Jürgen Roloff, Biblisches Heilsverständnis: „Die Erwartung von Heil artikuliert sich durchweg im Horizont erfahrener Heillosigkeit. Ihre konkreten Inhalte sind deshalb weithin die positiven Korrelate von als bedrückend empfundener Lebensminderung, Gefährdung und Entfremdung. Heil wird zuteil, indem solche Negativität durch die Gewährung von Ganzheit, Unversehrtheit und Gesundheit von Leben und Zuständen überwunden wird, wobei die Heilsaneignung nicht nur die Form konkreter Erfahrung, sondern auch die der auf Gottes Zusage (Verheißung) sich gründenden Hoffnung haben kann.“

Biblisches Heilsverständnis

Von Jürgen Roloff

1. Allgemein

Heil soll hier als theologischer Universalbegriff verstanden werden, der übergreifend alles zusammenfaßt, was nach biblischem Glauben durch Gott geschieht, um Menschen und Welt zu seinem Sein zu bringen, das ihrer eigentlichen Bestimmung uneingeschränkt entspricht. Die Erwartung von Heil artikuliert sich durchweg im Horizont erfahrener Heillosigkeit. Ihre konkreten Inhalte sind deshalb weithin die positiven Korrelate von als bedrückend empfundener Lebensminderung, Gefährdung und Entfremdung. Heil wird zuteil, indem solche Negativität durch die Gewährung von Ganzheit, Unversehrtheit und Gesundheit von Leben und Zuständen überwunden wird, wobei die Heilsaneignung nicht nur die Form konkreter Erfahrung, sondern auch die der auf Gottes Zusage (Verheißung) sich gründenden Hoffnung haben kann.

2. Altes Testament

Im Alten Testament sind die beiden prototypischen, für den Jahweglauben Israels konstitutiven Heilserfahrungen der Exodus, die Herausführung aus der Knechtschaft in Ägypten (z.B. Ex 1,8ff; 14f; 20,2), sowie die Gabe des Landes als Heilsraum (Gen 12,1–3; Dtn 26,1ff). Sie bilden den Horizont für die Setzungen, durch die sich für Israel die bleibende Gegenwart des Heils manifestiert: Bund, Gesetz und Kult. Diese Gegenwart beruht zwar auf Gottes unverbrüchlicher Zusage, wirkt jedoch nicht mechanisch: Durch Ungehorsam gegenüber Gottes Willen kann das Volk zumindest zeitweilig und partiell aus der Heilssphäre herausfallen. In diesem Sinne wenden sich die vorexilischen Propheten mit ihrer Unheilsverkündigung gegen eine verflachte Heilserwartung (z.B. Am 5,18ff, Mi 3,11ff) und rufen zur Umkehr als der bewußten verhaltensmäßigen Entsprechung zu Gottes Heilssetzungen Zu einer Verdichtung der Heilsankündigung kommt es auf dem Hintergrund der Unheilserfahrung der Exilszeit. Deren große Themen sind zunächst, wie alle älteren Heilserwartungen Israels, innerweltlich: Rückführung Israels in das Verheißungsland, Erneuerung Jerusalems, Wiederaufbau des Tempels. Zugleich aber transzendieren sie den Rahmen des innerweltlich Realisierbaren hin auf die Erwartung einer von Gottes wunderbarem Handeln ganz bestimmten heilvollen Zukunft (z.B. Ez 37,1ff; 4 ff; Jes 54,9ff; 60). Diese Tendenz verstärkt sich später in der Apokalyptik, die den Geschichtsverlauf als von Gott geordneten Prozeß versteht, der auf ein Ende hinführt, jenseits dessen sich Heil in Gestalt eines neuen, endzeitlichen Schöpfungshandelns Gottes manifestieren wird (z.B. Jes 24–27; Dan 7,27; 12,1–3). Daneben gewinnt in der nachexilischen Literatur, v.a. in den Psalmen und der Weisheitsliteratur, die Hoffnung auf individuelles Heil, deren Basis die durch Gesetz und Kult vermittelte persönliche Gottesgemeinschaft ist, an Gewicht, wobei einzelne Spitzenaussagen (Ps 16,9f; 73,24) über die Todesgrenze hinaus vorzustoßen scheinen.

3. Neues Testament

Das Neue Testament kennt neben dem relativ weiten, erst durch seinen jeweiligen Kontext inhaltlich genauer bestimmbaren Begriff Heil (σωτηρία) eine Reihe von das Heilsgeschehen in bestimmten Bezügen entfaltenden Begriffen wie Reich Gottes (Synoptiker), Leben (Johannes), Gerechtigkeit, Freiheit, Versöhnung (Paulus). Die inhaltliche Struktur des nt.lichen Heilsverständnisses ist vorwiegend durch die folgenden Momente bestimmt:

3.1. Bindung an Jesus. Vorösterlich kündigte Jesus die Nähe des Reiches Gottes an, indem er sie in seiner Botschaft und seinem Verhalten verantwortete und manifest werden ließ. Indem Menschen in der Begegnung mit ihm dem Gott Israels Recht gaben, wurde ihnen Heil zuteil (Mk 10,52; Lk 7,50). Nachösterlich wird das Heil gebunden an Kreuz und Auferweckung Jesu als jene Ereignisse, in denen sich das dienende Dasein Jesu zum Heil der Menschen erfüllte und in denen Gott sich zu ihm stellte und ihm endgültig Recht gab. Heil wird nun ausschließlich dadurch zuteil, daß Jesus verkündigt wird als der, an dem Gott heilvoll gehandelt hat, und daß Menschen durch das Wort der Verkündigung Anteil an diesem Handeln Gottes bekommen. In diesem Sinn wird der Name Jesu Inbegriff des Heils (Mt 1,21; Act 4,12).

