Blaise Pascal, Gebet zu Gott um den rechten Gebrauch der Krankheiten (1660): „Gib, dass meine Schmerzen die dei­nen werden. Vereine mich mit dir; erfülle mich mit dir und deinem Heiligen Geist. Geh ein in mein Herz und in meine Seele, um darin meine Leiden zu tragen und um weiter in mir zu erdulden, was noch von deinem Leidensweg vor dir liegt.“

Fast unerträglich ist es, wie Blaise Pacal die eigene Krankheit(en) in das Unverhältnis des Menschen zu Gott nimmt:

Gebet zu Gott um den rechten Gebrauch der Krankheiten (1660)

Von Blaise Pascal

I. Herr, dessen Geist so gut und mild in allen Dingen ist und der du so barmherzig bist, daß nicht nur die glücklichen, sondern auch die unglücklichen Wechselfälle, die deinen Aus­erwählten begegnen, Wirkungen deiner Barmherzigkeit sind, gewähre mir die Gnade, daß ich in dem Zustand, in den deine Gerechtigkeit mich versetzt hat, nicht als Heide handle: daß ich wie ein wahrer Christ dich als meinen Vater und meinen Gott anerkenne, in welchem Zustand ich mich auch immer befinde, denn die Veränderung meiner Lage fügt der deinen nichts hin­zu, da du immer derselbe bist, während ich hin­gegen der Veränderung unterworfen bin und du nicht weniger Gott bist, wenn du betrübst und strafst, als wenn du tröstest und Nachsicht übst.

II. Du hast mir Gesundheit gegeben, damit ich dir diene, und ich habe von ihr einen ganz weltlichen Gebrauch gemacht. Jetzt schickst du mir die Krankheit, um mich zu läutern: Er­laube nicht, daß ich sie gebrauche, um dich durch meine Un­geduld zu erzürnen. Ich habe meine Gesundheit schlecht ge­braucht, und du hast mir dafür eine gerechte Strafe auferlegt. Dulde nicht, daß ich deine Strafe schlecht gebrauche. Und da die Verderbnis meiner Natur so groß ist, daß sie deine Gunst­beweise für mich schädlich werden läßt, gib, o mein Gott, daß deine Züchtigungen mir durch deine allmächtige Gnade das Heil bringen. Wenn mein Herz der Welt voller Liebe zugetan war, solange es einige Kraft hatte, so vernichte diese Kraft um meines Heils willen und mache mich unfähig, mich der Welt zu erfreuen, sei es durch körperliche Schwäche, sei es durch den Eifer der christlichen Liebe, damit ich allein an dir meine Freude habe.

III. O Gott, vor dem ich am Ende meines Lebens und am Ende der Welt genaue Rechenschaft über alle meine Taten ab­legen muß? O Gott, der du die Welt und alle Dinge der Welt nur bestehen läßt, um deine Auserwählten zu prüfen oder um die Sünder zu bestrafen? O Gott, der du die verstockten Sün­der im köstlichen und frevelhaften Genuß der Welt verharren läßt? O Gott, der du unsere Leiber sterben läßt und in der Todesstunde unsere Seele von allem trennst, was sie auf Er­den liebte? O Gott, der du mich in jenem letzten Augenblick meines Lebens von allen Dingen losreißen wirst, an die ich mich gebunden habe und an denen mein Herz hängt? O Gott, der du am Jüngsten Tage den Himmel und die Erde und alle Geschöpfe darin vernichten sollst, um allen Menschen zu zei­gen, daß außer dir nichts besteht und darum außer dir auch nichts Liebe verdient, denn außer dir ist ja nichts von Dauer? O Gott, der du all jene eitlen Götzen und all jene unheilvollen Gegenstände unserer Leidenschaften zerstören sollst? Ich lobe dich, mein Gott, und ich will dich alle Tage meines Lebens preisen, weil es dir gefallen hat, zu meinen Gunsten jenen schrecklichen Tag vorwegzunehmen, indem du mich in einen Zustand der Schwäche versetzt und so für mich alle Dinge zerstört hast. Ich lobe dich, mein Gott, und ich will dich alle Tage meines Lebens preisen, weil es dir gefallen hat, mich un­fähig zu machen, die Annehmlichkeiten der Gesundheit und die Freuden der Welt zu genießen, und weil du zu meinem Besten die trügerischen Götzen in gewisser Weise vernichtet hast, die du am Tage deines Zorns wirklich vernichten willst, um die Bösen zu beschämen. Gib, o Herr, daß ich mich bei jener Zerstörung, die du für mich bewirkt hast, selbst richte, damit nicht du selbst mich bei der vollständigen Zerstörung richtest, die du meinem Leben und der Welt bereiten wirst. Denn, o Herr, so wie ich mich im Augenblick meines Todes von der Welt getrennt, von allen Dingen entblößt, allein vor deinem Angesicht finden werde, um vor deiner Gerechtigkeit für alle Regungen meines Herzens einzustehen, gib, daß ich mich in dieser Krankheit gleichsam als tot betrachte, von der Welt getrennt, von allen Gegenständen meiner Zuneigung los­gelöst, allein vor deinem Angesicht, um von deiner Barmher­zigkeit die Bekehrung meines Herzens zu erflehen, und daß ich somit höchsten Trost darin finde, wenn du mir jetzt eine Art von Tod schickst, um Barmherzigkeit zu üben, bevor du mir wirklich den Tod schickst, um Gerechtigkeit zu üben. Gib darum, o mein Gott, daß, wie du meinen Tod vorweggenom­men hast, ich die Strenge deines Richterspruchs vorwegnehme und ich vor deinem Urteil mich selbst prüfe, um Barmherzig­keit vor deinem Angesicht zu finden.

