Karl Barth über Jesu Dämonenaustreibungen in seiner Kirchlichen Dogmatik: „Die Krankheit redet nicht; der Tod redet auch nicht; die Dämonen aber, die undefinierbaren Konkretionen des undefinierbaren Chaos als die eigentlichen Gegenspieler Gottes und seines Reiches – sie reden, sie schreien! Natürlich nicht etwa im Namen der leidenden Menschen um Hilfe für diese: sie sind ja nicht deren Freunde, sondern deren Feinde; diesen Menschen kann ja nur gegen sie geholfen werden.“

Über Jesu Dämonenaustreibungen (KD IV/2)

Von Karl Barth

Im selben Sinn ist hier endlich diejenige Gruppe von Texten lehrreich, die sich mit den von Jesus vollzogenen Dämonenaustreibungen beschäftigen. Daß sie für die Überlieferung eine hervorgehobene Bedeutung haben, ist nicht zu verkennen. In dem Sammelbericht Act. 10, 36 f. wird geradezu das ganze Handeln Jesu in den Worten zusammengefaßt: «Er ist umhergezogen, hat wohlgetan und geheilt alle, die vom Teufel überwältigt waren, denn Gott war mit ihm» (v 38). Dieselbe Zusammenfassung liegt vor in dem Bericht über die Rückkehr der von ihm ausgesandten Jünger Luk. 10, 17: «Sie sagten freudig: Auch die Dämonen sind uns untertan in deinem Namen.» Und ihnen antwortet wieder Jesus selbst (v 18): «Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel herunterstürzen.» Anderwärts werden die Dämonenaustreibungen den Krankenheilungen jedenfalls als der eine große Bereich des Handelns Jesu gegenübergestellt: Mr. 1, 34 an zweiter, Matth. 8, 16 an erster Stelle. Und es ist zu beachten, daß Matth. 12, 22 f. auch die Heilung eines Blinden und Stummen und Luk. 13, 10 f. die einer Frau mit verkrümmtem Rücken als Dämonenaustreibungen beschrieben werden. Erschöpfend kann also das, auf was die mit den Dämonenaustreibungen beschäftigten Texte blicken, damit sicher nicht beschrieben sein, daß man erklärt, es habe sich dabei «eigentlich» – nämlich abzüglich der durch das damals maßgebende «mythische Weltbild» bedingten Einkleidung und Ausschmückung – um das gehandelt, was wir heute als «Geisteskrankheit» und als deren Heilung durch die ihr angemessene psychisch-physische Behandlung verstehen, bzw. zu verstehen meinen.

Man wird dabei keineswegs übersehen und bestreiten können – man darf das auch nicht tun! – daß zu den Phänomenen des Bereichs kosmischen Elends, auf den diese besonderen Texte blicken, indem sie von dämonischer «Besessenheit» gewisser leidender Menschen reden, faktisch auch das gehört, was wir «Geisteskrankheit» nennen. Man braucht – hier ist freilich größte Zurückhaltung geboten! – auch das nicht ohne Weiteres auszuschließen, daß in dem von ihnen beschriebenen Handeln Jesu an diesen Menschen eine Komponente dessen sichtbar sein mag, was wir eine – nicht im technischen, aber im sachlichen Sinn des Begriffs – «psychiatrische» Behandlung nennen würden. Gerade der ausführlichste von einem solchen Leidenden und von seiner Heilung handelnde evangelische Text, die Geschichte von jenem Gerasener (Mr. 5, 1 f. Par.) hat jedenfalls, was die Symptome des Leidens des Mannes betrifft, etwas in dieser Hinsicht Zwingendes. Warum sollte der Kreis des Handelns Jesu gerade den Bereich kosmischen Elends nicht berührt und geschnitten haben, den wir heute mit jenem Namen bezeichnen? Und warum sollte der Eingriff Jesu in diesen Bereich nicht beiläufig auch so etwas wie einen psychiatrischen Charakter gehabt haben? So gewiß es sich in dem, was da geschah, um menschliche und also auch um seelische Zustände und Vorgänge handelte! Nur das sollte man allerdings nicht meinen, das, was jene Texte im Blick auf die leidenden Menschen und vor allem im Blick auf das Tun Jesu vor Augen hatten, mit jener Erklärung erschöpfend beschrieben, geschweige denn in seinem entscheidenden geistlichen, theologischen Sinn und Charakter erfaßt zu haben. Es ist das, was man bei jener Erklärung zu sehen bekommt, bestenfalls ein untergeordneter Teilaspekt dessen, auf was die Texte bei ihrer Schilderung jener Vorgänge blicken: so sehr «untergeordnet» und so sehr «Teilaspekt», daß man sich wohl fragen kann, ob die Erzähler, hätten sie unser erleuchteteres Wissen um seelische Krankheit, ihre Behandlung und eventuelle Heilung schon gehabt, sich wesentlich anders ausgedrückt hätten, als sie es getan haben.

