Martin Luther, Predigt über Johannes 3,1-16. Die Notwendigkeit der geistlichen Neugeburt (1536): „Christus sagt: »Es sei denn, dass jemand von neuem geboren wird, so kann er nicht ins Reich Gottes kommen.« Es gilt, dass man die eignen Gedanken, die eigne Weisheit und die eignen Meinungen fahren lässt und vielmehr das Wort hört, durch welches ein neues Herz in dir geschaffen wird ohne dein Zutun, wie die Frucht im Mutter­leib.“

Predigt über Johannes 3,1-16. Die Notwendigkeit der geistlichen Neugeburt

Von Martin Luther

Es war aber ein Mensch unter den Pharisäern mit Namen Nikodemus, ein Oberster unter den Juden. Der kam zu Jesus bei der Nacht und sprach zu ihm: Meister, wir wissen, daß du bist ein Lehrer von Gott gekommen denn niemand kann die Zeichen tun, die du tust, es sei denn Gott mit ihm. Jesus antwortete und sprach zu ihm: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, daß je­mand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht se­hen. Nikodemus spricht zu ihm: Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Kann er auch wiederum in seiner Mutter Leib gehen und geboren werden? Jesus antwortete: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, daß jemand geboren werde aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen. Was vom Fleisch geboren wird, das ist Fleisch und was vom Geist geboren wird, das ist Geist. Laß dich’s nicht wundern, daß ich dir gesagt habe: Ihr müsset von neu­em geboren werden. Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Sau­sen wohl aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt. So ist ein jeglicher, der aus dem Geist geboren ist. Nikodemus antwortete und sprach zu ihm: Wie kann solches zugehen? Jesus antwortete und sprach zu ihm: Bist du ein Meister in Israel und weißt das nicht? Wahr­lieh, wahrlich, ich sage dir: Wir reden, was wir wissen, und bezeugen, was wir gesehen haben ihr aber nehmt unser Zeugnis nicht an. Glau­bet ihr nicht, wenn ich euch von irdischen Dingen sage, wie werdet ihr glauben, wenn ich euch von himmlischen Dingen sage? Und niemand {ährt gen Himmel, denn der vom Himmel hernieder gekommen ist, nämlich des Menschen Sohn. Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muß des Menschen Sohn erhöht werden, auf daß alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben. Denn also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingebornen Sohn gab, auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Johannes 3,1-16)

Heute hören wir das Evangelium, wie es fremdartig und noch nicht klar entfaltet ist. So schreibt S. Johannes, daß der Pharisäer Nikodemus in der Nacht zu dem Herrn gekommen ist und mit ihm geredet hat, und daß der Herr ihm eine Predigt gehalten hat, mit der der fromme Mann nicht zurechtkommen konnte: je mehr er zu­hört, desto weniger versteht er’s.

Obwohl wir diese Geschichte alle Jahre hören, wollen wir doch, weil die Reihe wieder an sie kommt, sie uns wieder vornehmen. Die Weisen der Welt fragen seit Anbeginn der Welt: »Wie kann man rechtschaffen und selig werden?« Das wird erörtert vom Anfang bis zum Ende der Welt. Auch in unsrer Zeit habt ihr es vor Augen, wie wir einander darüber in den Haaren liegen. Alle wollen dar­über urteilen, aber sie wissen es nicht. Diese Frage hat heute Chri­stus mit einem Mann verhandelt, der nach dem Gesetz ganz vortreff­lich und sehr gelehrt war. Der will darüber disputieren, was wir tun und wie wir leben müssen, um selig zu werden. Er erwartet eine Antwort von Christus. »Denn du bist, sagt er, ein Lehrer von Gott gekommen. Denn die Zeichen, die du tust, übersteigen Men­schenmacht. Wir Pharisäer lehren in geistlichen Dingen das Gesetz Moses. Kann denn etwas Besseres den Leuten ans Herz gelegt werden?« Und so erhebt sich in diesem Gespräch die Fra­ge nach den Werken oder dem guten Wandel, und das ist die Frage, welche die Menschen dauernd beschäftigt.

