Thomas Wolfes über den württembergischen Pfarrer Paul Veil (1897-1945): „Ähnlich wie Julius von Jan verurteilte auch Veil eine Woche nach der Pogromnacht vom 9./10. November 1938 in seiner Predigt vom Bußtag, dem 16. November, die antisemitischen Ausschreitungen. Die Predigt stand unter dem von der Hannoverschen Landeskirche vorgegebenen Text Jer. 22, 29 »O Land, Land, Land, höre des Herrn Wort!«. Veil verurteilte darin die Gewalttaten gegen die Juden und die Verfolgung und Verhaftung von Pfarrern der Bekennenden Kirche in Deutschland. Er bezog deutlich Stellung gegen die Unterdrückung der Wahrheit und gegen die Irrlehre der Nationalsozialisten.“

Paul Veil

Von Thomas Wolfes

VEIL, Paul Gotthilf, evangelischer Pfarrer, * 26. November 1899 in Mercara in Ostindien,
† 9. April 1945 im Lazarett Ahlbeck auf Usedom.

Veil kritisierte als Pfarrer der Bekennenden Kirche in Württemberg während des »Dritten Reiches« die nationalsozialistische Politik und nahm öffentlich Stellung zu den antisemitischen Ausschreitungen vom 9. und 10. November 1938.

Veils Vater, Johannes Benjamin Veil (1853-1929), war als Missionskaufmann der Basler Mission in Ostindien tätig, unter anderem in Mercara, wo Veil am 26. November 1899 geboren wurde. Seine Mutter war Maria Theresia Veil, geb. Ritter (1855-1945). Veil wuchs als jüngstes von fünf Kindern in Basel in der Schweiz auf, wo die Eltern auch später lebten, bevor sie 1928 zu dem Sohn nach Roßwälden zogen. Von 1906 bis 1910 besuchte Veil die Freie evangelische Volksschule in Basel und anschließend das dortige humanistische Gymnasium, das er 1918 mit dem Abitur verließ. Noch im selben Jahr begann Veil mit dem Studium in Tübingen. 1919 wurde er in das evangelische theologische Seminar in Tübingen aufgenommen.

Nach seiner Ersten Theologischen Dienstprüfung 1922 war Veil tätig als Vikar in Uhingen und als Pfarrverweser in Schönbronn, 1923 als Stadtvikar in Welzheim und Crailsheim, 1924 in Oberurbach und nochmals in Crailsheim, 1925 als Pfarrverweser in Oppelsbohm und Simmersfeld, 1926 als Stadtpfarrverweser in Stuttgart-Berg und wiederum in Oberurbach und 1927 als Stadtvikar in Heilbronn. Nach Ablegung der Zweiten Theologischen Dienstprüfung erhielt Veil 1928 eine Pfarrstelle in Roßwälden bei Ebersbach an der Fils (Landkreis Göppingen) im Dekanatsbezirk Kirchheim unter Teck. 1930 heiratete Veil Susanne Veil, geb. Schulz, die Tochter eines Pfarrers aus Mecklenburg. Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor.

Im Jahre 1932 war Veil noch Anhänger der NSDAP. Nach 1933 nahm er jedoch eine kritische Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus ein, die er auch innerhalb seiner Gemeinde vertrat und durch die es wiederholt zu Schwierigkeiten mit Repräsentanten der Partei kam. Beispielsweise lehnte Veil die Übernahme des »Arierparagraphen« für die Kirche ab. Mehrfach wurde er wegen »hetzerischer Äußerungen gegen Partei und Staat« angezeigt und von der Polizei verhört. Gemeindemitglieder und Schüler des Konfirmandenunterrichts wurden über Veil befragt. Im Frühjahr 1937 verhinderte er, daß in Roßwälden ein Gemeindemitglied durch dessen Bruder, einen DC-Pfarrer, getraut wurde, indem er ihm das Dimissoriale verweigerte. Der Oberkirchenrat und der Landesbruderrat billigten die Haltung Veils. Von anderer Seite innerhalb der BK wurde er aber wegen Doktrinarismus kritisiert (vgl. dazu Bd. 5 der Dokumentation von Gerhard Schäfer: Die Evangelische Landeskirche in Württemberg und der Nationalsozialismus, 179 u. 332).

