Rupert Berger über das Gedächtnis in der Liturgie: „Gedächtnis geschieht immer durch ausdrückliche Nen­nung; das Tun allein wäre zu undeut­lich, das kündende Wort muss hinzutreten. Insbesondere hat der Name, wenn er ausgerufen wird, solche epikletische (herbeirufende) Kraft; darum nennt das Hochgebet die großen Heilstaten Gottes in der Anamnese, darum rufen Epi­klese und Exorzismus mit Nach­druck im­mer wieder die großen Namen Gottes.“

Gedächtnis in der Liturgie

Von Rupert Berger

Gedächtnis (Gedenken) meint im gottes­dienstlichen Leben nicht jene psychologische Ab­laufreihe, mit der wir uns vergangenen Ereignissen und abwesenden Dingen in Ge­danken (»er-innern«) zuwenden; Gedenken meint vielmehr, ähnlich der Sprechweise der Schrift, allgemein das Ausrufen eines gesche­henen oder erst kommenden (Gedächtnis geht auch auf Zukünftiges: Jes 47,7) Heils­ereignisses, ganz besonders aber das Aus­rufen im kultischen Vollzug. Das verkündig­te Heilshandeln Gottes wird in der Gedächt­nisfeier »wirklich«, es betrifft mich und wirkt an mir. Das zeigt sich im Alten Testament besonders am Paschafest und an den übrigen Gedächt­nisfesten (Ex 13,4): wer des Auszugs »gedenkt« (= ihn im Kult­geschehen nachvoll­zieht), für den wird die rettende Heilstat Got­tes jetzt wirklich. Ge­denken heißt im Gottesdienst darum nicht: an etwas nur den­ken, Gedenken ist vielmehr die besonders intensive Form der Wirklichkeit, in die ich in der gottesdienstlichen Begehung eintrete. Basis dafür ist das Tun Gottes, er gedenkt seines Bundes, den er mit seinem Volk ge­schlossen hat; darum bittet die feiernde Ge­meinde: »Gedenke deines Bundes!«

Die christliche Gemeinde tut getreu dem Auftrag Christi (1 Kor 11,24f.; Lk 22,19) insbeson­dere in der Eucharistie das Gedächtnis des Herrn, und sie hält mit Nachdruck dabei fest: Die Messe ist kein leeres Gedächtnis (keine nuda commemoratio), in ihr ist Tod und Auferstehung des Herrn wirksam gegen­wärtig, in ihr wird die Hingabe des Herrn für uns Wirklichkeit. Im Z Einsetzungs­bericht wird die Urwirklichkeit verkündet, und in der Anamnese wird die auf­trags­gemäße Folgerung ausdrücklich formuliert. Aber auch im nichtsakramentalen Bereich ist das gedenkende Wort nicht leer und wir­kungslos.

Gedächtnis geschieht immer durch ausdrückliche Nen­nung; das Tun allein wäre zu undeut­lich, das kündende Wort muss hinzutreten (Ex 12,26f.). Insbesondere hat der Name, wenn er ausgerufen wird, solche epikletische (herbeirufende) Kraft; darum nennt das Hochgebet die großen Heilstaten Gottes in der Anamnese, darum rufen Epi­klese und Exorzismus mit Nach­druck im­mer wieder die großen Namen Gottes, da­rum geschehen die Interzessionen im Hochgebet (das Gedächtnis der Lebenden, der Heiligen und der Verstorbenen) durch aus­drückliche Namensnennung.

Lit.: O. Schilling, »Gedenken« und »Gedächtnis« in der Sprache der Bibel, in: Lebendiges Zeugnis 20 (1965) 30-37; Leiturgia I 209-214; S. Marsili, Das Gedächtnis des Herrn in der Theologie der Gegenwart, in: ALw 22 (1980) 9-29; Freude am Gd 177-214; R. Wentz, »Herr, gedenke dei­nes Bundes!«, in: HD 52 (1998) 203-219; G. Brüske, Die Liturgie als Ort des kulturellen Gedächtnisses, in: LJ 51 (2001) 151-171; S. Wahle, Gottes-Gedenken (Innsbruck 2006); P. Petzel, Erinnern (Darmstadt 2003).

Quelle: Rupert Berger, Pastoralliturgisches Handlexikon, Freiburg i.Br.: Herder, Neuausgabe 2013, S. 135f.

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