Was nun aber das sog. «mythische Weltbild» jener Zeit betrifft, aus dessen Beständen die Vorstellung von Dämonen und dämonischer Besessenheit stammen soll, so wird jedenfalls zu beachten sein: Wir haben es bei dem in den evangelischen Berichten Erzählten durchaus nicht mit einer damals allgemein herrschenden «Vorstellung» zu tun. Allgemein herrschend konnte sie schon darum auch damals nicht sein, weil es schon im Altertum medizinisch-wissenschaft­liche Stimmen wie die des Hippokrates gegeben hat, die sich gegen das Rechnen mit Dämonen gerade im Blick auf seelische Krankheitszustände in aller Form verwahrt und die mit diesem Reden bezeichneten Phänomene sehr materialistisch: aus abnormen Bewegungen der «Säfte» im Kopf des Kranken erklärt haben. Es geht aber im Neuen Testament auch innerhalb des damals gewiß weithin vorhandenen Konsensus über das Sein und Wirken solcher Wesenheiten um etwas Besonderes: um diejenigen (als solche in unsern Texten übrigens nie definierten, offenbar auch nicht als definierbar betrachteten) «Dämonen», denen es (a) eigentümlich ist, vom Menschen Besitz zu ergreifen, ihn sich selbst zu entfremden und zu beherrschen, um ihn nach Leib und Seele zu stören und zu zerstören, und (b) diese Absicht in einem ganz bestimmten Zusammenhang, nämlich im Dienste eines ganzen Reiches der Störung und Zerstörung, zusammengefaßt in der (ebenfalls nicht definierten) Gestalt des Teufels, des Satans, des «Beelzebul» zu vollstrecken. Diese spezifische Anschauung von den Dämonen, ihrem Wirken und ihrem Zusammenhang, ist zwar nicht original neutestamentlich, sie gehört aber durchaus nicht zum allgemeinen Inventar des sog. «mythischen Weltbildes». Sie ist eine spezifisch spätjüdische Anschauung, gehört also zu den Merkmalen der Schlußetappe der Geschichte Israels. Ob und inwieweit ihre Formung durch alttestamentliche Reminiszenzen einerseits, durch persische oder andere fremde Einflüsse andererseits angeregt und bedingt war, ist eine historisch interessante, aber theologisch zweitrangige Frage gegenüber dem Sachlichen: Wir befinden uns in einem ganz besonderen Wirklichkeitsbereich, in der Zeit eines in seinem geistlichen Charakter einzigartigen Ausgangs, der alle Kennzeichen eines ebenso einzigartigen Übergangs ins Leere hatte. Wir befinden uns in dem geschichtlichen Bereich, in welchem der alttestamentliche Kanon abgeschlossen, sein Inhalt zu einer Größe der Vergangenheit wurde: in der Gegenwart (ohne eigene Gegenwart) studiert, respektiert, verehrt, von einem Geschlecht dem anderen vorgehalten und eingeprägt wurde, in welchem die Prophetie verstummt, an ihre Stelle eine geschichtslose Apokalyptik getreten, das Gesetz mit seinen hunderten von erfüllbaren und unerfüllbaren Forderungen zur einzigen Gestalt des offenbaren Willens Gottes, in der aus der israelitischen Existenz im Jahvebund endgültig die jüdische Religion geworden war. Jahve hatte geredet, nun schwieg er. Diese furchtbare Wende war das Geheimnis jener Zeit, jenes Bereichs, des sog. «Spätjudentums». Hier, in dieser Wende, in diesem geistlich-geschichtlichen Vakuum ist jene «Vorstellung» aufgetaucht und herrschend geworden. Aber sagen wir es doch lieber objektiv: Hier sah und erfuhr man ganz real (konnte es anders sein? war das als Füllung jenes Vakuums nicht ganz real und gar keine subjektive Einbildung?) – an Stelle dessen, was man hier nicht mehr sah und erfuhr: die fatale Wirklichkeit des Gegenspielers, den Abgrund, die Finsternis, den Greuel des Bösen als den höchst präsenten Hintergrund des menschlichen Daseins, die jetzt unsichtbare, jetzt auch wieder höchst sichtbare, hörbare, greifbare Herrschaft des Nichtigen über den Menschen, das in seiner Einheit der Teufel, der Satan, der Beelzebul oder wie man es, persischer oder sonstiger Anregung folgend, nennen wollte, heißen konnte – in seiner Vielfältigkeit das Heer seiner Engel, die δαιμόνια, die πνεύματα, so oder so: die Macht und die Mächte des Verderbens. Hier sah und erfuhr man eben den Menschen, der von diesen Mächten im Besonderen bewohnt, «besessen», beherrscht, gefangen, an Leib und Seele gequält werden konnte, den man in einzelnen Gestalten tatsächlich von ihnen heimgesucht und nun eben so sich selber entfremdet fand. So ganz anders sich selber entfremdet als durch jene freundlichen, erhellenden, begeisternden, im schlimmsten Fall etwas spukhaften δαιμόνια und sonstigen Gottheiten, mit deren Einwohnungen es der Hellenismus zu tun zu haben meinte! Es war nicht umsonst der Jude – wo sonst als in seiner Welt gab es denn das geistliche Vakuum, in welchem er existierte? – der hier tiefer sah als alle anderen: die δαιμόνια als πνεύματα ἀκάθαρτα oder πονηρά, als Satansengel wie der, von dem Paulus sich nach 2. Kor. 12, 7 geplagt wußte. Natürlich nicht auf den jüdischen Bereich beschränkt, hier nur eben offenbar als das, was sie immer und überall waren und sind! Eben das Werk von dämonischen «Geistern» dieser Art hat die christliche Gemeinde dann im allgemeinen und besonderen Geschichtsverlauf als die eigentlichen Hindernisse und Gegner des Evangeliums (Eph. 6, 12, 1. Tim. 4, 1) und insbesondere im heidnischen Gottesdienst (1. Kor. 10, 20 f., Apok. 9, 20) erkannt.

