Von Werner H. Schmidt
I. Der Sprecher als Geschöpf
»Ich danke dir, daß ich so wunderbar bereitet bin« kann der Beter (Ps 139,14) sprechen. Das Psalmenwort schließt – über ein Einzelgeschehnis, wie Bewahrung in der Not, hinaus — das Dasein insgesamt ein, dankt mit der Geburt für das eigene Leben, tritt ihm deutend gegenüber und bezieht es in die Anrede ein. Trägt die Aussage nicht etwas vom Charakter eines Bekenntnisses in sich, obwohl es sich üblicherweise nicht an Gott wendet, sondern in dritter Person von ihm redet? Ein solches Bekenntnis »erklärt« im engeren Sinne nichts, fügt dem Wissen um die eigene Entstehung keine Einzelheit hinzu, läßt vielmehr das Leben insgesamt in anderem Licht oder vor anderem Horizont erscheinen, bezeugt so ein anderes Selbst- und Weltverständnis. Dabei enthält eine solche Äußerung auch ein Vertrauenselement (Ps 22,10f.):
»Von Mutterleib an bist du mein Gott.«
Der Mensch findet sich im Leben vor, braucht sich durch sein Handeln nicht zu »begründen«, verdankt sich nicht sich selbst. Das ihm vor-gegebene Dasein versteht der Glaubende als »gegeben« — einschließlich der Sinne:
Gott hat »das Ohr gepflanzt, das Auge gebildet« (Ps 94,9).
»Das hörende Ohr und das sehende Auge –
der Herr hat sie alle beide gemacht.« (Spr 20,12)
Selbst das tiefe, allen menschlichen Blicken entzogene Innere bleibt, wie es — unter Aufnahme mythischer Vorstellungen von der Mutter [148] Erde (wie Hi l,21) — in bildhafter Veranschaulichung heißt, Gott nichtverborgen (Ps 139,15f.):
»Mein Gebein war dir nicht verborgen,
als ich im Geheimen gemacht wurde,
gewirkt in den Tiefen der Erde.
Meinen (noch) ungestalteten Leib (Golem, d.h. Embryo)
sahen deine Augen.«
So wird Gottes wachsame Gegenwart schon in der Zeit vor der Geburt(Ps 51; Hos 12,4; Jer 1,5; Gal 1,15 u.a.) ausgesagt. Der scheinbar »natürliche« Vorgang wird nicht wie selbstverständlich hingenommen, vielmehr vom Glauben anders wahrgenommen (Ps 22,10):
»Ja, du bist es, der mich zog aus dem Mutterschoß,
mich barg an der Brust der Mutter.«
2. Der Mensch als Geschöpf
Als Geschöpf ist der Mensch nicht allein. Der Glaubende geriete in einen Selbst-Widerspruch, wenn er sich als Geschöpf versteht, andere aber ausschlösse. So impliziert das Selbstverständnis als Geschöpf ein Allgemeinurteil; insofern »muß« das Bekenntnis zum Schöpfer über andere, letztlich alle mit-urteilen.
Demnach ergeben sich aus eigenen Glaubenseinsichten Folgen für andere oder — grundsätzlich — alle. Etwa aus der Speisung durch Manna erwächst die Einsicht: »Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.« (Dtn 8,3; vgl. Spr 16,9; 20,24 u.v.a.)
Umgekehrt stellt das Alte Testament seine eigenen, für die Bildung und Gestaltung seines Glaubens grundlegenden Überlieferungen in diesen kosmisch-universalen, Welt und Geschichte umgreifenden Rahmen, in die Aussagen über Gott als Schöpfer, die Welt als Schöpfung und den Menschen als Geschöpf mit seiner besonderen Würde. Der so bezeugte, eine gemeinsame Ursprung der Menschheit ist den verschiedenen Kulturen keineswegs selbstverständlich. [149]
Schon das Bekenntnis zum Schöpfer mit dem Verständnis des Menschen als Geschöpf, erst recht das Verständnis dieses Geschöpfs als Bild Gottes, impliziert Wahrheitserkenntnis übergreifend auch über andere — unabhängig von deren Anerkennung, spricht ihnen etwas zu. Für den Glaubenden sind alle Menschen, selbst wenn sie sich anders sehen und verstehen, in derselben Weise Gottes Geschöpfe und Gottes Ebenbild. Als Geschöpf ist der Mensch in die Schöpfung einbezogen, gehört zur Kreatur. Darum deckt die Unterscheidung von Schöpfer und Geschöpf bzw. Schöpfung zugleich Gemeinsamkeiten auf — innerhalb der Menschheit (unabhängig von Geschlecht, Volkszugehörigkeit, sozialer Stellung oder Alter), darüber hinaus mit den Lebewesen, den »Mitgeschöpfen«, den Pflanzen und dem Kosmos.
