Walter J. Hollenweger, „Heilt die Kranken!“ Heilung als Gabe und Aufgabe der Gemeinde (1988): „Die Gemeinde wird diesen Dienst – genau wie der christliche Arzt – in der Gewißheit tun, dass alle Heilung von Gott kommt, ob jemand durch eine Operation, durch vernünftige Diät, durch Gebet oder durch eine Kombination verschiedener „Therapien“ geheilt wird. Es ist immer Gott, der heilt. Wir haben immer Grund, ihm für die Heilung zu danken.“

„Heilt die Kranken!“ Heilung als Gabe und Aufgabe der Gemeinde

Von Walter J. Hollenweger

ÜBERBLICK

„Geht aber und predigt und sprecht: Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen. Macht Kranke gesund, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt böse Geister aus. Umsonst habt ihr’s empfangen, umsonst gebt es auch“ (Mt 10,7f). So formuliert Matthäus seinen ersten Mis­sionsbefehl. So materiell, „so leibhaftig ist der Zuspruch des genahten Gottesreiches hier vorgestellt, daß die Jün­ger es in ihrem Wort bringen, nicht nur darüber reden“ (Eduard Schweizer: Matthäus. Seite 156).[1]

Uns ist dieser Missionsbefehl ungemütlich. Er wird darum meist durch den „leichteren“ Missionsbefehl am Ende des Matthäusevangeliums ersetzt, wo scheinbar „nur“ vom Reden, Lehren und Taufen die Rede ist.

Aber so einfach ist das nicht. Texte und insbesondere die biblischen Wundergeschichten „sind spezifische For­men menschlichen Handelns“. Sie „sind keine ‚enacted parables‘, die ganz anderes meinen, etwa die Überwin­dung von Sünde oder dergleichen; sie beziehen sich auf wirkliches Elend, auf wirkliche Not“ (Gerd Theissen: Ur­christliche Wundergeschichten, Seite 37.43).[2]

Wir leben in einer Zeit, in der die Auseinandersetzung mit der „wirklichen Not“ im Bereich der Krankheit den Medizinern oder der Alternativen Medizin überlassen wird. Mediziner und Alternative fühlen sich in ihrer Ar­beit von den Theologen im Stich gelassen. Die Mediziner jedenfalls haben längst erkannt, daß sie nur „behandeln“. Die Heilung kommt von anderswoher. „Von der Natur“, sagen die einen. Die Christen sagen „von Gott“ oder genauer gesagt „von der lebenspendenden Ruach Jahwes“, dem Geist Gottes, der in allem Lebendigen wirkt.

Da dieser Geist Gottes nicht nur bei den Christen wirkt, sondern Grund allen Lebens ist, darf ein verant­wortlicher Theologe dem kritischen Gespräch mit Vertre­tern der Medizin, der Alternativen Medizin und der Voc­oder außerchristlichen Heilungspraktiken nicht aus dem Weg gehen.

Dabei wird klar, daß Heil und Heilung zusammenge­hören. „Wo die Grenzen zwischen einer ‚Suche nach Hei­lung‘ und der ‚Suche nach Heil‘ fließend geworden sind, wären eigentlich Kirche und Medizin gemeinsam heraus­gefordert.“ Dies um so mehr, als „zwischen der Lage der großen Kirchen und der Lage, in der sich unsere Schul­medizin befindet, sich von einem bestimmten Gesichts­punkt her einige auffällige Ähnlichkeiten erkennen lassen“ (Wilhelm Quenzer).[3] Was für die einen „die Häreti­ker“ sind, sind für die anderen die „Kurpfuscher“.

Solange aber die „Suche nach Heil“ von den Kirchen und die „Suche nach Heilung“ von der Medizin nur unge­nügend beantwortet werden können, verfangen alle Kri­tiken – auch und vor allem die wissenschaftlich und theo­logisch begründeten – nicht.[4]

Der Ort, wo Heilung im weitesten Sinn des Wortes er­wartet werden darf und wo nicht nur darüber geredet wird, ist die Gemeinde Jesu Christi. Gesundheit und Krankheit sind nicht nur Privatsache, sondern ebenso Sa­che der Liturgie. Die Gemeinde hat eine heilende Gabe und Aufgabe. Darum zielt dieser Aufsatz auf eine Ge­meindeliturgie für die Kranken und mit ihnen.

Die kritische Auseinandersetzung mit der Schulmedi­zin und den außerchristlichen und außermedizinischen Heilpraktiken kann in diesem Aufsatz nur am Rand be­handelt werden. Ausführlicher erörtert werden diese Themen in meinem Buch „Geist und Materie“ (siehe Li­teraturhinweise, S. 16).

Über allen Überlegungen aber steht die grundlegende theologische Einsicht in die Unverfügbarkeit von Heil und Heilung.

VON DER THEOLOGIE VERNACHLÄSSIGT

Während meines Studiums an der Universität Zürich wurden die Heilungen Jesu ausführlich be­handelt. Wir untersuchten Wortschatz, Aufbau und Variationen dieser Geschichten. Mir fiel schon damals auf, daß es kaum jemandem in den Sinn kam, das, was tatsächlich hier stand, nämlich, daß Jesus und seine Jünger Kranke heilten, auf un­sere Zeit anzuwenden.