Und nun sollte man eben, besonders wenn es um unsere evangelischen Texte geht, von der allzu primitiv subjektivistischen Denk- und Redeweise lassen, laut derer Jesus sich in dieser Sache – nach den alten Rationalisten: der gängigen spätjüdischen «Vorstellung» pädagogisch angepaßt («akkomodiert») hätte – nach der heute geläufigen Auffassung: selber in dieser Vorstellungsweise befangen gewesen wäre. Es geht hier natürlich auch um «Vorstellungen», primär und entscheidend aber um objektive Sachverhalte, die als solche durch den Aufweis der Grenzen und Bedingtheiten der betreffenden «Vorstellungen» keineswegs in Frage zu stellen sind. Die Wahrheit war eben die, daß Jesus in jener spätjüdischen Wirklichkeit mit deren nicht nur subjektiven, sondern auch objektiven, nicht nur anthropologischen, sondern auch theologischen und darum auch kosmologischen Vorgegebenheiten lebte und eben so wie jeder andere Jude, nur unvergleichlich viel genauer als jeder andere, sah, was da wirklich zu sehen – unvergleichlich viel schärfer als jeder andere erfuhr, was da wirklich zu erfahren war: nicht eine vermeintliche, ersonnene, erträumte, in den Bereich des Seins nur hineinprojizierte, sondern die wirkliche, die konkrete Abgründigkeit und Finsternis, die Gegenwart und Aktion des Nichtigen, des Bösen im Hintergrund und im Vordergrund des menschlichen Daseins. Er sah und erfuhr ihn wirklich: den (unsichtbar, weithin aber auch sichtbar und jedenfalls bestimmt real) von dorther in Anspruch genommenen und gefangenen, von seiner menschlichen Umgebung gefürchteten und darum gefesselten, seine Ketten je und je zerreissenden und in seiner so gewonnenen Freiheit nur erst recht elenden, den vom Nichtigen in irgend einer seiner Gestalten «besessenen», ihm unentrinnbar verfallenen Menschen: den Menschen, der von jenem verderblichen Hintergrund der menschlichen Situation her auch vordergründlich verdorben ist. Darum ging es in Jesu Dämonenaustreibungen und darum waren sie der Überlieferung nicht nur für sich genommen, sondern als bezeichnend für die Richtung seines ganzen Handelns so wichtig: daß sie, so wie sonst nur jene Totenerweckungen seinen, des Reiches Gottes totalen und schlechthin siegreichen Zusammenstoß mit dem Nichtigen, mit der ganzen Welt des von Gott verneinten Chaos, mit dem Gegenreich der Finsternis erkennbar machten. Auch hier weit über des Menschen Sünde und Schuld, aber hier nun auch weit über seine Not und Traurigkeit, weit sogar über den Tod hinaus, griff Jesu Handeln an dieser Stelle mitten hinein in den Bereich der Gewalt, die, durch des Menschen Sünde und Schuld in den Kosmos hereingelassen und in des Menschen Not und Traurigkeit wirksam, alle Wesen bindet, in die Giftquelle, deren Ergüsse den Kosmos durchdringen, seine Gestalt charakterisieren als die dieses «gegenwärtigen bösen Äons» (Gal. 1, 4).