Dieser Zusammenhang kommt in einigen Texten auch zum Ausdruck. So ist der Mensch nach Gen 1 innerhalb der Folge der Werke mit den Landtieren an einem Tag geschaffen. Zumal Ps 104 besingt die Vielfalt der Schöpfungswerke; im Wissen um das Eingefügt-Sein des Menschen in die Schöpfung wird die Besonderheit dieses Geschöpfs allerdings nicht verkannt, wie schon der Rahmen mit der Aufforderung an das eigene Ich zeigt: »Lobe den Herrn, meine Seele!«
Gehört der Mensch, zunächst allgemein — mit einem in der hebräischen Bibel noch nicht begegnenden Begriff — gefragt, nicht zur »Natur« und steht ihr zugleich mit einem Stück Abstand oder Freiheit gegenüber? Zwar ist der Mensch in einen umfassenden Zusammenhang eingegliedert, wie die Gestirne, die Pflanzen und zumal die Tiere in die Kreatur einbezogen, ein Geschöpf unter anderen, insofern ein »Stück Natur« (Gen 2,7: »aus Staub vom Erdboden«), andererseits vor allen Mitgeschöpfen ausgezeichnet. Darum ist er nach biblischer Einsicht als »Nur-Natur-Wesen« nicht ausreichend verstanden, keineswegs nur aus dem einem Natur- und Lebenszusammenhang heraus zu begreifen. Ist der Mensch wohl »in«, aber nicht nur »von« der Natur her oder »aus« ihr zu verstehen? In der Zugehörigkeit zur Schöpfung und der tiefen Verbundenheit mit ihr wird der Mensch als Geschöpf von der übrigen [150] Schöpfung wiederum unterschieden. Die Bergpredigt (Mt 6,26.30) fragt im Vergleich mit Mitgeschöpfen, den Vögeln des Himmels wie dem Gras des Feldes: »Seid ihr nicht viel mehr wert als sie?«
Ist der Mensch nicht das Wesen, das um seine Vergänglichkeit weiß (Hi 14; Koh 3)? Ja, er kann um diese Einsicht bitten (Ps 90,12; 39,5) und die begrenzte als ihm gewährte Lebenszeit annehmen. Er »gedenkt« und »hofft«, richtet sich aus — letztlich über das Vor-Augen-Liegende hinaus (Ps 42): »Wie der Hirsch nach frischem Wasser … so lechzt meine Seele nach dir, Gott.« Der Mensch fragt in allgemeiner Form nach sich selbst: »Was ist der Mensch?« und kann dabei doch Gott anreden (Ps 8,6): »daß du seiner gedenkst?«
Die Frage deutet bereits die Besonderheit im »Gegenüber« an. Der Ort des Geschöpfs Mensch in der Schöpfung wird bestimmt als »Zwischen« — zwischen Schöpfer und Schöpfung. So enthält die Rede vom Schöpfer eine Verhältnisbestimmung: Der Mensch erkennt sich als Geschöpf unter und vor dem Schöpfer innerhalb der Schöpfung (Ps 8,7): »Du setztest ihn zum Herrscher über das Werk deiner Hände.«
Nach der zweiten Schöpfungserzählung ist der Mensch zwar aus »Staub«, zu dem er »zurückkehrt« (Gen 3,19), empfängt aber auch Gottes »Hauch« und bekommt die Aufgabe, »zu bebauen und zu bewahren« (2,15), Namen zu geben (2,19) und erhält darüber hinaus nach Gen 1 mit dem ihm zugesprochenen Würdetitel »Bild Gottes« den Auftrag, in Gottes Schöpfung zu »herrschen«. So kennen beide Schöpfungsgeschichten nicht nur Abhängigkeit, sondern eine von Gott beabsichtigte, gewährte oder gar herbeigeführte Mitwirkung des Menschen, die ihm eine eigene Zuständigkeit einräumt und ihn ein Stück weit am Werk des Schöpfers teilhaben läßt.
