79] Diese lutherische Rede von der Arbeit als Beruf bringt Schanz insbesondere im Gespräch mit Unternehmern in praktischer Absicht deutlich und griffig zur Geltung, um dann eine in Wirtschaftskreisen verbreitete Rede von moralischen „Werten“ bzw. vom „Wert“ einer pointierten Kritik zu unterziehen: „Dieser Begriff stammt aus dem Handel, aus der Wirtschaft. Der Wert einer Ware wird gewogen, kalkuliert, gemessen, ist abhängig von Angebot und Nachfrage. Wert ist ein Begriff des Habens und steht darum im schärfsten Gegensatz zum Sein, zum Sein Gottes und zum befreiten Menschsein. Die Übertragung dieses Begriffs auf den Menschen ist verhängnisvoll. Der Mensch hat keinen Wert, er hat Würde. Er ist weder wertvoll noch wertlos. Wo die Menschenwürde in einen Wert verwandelt wird, da wird auch der Mensch nach seinem Wert, nach seiner Leistung gemessen, verhandelt, vermarktet. Darum reden wir vom Arbeitsmarkt. Darum verliert ein Arbeitsloser sein Selbstwertgefühl. Das Wort Tugend ist ausgestorben. Heute sind menschliche Verhaltensweisen zu Werten geworden, vor allem aber die lebensbefreienden Gaben Gottes: Wie Liebe, Freiheit, Treue, Glück usw..“[80]

    Die auch von Werner Schanz gerne gepflegte Rede von der Arbeit als Beruf im lutherischen Sinn verleitet ihn nicht zu einer Überhöhung der Arbeit. Vielmehr spricht er realistisch von der alltäglichen Erwerbsarbeit, weil er um die Gefährdungen weiß: „Weithin erfährt der Mensch seine Arbeit nicht als Ausdruck seiner Lebensgestaltung, seiner Freude, sondern im Gegenteil, er ist entfremdet in seiner Arbeit. Wo Arbeit nicht mehr als Auftrag Gottes verstanden wird, wendet sie sich gegen den Menschen selbst, wird sie zu einem Instrument der Ausbeutung von Natur und Mensch.“[81] Der Rückbezug auf das alttestamentliche Sabbatgebot ist es vor allem, welches einer Glorifizierung von Arbeit oder einer Selbsterlösung durch Arbeit von vornherein wehrt: „Es ist eine erstaunliche Sache, geschenkte Freiheit durch Arbeitsniederlegung und Arbeitsverzicht zu feiern. Arbeit war für Israel offenbar nicht der Weg zur Befreiung des Menschen zur Selbstverwirklichung, zur Ichfindung. Nicht durch Arbeit gewann Israel seine Identität, sondern durch die Zuwendung Gottes, der es aus entfremdeter Arbeit befreite.“[82]

    Die hier zuletzt zitierten Aussagen von Werner Schanz stammen vor allem aus eher weltlichen Gelegenheiten von Tagungen und Diskussionen, bei denen er evangelisches Arbeitsverständnis stets im Rückbezug auf biblische Grundlagen erläuterte. Das reformatorische „Schriftprinzip“ war dabei eine vorausgesetzte Selbstverständlichkeit, ohne dass er selbst diesen Begriff verwendet hätte. Weniger ein normativer Rückbezug war ihm dabei wichtig, sondern die Entbergung von biblischer Lebens- und Glaubensweisheit als hilfreiche und lebensfördernde Orientierung für die Gegenwart. Weise ist es, sich als Mensch als Teil von Gottes Schöpfung zu verstehen und ein verhängnisvolles Machtstreben zu vermeiden: „Arbeit ist darum kein Herrschaftsinstrument weder über Menschen noch über die Mitwelt. Sie bleibt eingebunden in das Schöpfungshandeln Gottes als Mitarbeit, die Gott segnet und durch seine Gebote regelt.“[83]

    Bei der Entwicklung seiner biblischen Theologie der Arbeit ist für Werner Schanz die sozialgeschichtliche Perspektive konstitutiv, die er homiletisch für eine Anknüpfung an die Lebenserfahrungen seiner Zuhörerschaft nutzt: „Das biblische Arbeitsverständnis entwickelte sich aus der besonderen Glaubensgeschichte Israels. Der Glaube der Hebräer bestand nicht in Palästen und Tempeln, sondern formte und formulierte sich in Arbeitsleid und Befreiungserfahrung, zwischen Strohschneiden und Ziegelbrennen, in unmenschlichem Akkord und dem Eingreifen Gottes, der den Wassern gebietet und den Pharao bezwingt. Die Exodustradition beschreibt den Befreiungskampf Gottes durchaus in den Formen eines Arbeitskampfes, eines Arbeitskampfes gegen Unterdrückung, Ausbeutung, Willkür und Menschenverachtung. Anlass ist die Feststellung Pharaos: ‚Siehe, das Volk Israel ist viel und mehr als wir. Wohlan, wir wollen sie mit List dämpfen, dass ihrer nicht so viel werden.‘ Ausländische Arbeitnehmer, die sich vermehren, werden bedrohlich. Das ist uns nicht unbekannt. Ausländer raus, so heißt es bei uns. Die Ägypter zwangen die fremden Hebräer zur Sklavenarbeit. Die Erfahrung, dass Gott mit Sklavenhaltern fertig wird, zählt zur Grunderfahrung alttestamentlichen Glaubens. Lebendig erhalten wird sie durch die Sabbattradition, die Israel von der antiken Völkerwelt grundsätzlich unterscheidet.“[84]

    Werner Schanz entwickelte mit gutem biblischen Grund sein theologisches Zeitverständnis, welches über seine Dienstzeit hinaus zu einem zentralen theologischen Anliegen in seiner Sozialverkündigung wurde.[85] Die Wiedergewinnung eines Zeitverständnisses von der biblischen Weisheit her verhilft zu einem gelingenden Leben sowie zu einem menschengerechten Wirtschaften. “ ‚Unsere Zeit in Gottes Händen‘, wer diesem Wort vertrauen kann, begreift seine Zeit trotz ihrer unterschiedlichen Phasen, Übergänge und Gestaltungsformen als ein Ganzes. In Gottes Händen steht nicht eine Teilzeit unseres Lebens, ein für Gott ausgegrenzter Zeitabschnitt, etwa der noch freie Sonntag, sondern die gesamte Lebenszeit, die wir gewöhnlich einteilen in Arbeitszeit und Freizeit oder in Berufstätigkeit und Ruhestand. Gottes Hände umschließen unsere ganze Zeit.“[86] Wirtschaftsethisch wendet sich Schanz in zahlreichen Artikeln, Vorträgen und geistlichen Impulsen gegen jede Überhöhung oder gar Vergötzung des Geldes. Eine Gleichsetzung von Geld und Zeit ist abzulehnen, wenn man nicht das Leben selbst verfehlen will. Deshalb warnt er seine Zuhörer- und Leserschaft: „Wer keine Zeit mehr hat, ist bei allem Reichtum der ärmste Mensch.“[87]

    5.2. Jesus Christus als Gottes „Lebensmittel“ für uns

    In der bisherigen Darstellung der Sozialverkündigung von Werner Schanz dominierten alttestamentliche Bezüge. Doch seine Verkündigung gründete letztlich zutiefst in der Christologie, wie nun aufzuzeigen sein wird. Bei der Eröffnung von Veranstaltungsräumen eines Vereins zur Förderung der Selbsthilfe von Arbeitenden und Arbeitslosen in München hält er 1987 eine Ansprache, in der er anhand von Lukas 5, 31 eine Befreiungstheologie der Parteinahme entfaltet,  welche durch die Barmherzigkeit Gottes ermöglicht wird: „So einleuchtend erklärt Jesus, wo er hingehört, wo sein Platz ist, der ihm von Gott angewiesen wurde: nämlich bei denen, die weder gesellschafts- noch kultfähig sind, die entehrt und in ihrer Menschenwürde zutiefst verletzt sind, und die sich selbst verloren haben. Mit dieser Platzanweisung enthüllte Jesus seine Identität mit Gott, der die Verlorenen sucht, die Hungernden sättigt, die Schuldgefangenen befreit und den Armen das Evangelium predigt, das da heißt: Ich bin auf euerer Seite. Später zogen diese Armen durch die Welt und trugen ihre Erfahrungen weiter: Gott wurde einer von uns: arm, entehrt, verspottet, gekreuzigt, aber gerade dadurch hat er uns reich gemacht, die Menschenwürde, den aufrechten Gang, wiedergegeben und zum Leben befreit. Der gekreuzigte Gott, erniedrigt zum Objekt in der Hand der Menschen, die die starken Batallione auf ihrer Seite haben, bewahrte und rettete die Würde, die Subjektivität des Menschen.“[88] Unüberhörbar sind in den Ausführungen von Schanz die Anklänge an die damals moderne Theologie, z.B. Jürgen Moltmanns. Und Schanz selbst verweist im weiteren Verlauf einer Ansprache auf Fulbert Steffensky und auf Milton Schwantes. Ein Theologenleben lang ließ er sich stets durch die jeweils neuen theologischen Entwürfe anregen und inspirieren. Bei der bayerischen Pfarrbruderschaft wurde er als ein Kollege erlebt, der immer vor allen anderen die theologischen Neuerscheinungen gelesen hatte und rezipierte. Allerdings verband Schanz seine theologischen Lesefrüchte mit eigenständiger Auseinandersetzung, die sich an der biblischen Überlieferung orientierte. Die biblische Tradition erschöpft sich nun keineswegs in sozialethischen Appellen. Sondern gerade im Zusammenhang der Christologie befähigt und ermöglicht erst das vorausgehende göttliche Handeln unser eigenes menschliches Handeln. In einer Lesepredigt für das Erntedankfest 1986 über 2. Korinther 9, 6-15, schreibt Werner Schanz: “ ‚Im Leben wird dir nichts geschenkt‘ und schon gar nicht in der Arbeitswelt. Gegen diese tägliche  Erfahrung predigt das Erntedankfest an, indem es uns an die schenkende Liebe Gottes erinnert, die für uns in Jesus Christus zum Lebensmittel wurde: ‚Nehmet hin und esset‘, ’nehmet hin und trinket‘. Jesus hat nicht kärglich gesät. Er hat sich selbst uns ganz mitgeteilt, damit er für uns zum Segen wurde, der unser Leben und Arbeiten erfüllt, damit auch von uns Segen ausgehe, ohne den das Leben auf dieser Erde erstirbt.“[89] Die sakramentale Stärkung und Einverleibung Jesu Christi im Herrenmahl stiftet aber auch eine besondere Nähe und ermöglicht eine intensive Hinwendung zu den Problemkindern in der Mitwelt und im eigenen Umfeld, wie Schanz nicht müde wird immer wieder aufs Neue zu betonen. Bei einer Sitzung der ‚Konferenz der Werke und Dienste in der Evang.-Luth. Kirche in Bayern‘ am 21./ 22. November 1985 legt er in einer Andacht Hesekiel 34,16 aus: „Gottes Wille erfüllt sich im Leiden und Sterben des Mannes, der sich wie ein Diakon, wie ein Diener an die Arbeit machte, die Verlorenen zu suchen, die Verirrten zu sammeln, die Verwundeten zu verbinden und die Schwachen zu stärken. Wie der gute Hirte das verlorene Schaf auf den Arm nimmt und an sein Herz drückt, um die Angst auszittern zu lassen in Geborgenheit, so wandte sich Jesus den Mühseligen und Beladenen zu, stellte sie auf die Beine und legte sich ihnen zu Füßen als der Weg, der zum wahren Leben führt. Wenn wir das für uns und unsere Zeit glauben und hoffen, dann brauchen wir nicht wie die Optimisten der Wirklichkeit immer Positives abzugewinnen, sondern können im Lichte Gottes die sehen, die heute im Dunkeln wohnen.“[90]

