Über den Bart der Geistlichen (Auszug)
Von Valentin Thalhofer
Da hatte sich Valentin Thalhofer (1825-1891) als Herausgeber des Augsburger Pastoralblatts und Professor für Pastoraltheologie (Liturgik) an der Universität München 1863 historisch und pastoralethisch ins Zeug gelegt, um einer klerikalen Barttracht Einhalt zu gebieten:
IV. Angesichts dieser historischen Sachlage erscheint es uns als unmöglich, sich für das in jüngster Zeit so vielseitig und lebhaft befürwortete Barttragen von Seiten der Geistlichen zu entscheiden. Vielleicht ein Jahrtausend, jedenfalls mehrere Jahrhunderte lang hat der abendländische, zum Patriarchate Rom gehörige Klerus keinen Bart getragen, hat sich (ob mit oder ohne Grund — das lassen wir dahingestellt) hierin auf das Beispiel des heiligen Petrus berufen und gerade durch seine Bartlosigkeit sich vom Klerus der orientalischen Kirche, der Patriarchate von Alexandria, Antiochia und Constantinopel, specifisch unterschieden. Von einem „altehrwürdigen“ Barte kann also in Beziehung auf den abendländischen Klerus nicht wohl die Rede sein; die Sitte, den Bart zu scheeren, verdient viel eher das Prädicat „altehrwürdig,“ da sie ein vielhundertjähriges Herkommen für sich hat. Allerdings haben selbst viele Päpste und hat zumal der Klerus in unserem deutschen Vaterlande vielleicht ein Paar Jahrhunderte lang, vielleicht noch länger, einen Bart getragen, und man kann sich daher auch für das Barttragen auf eine Gewohnheit berufen, die freilich weder so lange, noch in solcher Ausdehnung bestanden hat, als die gegentheilige, und die von so erleuchteten Männern, wie der heilige Karl Borromäus war, als Abfall vom kirchlichen Herkommen angesehen und bezeichnet wurde. Wir kennen keine einzige kirchliche Verordnung, keinen einzigen Synodalbeschluss, worin den Klerikern das Bartscheeren verboten und das Barttragen geboten wäre; wohl aber existiren Dutzende kirchlicher Verordnungen, die entweder das Barttragen geradezu verbieten oder doch gegen Entartungen desselben gerichtet sind. Die Synodalbeschlüsse aus der Zeit und den Gegenden, wo die Kleriker einen Bart trugen, lassen darauf schliessen, dass auch diese mit dem Barte sehr viel Eitelkeit und mannigfachen Missbrauch müssen getrieben haben; stünde nicht das Gleiche auch für die Zukunft zu befürchten? Allerdings, wenn die Geistlichen nach Art der Kapuziner den Vollbart trügen, wäre in bezeichneter Hinsicht weniger zu besorgen; allein gerade gegen das Tragen eines langen Vollbartes spricht das kirchliche Herkommen im Abendlande ganz und gar, abgesehen davon, dass es um solch’ einen Kapuzinerbart eben auch nichts besonders Angenehmes und Bequemes sein muss.
Wir fragen, ob sich wohl ein Bischof der abendländischen Kirche herbeilassen dürfte, seinem Klerus das Abscheeren des Bartes zu verbieten und das Tragen eines Bartes — und sei es auch nur eines kürzeren — zu gebieten? Sicher nicht; denn er würde gegen alles Herkommen handeln und müsste riskiren, dass ihm der Klerus, unter Hinweis auf Verordnungen und Gewohnheit der Kirche, nicht Folge leiste, wozu der Klerus unseres Erachtens auch das vollste Recht hätte. Die Bischöfe könnten also das Barttragen Seitens der Geistlichen höchstens dulden, und zwar, wenn sie mit dem gemeinrechtlichen Verbot des „barbam nutrire“ sich nicht in offenen Widerspruch setzen wollten, nur das Tragen eines kürzeren Bartes. Was wäre nun die Folge, wenn ein Bischof wirklich solch’ ein Duldungs-Edict ergehen liesse? Unzweifelhaft diese, dass einige Geistliche einen Bart trügen, andere nicht, und dass somit an die Stelle der bisherigen Gleichförmigkeit in diesem Punkte eine bunte Mannigfaltigkeit träte, die beim Klerus, der auch im Aeusseren möglichst gleichförmig sein soll, am Allerwenigsten zu wünschen ist. Dass die meisten oder gar alle Geistliche Bart tragen würden, wenn es geduldet würde, steht nicht zu erwarten. — Und wie verschieden würden bei den einzelnen der Clerici barbati wieder die Bartformen sein ? — Was öffentliche Blätter schon wiederholt ausgesprochen haben, der klerikale Bart