3. Natur und Schöpfung
Sind Natur und Gottes Schöpfung schlicht gleichzusetzen? Beide Schöpfungsgeschichten unterscheiden zwischen Schöpfung und Realität, zwischen der von Gott geschaffenen und der vorfindlichen Welt. [151] Das Urteil »sehr gut« über die Schöpfung (Gen 1,31), das den Menschen nur implizit oder indirekt einbezieht, gilt nicht der vorliegenden Wirklichkeit, die »Furcht und Schrecken« (9,2) kennt. Darin verbirgt sich die Frage: Entspricht »Gewalt« (6,11), allgemeiner: Unrecht und Leid, dem Willen des Schöpfers?
Angesichts der Zwiespältigkeit der Welt und des Daseins gibt das Urteil »alles sehr gut« eine nicht ohne weiteres zugängliche Erfahrung wieder. Der »Grund« erscheint verdeckt, Schöpfung nur gebrochen wahrnehmbar. Läßt sich in der Welt, wie sie ist, nur gestörte — insofern zugleich verborgene, nicht aber verloren gegangene — Schöpfung erfahren?
Die vor Augen liegende Wirklichkeit kann Gott so nicht recht oder »gut« sein, ist nicht ohne weiteres schöpfungsgemäß. Diese Unterscheidung zwischen Schöpfung und gegenwärtigem Zustand trägt zwei Aspekte in sich. Einerseits wird so das Bestehende einschließlich der Beschwernisse und Nöte keineswegs gebilligt, legitimiert oder gar glorifiziert; im Preis von Gottes »Herrlichkeit« (Jes 6,3; Ps 72,19 u.a.) wird das Böse, wie zumal prophetische Kritik zeigt, nicht übersehen. Andererseits enthält jene Unterscheidung einen Widerspruch zum Leid, läßt Raum für Hoffnung offen; aus der Spannung kann die Erwartung einer gewaltfreien, friedlichen Welt ohne Blutvergießen erwachsen Ges 2,4; 11,6ff.; 65,17ff. u.a.).
Strecken sich die Geschöpfe, wie der Psalmist (Ps 104,27; 145,15) einfühlsam urteilt, nach dem Schöpfer aus: »Sie alle warten / hoffen auf dich«, so greift Paulus (Röm 8,19ff.) weit darüber hinaus, spricht vom leidvollen »Warten« der Schöpfung — in der Hoffnung auf Befreiung.
Biblische Schöpfungsaussagen beziehen sich auf dieselben oder entsprechende Phänomene, die wir als Natur bezeichnen — aber durch das Bekenntnis und den Blick des Glaubens gleichsam »gebrochen«, anders »gewertet«. Wieweit ist darum nicht eigentlich die Natur, sondern Gottes Schöpfung oder — angemessener formuliert — die Natur als Schöp-[152]fung, als »Werk deiner Hände« (Ps 8), gleichnisfähig für Gottes Handeln (etwa Ps 103,11ff.; Jes 55,9ff.)? Setzt die Gleichnisfähigkeit der Natur nicht eine Auswahl aus ihren Erscheinungen voraus, werden nicht die Bereiche der Zerstörung ausgeklammert, so daß wiederum eine Differenz zur vorliegenden Wirklichkeit erspürt und ausgesprochen ist?
Die Werke der Schöpfung können den Schöpfer loben, und er kann sich in seinen Werken bezeugen: »Die Himmel erzählen die Ehre Gottes.« (Ps 19,2; vgl. 145; Hi 12,7ff. u.a.) Wieweit oder und unter welchen Umständen kann der Mensch die Botschaft, die weltweit klingende Stimme »ohne Worte« (Ps 19,4f.), hören, die Sprache verstehen?
Die Bestimmung als »Schöpfung« enthält — anders als »Natur« oder »Welt und Umwelt« — die Unterscheidung zwischen Schöpfer und Schöpfung bzw. Geschöpf. Trifft das Bilderverbot, nach dem es »weder im Himmel noch auf Erden« etwas Gott Vergleichbares gibt (Ex 20,4; Dtn 4,15ff.; auch Jes 40,18.25 u.a.), nicht eine ähnlich »grundsätzliche« Unterscheidung?