    In seinen Weihnachtsansprachen stellt Werner Schanz heraus, dass die Menschwerdung Gottes nicht in einer heilen Sonderwelt stattfindet und gerade so Hoffnung stiftet auf ein gelingendes Leben: „…mit der Rettung dieses einen Kindes (vor dem Bethlehemer Kindermord, J.R.) hat Gott die Hoffnung gerettet, die Hoffnung, dass die Liebe unter den Menschen aufwachsen kann, Kinder ein Zuhause finden und das Leben, unser Leben, glücken kann. Es waren Schichtarbeiter, die als erste erfuhren, wie und wo diese Hoffnung geboren wurde. Nicht in den Tempel, nicht in den Palast des Königs sandte Gott seinen Engel, sondern an den Arbeitsplatz der Hirten.“[91]

    Schanz betrieb faktisch politische Theologie ohne parteipolitisch polarisierend zu werden und ohne diesen Begriff selbst zu gebrauchen, vermutlich weil es sich nicht um einen biblischen Begriff handelt. Ermächtigt fühlt er sich dazu durch das biblische Zeugnis von Jesus Christus selbst. „Marias Sohn, der heruntergekommene Gott der armen Leute, hat die Hoffnung eng verknüpft mit dem Recht auf Brot und damit auf eine Arbeit, die die Grundversorgung menschlicher Existenz sicherte. Jesus hat uns kein Rezeptbuch hinterlassen, um die Risiken und Nebenwirkungen der Marktwirtschaft sozial abzufedern, aber er hat der Vision geschwisterlichen Zusammenlebens und –arbeitens auf dieser Erde eine Chance verschafft, auch wenn sie ständig bedroht ist im marktwirtschaftlichen Interessenkampf und durch selbstgemachte soziale Spaltung.“[92]

    In seiner Sozialverkündigung argumentiert Werner Schanz keineswegs vorrangig oder gar ausschließlich schöpfungstheologisch. Vielmehr vertritt Schanz ein dezidiert christologisches Verständnis von Arbeitsethik, das vom Zentrum evangelischen Glaubens, also von der Rechtfertigungslehre her entfaltet wird. „Der zweite Glaubensartikel ist der theologische Ort, an dem die menschliche Arbeit ihre Motivation, ihren Stellenwert, ihre Bedeutung, ihren Sinn, ihr Recht, ihre Pflicht und ihre Würde erhält.“[93]

    Durch diese theologische Standortbeschreibung evangelischer Sozialverkündigung im Zentrum christlichen Glaubens bekommt die kirchliche Industrie- und Sozialarbeit ihre Stellung als zentrales kirchliches Handlungsfeld.[94] Und der Sozialpfarrer ist damit auch kein Sonderpfarrer, sondern ein predigender Gemeindepfarrer am „anderen“ Ort der Arbeit, dem auch kein anderes Evangelium aufgetragen ist. Vielmehr hat auch hier die Rechtfertigung im Zentrum aller Verkündigung zu stehen. „Diese Grunderfahrung christlichen Glaubens, dass der Mensch sich nicht erst durch Arbeit und Leistung selbstverwirklichen muss, sondern durch Gottes Liebe zu Würde und Ansehen kommt, stößt ganz von selbst auf tiefen Widerspruch zu der Wirklichkeit alltäglicher Erfahrung.“[95] Die kirchliche Industrie- und Sozialarbeit hat aber nach Schanz einen ausgesprochen diakonischen Auftrag: „Das Amt für Industrie- und Sozialarbeit kann darum seinen Auftrag nur diakonisch wahrnehmen, will es das Evangelium den Menschen in der Arbeitswelt, vor allem den Arbeitnehmern bezeugen.“[96]

    Diakonische Verkündigung greift die biblische Weisheit auf und bezieht diese auf die Herausforderungen der Gegenwart. Die Sozialverkündigung von Werner Schanz ist noch mehr als politische Predigt. Sie lebt aus der Lebensweisheit der Bibel, die es an die Menschen weiterzugeben gilt. Bei einem Gottesdienst anlässlich einer Tagung in der Evangelischen Akademie Tutzing beschreibt Schanz die christliche Lebensform so: „Vertrauen und Liebe ist unteilbar, aber Gott teilt sie mit. Von diesem Gott redet Jesus, in dessen Händen sein und unser Leben geborgen ist. Er lebt in den Tag Gottes hinein. Er hat Zeit, weil er frei ist von der atemlosen Suche nach Schätzen, die die Motten und die Inflation fressen. Er schöpft aus der Quelle, die keine Quellensteuer erreicht und stillt daraus den Durst nach Wasser und Leben. Er wird selbst zu dieser Quelle und teilt sich mit als Lebensmittel gegen die Sorge und den Tod: ’nehmet hin und esset‘, ’nehmet hin und trinket‘! Ist diese Einladung so schwer annehmbar? Sie bedeutet ja nicht Verzicht auf Lebensglück, sondern die Befreiung zu einem geglückten Leben und zu einer menschlicheren Gesellschaft, zu einem Sein durch Liebe.“[97]

    5.3. Leben in Gemeinschaft

    Sozialpolitisch spricht Werner Schanz ein weites Themenspektrum an. Eines dieser Themen, die ihm am Herzen liegen, ist das Thema Alter: „Alt werden oder alt sein ist keine Schande. Das Ideal der Jugend fand ich in der Bibel nicht… Wo die Alten verachtet und nicht mehr geehrt werden, bricht das Gemeinwesen zusammen… Am Umgang mit den Alten bewahrt oder richtet sich eine Gesellschaft selbst.“[98]

    Schanz geht es nicht ausschließlich um die großen politischen Themen in seiner Sozialverkündigung, sondern auch und gleichzeitig seelsorglich um das gelingende Leben des Einzelnen. Wie sieht nun aus seiner Sicht christliche Lebenskunst aus? „Leben kann nur gelingen und glücken, wenn zwischen Gewinn und Verlust die Erkenntnis lebendig bleibt, dass wir diese Erde und alles, was darauf lebendig ist, uns eingeschlossen, nicht uns selbst verdanken. Dankbarkeit ist keine gefragte Tugend. Sie wurde ja so oft missbraucht. Aber wie innerlich arm und einsam ist ein Mensch, der sein Leben nur sich selbst verdankt“.[99] Dankbarkeit ist die konsequente Haltung, die aus dem Glauben an Gott den Schöpfer folgt. Und diese Haltung ist gut und heilsam für die Geschöpfe Gottes.

