Martin Luther, Auslegung von Psalm 121 (1532): „Zahllos sind die Hilfen und Trostgründe, die ein Menschenherz in der Not sucht. Und es ist so töricht dazu, dass es die Hilfe allenthalben eher sucht als bei Gott. Darum ist dieser Psalm ein Lobpreis des Glaubens und eine Vermahnung zum Glauben, damit wir uns an den einen hilfreichen Ort und die wirklich heilsamen Berge gewöhnen, von andern Bergen und Nothelfern aber unsern Glauben und unsre Hoffnung abwenden. Darum wirft er ein kritisches Auge auf die, die bei andern Bergen ihre Hilfe suchen …“

Auslegung von Psalm 121 (Aus Luthers Vorlesung über die Stufenpsalmen 1532/33)

Von Martin Luther

Zu Vers l[1]

Ich verstehe diesen Psalm so, daß er zur Vermahnung der Frommen und Gläubigen gemacht ist. Es steckt in ihm die Lehre vom Glauben, wie Hebr. 11(,1) geschrieben steht: der Glaube ist die Erkenntnis von Dingen, die man nicht sieht, aber erhofft. Solche Erkenntnis aber ruht auf der Verheißung und dem Worte Gottes. Weil sie aber eine göttliche Erkenntnis ist, geht sie über all unser Fassungsvermögen und Verstehen hinaus, wie geschrieben steht (1.Kor. 2,9): kein Auge hat es gesehen, kein Ohr gehört und in keines Menschen Herz ist es gekommen. Denn er verheißt närrische unglaubliche und unmögliche Dinge. Darum bedürfen die, die zu glauben angefangen haben, der Vermahnung und müssen mit Sporen gegen Fleisch und Vernunft getrieben werden, welche in unsern Gliedern gegen das Wort und den Glauben streiten. Wenn wir nicht immer anhielten mit Vermahnen, dann drückte uns das Gewicht des Fleisches vollends darnieder und wir ersöffen in den sichtbaren Dingen, die uns umtreiben. Denn unsre Menschen­natur ist auf das Sichtbare gerichtet, wir befinden uns mitten auf einem Meer, auf dem wir Tag für Tag von den Winden der sichtbaren Dinge, also von Traurigkeit Freude Ehre und Schande hin und hergeworfen und bewegt werden, die unsre Seelen erregen zu Hoffnung Vertrauen Mißtrauen und Angst. Solch drohenden Sturmwinden aber kann man allein widerstehen mit der Vermahnung zum Wort und mit dem ständigen Treiben zum Glauben ans Wort. So, lehrt dieser Psalm, muß man den Glauben in diesem Leben üben, man muß ihn nicht nur lehren, sondern auch zu ihm vermahnen.

1 Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, zu den hilfreichen heilsamen Bergen. Es steckt eine Antithese in diesen Worten von den hilfreichen Bergen oder von den Bergen, von welchen mir Hilfe kommt. Man muß den ganzen Psalm im Sinn einer Antithese verstehen. Denn wo immer der Glaube gelehrt wird, da spricht das Fleisch geradewegs dagegen und will der Teufel uns davon wegführen. Und wenn die Anfechtungen und Prü­fungen des Glaubens über die kommen, die angefangen haben, Gott zu dienen, dann läuft der eine hier hin, der andre dort hin, zum König, zu Freunden, zum Gelde. Und wenn sich Menschengunst und Ehre anbietet, dann zu Menschengunst und Ehre. So sind für die einen die (heiligen) Haine Samariens Bethel Beth-Awen Gilgal die heilsamen Berge, für die andern aber Christus. Zahllos sind die Hilfen und Trostgründe, die ein Menschenherz in der Not sucht. Und es ist so töricht dazu, daß es die Hilfe allenthalben eher sucht als bei Gott. Darum ist dieser Psalm ein Lobpreis des Glaubens und eine Vermahnung zum Glauben, damit wir uns an den einen hilfreichen Ort und die wirklich heilsamen Berge gewöhnen, von andern Bergen und Nothelfern aber unsern Glauben und unsre Hoffnung abwenden. Darum wirft er ein kritisches Auge auf die, die bei andern Bergen ihre Hilfe suchen …