1. Das Heilsstreben auf dem Weg der Werke erreicht das Ziel nicht.

Schon die Römer haben sich gewissenhaft darum bemüht, wie man richtig handeln müsse, wie z. B. ein Hauswesen richtig zu verwalten sei und zwar haben sie dabei, im Sinn, daß sie genau treffen wollten, was das Recht verlange. Aber das ist unmöglich mußten sie doch selber zugeben: »Das höchste Recht ist zugleich höchstes Unrecht.«[1] Aus welchem Grund? Weil man zum »Recht« im strengen Sinn nicht kommen kann. Deshalb muß man einen Mit­telweg suchen, um das Krumme einigermaßen, in die Biegung zu verlegen.[2] Ebenso pflegt man zu sagen: »Er hat’s getroffen wie die Schützen, wenn sie ins Schwarze treffen«, das heißt, nicht dank seiner Kunst, sondern durch einen Zufallstreffer. Denn derjenige Schütze hat auch gut getroffen und gewonnen, dessen Schuß das Ziel zwar nicht erreichte, aber ihm am nächsten war. Das geben auch die Ju­risten zu. Es muß ihnen, genügen, wenn sie es mit ihrem Regiment und ihrer weltlichen Ordnung soweit bringen, daß keiner dem an­dern Unleidliches und grobes Unrecht zufügt, wenn auch das ei­gentliche, Recht nicht getroffen und nicht scharf durchgeführt ist Wenn aber ein toller Narr[3] an die Regierung kommt, so richtet er nur Aufruhr, Unruhe und Unfrieden an. So muß sich alles welt­liche Regiment bescheiden, und doch möchte die Vernunft gern den Weg zum Heil oder zu einer vollkommenen, staatlichen Ord­nung mit Hilfe des Rechtes treffen; allein das ist unmöglich. Wie nun? Es will beinahe so gehen wie bei jenem, der über einen Berg hinüber wollte, und als er es nicht fertig brachte, rief: »Dann wol­len wir dableiben!« Doch Christus sagt: »Wenn nicht eure Ge­rechtigkeit besser ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.«[4] Dort in der Bergpredigt predigt er, was Gesetzeserfüllung und was ins Schwarze treffen heißt: Nicht zürnen, auch nicht im Herzen nicht einmal in Gedanken eines andern Weib oder Gut begehren. Dort wird die allerreinste Gerechtigkeit vor Augen gestellt. Und doch meinen die Menschen, sie wollten sie durchs Recht zuwege bringen! »Wir wol­len ja nicht«, sagen sie dann, »den ganz bestimmten Zielpunkt erreichen«; wenn sie nicht so genau das Ziel treffen, so halten sie sich darum für entschuldigt. Wir aber hören auf Christus: »Nie­mand kommt in den Himmel, wenn er nicht das Ziel getroffen hat.« So heißt es in der Offenbarung (21,27): »In diese Hütte wird kein Unreiner eingehen.«[5] Was sollen wir tun? Sollen wir sagen: »Wir müssen hier unten bleiben und können nicht über den Berg hinüber?«

Ebenso weiß es Nikodemus nicht anders, als daß er rechtschaffen und fromm nach dem Gesetz lebe und auf dem Wege sei, der in den Himmel führt, und er will hören, ob dieser Meister Jesus ihn dafür loben oder schelten wolle. Doch ist er auf das letztere nicht gefaßt, sondern es würde seiner Erwartung entsprechen, wenn Christus so antwortete: »Du bist vollkommen, ja du bist schon selig, und die andern würden auch in den Himmel kommen, wenn sie es so ma­chen würden wie du.« Aber nein: Christus schlägt ihn zum Himmel hinaus. »Du bist zwar ein guter Mann. Aber wenn du nicht wieder­geboren bist, wird deine eigne Gerechtigkeit dir nichts helfen.« Das, daß wir wiedergeboren werden, ist die Gerechtigkeit, auf welche wir in unsrer Predigt so sehr bedacht sind. D. h. Christus will das Gesetz nicht verwerfen, aber er will, daß es erfüllt werde. »Doch«, sagt er, »eure Erfüllung ist nichts; ihr bildet euch bloß ein, daß ihr’s erfüllet. Aber in Wirklichkeit tut ihr’s nicht. Die zehn Gebote sind recht, und ich will, daß sie erfüllt werden, und wer in den Him­mel kommen will, der muß sie halten. Aber mit eurem eignen Recht und eurer eignen Gerechtigkeit erfüllt ihr sie nicht.« Wir ha­ben keine andere, bessere Gerechtigkeit, als die ist, wenn ich täte, wie Mose in der ersten und zweiten Tafel[6] vorgeschrieben hat. Ja, wir wären dann erst fromm nach der Gerechtigkeit der Pharisäer, aber nicht nach der Gerechtigkeit des Gesetzes.