    Als langjähriger Synodaler ist Werner Schanz die Spannung zwischen der großzügigen Haushalterschaft des Schöpfers und der auf begrenzte Mittel angelegten Haushalterschaft der Kirche nur zu gut vertraut. Seiner Kirche und seinen Mitmenschen schreibt Schanz Folgendes ins Stammbuch: „Mit knappen Mitteln aus Gottes Reichtum schöpfen. Wer sagt denn, dass sich das Speisungswunder nicht auch unter uns erfüllen kann? Ich wünsche uns das sorglose Vertrauen, zu dem der Bergprediger aufruft, und die Vernunft, zwischen Wünschbarem und Machbarem mögliche Wege zu finden, um zu erkennen, was unsere Mission ist.“[100]

    Dass Sozialethik und Individualethik nicht zu trennen sind, das wird ganz besonders beim Themenkreis Frieden deutlich, dem sich Werner Schanz einst als Landesschülerpfarrer mit der Beauftragung der Begleitung von Kriegsdienstverweigerern intensiv gewidmet hatte. Am Ende seiner Dienstzeit wird er um eine Festpredigt anlässlich eines Jubiläums der entsprechenden Dienststelle gebeten. Christologisch begründet er den Frieden Gottes: „In einem Stall bei Bethlehem kommt der Friede auf Erden zur Welt. Die Armseligkeit dieser Geburt ist nicht leicht zu ertragen. Sie wurde darum oft übermalt und verniedlicht. Aber der Friede Gottes wurde nun einmal so geboren in einer bedrohten Situation unter dem Befehl der Macht, die Soldaten marschieren lässt, um Kinder zu ermorden in Bosnien, in Auschwitz, in den Bombennächten der Kriege und in Bethlehem. Es geschah kein Wunder zu ihrer Rettung damals und heute. Nur das Kind Gottes entzog sich durch die Flucht. Es war rechtzeitig gewarnt. Aber was sollte es auch tun? Was kann ein Kind schon ausrichten gegen die Wirklichkeit der Befehle, der Waffen, der Gewalt? Und doch: mit der Rettung dieses einen Kindes hat Gott die Hoffnung gerettet, die Hoffnung, dass der Friede unter den Menschen aufwachsen kann.“[101]

    Auch beim Themenkreis Buße wird das In- und Miteinander von Individual- und Sozialethik sichtbar und anschaulich. Bei einem Jubiläum der Aschaffenburger Außenstelle des Amtes für Industrie- und Sozialarbeit führt Schanz aus: „Den Buß- und Bettag kann man abschaffen, aber ohne Buße, ohne Umkehr zu Gott wird auch eine gerechte Bewirtschaftung dieser Erde nicht gelingen. Eine menschengerechte Sozialpolitik ist ein wesentlicher Teil davon.“[102]

    Ein grundsätzliches Problem von Sozialverkündigung besteht darin, nicht einer falschen Gesetzlichkeit zu verfallen und statt des Evangeliums das Gesetz zu predigen.[103] Deshalb ist von der Freiheit der Kinder Gottes genauso zu reden wie von den Geboten. Doch was ist mit Freiheit gemeint? Im Zusammenhang der Sonntagsthematik[104] führt Werner Schanz dazu Folgendes aus: “Nach christlichem Verständnis verwirklicht sich Freiheit nur in der Gemeinschaft von Menschen, sie verwirklicht sich nicht individualistisch, wo jeder oder jede nur auf seinem oder ihrem Weg, Vorteil, Nutzen, Gewinn aus ist, sondern Freiheit lebt nur in Solidarität und in der Form der Liebe. Freiheit und Liebe sind unlöslich aufeinander bezogen. Wo Freiheit missverstanden wird als die Möglichkeit, nur sein eigenes Ich zu verwirklichen, geht sie verloren, wird sie zur Willkür gegen andere und gegen sich selbst.“[105] Gelebte Freiheit darf die gelebte Solidarität nicht infrage stellen, so argumentiert Schanz im Anschluss an die Arbeiterbewegung. Freiheitsdrang und Gemeinschaftsgeist sind durch die Nächstenliebe aufeinander bezogen.

    Werner Schanz entwickelte seine eigene Sozialverkündigung häufig in Auseinandersetzung mit anderen sozialpolitischen Ansätzen der verschiedenen Parteien und Verbände der Arbeitswelt, ohne sich an sie auszuliefern. Seine Stimme und seine profilierte Position gewann er in eigenständiger Auseinandersetzung mit dem biblischen Zeugnis, von dem zu reden ein Leben lang seine Mission und Passion gewesen war. So sagte er im Zusammenhang mit dem gemeinsamen Wort der Kirchen: „Es wird unter uns so viel über Orientierungslosigkeit geklagt. Lasst uns stattdessen die Bibel lesen, um das, was sie über Arbeit, Geld, Wirtschaften, Reichtum, Armut, Frieden, Gerechtigkeit aussagt, dort zu vermitteln, wo die Menschen heute leben und arbeiten, hassen und lieben, sich verbrauchen und sterben. Wir sollten diese Schätze heben, um Hoffnung und Mut zu verbreiten.“[106]

    6. Ernüchterung und Ermutigung

    Abschließend stellt sich die Frage: Wie ist das Werk von Werner Schanz in der Rückschau zu beurteilen oder zu würdigen? Da der historische Abstand zu Leben und Wirken von Pfarrer Schanz rein zeitlich noch nicht groß ist – zumindest liegen sie noch keine Generation zurück – verbietet sich eine kirchengeschichtliche Würdigung mit einem abschließenden Beurteilungsgestus von selbst. Gleichzeitig lässt die Auswertung seines homiletischen Nachlasses deutliche sozialethisch-theologische Konturen erkennen, die auf ihrem zeitgeschichtlich-biografischen Hintergrund an Verständlichkeit gewinnen. Die folgenden Fragen und Anmerkungen sollen zur Auseinandersetzung mit dem theologischen und kirchenpolitischen Erbe dieser Generation insgesamt anregen.

    Folgendes gilt es zunächst zu beachten: Das Leben von Werner Schanz spielte sich im Wesentlichen in der alten geteilten Bundesrepublik ab, und obwohl die deutsche Wiedervereinigung in seine aktive Dienstzeit fiel, fehlt in seinem Werk die Auseinandersetzung mit dem die Gegenwart nachhaltig prägenden Ost-West-Gegensatz in der Wende sowie in der Nachwendezeit. Dies hängt wohl auch damit zusammen, dass die Wirksamkeit von Schanz auf die bayerische Landeskirche und damit auf den Freistaat Bayern konzentriert war, abgesehen von seinem Engagement auf der EKD-Ebene der kirchlichen Industrie- und Sozialarbeit. Sowohl in seinen Dienstjahren als Landesschülerpfarrer als auch als Sozialpfarrer war ganz Bayern sein überparochiales Gemeindegebiet, in welchem er vielfach und regelmäßig unterwegs war, um in den verschiedenen Regionen und Städten Bayerns seinen speziellen Verkündigungsdienst auszuüben. In den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts war Bayern erst endgültig von einem Agrarland zu einem Industrieland mit einem großen Schwerpunkt bei der Automobilindustrie einschließlich entsprechender Zuliefererbetriebe geworden. Der Freistaat Bayern hatte sich zu einem prosperierenden Bundesland entwickelt. Doch nicht alle Bürgerinnen und Bürger hatten an diesem neuen Wohlstand Anteil. Dies wurde für Schanz zu einem zentralen sozialpolitischen und sozialethischen anwaltschaftlichen Anliegen. Die Betriebskontaktarbeit des damaligen Amtes für Industrie- und Sozialarbeit fand vorrangig in Firmen und Betrieben der bayerischen Wirtschaft mit Zentralen im Freistaat Bayern selbst statt. Insbesondere der industrielle Bereich, der stark im Vordergrund der kirchlichen Aufmerksamkeit stand, war durch die Notwendigkeit von fortlaufenden Automatisierungsprozessen in der Produktion damals stark herausgefordert. In den letzten Dienstjahren von Schanz vollzog sich erneut ein grundlegender Strukturwandel in Bayern. Der Dienstleistungsbereich gewann in der bayerischen Wirtschaft zulasten des industriellen Bereiches an Bedeutung. Auch dieser Paradigmenwechsel führte zu Phasen von großer Arbeitslosigkeit, wofür die Insolvenz der Maxhütte in Sulzbach-Rosenberg und Umgebung ein damals weithin wahrgenommenes erschreckendes Signal bedeutete. Dem Wandel in der Wirtschaftsweise entsprach auch ein tiefgreifender Wandel des kirchlichen Lebens bis hin zu einer schleichenden Erosion der beiden großen Volkskirchen in Bayern. Die Selbstverständlichkeit der Kirchenmitgliedschaft nahm zunehmend ab. Trotzdem konnte Schanz auch bei außerkirchlichen öffentlichen Auftritten noch davon ausgehen, vor Menschen zu sprechen, die mehrheitlich aktiv oder zumindest formal Mitglieder bei den damals großen Volkskirchen waren und bei denen eine gewisse elementare Vertrautheit mit der biblischen Überlieferung sowie mit der kirchlichen Tradition vorausgesetzt werden konnte. Für manche seiner Zuhörer war es überraschend neu, einen Pfarrer wie Schanz zu sogenannten weltlichen Themen mit einer profilierten politischen, häufig gewerkschaftsnahen Akzentuierung sprechen zu hören. Schanz galt deshalb in seiner Zeit als „politisch progressiv“ im Sinne der mit den Studentenunruhen in den 60er Jahren intendierten gesamtgesellschaftlichen Veränderungen. Kirchlich war Schanz in einer Zeit tätig, in der die großen Konfessionskirchen der Ausdifferenzierung der Gesellschaft durch die kirchliche Arbeit mit sogenannten „Zielgruppen“ zu entsprechen versuchten und in der sogenannte „Spezialpfarrämter“ modern waren. Schanz war dabei in den 60er Jahren für die „Zielgruppe“ Schüler, in den 70er Jahren für die „Zielgruppe“ Jugend und in den 80er und 90er Jahren für die „Zielgruppe“ Arbeiter zuständig. Er war den größten Teil seines Dienstlebens in Bereichen eingesetzt, in welchen sich gesellschaftliche Veränderungen ereigneten und Neuaufbrüche zu erwarten waren. Für sein Wirken als Vertreter seiner Kirche auch in dem den innerkirchlichen Bereich überschreitenden Sozialraum genoss er sowohl das Vertrauen der Kirchenleitung in seine persönliche Redlichkeit und theologische Ernsthaftigkeit als auch das in persönlicher Sympathie gegründete Vertrauen seiner Zielgruppen in seine Reformfreudigkeit bzw. Modernität. [107]