IV. Gib, o mein Gott, daß ich schweigend die Ordnung an­bete, in der deine verehrungswürdige Vorsehung mein Leben leitet, daß deine Geißel mich tröstet und daß ich, nachdem ich in der Bitterkeit meiner Sünden lebte, solange ich Frie­den hatte, die himmlische Süße deiner Gnade koste, während du mich mit heilsamen Leiden heimsuchst. Doch ich erkenne, mein Gott, daß mein Herz derart verhärtet und so voll von den Gedanken, Sorgen, Unruhen und Bindungen der Welt ist, daß ebensowenig die Krankheit wie die Gesundheit, nicht die Gespräche und auch nicht die Bücher, nicht deine Heilige Schrift oder dein Evangelium, nicht deine heiligsten Mysterien oder die Almosen, das Fasten, die Kasteiungen, die Wunder, der Empfang der Sakramente oder das Opfer deines Leibes, all meine Anstrengungen oder die aller Menschen zusammen das geringste vermögen, um meine Bekehrung einzuleiten, wenn du nicht dies alles mit einem ganz außergewöhnlichen Beistand deiner Gnade begleitest. Darum, mein Gott, wende ich mich an dich, o allmächtiger Gott, um von dir eine Gabe zu erbitten, die alle Geschöpfe zusammen mir nicht gewäh­ren können. Ich wäre nicht so vermessen, meine Rufe an dich zu richten, wenn ein anderer sie erhören könnte. Aber, mein Gott, da die Bekehrung meines Herzens, die ich von dir er­bitte, ein Werk ist, das alle Kräfte der Natur übersteigt, kann ich mich nur an den Schöpfer und den allmächtigen Herrn der Natur und meines Herzens wenden. Zu wem soll ich rufen, o Herr, zu wem soll ich meine Zuflucht nehmen, wenn nicht zu dir? Alles, was nicht Gott ist, kann meine Hoffnung nicht erfüllen. Gott selbst verlange und suche ich; und an dich al­lein, mein Gott, wende ich mich, um dich zu erlangen. Öffne mir das Herz, o Herr; zieh ein in diese aufrührerische Festung, welche die Laster besetzt halten. Sie haben sie sich unterwor­fen; zieh in sie ein wie in das Haus des Starken; aber lege zuvor den starken und mächtigen Feind in Fesseln, der sie be­herrscht, und nimm dann die Schätze, die in ihr sind. O Herr, nimm meine Zuneigung, welche die Welt geraubt hatte; raube du selbst diesen Schatz oder nimm ihn dir vielmehr wieder, denn dir gehört er ja als ein Tribut, den ich dir schulde, da ihm dein Bild eingeprägt ist. Du hattest es in ihm entstehen lassen, o Herr, bei meiner Taufe, die meine zweite Geburt ist; doch es ist ganz ausgelöscht. Der Gedanke an die Welt ist derart tief in ihm eingegraben, daß der Gedanke an dich nicht mehr zu erkennen ist. Du allein konntest meine Seele schaffen: Du allein kannst sie neu schaffen. Du allein konntest in ihr dein Bild entstehen lassen: Du allein kannst sie umgestalten und ihr dein ausgelöschtes Abbild wieder einprägen, das heißt Jesus Christus, meinen Heiland, der dein Ebenbild und der Aus­druck deines Wesens ist.