2. Allein die Wiedergeburt gibt Anteil am ewigen Heil.

Deshalb heißt es: »Du sollst zum zweitenmal geboren werden.« Das stößt den Nikodemus vor den Kopf. Er denkt an andre Gesetze über Mose hinaus, wie solche im Papsttum und bei den Pharisäern sich finden er erwartet, daß Christus neue Artikel, Gesetze und Rechts­satzungen aufstellen wolle. Aber Christus kehrt’s ganz und gar um. Er spricht nichts von neuen Gesetzen und Rechten. »Denn das, was ihr an Gesetzen habt, ist schon mehr als ihr erfüllen könnet. Sondern so predige ich: Ihr, ihr selbst müsset andere Leute werden. Ich rede nicht vom Tun und Lassen, sondern vom Werden. Du mußt ein andrer Mensch werden und neu geboren werden. Das wird die Ge­rechtigkeit heißen, welche ins Schwarze trifft, die Gerechtigkeit ohne Runzel und Makel, und sie wird in den Himmel kommen.« Da zwei­felt Nikodemus. Das ist ihm eine neue Rede. »Soll ich wieder in der Mutter Leib gehen? Ein dummes Geschwätz!« Und Christus macht’s noch närrischer: »Ich sage nicht, daß du von Vater und Mutter wie­dergeboren werden sollst, sondern aus Wasser und Heiligem Geist.« Da wird Nikodemus erst recht verwirrt. »Was ist das für ein Mann und ein Weib: Wasser und Geist?« Und dann sagt Chri­stus auch noch: »Bist du ein Meister in Israel und weißt das nicht?« Er verspottet ihn noch obendrein. Und doch muß er so reden, weil die Sache für Nikodemus ganz neu ist. Und er gebraucht Bilder, wie wenn er sagen wollte: »Soll ich dir’s vor die Augen malen, daß du es begreifst? Aber ich sage dir: Wenn du’s nicht verstehen kannst, dann glaub’s. Denn »wenn du nicht glaubst, wenn ich von irdischen Dingen rede, wie wirst du glauben, wenn ich von himm­lischen Dingen sage? Wir predigen, was wir wissen, und wir wis­sen, was wahr ist, und ihr glaubet nicht.« »Wer nicht glauben will, der gehe seiner Wege!«

Unsre Predigt,[7] die ja Christus damals angefangen hat, steht allein auf dem Glauben. Nur der Glaube faßt das Wort von der Wiedergeburt aus Geist und Wasser; der Geist ist der Mann, das Wasser ist das Weib. Das mißt du nicht mit deiner Vernunft. Darum ist das »unser« Artikel, welchen wir predigen: von den guten Wer­ken und vom Glauben. Schon haben die Päpstlichen von uns ge­lernt, wenn sie sagen, mit dem Glauben und mit der Gnade beginne das christliche Wesen. Früher hörte man nur von der Winkelmes­se und vom Anrufen der Heiligen; jetzt aber sagen sie, es sei wahr, daß der Glaube selig mache, jedoch nur unter Mitwirkung unsrer Werke; der Glaube schaffe es nicht allein, sondern es müsse auch jene Mitwirkung dabei sein. Und sie schelten uns, wir wür­den die Werke und die Menschen faul machen. Sie sind nicht so fromm und nahe bei der Wahrheit wie Nikodemus. Wir verbieten nicht gute Werke, ja, wenn wir etwas sagen von guten Werken, dann werden unsre eigenen Leute zornig. Das ist doch ein Zeichen dafür, daß wir von guten Werken predigen. Trotzdem verlästern sie uns. Sie lehren: »Gute Werke müssen dem Glauben zu Hilfe kom­men.« Das sind blinde Reden, welche anzeigen, daß sie von Glauben und guten Werken und geistlicher, göttlicher Geburt nichts verstehen. Darum ist diese Stelle[8] und andre ähnliche zu beachten. Es heißt »neu geboren«, nicht »neu getan«. Zuerst setze den Baum, so hast du hernach auch die Frucht. Wo der Baum gut oder böse ist, da sind auch die Früchte gut oder böse.[9] Ebenso ist es hier. Wir heißen’s eine neue Geburt, das heißt: ein neues Wesen, eine neue Person, nicht bloß neue Kleider und neue Werke. Als ich im Mönchtum war, da war die Kleidung anders und die Werke; die sie­ben Gebetszeiten, die Messe und der Chrisam und die Ehelosigkeit – das waren andre Werke, gar unähnlich meinen früheren Werken.[10]Aber die Änderung der Werke schafft es nicht, sondern daß die Per­son anders wird, daß wir andre Gedanken, einen andern Sinn be­kommen das ist die neue Geburt. Deshalb können Werke nicht dem Glauben an die Seite gestellt werden. Was tut ein Kind dazu, daß es geboren und gezeugt wird? Der Vater und die Mutter tun das aber das Kind tut nichts dazu, daß seine Beinlein und alle seine Glieder wachsen. Das geschieht nur an ihm. Was ist dazu von uns gelei­stet worden? Wo sind also hier die mitwirkenden Werke? Warum also schreien sie, daß Werke, und gar auch noch eigne Werke von uns dazu kommen müssen?