    Werner Schanz gehörte selbst nicht mehr zur Kriegsgeneration und war niemals in seinem Leben Soldat gewesen. Aber die Zeit des Nationalsozialismus, zumindest die Kriegszeit, hatte er sowohl als Hitlerjunge als auch in der evangelischen Jugend miterlebt. Das tiefgehende moralische Erschrecken über die Ausgrenzungen und Gewalterfahrungen dieser Epoche führten bei ihm zu einem lebenslang „angefochtenen Gewissen“, das ihn Totalitarismus, Autoritarismus und Anarchismus rigoros ablehnen ließ. Die Barmer theologische Erklärung von 1934, die er erst im Nachkriegsdeutschland kennenlernte, war für Schanz, wie für viele in seiner Generation der hermeneutische Schlüssel für eine politische theologische Ethik: Das Evangelium ist durch Jesus Christus Zuspruch der Gnade, aber auch Anspruch auf das ganze Leben des Christen unter Einschluss des öffentlichen sowie des beruflichen Lebens. Die dialektische Spannung von Zuspruch und Anspruch prägte durchgehend die Sozialverkündigung von Werner Schanz. Er war stets darum bemüht, das eine des Evangeliums nicht gegen das andere des Gesetzes auszuspielen oder gar das eine mit dem anderen auszuhebeln. Schanz und seinen langjährigen theologischen Bündnisgenossen war an einer weltzugewandten Frömmigkeit gelegen, wie Angela Hager in ihrer Studie über die Reformgruppen der bayerischen Landeskirche eindrücklich aufzeigt: „Es ist eine Frömmigkeit, die sich in der gesellschaftlichen Praxis  bewähren wollte, die vor allem den Weg nach außen, in die Welt suchte.“[108]

    Unversöhnliche Spaltungen und schroffe Gegensätze jedoch waren dem Menschen und dem Bürger Schanz in seiner Versöhnlichkeit wesensfremd. Aufgeschlossenheit für die Welt, die es theologisch wahrzunehmen und zu deuten galt, lernte diese Generation bei der Lektüre des Werkes von Dietrich Bonhoeffer.[109] Dazu kam für Schanz insbesondere der lebenslange Umgang und die eingehende Auseinandersetzung mit der Heiligen Schrift des alten und neuen Testaments. Von der kirchlichen Jugendarbeit, dem kirchlichen Unterricht und dem Elternhaus her war die Bibel für Schanz der Zugang zum christlichen Glauben schlechthin. Die Hochschätzung der Bibel durch die bekennende Kirche war ein allgemein lebendiges Erbe, das diese Generation durch ihr Leben in den Wechselfällen ihrer Zeitläufe trug. Dieses biblisch-theologische Erbe in politischer Perspektive wurde in der bayerischen Landeskirche sehr nachdrücklich von der bayerischen Pfarrbruderschaft gepflegt, deren aktives Mitglied Schanz sein ganzes Pfarrersleben hindurch blieb. Dort begegnete Schanz auch Pfarrer Karl Steinbauer (1906-1988), der seinen Widerstand gegen den Nationalsozialismus und auch gegen eine aus seiner Sicht zu kompromissbereite Kirchenleitung stets mit biblischen Argumenten begründete.[110] Was sagt uns die Bibel dazu? So lautete die Grundfrage dieser Generation von Pfarrern wie Steinbauer, die aus eigener Erfahrung vom Widerstand berichten konnten und es auch nie versäumten, in jede aktuelle Diskussion diese biblische Grundfrage einzubringen.[111] Dass es eine aktuelle Themenstellung der öffentlichen Auseinandersetzung geben könnte, zu der die Bibel keine Orientierung bietet, war wohl außerhalb der Erfahrungen und der Vorstellungen der unmittelbaren Weggefährten von Karl Steinbauer. Steinbauer und Schanz verband die Hochschätzung der Bibel. Aber anders als Steinbauer setzte sich Schanz intensiv mit der in der Nachkriegszeit modernen Exegese und der existentialen Interpretation biblischer Texte auseinander. Im Unterschied zu Steinbauer und seiner Generation war für Schanz zusätzlich die damals neue sozialgeschichtliche Bibelauslegung von grundlegender Bedeutung.

    Die Grundfrage von Werner Schanz und seiner Generation auf dem Hintergrund ihrer Erfahrung des Zusammenbruchs von Nationalsozialismus und Drittem Reich sowie dem Neuanfang in einem zerstörten Land und einer verstörten Gesellschaft scheint mir daher aber noch einmal eine andere zu sein als die der älteren Generation eines Karl Steinbauer. Schanz fragte: Wer bin ich selbst in den Spannungen dieses Lebens und den Gegensätzen in dieser Welt? Die existentielle Frage menschlichen Lebens und Überlebens stellte sich dieser Generation nahezu von selbst. Von daher überrascht es nicht, dass die Theologie Rudolf Bultmanns und seine existentiale Bibelauslegung Schanz und seinen Weggefährten die Bibel noch einmal überraschend aktuell und anders als der bekenntnisorientierten Vorgängergeneration erschloss. Die Normativität der Schrift oder die Bekenntnismäßigkeit von Schriftauslegung hatte sich dabei in der persönlich existentiellen Auseinandersetzung und Aneignung je und je neu zu erweisen. Martin Luther und Dietrich Bonhoeffer waren seine Kirchenväter. Rudolf Bultmann, aber auch Ernst Käsemann waren dann ein Leben lang die großen theologischen Lehrhäupter für den Theologen Werner Schanz. Mit diesen setzte er sich jahrzehntelang durch ausführliche Lektüre und dialogische Reflexion auseinander. Dabei entwickelte er letztlich ungeplant eine eigenständige Form evangelischer Sozialverkündigung, da er nicht einfach „Schüler“ von irgendjemand war, sondern selbst eigenständig lesender, denkender und urteilender Theologe, der auf aktuelle Herausforderungen zu reagieren sich genötigt sah. Bei allem Interesse an der Individualität des Menschen galt die Aufmerksamkeit von Schanz stets genauso der Sozialität des Menschen. Der Mensch ist eben nicht nur aus sich und für sich, sondern lebt in Beziehungen familiärer, freundschaftlicher, kollegialer und gesellschaftlicher Art. Das Leben des Menschen ist ein Leben an und mit der Gemeinschaft. Und so ist auch das Christenleben ein gemeinschaftlicher Vorgang. Trotzdem findet sich im Nachlass von Schanz bezeichnenderweise kein Hinweis darauf, dass er sich als „politischer Theologe“ bezeichnet oder als solcher explizit verstanden hätte. So wie er überhaupt sich einer Einkategorisierung von Menschen, unter Einschluss der eigenen Person, versagte. Gleichzeitig stellte und bearbeitete er seine eigene existentielle Sinnfrage stets als soziale Frage. Dieser Frage näherte er sich auch nicht im Rückzug in die eigene Studierstube, sondern erörterte sie durch praktische Erfahrung sowie durch aktuelle Lektüre gut unterrichtet in den Netzwerken, in denen er tätig und unterwegs war, sei es langjährig Pfarrbruderschaft, AEE oder insbesondere das Kollegium des Amtes für Industrie- und Sozialarbeit. Theologie treiben war für ihn ein existentieller und ein dialogischer Vorgang. Dabei entwickelte sich bei ihm sein persönlicher Stil der Verkündigung, der nicht wenige seiner Zuhörer unmittelbar ansprach und emotional berührte.[112] Dieses besondere Charisma hatte dabei im weisheitlichen Ansatz seiner Schriftauslegung seinen Grund. Ein apodiktisch, politisch appellativer Stil von Verkündigung, der in der Generation von Schanz nicht ungewöhnlich war, findet sich bei ihm so nicht. Vielmehr legte er die Schrift lebensnah weisheitlich aus. Ihm geht es um Orientierung, um seelsorgliche Hilfe für ein gelingendes Leben des Einzelnen in seinem Umfeld. Was ist die gemeinschaftliche christliche Lebensform? Wie sieht gelingendes christliches Leben in Glaubwürdigkeit heute aus? Die christliche Lebensform beinhaltet, sich als Geschöpf unter Mitgeschöpfen zu verstehen und sich vom Schöpfer zur Mitgestaltung seiner Schöpfung durch Arbeit beauftragt zu wissen in einer Haltung der Dankbarkeit gegenüber dem Schöpfer für das Geschenk des Lebens. Christliche Lebensform ist ein Leben aus der Versöhnungstat Jesu Christi, die Menschen erst zu versöhnlichen und versöhnungsbereiten und – fähigen Mitmenschen macht. Christliche Lebensform lehrt auf das Wirken von Gottes heiligem Geist zu vertrauen, der wirkt, wo und wann er will, häufig unerwartet und zunächst unerkannt in sehr weltlichen Zusammenhängen. Glaubwürdigkeit ereignet sich dann da, wo Menschen ganz auf das Handeln Gottes in dieser Welt und in diesem Leben vertrauen. Dieses Handeln Gottes ermöglicht und befördert erst anschließend und folgerichtig menschliches Handeln. Die Sozialverkündigung von Werner Schanz war um Alltagstauglichkeit bemüht und bestrebt, einen Lebensstil der Ehrfurcht vor dem Schöpfer sowie der Bescheidung des Menschen als Geschöpf vorzuleben und einzuüben.

