Eberhard Jüngel, Das unendliche Gespräch: „Dieser Gott ist Liebe. Und die Liebe kennt kein letztes Wort. Sie ist vielmehr eminent sprachschöpferisch. Sagt sie doch auf immer neue Weise das eine, das allerdings immer wieder neu und anders gesagt werden will: Ja. Und wo Ja gesagt wird, geht es weiter.“

Das unendliche Gespräch

Von Eberhard Jüngel

Letzte Worte sind Manifestationen des Todes. «Wer redet, ist nicht tot» (G. Benn). Dem Tod selber wird allerdings nachgesagt, er habe das allerletzte Wort. Der christliche Glaube bestreitet das.

Denn «mit wem Gott redet, es sei im Zorn oder in Gnaden, der ist gewiß unsterblich». Wir Menschen «sind aber solche Kreaturen, mit denen Gott ewiglich reden will».[1] Wenn dieser Glaube den Anspruch auf Wahrheit erheben darf, dann hat der stumm machende Tod auf keinen Fall das letzte Wort. Und dann sind auch die Worte der Sterbenden keine letzten Worte. Und dann ist das mit dem Tod eintretende Schweigen auch kein letztes Schwei­gen. Dann gewinnt vielmehr die Gewißheit Friedrich Hölderlins, daß «ein Gespräch wir sind», den Rang eines theologischen Axioms.

Ähnliches mußte wohl auch Sokrates (vgl. Platons Phaidon 89 b) bewegt haben, als er angesichts seines bevorstehenden Todes kei­ne größere Sorge hatte als die, es möge nur ja der Logos nicht so verenden, daß man ihn nicht wieder zum Leben erwecken könne. Deshalb soll der Mensch, so mahnt der Weise, das Wort lieben und pflegen, denn wer das Wort verachtet, verachtet den Men­schen. Wer das letzte Wort haben will, ist nicht nur ein Misologe, sondern eben auch ein Misanthrop.

Die christliche Theologie ist im Grunde ein leidenschaftliches Plädoyer für die Unmöglichkeit des letzten Wortes. Und es ge­hört zu den ärgsten Schwächeanfällen, ja Selbstentstellungen der christlichen Kirche, wenn sie das unwiderstehliche, das ver­bindliche, das assertorische Wort, das im Glauben zweifellos seinen «Sitz im Leben» hat, zu einem letzten Wort verfälscht. Wenn einem Menschen im Namen Gottes die Sünden vergeben werden, wenn der im Namen Gottes Redende sagt «ego te absolvo», dann ist das allerdings ein iure divino gültiges Wort, dem auf menschlicher Seite nur ein «Amen» zu entsprechen vermag. Aber dieses «ego te absolvo» ist alles andere als ein letztes Wort. Es löst dem in Schuld Verstrickten vielmehr die Zunge und er­möglicht ihm eine neue Freiheit zum Wort. Wem die Schuld vergeben wird, der findet die Sprache wieder und zur Wahrheit der Sprache zurück, die nun nichts mehr verbergen, verstellen oder verdrängen muß.

Auch die Glaubensbekenntnisse der Kirche reden assertorisch. Doch im Unterschied zum im Namen Gottes gesprochenen und deshalb iure divino verbindlichen «ego te absolvo» sind die Glau­bensbekenntnisse Texte der Kirche, mit denen sie dem im Evange­lium redenden Gott auf menschliche Weise antwortet. Und Men­schen können irren. Sie können auch dann irren, wenn sie als «Gemeinschaft der Heiligen» versammelt sind. Deshalb hat Luther den damals als verwegenen Angriff auf die Autorität der Kirche empfundenen und geahndeten Satz gewagt: «Auch Konzilien kön­nen irren». Wohlgemerkt: können. Sie müssen nicht irren. Doch unfehlbar ist Gott allein – was Martin Walser nicht hinderte, mit der ihm eigenen Ironie die römisch-katholische Kirche dafür zu loben und zu preisen, daß sie «ganz bescheiden… die Unfehlbar­keit auf eine Person beschränkt» hat.[2] Doch im Unterschied zu dieser menschlichen Person kommt Gott in der Bibel sogar hier und da als eine Person zur Sprache, den seine sozusagen ex cathedra gesprochenen Worte gereuen. Letzte Worte sind seine Sache eben nicht. Denn dieser Gott ist Liebe. Und die Liebe kennt kein letztes Wort. Sie ist vielmehr eminent sprachschöpferisch. Sagt sie doch auf immer neue Weise das eine, das allerdings immer wieder neu und anders gesagt werden will: Ja. Und wo Ja gesagt wird, geht es weiter.

Quelle: Zeitschrift für Ideengeschichte, Heft II/2 Sommer 2008, S. 48f.


[1] Martin Luther: Vorlesung über 1. Mose 26,24, in: D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe), Weimar 1883-2005, Bd. 43, S. 481.

[2] Martin Walser: Angstblüte, Reinbek 2006, S. 403.

Hier der Text als pdf.

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