Es ist ja wahr: die Mutter trägt und wärmt das Kind in ihrem Leib aber sie tut nichts zu seiner Erschaffung. Ebenso predigen und taufen wir, und doch ist das Wort und die Taufe nicht unser wir geben nur Mund und Hände dazu her. Vielmehr Gottes Sache ist die Taufe und das Wort und doch werden wir Gottes Mitarbeiter ge­nannt.[11] Es ist ein bescheidenes Mitwirken nicht so, daß wir das Werk oder das Wort hinzubrächten, sondern nur die Stimme, die Finger, den Mund tue ich dazu, wenn ich predige und taufe. So tun Vater und Mutter nur ihr Fleisch und Blut dazu als ihre Gliedma­ßen aber das Kind tut überhaupt nichts dabei, sondern läßt sich mit all seinen Gliedern von Gott schaffen und machen und die Mutter trägt’s, was Gott geschaffen hat. Soll ich etwa Gott die Ehre nehmen und sagen, ich hätte mich selbst erzeugt und mein eigenes Wirken habe mich helfen gebären? Oder [treten wir dann nicht Gott zu na­he? Wir heißen doch[12] seine Kinder, die er gemacht hat! Wenn das wahr ist, daß Werke bei der Wiedergeburt mitwirken, dann muß ich auch sagen, ich hätte dabei zusammen tmit Gott mitgewirkt. Das ist Lästerung gegen Gott. Wenn es aber wahr ist, daß ich von neuem geboren werde, wie Christus sagt, so muß ich nichts dazu tun, sondern leiden und stille halten, damit der mich zu seinem Kind macht, der mein Vater und mein Schöpfer ist. In diesem Sinne sagt Paulus,[13] wir seien eine neue Kreatur, geschaffen in Christus zu guten Werken. Er vergißt die guten Werke nicht, nicht weil sie etwas dazu getan hätten, nicht weil sie die neue Kreatur hervor­bringen, sondern damit wir in ihnen wandeln. Wenn das wahr ist, daß meine eignen Werke dazu helfen, daß ich eine neue Kreatur werde, dann kann ich mich rühmen, daß ich mein eigner Gott bin denn Schaffen ist allein Gottes Sache. Wenn ich mitwirke, dann ist nicht Gott mein alleiniger Gott, sondern ich bin es auch. Wenn er’s aber allein ist, dann bin’s nicht ich, wie es Ps 100,3 heißt: »Er hat uns gemacht und nicht wir selbst zu seinem Volk und zu Schafen sei­ner Weide.« Trotzdem sind sie so toll und töricht und behaupten, der Glaube schaffe neue Menschen, aber mit Hilfe der Werke. Aber das verträgt sich nicht zusammen, daß ich mich selber schaffe und mit Gott zusammen Gott bin, so daß er mich neben sich zum Gott hat. Wie ich mich im Mutterleib nicht selber gebildet habe, sondern Gott mich bildete durch die Glieder und die Wärme meiner Mutter, so werden wir bei der neuen Geburt nicht durch unsre eignen Kräfte und Werke geschaffen, sondern bloß durch Gottes Hände und Geist. Darum darf man nicht Werke zum Glauben hinzufügen sonst schafft Gott mich nicht allein, sondern ich bin zugleich mein eigener Schöpfer. Ins höllische Feuer mit einem solchen Schöpfer, der sich selbst schafft! Ich soll eine neue Schöpfung Gottes heißen und will es doch mir selber zuschreiben? So wäre ich ja Schöpfung und Schöpfer, Werk und Wirker zugleich. Das sind teuflische Gedanken und Lehren verblendeter Menschen. Darum ist dieser Text des Johannes[14] festzuhalten. Auch Paulus nennt uns neue Kreaturen.[15]Wie ich also zu meiner leiblichen Geburt und Erschaffung nichts beitrage, sondern es leide und mich erschaffen und mich machen lasse, so tragen die Werke nichts zu dem bei, daß der Mensch wie­dergeboren werde. Sonst ist Gott nicht mehr allein Gott, sondern wir sind zugleich mit ihm Gott und sind unsre eignen Väter. Wenn aber die Kreatur geschaffen ist und das Kindlein in seiner Mutter Leib bereitet ist nach allen seinen Gliedern, dann sagt die Mutter: »Ich spür’s«, und das Kindlein tut nun die Werke, die es tun kann aber erst das schon Geschaffene regt sich, und erst wenn es geboren ist, bewegt es die Glieder, und wenn es am Leben bleibt, lernt es gehen und singen. Aber wenn es nicht vorher erschaffen worden wäre, würde es sich nicht regen.