V. O mein Gott, wie glücklich ist ein Herz, das einen so anziehenden Endzweck lieben darf, der ihm nicht die Ehre nimmt und dessen Zuneigung ihm solches Heil bringt? Ich fühle, daß ich die Welt nicht lieben kann, ohne dir zu mißfallen, ohne mir zu schaden und ohne meine Ehre zu verlie­ren; und trotzdem ist die Welt immer noch der Gegenstand meiner Wonne. O mein Gott, wie glücklich ist eine Seele, de­ren Wonne du bist, denn sie kann sich der Liebe zu dir nicht allein ohne Gewissenszweifel, sondern auch noch als einem verdienstvollen Werk hingeben? Wie fest und dauerhaft ist ihr Glück, denn ihre Hoffnung wird nicht getäuscht, sollst du doch niemals untergehen, und weder das Leben noch der Tod sollen sie jemals vom Ziel ihrer Wünsche trennen, und derselbe Augenblick, der die Bösen zusammen mit ihren Göt­zen in ein gemeinsames Verderben stürzen wird, soll die Ge­rechten mit dir in gemeinsamer Herrlichkeit vereinen; und wie die einen zusammen mit den vergänglichen Gegenständen, an die sie ihr Herz gehängt haben, vergehen werden, so sollen die anderen ewiglich in dem ewigen und durch sich selbst beste­henden Wesen bestehen, mit dem sie sich innig vereint haben. Oh? Wie glücklich sind jene, die in voller Freiheit und mit ei­nem unbezwinglichen Hang ihres Willens vollkommen und frei lieben, was zu lieben sie notwendig verpflichtet sind?

VI. Vollende, o mein Gott, die guten Regungen, die du mir eingibst. Sei du ihr Endzweck, wie du ihr Anfang bist. Kröne deine eigenen Gaben; denn ich erkenne ja, daß es deine Gaben sind. Ja, mein Gott; und ganz fern von mir sei der Anspruch, daß meine Gebete ein Verdienst hätten, das dich verpflichtet, sie aus Notwendigkeit zu erhören, und deshalb erkenne ich in aller Demut, da ich den Geschöpfen mein Herz gegeben hatte, das du nur für dich und nicht für die Welt oder für mich selbst geschaffen hast, darf ich nur von deiner Barmherzig­keit irgendeine Gnade erhoffen, weil ich in mir nichts habe, was dich dazu verpflichten kann, und weil alle natürlichen Regungen meines Herzens, die sich den Geschöpfen oder mir selbst zuwenden, dich nur erzürnen können. Darum danke ich dir, mein Gott, für die guten Regungen, die du mir eingibst, und gerade auch für diejenige, die du mir eingibst, dir dafür zu danken.

VII. Rühre mein Herz zur Reue über meine Fehltritte, denn ohne diesen inneren Schmerz wären die äußeren Leiden, mit denen du meinen Leib triffst, für mich eine neue Gelegen­heit zur Sünde. Laß mich gut erkennen, daß die Leiden des Körpers nichts anderes als die Strafe wie auch das Abbild der Leiden der Seele sind. Aber, o Herr, gib ebenso, daß sie deren Heilmittel seien, indem sie mich bei den Schmerzen, die ich fühle, an jenen Schmerz denken lassen, den ich nicht in mei­ner Seele fühlte, obgleich sie ganz krank und mit Schwären bedeckt war. Denn, o Herr, ihre größte Krankheit sind diese Gefühllosigkeit und diese äußerste Schwäche, die ihr jedes Empfinden für ihr eigenes Elend genommen hatten. Gib, daß ich sie lebhaft fühle und daß mein übriges Leben eine unab­lässige Buße sei, um mich von der Schuld reinzuwaschen, die ich auf mich geladen habe.

VIII. O Herr, obgleich mein früheres Leben frei von schlimmen Freveltaten geblieben ist, da du derartige Möglich­keiten von mir ferngehalten hast, war es dir dennoch zutiefst verhaßt wegen seiner fortwährenden Nachlässigkeit, wegen des schlechten Umgangs mit deinen erhabensten Sakramen­ten, wegen der Mißachtung deines Wortes und deiner Einge­bungen, wegen meiner haltlosen und völlig unnützen Taten und Gedanken, wegen meiner gänzlich vergeudeten Zeit, die du mir nur gegeben hattest, um dich anzubeten, um bei allen meinen Beschäftigungen nach den Mitteln zu suchen, dir zu gefallen, und um die Fehltritte abzubüßen, die man alle Tage begeht und die selbst bei den Gerechtesten etwas ganz Ge­wöhnliches sind, so daß ihr Leben eine unablässige Buße sein muß, ohne die sie in Gefahr sind, von ihrer Gerechtigkeit abzufallen. So, mein Gott, bin ich immer gegen dich gewesen.