Wie der Oberlenninger Pfarrer Julius von Jan (1897-1964), den Veil durch seine Arbeit in der Bekennenden Kirche im Dekanat Kirchheim kannte, unterzeichnete er im Juli 1937 eine Entschließung der Pfarrer des Kirchenbezirks Kirchheim, in der das vom württembergischen Kultminister Christian Mergenthaler (1884-1980) geforderte Treuegelöbnis der Religionsunterricht erteilenden Pfarrer auf Hitler ohne den Vorbehalt des Oberkirchenrates, der das Ordinationsgelöbnis der Pfarrer mit der Bindung an die Heilige Schrift dem Treuegelöbnis voranstellt, abgelehnt wird. Im selben Jahr trat Veil aus dem NSV aus. 1938 setzte er sich öffentlich für die Freilassung Martin Niemöllers und anderer inhaftierter Pfarrer ein und stimmte gegen den Anschluß Österreichs.

Wegen seiner eindeutigen Haltung gegenüber dem »Dritten Reich« kam es zu massiven Spannungen mit einigen Gemeindemitgliedern, die den Oberkirchenrat 1938 um eine Versetzung Veils baten. In einem entsprechenden Schreiben vom 12. April heißt es, die Stimmung gegen ihn sei so feindselig, daß es zu gewalttätigen Handlungen kommen könne und der Kirchengemeinderat keine Verantwortung mehr für die Person des Pfarrers übernehmen wolle. Viele Gemeindemitglieder seien aus der Kirche ausgetreten, eine Spaltung in Gegner und Anhänger Veils sei erfolgt. Da sich Veil jedoch weigerte, die Gemeinde zu verlassen, kam es nicht zu einer Versetzung. Seine Gegner versuchten, Veil öffentlich bloßzustellen. Mehrmals wurde über ihn in der antisemitischen Hetzschrift »Flammenzeichen« geschrieben. In dieser in Stuttgart erscheinenden sogenannten »unabhängigen Wochenschrift« wurden regelmäßig in Württemberg lebende Juden, aber auch Vertreter der Kirche und andere Menschen, die sich nicht systemkonform verhielten, diffamiert und bedroht. Unter anderem wurde darin ein Spottgedicht abgedruckt, das zwei Mitglieder des Kirchengemeinderates über Veil verfaßt hatten.

Ähnlich wie Julius von Jan verurteilte auch Veil eine Woche nach der Pogromnacht vom 9./10. November 1938 in seiner Predigt vom Bußtag, dem 16. November, die antisemitischen Ausschreitungen. Die Predigt stand unter dem von der Hannoverschen Landeskirche vorgegebenen Text Jer. 22, 29 »O Land, Land, Land, höre des Herrn Wort!«. (Der Text der Predigt ist in gekürzter Fassung in der Anklageschrift gegen Veil wiedergegeben, abgedruckt in Bd. 6 der Dokumentation von Schäfer, 161f.) Veil verurteilte darin die Gewalttaten gegen die Juden und die Verfolgung und Verhaftung von Pfarrern der Bekennenden Kirche in Deutschland. Er bezog deutlich Stellung gegen die Unterdrückung der Wahrheit und gegen die Irrlehre der Nationalsozialisten. Er beklagte die zunehmende Entfremdung der Menschen von Gott und das Schweigen der Kirche zu Haß und Unrecht. Er warnte davor, den bisher von der Regierung eingeschlagenen Weg fortzuführen. Am 1. Advent (27.11.) wiederholte er seine Kritik noch einmal im Nachbarort Hochdorf (Kreis Esslingen), wo er von Oktober bis Dezember 1938 stellvertretender Pfarrer war. Hier schilderte Veil in einer Kanzelabkündigung auch den Überfall auf Julius von Jan und dessen Mißhandlung und Verhaftung zwei Tage zuvor.