3. Der Wiedergeborene betätigt sich als Glaubender in guten Werken.

So lehren wir von der neuen Kreatur, daß wenn wir wieder­geboren sind, wir in guten Werken wandeln sollen. Wir predigen, daß wir neue Menschen werden müssen; aber die sich bekehren, tun nichts dazu, da wir Gottes Kreatur, Werk und Geschöpf sind, dazu geschaffen, daß wir alsdann in guten Werken wandeln.[16] Das ist deutlich gesagt und geschrieben. Das Gleichnis ist ja handgreiflich: das Kind muß erst von seiner Mutter Leib weg sein; ehe es fertig wird, trägt es nichts dazu bei. Warum aber sind ihm Glieder von Gott gegeben? Es soll sich regen wenn es geboren ist, soll’s ge­hen, stehen, essen, trinken, arbeiten, regieren denn dazu ist es ge­boren. Wenn es nichts täte, wäre es ein Klotz und Stein. Vielmehr ist es dazu geschaffen, daß es etwas tun soll. In diesem Sinn spricht der Herr mit dem Pharisäer Nikodemus: »Ihr wollt alle eure eignen Schöpfer sein; ihr habt das Gesetz Moses und wollt darnach tun; aber ihr werdet es nicht tun, da ihr noch nicht geboren seid. Ihr seid noch nicht, was ihr sein sollt; denn ihr seid noch nicht von neu­em geschaffen und geboren; ihr habt nicht den Heiligen Geist. Alle eure Werke sind deshalb Werke des alten Menschen; ihr könnt dann ein Haus bauen und einen Schuh machen. Solche Werke gehören nicht zum Himmel; sie machen nicht gerecht; auch die Heiden tun sie. Des weiteren opfert ihr, beschneidet eure Kinder, zieht heilige Kleider; an das können die Heiden auch tun. Darum sind das Wer­ke des alten Menschen, der ein erstes Mal, nämlich aus seiner Mut­ter Leib geboren ist. Wenn ihr aber Werke tun wollt, welche vor Gott gelten und dem Nächsten Nutzen schaffen, so müßt ihr wie­dergeboren sein. Ihr jedoch meinet, wenn ihr nur äußerliche Werke tut, auch wenn das Herz nicht richtig steht, wolltet ihr damit in den Himmel kommen. Aber fanget doch nicht hinten an und wollet doch nicht mit den Werken beginnen!«