Mit dem Wort Hilfe verwirft er die andern Berge, weil sie scheinbar so große Hilfe bieten. In Samaria half Baal scheinbar mehr als Gott in Jerusalem, wie auch Jer.44(,16–18) geschrieben steht: wir wollen nicht hören auf das Wort des Herrn, denn seit der Zeit, daß wir abgelassen haben, der Himmelskönigin zu opfern, haben wir allerlei Mangel gelitten; wir wollen ihr drum lieber wieder opfern, daß wir vom Unglück erlöst werden. So versucht uns Gott und will dabei erkennen, ob unser Glaube recht ist. Er läßt uns Hilfe zuteil werden durch die Götzen, aber am Ende wird man sehen (, wo die wahre Hilfe ist). So sprach auch Ahas (2.Chr. 28,25): ich will den Göttern Syriens zu Damaskus opfern, daß sie mir auch helfen, und also Gott in Jerusalem verlassen. All solche (Götzen) heißen bei den Gottlosen hilfreiche Berge, sind es aber in Wahrheit nicht, denn ihre Hilfe währt nur einen Augenblick. Solch ein Gott ist auch das Gold, es hilft und macht die Leute stolz und sicher, aber welch ein Ende nimmts? Am Ende bleibt der Mammon dahinten und werden seine Anbeter in die Hölle gestoßen. Darum lassen uns (solche Berge) in der Stunde der Anfechtung im Stich und alles im Ungewissen. Aber die sichtbaren Hilfen, die man mit den Sinnen fassen kann, beeindrucken und verwirren die Menschen merkwürdig stark, so daß sie Gottes vergessen. Hier aber sind die wahren Berge, auf denen der ewige Gott wohnt, der nicht lügt und uns nicht nur wie die Götzen (mit falschen Verheißungen) kitzelt, sondern unsre Seele mit ewiger Freude erfüllt, die niemand von uns nehmen soll, wie Christus sagt (Joh. 16,22). Die Welt gibt auch Freude, aber sie währt nur eine Hochmeß und einen Tanz d.h. nur einen Augenblick. Darum laßt die Welt ihre Freuden suchen, ihr aber sucht sie bei mir (, spricht Christus). Ihr werdet traurig sein und trostlos scheinen vor der Welt, aber Christus spricht (Joh. 16,22): ich will euch Wiedersehen und euer Her; wird sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen. Das lehrt auch dieser Vers, und der Glaube soll daraus lernen, daß er eine Zuversicht zu Dingen ist, die man nicht sieht, aber erhofft …

Unter den Bergen versteht er, wie ich glaube, im besonderen zwei Berge, näm­lich Zion und Morija. Denn Jerusalem war eine gebirgige Stadt. Im Mittag d.h. im Süden war der Tempelberg (Morija, 2.Chr. 5,1), und auf der andern Seite der Berg Zion. Das ist der einfache grammatische oder wörtliche Sinn. Dennoch enthält er daneben einen Stich auf die Götzendiener, als wollt er sagen: sie laufen zu ihren Bergen, ich aber will zu meinen Bergen meine Zuflucht haben. Denn wenn die Propheten vom Glauben sprechen, so stechen sie dabei zugleich auch nebenher die gottlosen Götzendiener. So auch hier: ich hänge mich an den Berg, von welchem mir im Glauben Hilfe kommt. Das Fleisch aber meint, (von diesen Bergen) käme der Teufel und die Hölle. Denn wenn ich in den Anfechtungen darniederliege in Verzweiflung Kleinmut und Ängsten, heißt das geholfen? Das Fleisch meint vielmehr, das heiße Verwerfung von Gottes Angesicht und Ver­stoßung in die Hölle. Der Glaube aber spricht: wenn auch das Fleisch ganz anders meint, so ist doch Gott meine Hilfe…

Zu Vers 2 und 3[2]

2 Meine Hilfe kommt von dem Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat. Der Glaube an die hilfreichen Berge empfängt also seine Hilfe von dem, der Himmel und Erde gemacht hat. Der schlägt nicht nur Münzen, macht Gold und Silber, Früchte des Feldes, Wasser Fleisch Käse Butter, Leib und Leben, sondern schenkt auch Vergebung der Sünden, Gerechtigkeit Glauben Freude und Frieden des Herzens, er gibt die ganze Wahrheit (und Wirklichkeit), nämlich zeitliches und ewiges Leben. Denn er hat Himmel und Erde gemacht d. h. alle Kreatur, Engel und Menschen. Er schenkt Engeln und Menschen das ewige Leben. Alles ist in seiner Hand, Sünde Gerechtigkeit Leben und Tod. Seine Hilfe ist wahrhaftig allmächtig und gewiß in jedem Augenblick und für alle Ewigkeit …