4. Ethische Folgerungen
Mit der Freiheit zur Gestaltung übernimmt der Mensch auch Verantwortung wie an explizit getroffenen Aussagen exemplarisch andeutet sei. Aus der Einsicht, daß im anderen — bei allen Unterschieden (Spr 22,2) — der Schöpfer begegnet, ergeben sich ethische Folgerungen. Im zwischenmenschlichen Verhalten ist Gottesbezug verborgen; diese geheimnisvolle Anwesenheit Gottes verpflichtet zur Solidarität mit den Hilfsbedürftigen:
»Wer den Geringen bedrückt, schmäht dessen Schöpfer.« (Spr 14,31; vgl. 17,5; 23,10f.; auch Mal 2,10; Gen 9,6 u.a.)
Dabei übergreift der Verantwortungsbereich den zwischenmenschlichen Raum, so daß auch die Mitgeschöpfe einbezogen werden können (Spr 12,10): »Der Gerechte hat Verständnis für die Seele (das Ver-[153]langen) seines Viehs.« Einmal in der Woche, am Feier- oder Ruhetag gilt es, von der Arbeit Abstand zu nehmen, auf eigenen Nutzen zu verzichten — einschließlich der Verfügung über Mitgeschöpfe; auch hier werden die Haustiere (Dtn 5,14) mitbedacht. So kann der Mensch der Begrenzung eigenen Handelns innewerden, sie zeichenhaft anerkennen, gleichsam in die Ruhe des Schöpfers (Gen 2,2f.) einstimmen und »gedenken« (Ex 20,8.11).
5. Heilvolles und Beschwerliches — Leben und Tod
Wie selbstverständlich ist dem Alten Testament das Wirken des Schöpfers »von vornherein« nicht ohne Bezug zur Geschichte und heilvoll. Dabei wird nicht davon ausgegangen, daß in der Natur das Heil enthalten ist, und es wird nicht von der Natur auf das Heil »geschlossen«. Begreifen nicht bereits die Überlieferungen der Rettung und Bewahrung ein Bekenntnis zu Gottes Macht über die Natur (wie das Meer Ex 14f. oder das Manna Ex 16) ein?
Darum wird eher von Erfahrungen in der Geschichte her, von der Gewißheit der Identität von Schöpfer und Rettergott, die Natur bzw. die mehrdeutige oder gar in sich zwiespältige Welt als Schöpfung verstanden.
So ist im Schöpferglauben ein Element des Heilsglaubens enthalten Ges 45,18): »Nicht zur Leere, zum Wohnen« hat er die Erde »geschaffen«. ja, nach den Schöpfungserzählungen geht Gottes Fürsorge menschlicher Sorge voraus; Gott urteilt (Gen 2,18): »Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei«, bevor der Mensch selbst die Einsamkeit spürt.
Wie in Martin Luthers Auslegung unter Aufnahme von Psalmensprache im Kleinem Katechismus können Schöpfung und Erhaltung als Vergangenheit und Gegenwart: »Ich glaube, daß mich Gott geschaffen hat … und noch erhält« unterschieden werden, gehören aber, schon von der Intention der Schöpfung her, zusammen (Gen 8,21 f.; Ps 104 u.a.). [154]
Allerdings behalten die Zeugnisse einen ernsten Hintergrund. Gelegentlich können sie ausdrücklich die Erschaffung von Nachteiligem oder Behinderungen in Gottes Werk einbeziehen (Ex 4,11): »Wer hat dem Menschen den Mund gemacht, oder wer macht ihn stumm oder taub oder sehend oder blind?« Begegnet er nicht auch in dem »Bösen«, das er »anzunehmen« bereit ist (Hi 2,10; vgl. 1,21), Gott?
Vielfältig bezeugt das Alte Testament, daß der Mensch Böses und Gutes, Heilvolles und Beschwerliches aus einer Hand empfängt. Bildhaft wird diese Einsicht am Aufwachsen und Verwelken der Rizinusstaude (Jon 4,6-8) dargestellt. Solche Aussagen enthalten — über die Komplementarität hinaus — in der Umkehrung der natürlichen Folge zugleich eine Richtung; die Abfolge der Verben gibt eine Intention wieder: »Er tötet und macht lebendig« (1 Sam 2,6£ u.a.). Wie der Schöpfer »den Geist des Menschen in seinem Inneren gestaltet« (Sach 12,1), so kann er den belebenden Hauch entziehen; mit Absicht sind die beiden Vorgänge, Leben gewinnen und verlieren (Ps 104,29f.), wieder vertauscht, um den Schwerpunkt anzuzeigen.
