Albrecht Grözinger zur Frage, ob Hebräisch, Griechisch und Latein für das Theologiestudium unverzichtbar sind

Sind Hebräisch, Griechisch und Latein für das Theologiestudium unverzichtbar?

Von Albrecht Grözinger

Im Anschluss an einen Beitrag von Heike Schmoll, „Die alten Sprachen sind nicht verzichtbar“ in der FAZ hat sich seit gestern ein sehr kontroverser, aber auch sehr sachbezogener Facebook-Disput entfaltet.

Dazu heute von meiner Seite aus einige Anmerkungen mit der Bitte um Diskussion. Hintergrund meiner Überlegungen sind 10 Jahre Tätigkeit in Vikariat und Pfarramt und über 40 Jahre akademische Lehrtätigkeit (davon über 10 Jahre Studiendekan unserer Basler Theologischen Fakultät).

1. Bei Heike Schmoll steht die Forderung nach sprachlich-hermeneutischer Kompetenz im Vordergrund. Dem kann ich nur emphatisch zustimmen. Allerdings warne ich davor, dies nur an den alten Sprachen festzumachen und schon gar nicht daran, wieviele der alten Sprachen zu erlernen sind.

2. Die Frage nach der Sprachkompetenz stellt sich aus der Mitte der pfarramtlichen Tätigkeiten heraus und nicht erst bei der Frage der Auslegung von biblischen Texten. Wir bewegen uns in einer Vielfalt der Sprachen des Alltags. Der Literaturwissenschaftler Johannes Anderegg hat dies sehr schön dargestellt: berechtigt:
„Es gibt sie nicht, die Sprache des Alltags, sowenig wie es eine »normale« Sprache gibt. Unser Sprachgebrauch im Alltag ist vielgestaltig, und was wir als normal und gewöhnlich zu bezeichnen pflegen, reicht vom Einwortsatz am Postschalter bis zum gewandten Partygeplauder oder zur fachlichen Diskussion im Kollegenkreis. Auch, ja gerade ein völlig unspektakulärer Tagesablauf zeigt, in welch unterschiedlicher Weise wir im Alltag von der Sprache Gebrauch machen. Ein unverwechselbarer Familienton bestimmt das Frühstücksgespräch im Familienkreis. Ganz anderer Art sind die wenigen Worte, die wir beim Verlassen des Hauses mit dem Nachbarn zu wechseln pflegen. In einer alltäglichen Kommunikationssituation befinde ich mich auch, wenn ich danach, auf der Fahrt zur Arbeit, die Rundfunksprache über mich ergehen lasse. Und wenn ich anschließend, an meinem Arbeitsort, das durchaus alltägliche Gespräch mit Kollegen und Mitarbeitern aufnehme, sind Redegegenstand und Redeweise einmal mehr durchaus verschieden von dem, was in den bereits genannten Situationen üblich ist. Übrigens drängen sich im Bereich der Arbeitswelt weitere Differenzierungen auf. Das Gespräch mit Kollegen hat einen anderen Charakter als das Gespräch mit Vorgesetzten oder mit Mitarbeitern: Die Hierarchie ist nicht ohne Einfluß auf unseren Sprachgebrauch. Andere sprachliche Möglichkeiten und Notwendigkeiten zeigen sich in der Freizeit. Stammrunden- und Vereinsgespräche haben ihren eigenen, unverwechselbaren Charakter, und schließlich – die Beispielreihe ist freilich keineswegs vollständig – wäre wohl auch an das intime Gespräch zu zweit zu erinnern, das wiederum seine Besonderheiten hat, seine eigene Thematik, seinen eigenen Wortschatz und seine spezifische Dialogizität.“
(Über Sprache des Alltags und Sprache im religiösen Bezug, Zeitschrift für Theologie und Kirche, Vol. 95, No. 3 (September 1998), pp. 366-378)

Als PfarrerInnen bewegen wir uns im Geflecht dieser Alltagssprachen, denen wir teils fern teils nahe stehen. Und in der Seelsorge und in der Predigt kommt dann die Dimension der Poesie und der „tentativen Sprache“ – wie Johannes Anderegg das nennt – dazu. Pfarramtliche Tätigkeit ist die hohe Kunst der Sprache – und das beginnt eben nicht erst bei der Exegese.

3. Als wir uns in Basel daran machten, die Bologna-Reform umzusetzen, überlegten wir ernsthaft, die drei alten Sprachen auf zwei zu reduzieren (mit Wahlmöglichkeit für die Studierenden). Interessanterweise machte diesen Vorschlag ein Fachkollege aus der Exegese. Seine Argumentation fand ich sehr spannend. Er sagte: Die Hochbewertung der alten Sprachen kommt aus einer Zeit, wo die Philologie die primäre Methode der Exegese war. Heute bewegen wir uns in einem multiplen Methodenfeld (sozialgeschichtlich, feministisch, semiotisch etc.). Kurz gesagt: Hinter der Privilegierung der alten Sprachen steckt mehr Humboldt als Luther, Schleiermacher oder Barth.

Wir haben unsere Überlegungen übrigens damals nicht weiter verfolgt, weil wir sehr rasch merkten, dass wir damit bei unseren Schwesterfakultäten – vorsichtig gesagt – auf wenig Gegenliebe stiessen. Und einen Basler Sonderweg wollten wir in dieser heiklen Frage nicht gehen.

4. Ich bestreite nicht die Bedeutung der alten Sprachen. Aber – und das habe ich als Studiendekan immer wieder eingeklagt – muss es unbedingt das komplette Erlernen der drei alten Sprachen sein? Liessen sich nicht Module erarbeiten, die in die entsprechende Sprachwelt einführten, ohne ein „komplettes“ Erlernen einer Sprache. Für das Studium wäre dann eine Kombination von verschiedenen Zugängen zu den drei alten Sprachen denkbar.

5. Hier muss ich ein bisschen aus dem Nähkästchen plaudern: Ich nehme seit über vierzig Jahren an kirchlichen Dienstprüfungen und universitären Abschlussprüfungen teil. Wichtig sind da auch immer die Randgespräche unter KollegInnen. Und da höre ich seit vierzig Jahren, dass die heutigen Studierenden (und damit sind seit 40 Jahren die jeweils aktuell Studierenden gemeint) die alten Sprachen im Gegensatz zu früher (!) einfach nicht mehr beherrschten. Ich nehme es als ironischen Tatbestand war, dass gerade diejenigen die alten Sprachen einklagen, die dann zugleich beklagen, dass die bestehende Praxis nicht klappt.

6. Zum Schluss etwas Versöhnliches: Wir haben vor einiger Zeit für unsere Basler Fakultät ein neues Siegel erarbeitet. Ich merke jetzt, dass dieses Siegel ein schönes Symbol für unsere aktuelle Diskussion ist. Die Sprachen sind das ästhetische Signum unseres Siegels: In der Mitte steht die Vielfalt der deutschen Sprach-Welten und darum herum gruppieren sich die drei alten Sprachen – multipel und bunt in Form und Zugang.

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