3 Er wird deinen Fuß nicht gleiten lasten. Denn der Fuß ist zum Gehen gegeben. Aber die Gott glauben, gleiten nicht nur, sondern kommen (oftmals) gänzlich zu Fall, wie jener sprach: ich sehe, wenn man Gott dient, gehts einem übel. Da muß man Gottes Wort anwenden, Bedrängnis durch allerlei Anfechtung muß wohl sein. Was kann dagegen helfen? Da mache folgenden Unterschied und wende die Dialektik an: da ist wohl Anfechtung, aber das ist nur ein Anfang. So spricht auch Paulus (2.Kor. 4,17): unsre Trübsal ist zeitlich und leicht, währt also nur eine schmale kurze Zeit und einen Augenblick. So sieht es der Herr, (für ihn) ist sie nur wie ein Punkt. Du mußt sie nur beurteilen nach Gottes Wort und nicht nach deinem Sinn und Emp­finden. Tust du’s nach deinem Empfinden, so ist sie unendlich groß, denn die Ver­nunft macht aus dem (kleinen) mathematischen Punkt eine un­endliche Linie. Denn sie spricht: ich sehe kein Ende ab, wie und wo ich einmal Geld erwerben, Freude finden und aus so vielerlei Haß Unglück und Drangsal erlöst werden soll. Der Herr aber spricht: bei mir ist eine Drangsal ein Punkt und Augenblick, ein Tröpflein und Fünkchen. Die Vernunft jedoch meint: ich fühle aber (das Gegenteil). Der Herr aber spricht: ich sehe es bester als du. Darum besteht die Hilfe darin, daß du über deine Anfechtung urteilst nach Gottes Wort und sprichst: sie ist ein Punkt und Übergang. So heißt es ja auch von Athanasius, als Kaiser Julian ihn verfolgte und in die Kirche einbrach wie ein Ungewitter. Da waren schwarze Wolken, die ihn und alles zu verschlingen schienen. Er aber verachtete das Ungewitter und sprach: es ist nur ein kleines Wölkchen (und wird schnell vorüber sein) … Darum unterscheide. Die Drangsal ist wohl da, mache sie aber nicht größer, als sie ist. Du verlierst wohl Gut und Ehre, dann und wann auch Christus selber, das sind keine kleinen Dinge, aber mache aus solchem Mittelpunkt nicht einen (ganzen großen) Kreis. Denn der ist größer, der da zu mir spricht: ich bin der Herr (dein Gott). Der ist noch nicht umgekommen. Und an ihm liegt mehr als an Kind Weib Gut und Leib. Dann sprichst du mit dem Wort und Gott selber: es ist alles nur ein kleiner Punkt, auch wenn die Anfechtungen nach dem Fühlen meines Herzens endlos sind. Freilich, wenn Christus nichts ist, dann muß ich auch vor dem geringsten Übel fliehen. Aber das ist ja nicht wahr, denn er ist ein Gott und Christus und Erretter. Darum soll man die Anfechtungen nicht nach ihnen selbst oder nach der Quantität beurteilen, sondern nach der Quali­tät …

Nach dem Sinn des Fleisches (ist dein Leben) ein Gleiten und Stampfen auf den Straßen, aber nach Gott ist es eine Er­hebung über die Sterne und über allen Fürstenruhm zur Herrlichkeit der Engel und Kinder Gottes. Willst du das nicht glauben, so laß es bleiben. Willst du lieber jenem Pünktchen von Ehre Herrlichkeit und Vergnügen dieser Welt glauben und hier keinen Augenblick etwas leiden, so wirst du, wenn das Ende dieses Pünktchens gekommen ist, eine endlose Strecke'“ lang leiden, endlos nach Länge und Breite und Tiefe. Ja, (spricht die Welt), hätt ich derweil Geld. Aber wir reden mit denen, die da glauben, nicht mit denen, die da fühlen und greifen wollen.

Zu Vers 4-8[3]

4 Siehe, der Hüter Israels schläft noch schlummert nicht. Der Hüter, der dich behütet, das ist reichlich (viel gesagt). Das sind ja lauter Lügen, er ist ein schöner Hüter. Es ist ein hoher Titel, aber heißt das Hüten, wenn wir ins Gefängnis geworfen werden, wenn der Henker uns die Hände bindet, wenn der Teufel mich plagt, wenn er den Sohn Gottes kreuzigt und Johannes enthauptet? Ist es nicht die schlimmste Barbarei, solche Armut und Verlassenheit mit Hüten zu bezeichnen? Das ist wahrlich Antiphrasis oder gegensätzliche Rede. Die Theo­logie ist lauter solche Antiphrasis: nach dem Fleisch läßt Gott im Stich, nach dem Geist und seiner Verheißung aber ist er ein Hüter …