IX. Ja, o Herr, bis jetzt bin ich immer taub für deine Ein­gebungen gewesen: Ich habe deine Weissagungen mißachtet; ich habe im Gegensatz zu dir geurteilt; ich habe den heiligen Lehren widersprochen, die du aus dem Schoß deines ewigen Vaters in die Welt brachtest und nach denen du die Welt rich­ten wirst. Du sagst: »Selig sind, die hier weinen, und wehe de­nen, die getröstet sind.« Und ich habe gesagt: »Unglücklich sind jene, die seufzen, und überglücklich jene, die getröstet sind.« Ich habe gesagt: »Glücklich jene, die sich eines guten Vermögens, eines rühmlichen Namens und einer kräftigen Gesundheit erfreuen.« Und warum habe ich sie für glücklich gehalten, wenn nicht aus dem einzigen Grund, daß all diese Vorteile ihnen sehr bequeme und zahlreiche Möglichkeiten boten, sich der Geschöpfe zu erfreuen, das heißt dich zu be­leidigen? Ja, o Herr, ich bekenne, daß ich die Gesundheit als ein Gut geachtet habe, nicht etwa, weil sie ein leichtes Mittel ist, um dir mit Nutzen zu dienen, um mehr Sorgen und schlaf­lose Nächte in deinem Dienst und zur Hilfe für den Nächsten auf sich zu nehmen, sondern weil ich von ihr begünstigt mich weniger zurückhalten mußte, wenn ich mich den überreichen Wonnen des Lebens hingeben und dessen unheilvolle Freu­den besser auskosten wollte. Erweise mir die Gnade, o Herr, meine verderbte Vernunft zu bessern und meine Gedanken den deinen nachzubilden. Möge ich mich glücklich schätzen in der Trübsal, und da ich unfähig bin, nach außen zu wir­ken, reinige du meine Gedanken so, daß sie nicht mehr den deinen widerstreben; und möge ich dich darum in meinem Inneren finden, weil ich dich wegen meiner Schwäche nicht außerhalb von mir suchen kann. Denn, o Herr, dein Reich ist in denen, die an dich glauben; und ich werde es in mir selbst finden, wenn ich darin deinen Geist und deine Gedan­ken finde.

X. Aber, o Herr, was soll ich tun, um dich zu bewegen, daß du deinen Geist über diese unselige Erde ausgießt? Alles, was ich bin, ist dir verhaßt, und ich finde in mir nichts, was dir ge­fallen könnte. Ich sehe darin nichts weiter, o Herr, als allein meine Schmerzen, die eine geringe Ähnlichkeit mit den dei­nen haben. Bedenke darum die Übel, die ich erdulde, und jene, die mich bedrohen. Sieh mit barmherzigem Auge auf die Wunden, die deine Hand mir geschlagen hat, o mein Hei­land, der du deine Leiden im Tode geliebt hast? O Gott, der du nur darum Mensch geworden bist, um für das Heil der Menschen mehr als je ein Mensch zu leiden? O Gott, der du nach dem Sündenfall der Menschen nur darum Fleisch gewor­den bist und leibliche Gestalt angenommen hast, um darin alle Leiden zu erdulden, die unsere Sünden verdient haben? O Gott, der du die leidenden Körper so sehr liebst, daß du dir den am schlimmsten von Leiden heimgesuchten Leib er­wählt hast, den es je auf Erden gab? Nimm meinen Körper gütig an, nicht um seiner selbst willen und auch nicht wegen all der Dinge, die er in sich birgt, denn alles darin verdient deinen Zorn, sondern wegen der Übel, die er erträgt und die allein deiner Liebe würdig sein können. Liebe meine Leiden, o Herr, und meine Schmerzen mögen dich auffordern, mich aufzusuchen. Um aber deine Wohnung ganz zu bereiten, gib, o mein Heiland, daß, wenn mein Leib mit dem deinen dies gemeinsam hat, daß er um meiner Verfehlungen willen leidet, auch meine Seele dies mit der deinen gemeinsam habe, daß sie um derselben Verfehlungen willen betrübt sei; und möge ich darum gemeinsam mit dir und wie du an meinem Leib und in meiner Seele um der Sünden willen leiden, die ich began­gen habe.