Am 16. September 1939 wurde Veil aufgrund seiner Predigt von dem Sondergericht des Oberlandesgerichtsbezirks Stuttgart wegen Verstoßes gegen das »Heimtückegesetz« angeklagt. Laut Anklageschrift wurde ihm vorgeworfen, mit der Erörterung staatlicher Angelegenheiten den öffentlichen Frieden gefährdet zu haben. Veil habe »öffentlich gehässige hetzerische Äußerungen über leitende Persönlichkeiten des Staates und der NSDAP […] gemacht, die geeignet sind, das Vertrauen des Volkes zur politischen Führung zu untergraben.« Das Verfahren wurde jedoch mit Beschluß vom 7. November wegen des zu Kriegsbeginn von Hitler verfügten Gnadenerlasses eingestellt. Am 19. Oktober hatte sich bereits Landesbischof Wurm für die Aufhebung des Verfahrens eingesetzt. Die Gestapo belegte Veil allerdings mit einem Sicherungsgeld von 1000 Reichsmark.

Vom Wehrdienst war Veil zunächst frei (uk-)gestellt. Im März 1943 wurde er zum Stellvertreter für zwei einberufene Pfarrer in Upfingen und Gächingen bestellt. Im September desselben Jahres mußte auch er der Einberufung zum Heer folgen. Nach einem Einsatz als Landesschütze in Baden wurde er Anfang 1945 nach Ostpreußen in die Gegend um Königsberg abkommandiert, wo er schwer verwundet wurde. Mit einem Schiff wurde Veil von Danzig nach Swinemünde evakuiert und in das Lazarett Ahlbeck eingeliefert, wo er am 9. April starb. V., der – möglicherweise wegen seines frühen Todes – im Gegensatz zu anderen Pfarrern der Bekennenden Kirche weitgehend unbekannt blieb, gehört als entschiedener Gegner des Nationalsozialismus zweifelsfrei zu den wichtigen Repräsentanten des kirchlichen Widerstandes.

Archivalien: Die Personalakte Paul Veils befindet sich im Landeskirchlichen Archiv des Evangelischen Oberkirchenrates in Stuttgart (LKAS PA Veil); – Weitere, z. T. unveröffentlich­te Dokumente besitzt das Ev. Pfarramt Roßwälden, darunter die Begründung des Austritts aus dem NSV (1937), die Verweigerung des Dimissoriales an einen DC-Pfarrer (1937), die Auseinandersetzung mit DC-Kirchengemeinderäten in Roßwälden (1937), mehrere Schreiben von Veil an den Oberkirchenrat wegen Anfeindungen gegen seine Person (1938), Gerichtsakten, der Schriftverkehr mit dem Anwalt Veils, Stellungnahmen Veils zum Prozeß (1939) sowie Erklärungen von Gemeindemitgliedern zugunsten von Veil (1939) bzw. wegen ihres Austritts aus der Kirche (1938). Einige wichtige Dokumente, darunter die Anklageschrift vom 16.6.1939 und das Schreiben von Mitgliedern des Kirchengemeinderates an den OKR mit der Bitte um eine Versetzung Veils vom 12.4.1938, sind veröffentlicht in Bd. 5 und 6 der Dokumentation von Gerhard Schäfer.

Lit.: Gerhard Schäfer: Die Evangelische Landeskirche in Württemberg und der Nationalsozialismus. Eine Dokumentation zum Kirchenkampf, 6 Bände Stuttgart 1971-1986, Bd. 5: Babylonische Gefangenschaft 1937-1938, Stuttgart 1982, 179 u. 332 und Bd. 6: Von der Reichskirche zur Evangelischen Kirche in Deutschland, Stuttgart 1986, hier insbesondere 159-164. – Erwähnung Veils in der Wochenschrift »Flammenzeichen«: 11. Jg. (1937), Nr. 28, 4 (»Schwäbische Antwort«) und 12. Jg. (1938), Nr. 10, 4.

Letzte Änderung: 22.05.2002

Quelle: BBKL, Band XX (2002), Spalten 1488-1492.

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