Um was es Jesus in der Sicht der Überlieferung ging, wird sichtbar in der unheimlich drastischen, moralisch wirklich nicht unbedenklichen Bildrede Mr. 3, 27: «Niemand kann in das Haus eines Starken eindringen und ihm den Hausrat rauben, wenn er nicht vor allem den Starken bindet. Erst dann wird er sein Haus ausplündern!» Luk. 11, 21 mehr martialisch gewendet: «Wenn der Starke bewaffnet seinen Hof bewacht, bleibt sein Besitztum in Frieden. Doch wenn ein Stärkerer über ihn kommt und ihn überwindet, nimmt er ihm seine Waffenrüstung, auf die er sich verließ, und verteilt seine Beute.» So handelt Jesus in den Dämonenaustreibungen, so geht er, statt neue Lappen auf das alte Kleid zu flicken, dem Übel auf den Grund, an die Wurzel, nimmt er – und das als der Stärkere, der über den Starken kommt – seinen Kampf um und für den Menschen, den charakteristischen Kampf des Reiches Gottes dort auf, wo es in letzter Entscheidung hart auf hart geht, wo eben nur Einer oder der Andere Herr sein kann, der Eine dem Anderen weichen muß: «Da bedrohte ihn Jesus und sprach: Verstumme und fahre aus von ihm» (Mr. 1, 25). «Fahre aus, du unreiner Geist aus dem Menschen!» (Mr. 5, 8). Dazu die Stimme des Volkes: «Was ist das für eine Rede? Er gebietet ja den unreinen Geistern mit Gewalt und Macht und sie fahren aus» (Luk. 4, 36). Jetzt, von diesem aufs Ganze gehenden Kampf und Sieg her kann die «Ausplünderung» des Hauses des Starken in Angriff genommen, jetzt die «Beute» verteilt, jetzt dem Menschen seine Sünde vergeben, jetzt der traurige Mensch getröstet, jetzt der kranke Mensch gesund gemacht werden! Dieser aufs Ganze gehende Radikalismus jenes den Unwillen Gottes selbst widerspiegelnden Angriffs Jesu ist das Besondere dieser Texte.