XI. Erweise mir die Gnade, o Herr, deine Tröstungen mit meinen Leiden zu verbinden, damit ich als Christ leide. Ich bitte nicht darum, von den Schmerzen befreit zu sein, denn das ist der Lohn der Heiligen: Ich bitte aber, den natürlichen Schmerzen nicht ohne die Tröstungen deines Geistes ausge­liefert zu sein; das nämlich ist der Fluch der Juden und der Heiden. Ich bitte nicht um eine Fülle von Tröstungen ohne irgend ein Leid; das nämlich ist das selige Leben. Ich bitte auch nicht um eine Fülle von Übeln ohne Tröstung; das nämlich ist ein Zustand des Judentums. Aber ich bitte darum, o Herr, daß ich beides zugleich empfinde, sowohl die natürlichen Schmer­zen um meiner Sünden willen als auch die Tröstungen deines Geistes um deiner Gnade willen; das nämlich ist der wahre Zustand des Christentums. Möge ich keine Schmerzen ohne Tröstung fühlen; möge ich aber Schmerzen und Tröstung zu­gleich fühlen, damit ich endlich dahin gelange, daß ich nur noch deine Tröstungen ohne allen Schmerz fühle. Denn, o Herr, vor der Ankunft deines eingeborenen Sohnes hast du die Welt ohne Tröstung in den natürlichen Leiden schmach­ten lassen: Durch die Gnade deines eingeborenen Sohnes trö­stest du jetzt deine Gläubigen und linderst ihre Leiden: Und in der Herrlichkeit deines eingeborenen Sohnes erfüllst du deine Heiligen mit einer ganz reinen Seligkeit: Das sind die wunderbaren Stufen, über die du deine Werke emporführst. Du hast mich von der ersten befreit: Laß mich die zweite über­schreiten, damit ich zur dritten gelange. Das, o Herr, ist die Gnade, um die ich dich bitte.

XII. Laß mich nicht so fern von dir sein, daß ich um meiner eigenen Sünden willen deine bis an den Tod betrübte Seeleund deinen vom Tode geschlagenen Leib betrachten könnte, ohne daß ich mich freue, an meinem Leib wie in meiner Seele zu leiden. Denn was ist schimpflicher und gleichwohl alltäg­licher bei den Christen und bei mir selbst, daß, während dein Schweiß wie Blutstropfen wird, um unsere Sünden zu süh­nen, wir ein wonnevolles Leben führen und daß Christen, die sich zu dir bekennen – daß jene, die durch die Taufe der Welt entsagt haben, um dir nachzufolgen, daß jene, die vor dem An­gesicht der Kirche feierlich geschworen haben, mit dir zu leben und zu sterben, daß jene, die sich zu dem Glauben bekennen, daß die Welt dich verfolgt und gekreuzigt hat, daß jene, die glauben, daß du dich dem Zorn Gottes und der Grausamkeit der Menschen ausgeliefert hast, um sie von ihren Sünden zu er­lösen, daß jene, sage ich, die an alle diese Wahrheiten glauben, die deinen Leib als das Opfer betrachten, das sich für ihr Heil hingegeben hat, die als die einzige Ursache deiner Leiden die Freuden und die Sünden der Welt und die Welt selbst als dei­nen Henker ansehen -, danach trachten, ihrem Leib mit den­selben Freuden inmitten derselben Welt zu schmeicheln; und daß jene, die es nicht ansehen könnten, ohne vor Entsetzen zu erzittern, wie jemand den Mörder seines Vaters umschmeichelt und innig liebt, während sein Vater sich aufgeopfert hätte, um ihm das Leben zu geben, daß jene so leben könnten, wie ich es getan habe, voller Freuden mitten in der Welt, von der ich weiß, daß sie der wahre Mörder desjenigen gewesen ist, den ich als meinen Gott und meinen Vater anerkenne, der sich für mein eigenes Heil aufopferte und in seiner Person die Strafe für meine Missetaten trug? Es ist gerecht, o Herr, daß du eine so sündhafte Freude wie jene gestört hast, von der umfangen ich im Schatten des Todes ruhte.