    Fragt man nach dem Amts- oder Dienstverständnis von Werner Schanz, so kommt man zu einem überraschenden Ergebnis: Nach den überlieferten schriftlichen Zeugnissen von Schanz war er an dieser Frage, die für die lutherische Tradition stets so bedeutsam war, anscheinend nicht interessiert. Es war wohl kein pastorales oder priesterliches Amtsverständnis, das ihn leitete. Vielmehr verstand er sich zutiefst als Theologe, und das nicht im wissenschaftlich-akademischen, sondern in einem elementar existentiellen Sinn: Theologe sein war seine spezifische Lebensform. Alles, was er wahrnahm und was ihm widerfuhr, war ihm Anlass und Herausforderung zu theologischem Nachdenken, das er nicht nur allein, sondern häufig mit Pfarrerskollegen zusammen betrieb. In seiner aktiven Dienstzeit als Amtsleiter las er beispielsweise in einer Phase über einen längeren Zeitraum mit interessierten Kollegen zusammen intensiv Werke von Karl Barth. Gelegentlich bereitete er sich auf die Treffen auch noch in der Nürnberger Straßenbahn unterwegs lesend vor. Da konnte er schon auch einmal eine Haltestelle verpassen. Mit der akademischen Theologie war er gerne im kontinuierlichen fachlichen und geistigen Austausch. In seiner Zeit in Josefstal waren das insbesondere die Münchner Praktischen Theologen Prof. D. Peter Krusche und Prof. Dr. Christof Bäumler. Und in der Zeit im Amt für Industrie- und Sozialarbeit arbeitete er im AEE[113] zusammen mit Prof. Dr. Joachim Track (Neuendettelsau) sowie mit den Erlanger Professoren für theologische Ethik Dr. Hans Schulze[114], Dr. Christofer Frey und dann intensiv langjährig mit Dr. Hans Günter Ulrich.

    Das Amt für Industrie- und Sozialarbeit schien für eine zeitgemäße theologische Existenz dabei damals der ideale Ort zu sein. Im Chefsekretariat hatte die maschinenschriftliche Manuskripterstellung der handschriftlich erarbeiteten Predigten, Artikel und Auslegungen von Werner Schanz Priorität vor allen anderen Amtsleitungsgeschäften, was nicht allen Mitarbeitenden einleuchtete. Das „Amt“ selbst schien Schanz zu verstehen als Laboratorium für ein christlich fundiertes Gesellschaftsmodell, das eine gerechte Teilhabe und betriebliche Mitbestimmung von Menschen unterschiedlicher sozialer Hintergründe und mit verschiedenen Bildungsabschlüssen ermöglichte und vielleicht sogar vorlebte. Die regelmäßige, gleichberechtigte und gepflegte Zusammenarbeit von hauptamtlichem „Amt“ und ehrenamtlicher afa wurde als Kirche für Arbeiter und mit Arbeitern gelebt.[115]

    Über seine Dienstzeit hinaus rühmten Mitarbeitende die freundliche Aufgeschlossenheit und vorurteilsfreie Offenheit des Amtsleiters Schanz. Aber natürlich gab es auch in der Rückschau, wie bei jeder Leitungspersönlichkeit, eine Kehrseite von Personalentscheidungen und Konfliktlösungen, die sich hinterher leider als möglicherweise zu sorglos voreilig und zu oberflächlich harmlos herausstellten. Man kann fragen, ob alle Menschen und manche Mitarbeitende, denen Schanz sich zuwandte, im Nachhinein wirklich das großzügig in sie gesetzte Vertrauen rechtfertigten. Wenn man wirklich kritisch nachfragen möchte, dann gilt es aber zu berücksichtigen, dass es sich bei der Leitung des Amtes für Industrie- und Sozialarbeit um eine milieuübergreifende Führungsaufgabe handelte. Es gilt zu bedenken, was es bedeutete, eine kirchliche Einrichtung zu leiten mit Mitarbeitenden, die nicht die klassischen kirchlichen Laufbahnen gegangen waren und nicht den üblichen kirchlichen Mittelstandsmilieus entstammten.

    So sehr Schanz biografisch und von seiner Haltung her der Generation der Kirchenreformer zuzurechnen ist, so sehr nahm er andererseits unter ihnen eine besondere Stellung ein.[116] Die Bemühungen um neue Gottesdienstformen fielen nicht in seinen Zuständigkeitsbereich und an Strukturreformdebatten schien er nicht interessiert zu sein. Seine Mission war vielmehr: Kirchenreform durch Sozialverkündigung. Seine Sozialverkündigung hatte den regelmäßigen Austausch mit sogenannten „kleinen Leuten“ von afa und EAG zum Hintergrund sowie nicht zuletzt sondern vor allem die kontinuierliche inhaltliche Auseinandersetzung mit der Armutstradition der Bibel. Leitend war dabei die Vision einer Überwindung einer als bürokratisch verkrustet empfundenen patriarchalischen Amtskirche des gehobenen Bürgertums zugunsten einer milieuübergreifenden „Volkskirche für wirklich alle“, die sich selbst den Zuspruch des Evangeliums gefallen und sich vom Anspruch von Gottes Gebot her kritisch in Frage stellen lässt. Auch politisch und theologisch konservative Christen attestierten dem Amtsleiter Werner Schanz rückblickend, dass in seiner Dienstzeit das Zugleich von Kirchlichkeit und Weltlichkeit in der bayerischen Industrie- und Sozialarbeit besonders eindrücklich gelang. Als Amtsleiter führte er seine Mitarbeiterschaft durch Persönlichkeit und Verkündigung. Das heute übliche Instrumentarium ausdifferenzierter Personalgespräche mit Zielvereinbarungen stand ihm noch nicht zu Gebote. Es wäre wohl mit seinem Stil auch kaum vereinbar gewesen. Allerdings half ihm eine pädagogische Ader, sich mit seinen Anliegen auch nicht akademisch ausgebildeten Menschen verständlich zu machen. Ernüchternd ist allerdings auch die Wahrnehmung, dass nicht alle ehren- und hauptamtlichen Mitarbeitenden den biblischen Eifer von Schanz teilten, sondern die kirchliche Industrie- und Sozialarbeit primär oder ausschließlich für die innerkirchliche oder gesellschaftspolitische Beförderung ihrer eigenen partei- und verbandspolitischen Interessen nutzten.

    Ernüchternd muss man m.E. in der Rückschau feststellen, dass sich die Vision von Schanz von einer milieuübergreifenden, vom biblischem Wort geleiteten Kirche so leider nicht erfüllt hat. Unter dem Einfluss von neoliberalem Zeitgeist und einer zunehmenden Bibelferne erfolgte auch ein starker Abbau von Stellen und eine verminderte Aufmerksamkeit für die kirchliche Industrie- und Sozialarbeit. Gesellschaftspolitische Reformen ermöglichten Arbeitern soziale Aufstiege. Diese schienen so deshalb nicht mehr der besonderen sozialdiakonischen und pastoralen Zuwendung der Kirchen zu bedürfen. Nicht mehr der Arbeiter, sondern der unternehmerisch tätige Mensch, einschließlich des Arztes, war nun die moderne Figur, die auch in den Kirchen als attraktiv und zeitgeistig empfunden wurde.[117] „Für die müssen wir etwas machen“, so konnte man es nun häufig von Menschen mit kirchlicher Verantwortung durchaus berechtigt vernehmen. Und so etablierten sich in der bayerischen Landeskirche Ende des 20. Jahrhunderts regelmäßige Unternehmertagungen mit dem jeweiligen Landesbischof in der Akademie Tutzing, und Kooperationen mit dem AEU stießen auch auf Interesse von Landeskirchenrat und Landeskirchenamt. Hatte die evangelische Kirche in Gestalt ihrer Verantwortungsträger das Interesse an der Arbeiterschaft verloren?[118]

    Werner Schanz trat über seine aktive Dienstzeit hinaus für die bleibende soziale Verantwortung der evangelischen Kirche gegenüber der Arbeiterschaft auf dem Hintergrund der wechselseitigen Entfremdungserfahrung des 19. Jahrhunderts ein.[119]

    Ermutigend ist am Lebenszeugnis von Werner Schanz die lebenslange Freude am biblischen Wort sowie das fast kindlich anmutende unbedingte Vertrauen auf das Evangelium als dem rechten Wort für die Zeit. Als Emeritus initiierte er mit seinem Freund Landesbischof i.R. Hermann von Loewenich noch einmal einen Kreis von pensionierten Pfarrern, die miteinander biblisch theologisch arbeiteten und sich austauschten über die Lebenszeit der beiden „Gründungsmitglieder“ hinaus. Wegen der nachlassenden gesundheitlichen Kräfte verbrachte Werner Schanz seine letzten Lebensjahre im Nürnberger Rummelsberger Stift St. Lorenz, welches ihm aber auch noch letzte Möglichkeiten bot, sich mit kurzen biblischen Impulsen im Heimleben bzw. mit schriftlichen knappen Beiträgen in der Heimzeitung einzubringen. In seinem letzten Weihnachtsbrief an Verwandte, Freundinnen und Freunde 2019 griff er bereits geäußerte Gedanken erneut auf, die er zu seinem 45-jährigen Abiturjubiläum verfasst hatte:

    „Zeit ist ein kleines, einsilbiges Wort, aber das, was es ausdrückt, umfasst Gott und die Welt, Ewigkeit und Geschichte, Blühen und Vergehen, Leben und Sterben, Fortschritt und Verschrottung, Auferstehung und Recycling.