In ihnen und nur in ihnen hat ja dann nicht nur der leidende und um Hilfe rufende Mensch als solcher, sondern – auf Zunge und Lippen dieses Menschen gelegt – das, was ihn gefangen hält und plagt, der Dämon oder die Dämonen Stimme und Wort. Die Krankheit redet nicht; der Tod redet auch nicht; die Dämonen aber, die undefinierbaren Konkretionen des undefinierbaren Chaos als die eigentlichen Gegenspieler Gottes und seines Reiches – sie reden, sie schreien! Natürlich nicht etwa im Namen der leidenden Menschen um Hilfe für diese: sie sind ja nicht deren Freunde, sondern deren Feinde; diesen Menschen kann ja nur gegen sie geholfen werden. Sie reden und schreien aber auch nicht – wie man wohl erwarten könnte – Lästerungen, Proteste, Kampfrufe. Sondern was da hörbar wird, ist das, daß die in ihnen konkretisierte Finsternis sich bedroht, in höchster Gefahr befindet und erkennt. Scharfsinniger als alle beteiligten Menschen weiß sie wohl, mit wem und was sie es in ihrer Konfrontierung mit Jesus zu tun hat und weiß, daß sie, sonst an lauter Sieg und Behauptung ihrer Herrschaft gewöhnt, Diesem nicht gewachsen ist. An ihr, der Erregerin aller Weltangst, ist es jetzt, selber Angst zu haben. Man lese etwa gleich Mr. 1, 24: «Was haben wir mit dir zu schaffen, Jesus von Nazareth? Bist du gekommen, uns zu verderben? Wir wissen, wer du bist: der Heilige Gottes!» Ein Bekenntnis in Form des jämmerlichen Geschreis eines schon zur Flucht gezwungenen Heeres! Das ist – auch in den anderen Texten – das Wort der Dämonen. Dazu und nur noch dazu kann das Chaos in der Gegenwart Jesu sein Maul auftun! Was in der Gegenwart Jesu manifest wurde, war dies, daß das Chaos nichts zu melden, nichts für seine Sache vorzubringen hat. Wie sollte es schon? Es brauchte aber Jesus dazu, damit es offenbar würde, daß es wirklich nichts zu sagen hat!

Die Sache hat zweifellos auch ihre groteske Seite. Man denke noch einmal an die Geschichte vom Gerasener Mr. 5, 1 Par., die jemand geradezu als eine «Schnurre» bezeichnet hat. Warum nicht? Es ist eben bei allem letzten Ernst auch einfach grotesk und – sei es denn! – schnurrig, was dem Bösen in seiner Konfrontierung mit Jesus widerfährt: wie es da nach dem Wort Luk. 10, 18 einfach vom Himmel herunter fällt, wie es da gerade nur noch um Erlaubnis betteln kann, als das Unreine ins Unreine: in eine Herde Schweine zu fahren, mit diesen über den Abgrund hinunter in den See zu stürzen und mit ihnen zu ersaufen, endgültig aus der Welt geschafft zu sein. Wäre doch die Gemeinde dabei geblieben oder hätte sie doch schon wieder gelernt, nicht bloß blöd zu lachen, sondern sich so richtig zu freuen über dieses Zeichen und über das, auf was es so drastisch zeigt!