XIII. Nimm denn von mir, o Herr, die Betrübnis, die mir die Eigenliebe über meine Leiden und über die weltlichen Dinge eingeben könnte, die nicht so geraten, wie meine Her­zensneigungen es wünschen, und die nichts mit deiner Herr­lichkeit zu tun haben; erfülle mich aber mit einer Betrübnis, die der deinen gleicht. Mögen meine Leiden dazu dienen, dei­nen Zorn zu besänftigen. Mache aus ihnen einen Anlaß, mein Heil und meine Bekehrung herbeizuführen. Möge ich fortan Gesundheit und Leben nur wünschen, um es für dich, mit dir und in dir zu gebrauchen und zu beenden. Ich bitte dich weder um Gesundheit noch um Krankheit, weder um das Leben noch um den Tod, sondern darum, daß du über meine Gesundheit und meine Krankheit, über mein Leben und meinen Tod zu deiner Ehre, zu meinem Heil und zum Besten der Kirche und deiner Heiligen verfügst, deren Teil zu werden ich von deiner Gnade erhoffe. Du allein weißt, was zweckmäßig für mich ist: Du bist der allmächtige Herr, tue nach deinem Willen. Gib mir, nimm mir; aber bilde meinen Willen dem deinen nach; und möge ich mich in demütiger und vollkommener Unter­werfung und mit heiligem Vertrauen bereitmachen, die Anord­nungen deiner ewigen Vorsehung anzunehmen, und möge ich alles gleichermaßen anbeten, was mir von dir kommt.

XIV. Gib, mein Gott, daß ich mit immer gleichbleibender Seelenruhe alle Arten von Geschehnissen hinnehme, denn wir wissen nicht, worum wir bitten sollen, und ich kann ohne Anmaßung das eine nicht mehr als das andere wünschen, ohne daß ich mich zum Richter und zum Verantwortlichen für die Folgen mache, die deine Weisheit mir ja gerade verbergen wollte. O Herr, ich weiß, daß ich nur eines weiß: daß es gut ist, dir nachzufolgen, und daß es schlecht ist, sich an dir zu ver­sündigen. Hierauf weiß ich nicht, welche Sache die beste oder die schlimmste bei allem ist. Ich weiß nicht, was mir nützlich ist, Gesundheit oder Krankheit, Vermögen oder Armut oder auch alles andere auf Erden. Das zu unterscheiden geht über die Kraft der Menschen und der Engel hinaus und ist in den Geheimnissen deiner Vorsehung verborgen, die ich anbete und die ich nicht ergründen will.

XV. Gib denn, o Herr, daß ich, wie ich auch sein mag, mich nach deinem Willen richte und daß ich, krank wie ich bin, dich in meinen Leiden verherrliche. Ohne sie kann ich nicht die Herrlichkeit erlangen; und du selbst, mein Heiland, woll­test nur durch Leiden zur Herrlichkeit eingehen. An deinen Leidensmalen wurdest du von deinen Jüngern erkannt; und an den Leiden erkennst auch du jene, die deine Jünger sind. Erkenne mich darum als deinen Jünger in den Leiden, die ich an meinem Leib wie in meiner Seele wegen der Sünden er­trage, die ich begangen habe. Und da Gott nichts angenehm ist, wenn es ihm nicht von dir dargebracht wird, so vereine meinen Willen mit dem deinen und meine Schmerzen mit je­nen, die du erlitten hast. Gib, daß meine Schmerzen die dei­nen werden. Vereine mich mit dir; erfülle mich mit dir und deinem Heiligen Geist. Geh ein in mein Herz und in meine Seele, um darin meine Leiden zu tragen und um weiter in mir zu erdulden, was noch von deinem Leidensweg vor dir liegt, den du in deinen Gliedern bis zur höchsten Vollendung dei­nes Leibes abschließt; damit, wenn ich ganz erfüllt von dir bin, ich nicht mehr als ich selbst lebe und leide, vielmehr du in mir lebst und leidest, o mein Heiland: und damit, wenn ich also einen kleinen Anteil an deinen Leiden habe, du mich ganz mit der Herrlichkeit erfüllst, die sie dir gewonnen haben, mit der Herrlichkeit, in der du mit dem Vater und dem Heiligen Geist von Ewigkeit zu Ewigkeit lebst. So sei es.

Quelle: Blaise Pascal, Kleine Schriften zur Religion und Philosophie, übersetzt von Ulrich Kunzmann, Hamburg: Felix Meiner, 2005, S. 351-364.

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