    Zeit, verstanden als Gottes Markt der Möglichkeiten, als das Zeitangebot Gottes, das für uns offen ist als Zeit zu Gesprächen, als Zeit zum Schenken, als Zeit zum Lieben, zum Zuhören, zum Briefeschreiben, zum Gutes tun.“[120]

    Quelle: Zeitschrift für bayerische Kirchengeschichte, 91. Jg. 2022, S. 309 – 349.


    [1] Im letzten Jahrzehnt der Dienstzeit von Landesbischof Meiser wurden mehrere landeskirchliche Einrichtungen gegründet. Vgl. Nora Andrea Schulze, Hans Meiser. Lutheraner – Untertan – Opponent. Eine Biographie, Göttingen 2021, S. 358ff.

    [2] Eine Geschichte der kirchlichen Industrie- und Sozialarbeit in Bayern steht noch aus. Für eine erste allgemeine, vorläufige Orientierung sind hilfreich: K. Schuster, Art. Sozialpfarrer, RGG3, Bd. VI., S. 192f.; W. Gern, Art. Industriemission, RGG4, Bd. 4, S. S. 128f.; W. Belitz, Art. Industrie- und Sozialpfarrer/- pfarrerin, RGG4, S. 129f.; Klaus von Bismarck (Hg.), Die Kirche und die Welt der industriellen Arbeit, Reden und Entschließungen der Evangelischen Kirche in Deutschland, Espelkamp 1955, Witten 1955.

    [3] Vgl. Dirk Götschmann, Wirtschaftsgeschichte Bayerns. 19. und 20. Jahrhundert, Regensburg 2010, S. 425 ff.

    [4] Schanz, Referate Bd.3, Fernsehansprache Maxhütte, S.1.

    [5] Schanz, Referate Bd. 4, S. 1.

    [6] Vgl. Götschmann, Wirtschaftsgeschichte (wie Anm. 3), S. 70 ff. und 604ff.

    [7] Vgl. Ruth Lödel, Johannes Rehm: „… auf der Suche nach Gottes verborgener Wirklichkeit“ – Verkündigung in arbeitsweltlichen Kontexten am Beispiel von Sozialpfarrer Werner Schanz. in: Traugott Jähnichen, Roland Pelikan, Sigrid Reihs, Johannes Rehm (Hrsg.), Priorität für die Arbeit. Profile kirchlicher Präsenz in der Arbeitswelt gestern und heute. Festschrift für Günter Brakelmann, Berlin 2021, S. 211–223.

    [8] Vgl. Hansjörg Ranke, Art. Sozialpfarrer, in: Friedrich Karrenberg (Hg.), Evangelisches Soziallexikon, Stuttgart 1954, S. 954f.; Hans Storck, Art. Industriepfarrer, in: Theodor Schober u.a. (Hg.), Evangelisches Soziallexikon, Stuttgart 19807, S. 609f.

    [9] Vgl. Andrea Wismath, Hans Siebert (1909 – 1971), in: Thomas Greif (Hg.), Kaiser, Kanzler, Rummelsberger, Rummelsberger Reihe 15, Lindenberg 2017, S. 150 – 163.

    [10] Vgl. Wilhelm Scheuerpflug, Die Erfindung des kda. Über die Anfänge der evangelischen Industrie- und Sozialarbeit in Bayern, in: Johannes Rehm, Roland Pelikan, Philip Büttner (Hrsg.), Kirchliches Handeln in der Arbeitswelt. Grundlegung-Grenzüberschreitungen-Gestaltungsfelder, Nürnberg 2009, S. 17ff.; Roland Pelikan, Ethik lernen in der Arbeitswelt. Perspektiven einer missionarischen Ethik am Beispiel des Industriepraktikums für Theologiestudierende der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, Berlin 2009, S. 199ff.; Angela Hager, Ein Jahrzehnt der Hoffnungen. Reformgruppen in der bayerischen Landeskirche 1966-1976, Göttingen 2010, S. 152.

    [11] Werner Schanz war mir durch unsere gemeinsame Zugehörigkeit zur bayerischen Pfarrbruderschaft seit vielen Jahren bereits persönlich bekannt (seit Januar 1985), bevor ich im Jahr 2006 sein Nachnachfolger im heutigen kda-Bayern wurde. Insofern werden in diese Darstellung auch Informationen aus zahlreichen Gesprächen mit Schanz, ehemaligen Mitarbeitenden und älteren Ehrenamtlichen unseres gemeinsamen Arbeitsfeldes einfließen, die sich im Nachhinein nicht immer zeitlich und personal exakt zuordnen lassen.

    [12] So war Schanz in den Jahren1967/68 einer der Initiatoren und Gründungsmitglied des Arbeitskreises Evangelische Erneuerung (AEE). Vgl. Hager, Jahrzehnt (wie Anm. 10), S. 13 und S. 50f.

    [13] Vgl. Auguste Zeiß-Horbach, Evangelische Kirche und Frauenordination. Der Beitrag der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern zur deutschlandweiten Diskussion im 20. Jahrhundert, Leipzig 2017, S. 332ff.

    [14] „Als Orientierung dient dabei der Begriff der Kirchenreform, verstanden zum einen als Demokratisierung kirchlicher Strukturen, zum anderen als die Forderung nach einem verstärkten Einsatz der Kirche für die Welt, nach ihrer Zeitgenossenschaft in Jesu Sinn.“ Hager, Jahrzehnt (wie Anm. 10), S. 15, 33, 290.

    [15] Vgl. Hager, Jahrzehnt (wie Anm. 10), S. 313.

    [16] Vgl. Hermann Blendinger, Aufbruch der Kirche in die Moderne. Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern 1945-1990, Stuttgart 2000.

    [17] Vgl. Angela Hager, Freimut. Hermann von Loewenich Kirchenreformer und Landesbischof, Leipzig 2016.

    [18] Der frühere bayerische Landesbischof Hermann von Loewenich betonte bei einer Jubiläumsveranstaltung 1994 in vielerlei Hinsicht stellvertretend für seine Generation: „Im Dienst des Amtes für Industrie- und Sozialarbeit wurde dieser Ansatz für uns anschaulich und konkret… Insgesamt hat das Amt Pionierarbeit geleistet. Es stand an vorderster Front in der kirchlichen Entwicklung, oft verdächtigt, oft in Frage gestellt… Das Amt für Industrie- und Sozialarbeit ist ….ein Vorposten unserer Kirche, der vertrauensbildend wirkt. Dieses Amt speist Wirklichkeitserfahrungen ein, die viele Mitarbeiter und Pfarrer in unserer Kirche sonst nicht gewinnen würden.“ (v. Loewenich 1994, in: Amt für Industrie- und Sozialarbeit, Broschüre des Amtes, S. 4-8)

    [19] Hager, Freimut (wie Anm. 17), S. 268.

    [20] Lebenslauf Werner Schanz. Eine Glaubens- und Lebensgeschichte, unveröffentlicht, Sommer 2019, S. 1.

    [21] Ebd. S. 1.

    [22] Vgl. Andrea Wismath, Hans Siebert (1909 – 1971), in: Thomas Greif (Hg.), Kaiser, Kanzler, Rummelsberger, Rummelsberger Reihe 15, a.a.O., S. 155ff.; Reinhard Veller, Theologie der Industrie- und Sozialarbeit, Köln-Bonn 1974; Göttingen 2010; Hager, Jahrzehnt (wie Anm. 10), S. 306.

    [23] Lebenslauf Schanz, (wie Anm. 20), S. 1.

    [24] Werner Schanz, Glaubensgeschichte-Lebensgeschichte-zum Zusammenhang von Theologie und Biographie, unveröffentlichter Vortrag November 1990.

    [25] Ebd. S.4.

    [26] Auch in den Reformgruppen der Landeskirche war Bultmanns Theologie umstritten: „Seit Ende der 1950er Jahre führten unterschiedliche Positionen bezüglich der Rezeption Rudolf Bultmanns zu zahlreichen Kontroversen in der Bayerischen Pfarrbruderschaft. Hinzu kamen in zum Teil scharfem Ton geführte Diskussionen unter dem Topos der `modernen Theologie`.“ Hager, Jahrzehnt (wie Anm. 10), S. 46.

    [27] Schanz, (wie Anm. 24), S. 4.

    [28] Ebd. S. 4.

    [29] Vgl. ebd. S. 2.

    [30] Ebd. S. 5.

    [31] Ebd. S. 6.

    [32] Ebd. S. 6.

    [33] Bernd Emgen, Vorwort zum Jahresbericht des Studienzentrums für evangelische Jugendarbeit, Josefstal 1980, S. 1. 

    [34] Schanz, Glaubensgeschichte (wie Anm. 24), S. 7.

    [35] In den Lebenserinnerungen von Landesbischof Johannes Hanselmann fehlt jede Bezugnahme auf das Amt für Industrie- und Sozialarbeit und seine Mitarbeitenden, deren Dienst anscheinend in seiner Wahrnehmung keine erwähnenswerte Rolle spielte. Johannes Hanselmann, Ja, mit Gottes Hilfe. Lebenserinnerungen, München 2000. Dasselbe gilt bereits für seinen Vorgänger, obwohl dieser mit dem Gründungssozialpfarrer Hans Siebert langjährig bekannt war. Vgl. Hermann Dietzfelbinger, Veränderung und Beständigkeit: Erinnerungen, München 1984, S. 20.