3.2. Machtcharakter und Theozentrik. Heil wird verstanden als das Ergebnis eines auf seine geschichtliche Selbstdurchsetzung zielenden Wirkens Gottes Gott nimmt das in Besitz, was ihm als dem Schöpfer gehört, indem er die ihm feindlichen Mächte entmachtet. So ist Jesu Wirken als Kampf gegen den Menschen beanspruchende dämonische Gewalten (Lk 11,20) und die Unterstellung unter das Reich Gottes als Befreiung von diesen (Mk 10,26) dargestellt. Das christologische Kerygma deutet das Kreuz Jesu als das Geschehen, in dem Jesus stellvertretend den Sieg über die Unheilsmächte Gesetz, Sünde und Tod errungen und damit die ihm zugehörigen Menschen aus deren Gewalt befreit hat (Gal 2,20; 5,1). Seine eigentliche Spitze liegt jedoch in den Aussagen über die Versöhnung (Röm 5,10; 2 Kor 5,17), d.h. die Herstellung voller Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch. In dieser unmittelbaren Zuordnung von Befreiung und Versöhnung kommt der theozentrische Bezug des durch Christus vermittelten Heils zum Ausdruck.

3.3. Leiblichkeit. Neutestamentliches Heilsverständnis erweist seine Verwurzelung im Alten Testament darin, daß es durchweg eine leibliche Komponente hat. So sind die Heilungswunder Jesu Zeichen dafür, daß Gott den ganzen Menschen und die ganze Schöpfung heilmachen will. Das zukünftige endzeitliche Heil wird als leibliche Auferstehung und, darüber hinaus, als neues, das erste überbietendes Schöpfungshandeln Gottes verstanden (Apk 21,1). Hier liegt der wesentliche Differenzpunkt zwischen dem NT und den platonisierenden Strömungen des Hellenismus wie auch v.a. der Gnosis, die Heil nur spirituell, d.h. als Befreiung aus den Bereichen von Schöpfung und Materie, denken konnten.

3.4. Spannung zwischen Gegenwärtigkeit und Zukünftigkeit. Die Vollendung des Heils als Gemeinschaft mit Gott und Christus in neuer Leiblichkeit ist der eschatologischen Zukunft vorbehalten und jetzt nur Gegenstand der Hoffnung (Röm 8,24), die allerdings in der bereits erfolgten Verwirklichung des Heilsgeschehens in Tod und Auferweckung Jesu Christi ihren festen Grund hat. Als die Heilsbotschaft Hörende und mit Christus Verbundene erfahren die Glaubenden darüber hinaus schon in der Gegenwart das Heil als ihre Existenz bestimmende Wirklichkeit: Sie sind mit Gott versöhnt (Röm 5,1) und frei von der Herrschaft der widergöttlichen Mächte, so daß sie bereits jetzt zu einem neuen, dem Heil gemäßen Verhalten fähig sind (Gal 5,1.16). Bes. nachdrücklich betont das Joh im Zuge seiner präsentischen Eschatologie die Gegenwärtigkeit des Heils für die mit Christus Verbundenen, doch auch hier wird die grundlegende Spannung zwischen dem Schon und dem Noch-Nicht durchgehalten.

3.5. Ekklesiologischer Bezug. Wie im Alten Testament Israel, so ist im Neuen Testament die Kirche der primäre Raum gegenwärtiger Heilserfahrung und Heilshoffnung. Das kommt v.a. in den Aussagen über Taufe und Abendmahl zum Ausdruck. So ist die Taufe Eingliederung in den Christus unterstellten, vom Heiligen Geist durchwalteten Bereich, in dem die heilvolle Wirklichkeit der end zeitlichen Schöpfung Gottes bereits jetzt in einem neuen menschlichen Miteinander zeichenhaft sichtbar werden kann (Gal 3,28), und durch die Gemeinschaft am Tisch des Herrn gewinnt die Kirche jeweils neu ihre von Christus bestimmte Lebensgestalt.

Lit.: Wagner, W.: Über ΣΩTHPIA und seine Derivata im Neuen Testament, ZNW 6 (1905) 205–235 – Lyonnet, S.: De vocabulario redemptionis, Rom 1960 – Becker, J.: Das Heil Gottes, Göttingen 1964 – Fohrer, G./Foerster, W.: ThWNT Bd. 7 (1964) 966–1024 – Boice, J.M.: Perspectives on Biblical Salvation, RelLife 36 (1967) 181–190 – Giblin, Ch.H.: In Hope of God’s Glory, New York 1970 – Larsson, E.: Frälsningen i bibliskt perspektiv, NTM 26 (1972) 143–168 – Lohfink, N.: Heil als Befreiung in Israel: Erlösung und Emanzipation, Freiburg 1973, 30–55 – Gross, H.: Die Entwicklung der alttestamentlichen Heilshoffnung. Eschatologie im Alten Testament, Darmstadt 1978 – Stuhlmacher, P.: Versöhnung, Gesetz und Gerechtigkeit, Göttingen 1981.

EKL3, Bd. 2/4 (1988) Sp. 413-416.

Hier der Text als pdf.

Hinterlasse einen Kommentar