Eine die Gegensätze übergreifende Prädikation (Jes 45,7) nennt Gott: der »Licht und Finsternis« bildet, »Heil und Unheil« wirkt. Selbst der Tod ist Gottes Werk: »Du läßt die Menschen sterben.« (Ps 90 u.a.) Das Geschöpf macht die Erfahrung der Begrenztheit und bekennt (Ps 103,14) sie in Gott aufgehoben:
»Er weiß, was für ein Gebilde (Geschöpf) wir sind,
er denkt daran, daß wir nur Staub sind.«
6. Das Bekenntnis zum Schöpfer in einer Vielfalt von Vorstellungen
Weil »Schöpfung« (a) im Unterschied zu geschichtlich-partikularem Bekenntnis ein Element allgemeiner Erfahrung enthält oder — vorsichtiger formuliert — ihr entsprechen möchte und (b) Schöpfungsaussage weitaus mehr als andere biblische Texte altorientalische Überlieferungen aufnehmen oder mit Aussagen anderer Religionen übereinstimmen, können sie als »Menschheitstraditionen« erscheinen. [155]
Die Aufnahme von Schöpfungsvorstellungen aus der altorientalischen Umwelt ist allerdings ein kritischer Prozeß, in dem sich Abgrenzung und Umgestaltung des Übernommenen verbergen. Das Alte Testament übt Zurückhaltung oder hat gewisse Vorbehalte gegenüber bestimmten mythischen Erzählungen. Vorstellungen, wie Göttergeburt und -tod oder die Bildung des Menschen aus Erde und Götterblut, sind ausgeschlossen; andere, wie der Meeres- und Drachenkampf (Ps 74,13ff.; 77,17ff.; 89,10ff.; Jes 51,9f. u.a.), sind weithin auf poetische, insofern mehr bildhaft-anschauliche Darstellungen eingeschränkt. Eine Bemerkung verrät wie nebenbei die Freiheit im Umgang mit der Überlieferung (Ps 104,26): Gott hat Leviathan gebildet »zum Spielen«.
Mythenkritischen Züge finden sich zumal in Gen 1, etwa in der Entpersonifizierung der Chaosmacht oder dem Verständnis der Gestirne als Leuchtkörper statt als göttlicher, menschliches Schicksal bestimmender Mächte. Außerdem gelten Kulturgüter oder — handwerklich-künstlerische — Berufe nicht durch numinose Wesen begründet, deren Taten nachvollzogen werden, sondern als Erfindungen von Menschen (Gen 4,17.20ff. u.a.).
Über das Neben- und Miteinander der Erzählungen von Gen 1 und 2 hinaus, die sich zwar nicht in der Intention, wohl aber im Aufbau und in Motiven widersprechen, finden sich höchst verschiedenartige Aussagen. Überhaupt sind die Vorstellungen von der Schöpfung so vielfältig, daß sie sich nicht zu einem die verschiedene Elemente umgreifenden, einheitlichen, in sich stimmigen Gesamtbild zusammenfügen lassen. Gibt es überhaupt ein allen Zeugnissen aus unterschiedlichen Zeiten gemeinsames, einziges »Weltbild«?
Die Vielgestaltigkeit der Darstellungen bewahrt und betont einerseits wechselnde, im vorliegenden Rahmen auch sich ergänzende Aspekte, erlaubt andererseits wohl die Folgerung: Die Vorstellungen über das »Wie« sind nicht entscheidend, können ein Stück weit freigegeben werden. So ist das Bekenntnis zum Schöpfer nicht an bestimmte Vorstellungen gebunden. [156]
Ein eigenes, Gott vorbehaltenes Verb »schaffen« (bara’ Gen 1,1 u.a.), das keinen Stoff mehr nennt, aus dem geschaffen ist, kann Gottes freies, unvergleichliches Wirken aussagen. Da es ohne Analogie menschlichen Handelns (etwa des Handwerkers) bleibt, mithin der Anschauung entbehrt, kann es gar auf Vorstellungen verzichten. Wird so nicht ansatzweise zwischen der Gottesaussage und dem »Wie« der Entstehung, die Welterklärung, unterschieden?