    [36] Vgl. Wolfgang Zorn, Kirche, Politik, Gesellschaft und Wirtschaft, in: Gerhard Müller u.a. (Hg.), Handbuch der Geschichte der evangelischen Kirche in Bayern, Bd. 2, S. 410f.

    [37] Vgl. Blendinger, Aufbruch (wie Anm. 16), S. 255ff.

    [38] Vgl. Wilhelm Scheuerpflug, Die Erfindung des kda. Über die Anfänge der evangelischen Industrie- und Sozialarbeit in Bayern, in: Rehm, Pelikan, Büttner (Hrsg.), Handeln (wie Anm. 10), S. 17.

    [39] Vgl. Barbara Bachmann, „Haus der Muttern und Schrauben“. Die Entstehung der Frauenarbeit im kda, in: Rehm, Pelikan, Büttner (Hrsg.), Handeln (wie Anm. 10), a.a.0.S. 27.

    [40] Ebd. S. 29.

    [41] Vgl. Scheuerpflug, Erfindung (wie Anm. 10)., S. 17.

    [42] Vgl. ebd. S. 22f.

    [43] Vgl. Traugott Jähnichen, Vom Industrieuntertan zum Industriebürger. Der soziale Protestantismus und die Entwicklung der Mitbestimmung (1848-1955), Bochum 1993, S. 386ff.

    [44] Vgl. Bachmann, Entstehung (wie Anm. 38), S. 30f.

    [45] Vgl. Heinrich Riedel, Kampf um die Jugend. Evangelische Jugendarbeit 1933-1945, München 1976, S. 119f.

    [46] Blendinger zieht eine ernüchternde Bilanz der frühen Bemühungen der kirchlichen Industrie- und Sozialarbeit: „Es ist eine merkwürdige Tatsache, dass das Engagement der Gesamtkirche sich auf dem Gebiet der Arbeitswelt auf punktuelle Initiativen beschränkt…. Nicht so sehr in den oberen Etagen der Kirche, sondern an der Basis fehlte das Problembewusstsein.“  Blendinger, Aufbruch (wie Anm. 16), S. 267.

    [47] „An der Wahrnehmung der sozialen Verantwortung durch die Kirche beurteilt die Arbeiterschaft sehr stark die Glaubwürdigkeit der gesamten Verkündigung.“ Ludwig Förster/ Helmut Grau, Kirchliche Haltung und religiöses Bewusstsein in der Industriearbeiterschaft, Nürnberg 1976, S. 53; Vgl. Gerhard Wegner, Alltägliche Distanz. Zum Verhältnis von Arbeitern und Kirche, Hannover 1988, S. 48ff.

    [48] Hans Siebert, Die Arbeit im Amt des Sozialpfarrers der Evang.-Luth. Kirche in Bayern, Nürnberg 1968, S. 3.

    [49] Ebd. S. 3.

    [50] Ebd. S. 4.

    [51] Ebd. S. 7.

    [52] „Und stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, auf dass ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene.“ Bis heute wird bei einer biblischen Begründung bzw. Aufgabenbeschreibung von kirchlicher Industrie- und Sozialarbeit gerne auf  Röm 12, 2 verwiesen. Vgl. Pelikan, Ethik (wie Anm. 10), S. 331.

    [53] Siebert, Arbeit (wie Anm. 48), S. 8.

    [54] Ebd. S. 11.

    [55] Ebd. S. 11.

    [56] Ebd. S. 12.

    [57] Ebd. S. 13.

    [58] Ebd. S. 15.

    [59] Es gilt aus meiner Sicht und Erfahrung zu bedenken, dass aus der im folgenden vorzustellenden Programmschrift von Käthe Truhel sich die in der bayerischen Industrie- und Sozialarbeit langjährig erfolgreich praktizierte Praxis von Arbeiter- und Arbeiterinnenbildungsarbeit nur im Ansatz und damit letztlich unzureichend rekonstruieren lässt.

    [60] Amt für Industrie- und Soziarbeit der Evang.-Luth. Kirche in Bayern (Hrsg.), Zusammenarbeit mit Industriearbeiterschaft, Nürnberg 1979, S. 8.

    [61] Ebd. S. 9.

    [62] Ebd. S. 34.

    [63] Ebd. S. 60.

    [64] Ebd. S. 62.

    [65] Ebd. S. 70.

    [66] Dr. Käthe Truhel war von 1952 bis 1974 im Amt für Industrie- und Sozialarbeit beschäftigt, anschließend weiterhin dort ehrenamtlich aktiv, sie ist 1992 im Alter von 85 Jahren in Nürnberg verstorben. Barbara Bachmann, Pionierfrau der Zusammenarbeit mit Industriearbeiterschaft Sozialarbeiterin Dr. Käthe Truhel. Die Geschichte und das Anliegen der Frauenarbeit in der Industrie- und Sozialarbeit der Evangelischen Kirche in Bayern, Nürnberg 1998, S. 28.

    [67] Vgl. Roland Pelikan, Ehrenamt kda am Beispiel der afa Bayern: `Beziehungskrise` oder gemeinsam `Ethik lernen`? in: Jähnichen, Pelikan, Reihs, Rehm (Hrsg.), Priorität (wie Anm. 7), S. 225ff.

    [68] Vgl. Sozialpfarramt der Evang.-Luth. Kirche in Bayern (Hg.), Die schichtspezifische Sprache der Arbeiterschaft – eine wenig bekannte Sperre in unserer Gesellschaft, Nürnberg 1970.

    [69] Barbara Bachmann, langjährige Mitarbeiterin und Nachfolgerin von Dr. Käthe Truhel, schreibt 1998 eindrücklich im Rückblick über ihre Vorgängerin: „ Nichts, was sie tat, kam aus dem Kopf einer Ideologie oder Dogmatik, alles aus der aufmerksamen Anteilnahme am Leben, Handeln, Denken, Reden, Glauben, den Leiden und Freuden der Arbeiterschaft, deren Begegnung sie unermüdlich suchte und deren Geschichte und Gegenwart sie unermüdlich studierte: `Ihr müsst hinhören und hinschauen, was die Menschen brauchen, wonach sie hungern und dürsten, was ihnen in unserer Gesellschaft vorenthalten wird, wo sie nicht zum Zuge kommen. Graben müsst ihr nach den verborgenen Schätzen, ihrer Kraft, Leidensfähigkeit und ihres Gottvertrauens – dorthinein müsst Ihr Euer Reden und Handeln ausrichten und mit ihnen zusammen an den Gittern der Gesellschaft rütteln, die ihre Teilhabe, ihr Mitgestalten, ihre Menschenwürde, ihren Zugang zum Evangelium behindern. Das war ihr Vermächtnis.“  Barbara Bachmann, Pionierfrau der Zusammenarbeit mit Industriearbeiterschaft Sozialarbeiterin Dr. Käthe Truhel. Die Geschichte und das Anliegen der Frauenarbeit in der Industrie- und Sozialarbeit der Evangelischen Kirche in Bayern, a.a.O., S. 27.

    [70] Vgl. Hanna Kaltenhäuser, Frauenarbeit von gestern bis heute – Ihre Impulse für die Evangelische Industrie- und Sozialarbeit in Bayern, in: Jähnichen, Pelikan, Reihs, Rehm (Hrsg.), Priorität (wie Anm. 7), S. 299ff.

    [71] Vgl. Hans–Gerhard Koch, Sozialsekretäre. Ein Beruf zwischen Erwachsenenbildung, Kirche und Arbeitswelt. Inauguraldissertation, Augsburg 1996.

    [72] Der theologisch-homiletische Nachlass von Werner Schanz befindet sich im Besitz des kda Bayern und soll demnächst in einem kirchlichen Archiv zugänglich gemacht werden.

    [73] Schanz, Bd. 1, Opferwoche der Diakonie (Handreichung, Nürnberg 1985), S. 2.

    [74] Ebd. S. 2.

    [75] Schanz Bd. 1, Text ohne Überschrift und Datum, S. 3f.

    [76] Schanz, Bd. 1, Predigt zum 30. afa-Jubiläum am 17.7.1983 in der Passionskirche in Nürnberg-Langwasser, S. 2.

    [77] Ebd.

    [78] Ebd. S. 3.

    [79] Schanz Bd. 1, Referat: Erfahrungen in der Begegnung mit der Wirtschaft, Tutzing 1983, S. 3.

    [80] Ebd. S. 6.

    [81] Schanz Bd. 1, Der Sinn der Arbeit aus biblischer Sicht, Podiumsdiskussion 1981, S. 3.

    [82] Ebd. S. 3.

    [83] Schanz Bd. 2, Einleitende Anmerkungen zur gegenwärtigen Krise des Arbeiterverständnisses, o. J., S. 8.

    [84] Schanz Bd. 3, „Der Gerechtigkeit Frucht wird Friede sein – unsere Verantwortung angesichts zunehmender Armut“, o. J., S. 9.

    [85] Vgl. Werner Schanz, Zeit und Zeiträume in der Bibel, in: Konrad Müller und Johannes Rehm (Hg.), Arbeit als Gottesdienst? Wertschöpfung in der christlichen Verkündigung, FS Roland Pelikan, Leipzig 2021, S. 163ff.

    [86] Schanz Bd. 4, Arbeitszeit-Freizeit-Lebenszeit. ‚Unsere Zeit in Gottes Händen‘, o. J., S. 2.