Siehe der Hüter Israels schläft noch schlummert nicht. Es ist eine Wieder­holung. Der Prophet wollte dies gerne einbläuen und unterstreichen, als wollt er sagen: ja freilich, er schläft nicht, nämlich im Geist. Aber nun nennt er Israel mit Namen. Denn unser Herr Gott ist ein Wächter über Stadt Weltkreis und jeden einzelnen Menschen, wiewohl er dazu Eltern Fürsten Knechte Mägde und Engel als Mittelspersonen gebraucht. Aber es wäre nichts mit ihrem Hüten, wenn nicht Gottes allerhöchste Hut über ihnen wäre …

5 Der Herr ist dein Schatten über deiner rechten Hand. Er schützt dich also vor der Hitze. Dies bedeutet also, daß Hitze und Plage vorhanden sind. Denn sonst, wenn wir nicht verlassen wären und die Hitze der Sonne uns nicht brennte, so wäre sein Schatten über unsrer rechten Hand nichts wert. Er leugnet also nicht, daß du von ihm verlassen bist. Er weiß wohl, daß du in deinem Herzen erschrocken bist und sterben mußt. Das gibt er alles zu, als wollt er sagen: Unglück und Drangsal sind wohl vorhanden, aber glaube mir dennoch, daß ich dein Hüter und dein Schatten bin; ich bin stärker als Hitze Verlassenheit und Teufelswut; habe nur Vertrauen zu mir, so will ich dich behüten, was du auch tust.

6 Daß dich des Tages die Sonne nicht steche noch der Mond des Nachts. Das sind bekannte Dinge. Ihr wißt, daß auch die Philosophen sagen, daß das Mondlicht gerne frieren macht, mit Kälte und Nässe plagt und dem Kopf wehtut. So macht auch der Strahl der Sonne des Tages den Leib müde und schwach. Mit diesem Vers rafft er alle Anfechtungen auf einen Haufen zusammen und bildet die all­gemeine Regel: es gehe dir, wie es wolle, so kann dir dennoch nichts schaden; was dich auch trifft, ob es die Sonne des Tages ist oder Welt Teufel und Fleisch, er behütet dich. Ja, er schlägt dich wohl, aber, wie Jesaias (54,7 Vulgata) geschrieben steht: ich habe dich einen kleinen Zeitpunkt lang verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln. Es geht nicht so, wie es der Teufel im Sinn hat. Wenn Gott nicht wäre und der Teufel die Macht hätte, so schlüge er dich mit ewigen Plagen und Schlägen. Darum will ich einen Anfang von Schmerz und Wunden gern tragen. Er soll dennoch (an mir) nicht tun, was er im Sinn hat. Darum ist das Unglück für uns mehr ein Schrecken als ein Leiden, gleichsam nur gemaltes Unglück. Und wenn ich auch sterbe, so ist es dennoch kein Tod, denn mein Tod ist mehr ein Schrecken im Leben, als ein Verlust des Lebens …

8 Der Herr behüte deinen Ausgang und Eingang von nun an bis in Ewigkeit. Er behüte dich, wo du gehst und stehst, zuhause und draußen, ob du etwas tust oder ruhst. Denn Ausgang heißt soviel wie Gang an unser Werk, Eingang soviel wie Ruhe und Freude des Abends, wie auch Psalm (104,23) geschrieben steht. Ob du ruhst oder tust, so ist der Herr gegenwärtig. Zu keiner Zeit also, an keinem Ort, vor keiner Person und keinem Dienst sollst du (er­schrecken und sorgen). Das heißt (den Sinn des ganzen Psalms) in universaler Kürze zusammengezogen, als wollt er sagen: ich bin der Schöpfer Himmels und der Erde und darum auch Hüter deines Leibes und deiner Seele Tag und Nacht und Vertreiber alles Unglücks. Das heißt den Glauben lehren, der nicht als eine kalte Qualität in der Seele liegt, wie die Sophisten und die Schwärmer lehren. Kein Papst weiß ja, was Glaube ist. Wenn er davon hört, so rührt es ihn nicht. Wenn du zu ihm davon sprichst, so belehrst du einen Stein und Klotz.

Quelle: Erwin Mülhaupt, D Martin Luthers Psalmen-Auslegung, Bd. 3, Göttingen 1965, S. 457-461.


[1] WA 40, III, 46,6-48,4; 48,9-49,15; 54,5 – 55,2 (aus Luthers Vorlesung über die 15 Stufenpsalmen vom 18. und 19. 11.1532, überliefert durch Rörer).

[2] W. 40 III, 5 7,7 – 58, Z; 60,7 – 61,10; 62, 10 – 67,4; 65, 3 – 11.

[3] WA 40 III,67,4 – 11; 70,2 – 8; 71,12 – 72,15; 73,4 – 12.

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