fordere auch das Tragen streng klerikalischer Kleidung, in specie des Talares, ist und bleibt richtig, was man auch dagegen einwenden mag. Zur Zeit, wo die Kleriker einen Bart trugen, waren sie auch ungleich klerikalischer, distinctiver gekleidet, als jetzt, und trugen regelmässig den Talar, wie aus den Synodalakten zu ersehen ist. Ein Kleriker mit bärtigem Gesichte, in schwarzem, nur an’s Knie reichendem Rocke, in Pantalons und vielleicht noch mit offener Weste würde, in unseren Tagen jedenfalls eher den Eindruck eines Stutzers als eines Klerikers machen; hingegen ein bebarteter Geistlicher im Talar (im weiten zumal) würde zweifelsohne ehrwürdig erscheinen. Uebrigens darf auf diesen Eindruck der Ehrwürdigkeit kein zu grosses Gewicht gelegt werden; denn durch die Gewohnheit würde jedenfalls auch dieser Eindruck bedeutend gemindert werden; sodann lässt sich unserer Zeit durch derlei Aeusserlichkeiten am Geistlichen überhaupt nicht mehr stark imponiren; was ihr allein noch nachhaltig imponirt, das ist eine tüchtige, allseitige Bildung und ein musterhafter Wandel des Geistlichen, zwei Requisite, die allerdings auch mit dem Bart sich gar wohl vertragen, wie wir an Franz von Sales und Hunderten der frömmsten und gelehrtesten Männer des 16., 17. n. 18. Jahrhunderts sehen.
Seit mehr als hundert Jahren ist es jetzt bei uns herkömmlich, dass die Geistlichen keinen Bart tragen, und es kann, ja soll der einzelne Bischof um so mehr darauf bestehen, dass diese Gewohnheit fortan aufrecht erhalten werde, als sie, wie gezeigt wurde, in der abendländischen Kirche nahezu ein Jahrtausend lang die herrschende und für sie dem Orient gegenüber charakteristisch war. Im Mittelalter betonte man den Orientalen gegenüber in der Bartfrage mit Recht die Gewohnheit gar sehr; mit den Utilitäts- und Schieklichkeitsgründen, wie überhaupt mit inneren Gründen kommt man biet nicht weit, weil sich gegen derlei Gründe von einem anderen Betrachtungsstandpunkt aus jederzeit wieder ein Gegengrund geltend machen lässt. —
Man wird uns einwenden, nach unseren Principien und bei solcher Betonung des Gewohnheitsrechtes könnte niemals eine gegentheilige Gewohnheit aufkommen und müsste stets Alles beim Alten bleiben. Allein dafür, dass dem nicht so geschehe, Ist schon durch die Natur der Dinge gesorgt; wo ein wirkliches, gewichtiges Bedürfniss zur Abänderung der bestehenden und zur Begründung einer gegenteiligen Praxis vorhanden ist, da macht sich dieses Bedürfnis« sehr allmälig und in einer Weise geltend, dass es gar nicht möglich ist, das Aufkommen einer solchen gegenteiligen Gewohnheit zu hindern, selbst wenn die competenten Obern es wollten. So verhält es sich auch mit der Bartfrage. Gegenteilige Gewohnheiten werden nicht auf dem Wege öffentlicher Besprechung, gemeinsamer Verständigung u. s. w. in’s Dasein gerufen; sie sind viel naturwüchsiger, entstammen ganz unmittelbar den concreten Lebensverhältnissen. Erachtet der Einzelne seine Gründe für das Barttragen ah so wichtig, dass er gegenüber einem uralten Herkommen mit der jetzigen allgemeinen Praxis brechen zu dürfen glaubt, so handle er ohne weiteres Hin- und Herreden, trage zu seinem Barte stets den Talar, meide durchaus den Wirthshausbesuch u. s. w.; dann wird er seine gegenteilige Gewohnheit vor dem Bischöfe, falls ihn dieser zu Rede stellt, verantworten können. Findet der Bischof seine Gründe nicht ausreichend, und sieht er selber, dass Andere, dass die Meisten beim Herkommen verbleiben, so wird er darin einen Beweis erblicken, dass die notwendigen Bedingungen für die Bildung einer gegenteiligen Gewohnheit nicht vorhanden seien, und wird daher von ihr in aller Ruhe wieder ablassen. Nach unserer unmassgeblichen Meinung sind die Gründe, welche man für das Aufgeben des Batbirasium anführt, nicht so wichtig, dass sie ein Brechen mit der jetzigen dessbezüglichen Praxis hinlänglich rechtfertigen könnten; diese Meinung stützt sich hauptsächlich auf die Geschichte des klerikalen Bartes in der abendländischen Kirche.
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