Ähnlich unvorstellbar, gerade im Vergleich mit menschlichem Reden, ist in seinem Vermögen Gottes Wort, das die Dinge ins Dasein ruft (Ps 33,9; vgl. Röm 4,17): »Wenn er spricht, so geschieht’s; wenn er gebietet, so steht’s da.« Das Wort des Schöpfers, das das Licht aufscheinen läßt (Gen 1,3; 2 Kor 4,6) oder der Erde die Kraft verleiht, die Vegetation hervorzubringen: »Gott sprach«, wird nach Erschaffung des Menschen bei ihm zur persönlichen Zuwendung, zur »An-Rede«, die sich an den Empfänger richtet (Gen 1,28f.): »Gott sprach zu«. So läuft Schöpfung, die selbst als Zeitablauf dargestellt wird, auf Geschichte zu, in der das Wort ergeht.
7. Neu-Schöpfung
Schöpfung ist auf Geschichte, damit auf Veränderungen hin offen, ja kann als »Neu-Schöpfung« erwartet werden. So ist Schöpfung nicht allein auf Vergangenheit und Gegenwart bezogen, kann vielmehr zum Inhalt von Hoffnung werden, sich auf kommendes Neues ausrichten: »Siehe, ich schaffe Neues« (Jes 43,18f.), »einen neuen Himmel und eine neue Erde« (Jes 65,17; vgl. 66,22; 2 Petr 3,13; Apk 21). Die gegenwärtige Verhältnisse wandelnde, eschatologische Zukunft geht über die Rückkehr zum Ursprung hinaus; die Endzeit ist mehr als die Urzeit —etwa in der Erwartung des Sehen-Könnens der Blinden, der Einsicht der Unverständigen Ges 29,18.24), der Anerkennung Gottes durch alle Völker (1 Kön 8,43.60; Ps 83,19; 100,3 u.a.) oder des Sieges über den Tod Ges 25,8). Auch individuell-persönlich enthält die Bitte um Veränderung des eigenen Selbst ein kritisches Element (Ps 51,12): [157]
»Schaffe mir, Gott, ein reines Herz,
und gib mir einen neuen, beständigen Geist!«
»Der Himmel und Erde gemacht hat« ist — in späterer Zeit — charakteristischer Beiname Gottes (Ps 121,2; 124,8; 146,6; Jon 1,9 u.a.). Die Identität Gottes im Übergang vom Alten zum Neuen Testament, das Bekenntnis zu demselben Gott, kommt in der Übernahme dieser Gottesprädikation im Neuen Testament zum Ausdruck (Apg 4,24; vgl. 14,15; 17,24; Apk 14,7). Überhaupt erweist sich der Glaube an den Schöpfer — wie eine Grundeinsicht — als ein Haupterbe des Alten Testaments an die Christenheit (Röm 1,25; auch 1 Thess 1,9 u.a.).
In Weiterführung der Aussage von der Schöpfung durch das Wort bzw. die Weisheit (Spr 3,19f.; 8,22ff.) bezeugt das Neue Testament Christus als Schöpfungsmittler (Joh 1; Kol 1,15 u.a.). »Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur« (2 Kor 5,17), »nach Gott geschaffenu (Eph 4,22-24).
So umgreift »Schöpfung« Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, damit Geworden-Sein, Da-Sein und Neu-Werden. Der Glaube bekennt den geheimnisvollen »Ursprung« des Seins und Daseins, die »Quelle« des Lebens (Jer 2,13; Ps 36,10 u.a.), als tragenden Grund und Ziel. Ist dies nicht gerade das Besondere und der Anstoß des Glaubens, daß der — unnennbare — »Ursprung« und »Grund« der vertrauensvoll anrufbare Vater und Erlöser (Jes 63,15f.; 64,7; 43,1 u.a.) ist?
Lit.: Christian Link, Schöpfung: HST 7/1-2, Gütersloh 1991; Art. Schöpfer/Schöpfung, in: TRE 30 (1999), 250-358.
Quelle: Ernstpeter Maurer (Hrsg.), Grundlinien der Dogmatik. Gerhard Sauter zum 70. Geburtstag, Rheinbach: CMZ, 147-157.