Auch die Päpstlichen meinen, mit ihren die Gnade begleiten­den Werken den Himmel verdienen zu können. Aber weder am Anfang als die der Gnade vorausgehenden Werke noch in der Mitte oder am Ende als die der Gnade nachfolgenden Werke hel­fen uns die guten Werke etwas, sondern es soll geschehen aus Geist und Wasser. »An Vaters und Mutter statt will ich euch Wasser und Heiligen Geist geben«, lautet die Predigt Christi. Wo das der Fall ist, kann ich sagen: »Meine eigenen Werke werden mich nicht er­schaffen und als neue Kreatur erzeugen; auch können sie’s nicht, da ich schon erschaffen und erzeugt bin aus Wasser und Geist.« Auch das Urteil über die Schwarmgeister kann nun leicht gefällt wer­den. Denn was geboren, gemacht und erschaffen ist, hat nicht nötig, daß es erst gemacht und geschaffen werde. Wie sollen also die der Wiedergeburt folgenden Werke mich schaffen und machen? Deshalb soll man gute Werke tun, aber nicht, um dadurch die neue Kreatur zu werden. Darum ist zu unterscheiden zwischen Glauben und Werken; das lehrt uns der Spruch Christi. Werke, die ge­schehen, bevor der Glaube da ist, sind verdammt; geschehen sie aber nach dem Glauben, so sind es köstliche, gute Werke. Aber auch sie machen uns nicht gerecht, sondern sie loben und preisen den himm­lischen Vater, und die Engel freuen sich darüber. Denn wer durch gute Werke und fruchtschaffende Predigt des Evangeliums den Vater ehrt, dem wird er auch um ihretwillen seinen Lohn geben. Wenn du nicht in ihnen wandelst, dann bist du auch noch nicht für sie neu geboren. Wenn so gelehrt und gelebt wird, so bleibt der Spruch Christi lauter und rein in Geltung. Christus sagt, daß man geboren sein, Paulus, daß man von Gott geschaffen sein müsse. Im Gleichnis vom Kind gesprochen: das Kind schafft und gebiert sich nicht selbst, sondern nachdem es geschaffen ist, schafft es Werke. Wiederum: Wenn der Obstbaum geschaffen ist, bringt er Früchte. Man sagt nicht: Wenn die Birne nicht bei dem Baum wäre, so wäre es kein Baum; sondern umgekehrt. Dazu wächst der Obstbaum, daß er Birnen trage Gott zu Ehre und Lob und damit wir essen. So geht Gottes Werk vorne draus, und unser Werk folgt nach. Ebenso: wenn kein Schmied wäre, so gäbe es kein Beil denn wenn das Beil hauen soll, so muß es zuvor gemacht sein. Nur wenn einer ein Narr wäre, könnte er sagen: »Macht mir ein Beil, das selbst bei seiner Entstehung mitwirkt, so daß es durch sein eignes Hauen und Schnei­den ein Beil werde. Vielmehr muß zuvor das Beil entstehen, um dann zum Hauen und zum Schneiden gebraucht zu werden.

Seit Anfang der Welt besteht der größte Streit um diesen Arti­kel. Das ist unsre Lehre, auf die wir dringen, daß sie bei der Kirche bleibe, damit die nicht hereinkommen, die den vorangehenden oder danebenhergehenden Werken auch eine Wirkung zuschreiben. Es muß zuvor geschaffen, geboren sein; dann kann das Werk kommen. Das sieht Nikodemus nicht ein, da er in dem Wahn lebt, er komme durch seine vorhergehenden Werke in den Himmel. Christus dagegen sagt dazu Nein; »es sei denn, daß jemand geboren werde aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen«. Alle, die im Widerspruch zu diesem Artikel predigen, sind falsche Lehrer. Wir aber wollen ihn glauben und dafür danken, daß es ans Licht und zur Kenntnis gebracht worden ist, welche Bahn zum Leben führt. »Ohne all meine eignen Werke laß mich neu geboren werden, nämlich durch Wort und Glauben.« Wo das der Fall ist, bin ich auch ein Kind Gottes, gehe in meines Vaters Haus aus und ein, und alles, was ich tue, ist dann gut. Strauchle ich, so schlägt er mich mit der Rute. Wenn ich ein guter Baum bin, so trage ich gute Frucht; finden sich an ihm schädliche Raupen, so nimmt sie der Vater weg. Wenn ich ein gutes Beil bin, so schneide und haue ich ist eine Scharte dran, so ist’s wiederum nur ein Gebrechen, das wieder gutgemacht werden kann. Deshalb seid ihr Pharisäer weit weg vom Ziel mit euren vorangehenden Werken; denn das gibt nur eine weltliche Gerechtigkeit, von der das gilt, was ich vom Bogenschüt­zen gesagt habe. Dagegen diese Gerechtigkeit des Glaubens trifft ins Schwarze; denn sie hält mitten ins Zentrum und dringt ein ins ewige Leben. Nicht durch uns, sondern mit ihm, der der Mittler ist, von dem am Schluß unsres Evangeliums[17] die Rede ist. Wir sind von ihm geschaffen und werden von ihm neu geschaffen; durch ihn sind wir eine vollkommene Kreatur, obwohl wir noch nicht ohne Fehler und Gebrechen sind.