    [87] Schanz Bd. 1, Meditation. Lebenszeit-Arbeitszeit-Unser Umgang mit der Zeit, o. J., S. 3.

    [88] Schanz Bd. 1, Ansprache anlässlich der Eröffnung der Büro- und Veranstaltungsräume des Vereins zur Förderung der Selbsthilfe von Arbeitenden und Arbeitslosen e.V. am 17.10.1987 in München, S. 2.

    [89] Schanz Bd. 1, Lesepredigt für Erntedankfest 1986. Text: 2. Korinther 9, 6-15.

    [90] Schanz Bd. 1, Anlage zum Protokoll der Sitzung der „Konferenz der Werke und Dienste in der Evang.-Luth. Kirche in Bayern“ am 21./ 22. November 1985 in der Gemeindeakademie Rummelsberg, S. 2.

    [91] Schanz Bd. 3, Aussprache zu Jesaja 9, 11, o. J., S. 2.

    [92] Schanz Bd. 3, Zum 60. Geburtstag von Sozialpfarrer Johannes Riedel, 22.02.1995.

    [93] Schanz Bd. 4, Das reformatorisch-lutherische Verständnis von Arbeit und Beruf, veröffentlicht in „Das Baugerüst“, S. 1.

    [94] Vgl. Werner Schanz, Eine Kernaufgabe kirchlichen Handelns. Der Ausbau des kda in den 70er und 80er Jahren, in: Rehm, Pelikan, Büttner (Hrsg.), Handeln (wie Anm. 10), S. 39ff.

    [95] Schanz Bd. 1, Die Botschaft des Evangeliums in der Gesellschaft von heute, 20.2.85, S. 4.

    [96] Schanz Bd. 1, Der diakonische Auftrag der kirchlichen Industrie- und Sozialarbeit, Diakonische Konferenz am 11.11.1985, S. 2.

    [97] Schanz Bd.3, Geld und Magie. Goethes Faust und der Fortschritt, Ev. Akademie Tutzing, Predigt zur Tagung 2.4.89, S. 7.

    [98] Schanz Bd.3, Frau und Mann im Alter-aus biblischer Sicht, afa-Rentner*innen Treff Augsburg 12.6.90, S. 1.

    [99] Schanz Bd. 3, Predigt über Lukas 5, 1-11, S. 3.

    [100] Schanz Bd. 3, ohne Titel, S. 1.

    [101] Schanz Bd. 3, 25 Jahre Arbeit für den Frieden: Landeskirchliche Dienststelle für Kriegsdienstverweigerer und Zivildienstleistende, Festpredigt, 26.4.1996, S. 3.

    [102] Schanz Bd. 3, 10 Jahre Aschaffenburg 17. Februar 1995, S. 3.

    [103] Vgl. Konrad Müller, Über Arbeit predigen – eine praktisch-theologische Perspektive, in: Müller und Rehm (Hg.), Gottesdienst (wie Anm. 85), S. 179ff.

    [104] Vgl. zur Geschichte und sozialethischen Bedeutung des Sonntagsthemas Friedrich Heckmann, Arbeitszeit und Sonntagsruhe. Stellungnahmen zur Sonntagsarbeit als Beitrag kirchlicher Sozialkritik im 19. Jahrhundert, Essen 1986.

    [105] Schanz Bd. 2, Ohne Sonntag gibt es nur noch Werktage, 2. Teil: Der Sabbat ist für den Menschen da. Sozialethische Bedeutung der Sonntagsarbeit, o.J., S. 6.

    [106] Schanz Bd. 3, “ Der Gerechtigkeit Frucht wird Friede sein – unsere Verantwortung angesichts zunehmender Armut, Brüdertag Rummelsberg o.J., S. 12.

    [107] „Schanz etwa fand im Landeskirchenrat `Partner`, die ihm bei seinen reformorientierten Ansätzen Rückendeckung gaben.“ Hager, Jahrzehnt (wie Anm. 10), S. 307.

    [108] Hager, Jahrzehnt (wie Anm. 10), S. 317.

    [109] Im schriftlichen Nachlass von Schanz fand ich trotz einer inhaltlichen Nähe zu dessen Denken keine wörtlichen Bezugnahmen auf das Werk Bonhoeffers. Es ist aber davon auszugehen, dass Schanz seit seiner Vikarszeit die Werke Bonhoeffers in der Reihenfolge ihres Erscheinens auf dem Buchmarkt intensiv gelesen hat. Zudem spielte das Gedenken an Dietrich Bonhoeffer, wie ich selbst ab 1985 mehrfach miterlebte, in der bayerischen Pfarrbruderschaft eine wichtige Rolle. Ferner bestanden im unmittelbaren kollegialen Umfeld von Schanz persönliche Beziehungen zu Angehörigen und Freunden von Bonhoeffer. Bei den Texten von Werner Schanz scheinen manchmal folgende bekannte Formulierungen von Bonhoeffer mitzuschwingen, die Schanz selbst aber biblisch-theologisch eigenständig weitergeführt hat: „Gott ist mitten in unserem Leben jenseitig.“ Sowie Bonhoeffers Glaubenserfahrung, die ihn sagen ließ „…dass man erst in der vollen Diesseitigkeit des Lebens glauben lernt.“ Dietrich Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, DBW, Gütersloh 2015, Bd. 8, S. 408 und 542.

     [110] Vgl.  Johannes Rehm, Wider eine „Theologie der gegebenen Tatsachen“ – Pfarrer Karl Steinbauer (1906 – 1988), in: Christian Illian u.a.(Hg.), Anstöße, FS Günter Brakelmann, Berlin 2011, S. 233ff.

    [111] Vgl. Otto Merk, „Einander das Zeugnis gönnen.“ Das Bibelwort im Kirchenkampf bei Karl Steinbauer, in: Friedrich Mildenberger und Manfred Seitz (Hg.), Gott mehr gehorchen, München 1986, S. 94ff.

    [112] Der Gewerkschafter und Synodale Bruno Viertlmeister aus Maxhütte-Haidhof sagte mir: „Wir waren direkt süchtig auf die Ansprachen und Predigten von Werner Schanz.“

    [113] Im Alter räumte Schanz die Zeitgebundenheit des AEE im Gespräch mit Angela Hager freimütig ein: „Vielleicht ist die Zeit vom AEE vorbei, so, wie wir ihn initiiert haben. Aber die Zeit für einen Aufbruch ist eigentlich immer nötig; ich weiß nicht, ob Ihre Generation eine neue Form finden könnte.“ Hager, Jahrzehnt, S. 316.

    [114] Die Sozialethik an der Theologischen Fakultät der Universität Erlangen war in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts durch Hans Schulze geprägt, der vor seinem akademischen Lehramt selbst Sozialpfarrer beim Amt für Industrie- und Sozialarbeit gewesen war. Den Mitarbeitenden dieses kirchlichen Amtes widmete Schulze seine 1979 erschienene „Theologische Sozialethik“: „Die Widmung zeigt an, dass ich bei diesem Buch an diejenigen gedacht habe, die im Ringen um neue Formen der Kirche an vorderster Front stehen.“ Hans Schulze, Theologische Sozialethik, Gütersloh 1979, S. 14.

    [115] Die für die kirchliche Industrie- und Sozialarbeit von ihren Anfängen her grundlegende „Arbeiterfrage“ ist heute im 21. Jahrhundert keineswegs erledigt, sondern stellt sich nur anders: Vgl. Johannes Rehm (Hg.), Kirche und Arbeiterfrage. Eine sozialwissenschaftlich-theologische Untersuchung zu Nähe und Distanz zwischen Arbeiterschaft und Evangelischer Kirche, Stuttgart 2017.

    [116] Die Bilanz der Kirchenreformbewegung der 60er und 70er Jahre fällt in der Rückschau ambivalent aus: „Mitunter misslang dabei die Gratwanderung zwischen der Forderung nach einer dem Wesen der Kirche angemessenen Demokratisierung – etwa die Position der Nichttheologen zu stärken oder die Kommunikationsstrukturen zu verbessern – und Bestrebungen, die verkannten, dass das Wesen der Kirche nicht in der Herrschaft des Kirchenvolkes, sondern in der Herrschaft Christi begründet liegt.“ Hager, Jahrzehnt (wie Anm. 10), S. 111.

    [117] Vgl. Johannes Rehm, Sigrid Reihs (Hg.), Kirche und unternehmerisches Handeln. Neue Perspektiven der Dialogarbeit, Stuttgart 2010.

    [118] Vgl. Johannes Rehm, Kirche ohne Arbeiter? Eine kritische Rückfrage zu aktuellen kirchlichen Reformprozessen, in: Traugott Jähnichen u.a.(Hg.), Krisen – Aufbrüche – Transformationen. Zur Sozialität der Evangelischen Kirche, Jahrbuch Sozialer Protestantismus 2019, Leipzig 2020, S. 220ff.

    [119] Vgl. Werner Schanz, Das Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit von Gott ist nur bei einem ganz geringen Teil vorhanden, Gibitzenhof auf dem Weg zu einer von der Industrie geprägten Vorstadtgemeinde, Nürnberg 2003.

    [120] Zum Weihnachtsfest 2019, Brief an Verwandte, Freundinnen und Freunde von Heide und Werner Schanz. Vgl. auch Werner Schanz, Auf der Brücke. Reden, Besinnungen, Plädoyers aus 17 Jahren zwischen Kirche und Arbeitswelt, Amt für Industrie- und Sozialarbeit Nürnberg (Hg. im Selbstverlag), S. 36ff. und 96ff.

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