Eben zum Grotesken der Sache gehört schließlich – nun freilich in einem sehr düsteren Sinn des Begriffs – auch das, daß man, wie nach Matth. 11, 18 von Johannes dem Täufer, so nach der johanneischen Überlieferung (7, 20; 8, 48; 10, 20) von Jesus selbst gesagt hat: «Er hat einen Dämon», also: er ist selbst ein Opfer der Sklaverei, aus der Andere befreien zu wollen er wagt, er ist das, gerade weil und indem er so undenkbar Kühnes und Umfassendes wagt! Bei den Synoptikern lautet die Anklage noch schärfer: «Er hat den Beelzebul und durch den Herrscher der Dämonen treibt er die Dämonen aus!» (Mr. 3, 22 Par.). Jesus hat darauf (v 23 f.) «in Gleichnissen» tief ironisch geantwortet: «Wie kann ein Satan den anderen austreiben? Wenn ein Reich in sich selbst entzweit ist, kann dieses Reich nicht bestehen. Und wenn ein Haus in sich selbst entzweit ist, wird dieses Haus nicht bestehen können. Und wenn der Satan wider sich selbst aufgetreten und in sich entzweit ist, kann er nicht bestehen, sondern es ist aus mit ihm.» Die Meinung ist: Es wäre offenbar aus mit ihm, auch wenn ihr mit eurer bösen Hypothese recht hättet! Aber dann taucht (v 28 f.) – die Hypothese ist und bleibt überaus böse! hinter diesen «Gleichnissen» Jesu dunkelstes Wort auf (jedenfalls bei Markus und Matthäus gerade in diesem Zusammenhang): das von der Lästerung des Heiligen Geistes, die den, der sie ausspricht, ewiger, keiner Vergebung zugänglicher Sünde schuldig macht. «Denn sie hatten gesagt: Er hat einen unreinen Geist» (v 30). Wenn sie wußten, was sie damit sagten, so hatten sie das Reine unrein, das Heilige unheilig, das Gute böse, das Leben Tod, das Reich Gottes das Reich des Satans, eines sich selbst aufhebenden Satans, genannt, sich selber auf die Seite der Dämonen gestellt, zur Alleinwirklichkeit des Bösen bekannt und damit von der Befreiung, vom neuen Äon, von der Verkündigung der Vergebung und des Heils und vom Empfang beider, von jeder Hoffnung automatisch ausgeschlossen. Von Zorn oder Betrübnis Jesu ist hier nirgends die Rede. Es ist nur offenkundig, daß er denen, die so denken und reden wollten, nichts weiter zu sagen hatte: nicht einmal das, daß sie tatsächlich in diese Sünde gefallen waren.

Er hat sie nur eben auf diese Sünde aufmerksam gemacht. Fielen sie, so hat nicht er sie, so hatten sie selbst sich fallen gelassen: dahin, wo sie an der Seite der Dämonen auch deren Los, die Nichtigkeit des Nichtigen teilen mußten.

Wir blicken zurück auf das Ganze dieser unserer vierten Feststellung: die Wundertaten Jesu sind, nicht umsonst gerade in ihren anstößigsten Gestalten: in den Totenerweckungen und in den Dämonenaustreibungen – ausgesprochene Kampfhandlungen, von Jesus vollzogen im Dienste Gottes, als Vollstreckungen von Gottes eigenem Werk und also als Kundgebungen seines Willens und Wesens, als Offenbarungen des Charakters und der Natur seines Reiches. «Er bedrohte den Wind und sprach zum Meer: Schweig, verstumme!» (Mr. 4, 39) könnte in dieser Hinsicht als Überschrift über allen diesen Geschichten stehen. Jesu Handeln, in ihm erkennbar Gott selbst und sein Reich, ist Schutz und Trutz gegen die den Menschen knechtende Gewalt des Verderbens, der φθορά in allen ihren Gestalten. Nicht neutrale Macht bzw. Allmacht also, sondern Allmacht des Erbarmens, nicht eines ruhenden, passiven, sondern eines tätigen und in seinem Verhältnis zu jener Gewalt zugunsten des armen Menschen schlechthin streitbaren Erbarmens! Darum geht es in Jesu Wundern. Und indem es in ihnen darum geht, sind sie Wunder! Denn das ist wunderbar, neu – von allen: nicht nur von allen wissenschaftlichen, sondern auch von allen ethischen und religiösen – Standpunkten, übrigens auch von aller ästhetischen Weltverklärung her gesehen, unbegreiflich: daß Gott ein solcher Gott ist, der um des Menschen willen in dieser Sache nicht abseits steht, keine Ruhe gibt, dessen großer Sabbat wirklich, von ihm zuerst begangen und nun mit ihm und unter seiner Herrschaft auch vom Menschen zu begehen, der Tag seiner Feier, seiner Freude und seines Friedens ist.

Quelle: Karl Barth, Kirchliche Dogmatik, Bd. IV/2, Zollikon-Zürich, Evangelischer Verlag, S. 252-257.

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1 Kommentar

  1. Ich glaube, dass vom Teufel auch damals schon viel mehr Menschen „überwältigt waren“, als Jesus bemerkt und geheilt hat. Er hat sie garnicht alle bemerkt, vermute ich (dann wäre er nicht so weit herumgekommen und hätte an jeder 2. Haustür klopfen müssen). Und ich meine nicht die üblichen Verdächtigen = die wo von der Mehrheit für krank gehalten werden.

    Nobody is perfect?

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