Das heißt christlich geredet von der Wiedergeburt, von der die Päpstlichen, Türken und Juden nichts wissen. Und diesen Artikel werden die Päpstlichen im Konzil[18] verwerfen; sie wollen über Got­tes Werk so urteilen, wie sie es selber verstehen. Christus dagegen sagt: »Es sei denn, daß jemand von neuem geboren wird, so kann er nicht ins Reich Gottes kommen.« Es gilt, daß man die eignen Gedanken, die eigne Weisheit und die eignen Meinungen fahren läßt und vielmehr das Wort hört, durch welches ein neues Herz in dir geschaffen wird ohne dein Zutun, wie die Frucht im Mutter­leib. Dieser Text schlichtet jenen Streit, der die ganze Welt erfüllt, wie ein seliges und glückliches Leben möglich sei. Aber es hilft nichts als diese Gerechtigkeit; die trifft das Ziel.

WA 41, 608-612 (Rörer).

Gehalten an Trinitatis, 11. Juni 1536 in Wittenberg.

Quelle: Martin Luther, Predigten über den Weg der Kirche, hrsg. v. Wolfgang Metzger, CLA 6, Neuhausen-Stuttgart 1996, S. 23-33.


[1] Römisches Sprichwort.

[2] D. h. man muß das Gegebene, das »krumm« ist und bleibt, den Ver­hältnissen entsprechend berücksichtigen und verwenden.

[3] Einer, der sich anmaßt, eine vollkommene Ordnung und das vollkommene Recht verwirklichen zu können.

[4] Matthäus 5,20.

[5] Frei zitiert unter Rückbeziehung auf Offenbarung 21,3.

[6] Luther nennt das erste bis dritte Gebot die »erste Tafel der Gebotes, das vierte bis zehnte Gebot die zweite Tafel, und sieht diese beiden »Tafelns im Doppelgebot von Matthäus 20,37-40 wiederkehren.

[7] Luther redet nunmehr von der reformatorischen Predigt, deren Herzstück das »allein durch den Glauben» aus Römer 3,28 war.

[8] Johannes 3,5.

[9] Matthäus 7,17 f.

[10] Neben den Besonderheiten des mönchischen Lebens (Ehelosigkeit, sie­ben Stundengebete, mönchische Tracht) nennt Luther auch die nicht auf das Mönchtum beschränkten Bräuche des Messe-Lesens und der Verwendung des heiligen Öls (»Chrisam«) bei Sakramenten und Weihen.

[11] 1 Korinther 3,9.

[12] Z. B. 1 Johannes 3,1.

[13] 2 Korinther 5,17 zusammen mit Epheser 2,10.

[14] Johannes 3,5.

[15] Galater 6,15; 2 Korinther 5,17.

[16] Epheser 2,10.

[17] Johannes 3,14 ff.

[18] Am 2. Juni 1536 hatte der Papst ein Konzil nach Mantua ausgeschrie­ben, um den frieden in der Kirche wiederherzustellen. Es ist jenes Konzil, für welches Luther die Schmalkaldischen Artikel verfaßte; als Luther am 11. Juni 1536 diese Predigt hielt, ahnte man noch nicht, daß das Konzil nie zustande kommen würde.

Hier der Text als pdf.

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