Als ich dennoch versuchte, in einer Seminarar­beit zur Heilung des blinden Bartimäus die Frage nach der heutigen Relevanz dieser Heilungsge­schichte zu stellen, schrieb der Professor mit roter Tinte an den Rand: „Verfasser soll Exegese betrei­ben!“ – „Krankheiten haben ihre natürlichen Ur­sachen und beruhen nicht auf dem Wirken von Dä­monen … Die Wunder des Neuen Testaments sind damit als Wunder erledigt“ (Rudolf Bultmann). Wir wurden belehrt, daß derartige Wunderheiler damals gang und gäbe waren und daß die Wunder­geschichten Gottes Liebe und Größe illustrierten, daß sie ein Zeichen der Liebe Gottes seien.

Unterdessen hat sich die Situation in der neutestamentlichen Wissenschaft geändert. Aber in der Kirche werden die Heilungen Jesu und seiner Jün­ger weiterhin verharmlost. Es wird uns gesagt, daß unsere kranke Welt unter der Verheißung des Zu­spruchs Gottes stehe, daß unsere politischen, wirt­schaftlichen und persönlichen Beziehungen ge­heilt werden können. Im besten Fall wird pole­misch die sensationelle Praxis gewisser Wunder­heiler aus Übersee abgelehnt. Wird das Thema konkret behandelt, so werden die Ärzte und Kran­kenschwestern erwähnt.

Nun ist das gewiß alles wahr – nur: Warum soll­ten die Texte nicht auch das sagen, was wirklich da steht, nämlich, daß die Verkündigung des Evangeliums, daß die Gemeinde Jesu Christi etwas mit dem Dienst an den Kranken zu tun haben, daß in der Gemeinde nicht nur über die Kranken gere­det, sondern auch an ihnen gehandelt werden soll.

„Der Reichtum der Handlungsmöglichkeiten im seelsorgerlichen und liturgischen Bereich (Gebet um Hei­lung, Gebetsgemeinschaften, Gottesdienste für Kranke, Krankensalbung, Krankensegnung mit Handauflegung, traditionelle und therapeutische Seelsorge usw.) ist bei weitem nicht ausgeschöpft“ (Theologische Realenzyklo­pädie 14, Seite 773).

Die Gemeinde wird diesen Dienst – genau wie der christliche Arzt – in der Gewißheit tun, daß alle Heilung von Gott kommt, ob jemand durch eine Operation, durch vernünftige Diät, durch Ge­bet oder durch eine Kombination verschiedener „Therapien“ geheilt wird. Es ist immer Gott, der heilt. Wir haben immer Grund, ihm für die Hei­lung zu danken.

In allen Fällen geschieht die Heilung nicht auto­matisch. Weder eine vernünftige Lebensweise, noch das Gebet, noch eine Operation garantieren Heilung. Daß Gottes Widersacher seine Heilungs­macht imitieren (aber eben nur imitieren, „nach­äffen“), ist kein Grund, diesen wichtigen Dienst zu verachten. Das Echte unterscheidet sich nicht in erster Linie durch die Kritik am Falschen, son­dern durch die Praxis des Wahren. Sachgemäße Kritik schließt immer die Erkenntnis meiner eige­nen Defizite mit ein.

SACHE DER LITURGIE – DAS BEISPIEL DER ANGLIKANISCHEN KIRCHE

Es ist wichtig, daß das Thema Krankheit und Gesundheit in unserer Kirche öffentlich wird, das heißt im Gottesdienst und in der Liturgie vor­kommt. Aber eben nicht nur in der Form der Pre­digt, sondern auch in der Form der leiblichen Zu­neigung, durch Berührung, Segnung und Salbung.

Peinlichkeiten werden durch die Einbettung in eine straffe Liturgie am besten vermieden. Das ist für die Christen der Dritten Welt selbstverständ­lich – immerhin die Mehrheit der heutigen Chri­stenheit. Für sie ist Krankheit immer auch Aus­druck einer gestörten Beziehung entweder zu sich selber, zu anderen Menschen, zu den Verstorbe­nen, zur Sippe oder zur Natur.

Die Weltgesundheitsorganisation in Genf, die Medizinische Kommission des Ökumenischen Ra­tes der Kirchen und wichtige Missionsgesellschaf­ten haben heute erkannt, daß der Export europäi­scher Schulmedizin das Gesundheitsproblem in der Dritten Welt nicht löst. Auch in Europa ent­decken wir, daß mehr Forschung, mehr Medizin, mehr Spitäler die Menschen nicht automatisch ge­sund machen. Das wird heute auch von vielen Me­dizinern eingesehen.

Alternativen werden daher gesucht. Warum sollte die Ortsgemeinde mit ihrer langen Tradition der Sorge für die Kranken hier nicht wenigstens ei­nen ergänzenden Dienst tun können? Der Dienst an den Kranken gehört zu unserem Auftrag wie die Predigt, die Taufe und das Abendmahl. Wir dürfen ihn nicht davon abhängig machen, ob wir dazu Lust haben, ob wir – wie oft gesagt wird – „das Charisma der Krankenheilung“ haben. Eine Ge­meinde, die nie einen „Gottesdienst für Mühselige und Beladene“ durchführt, weiß ja gar nicht, ob sie das Charisma hat oder nicht.

In der Gemeinde Jesu Christi wird gepredigt, ge­tauft, Abendmahl gehalten und der Dienst an den Kranken ausgeübt, weil der Gemeinde diese Aufgaben aufgetragen sind und weil sie dazu bevoll­mächtigt ist, ob sie das nun „fühlt“ oder nicht. Nicht irgendwelche religiösen Virtuosen, nicht be­sonders begabte Individuen (die mag es ja auch ge­ben), sondern die Gemeinde hat diesen Auftrag. Besonders klar wurde mir dies im Gespräch mit meinen Anglikanischen Kollegen.

Ein Anglikanischer Spitalpfarrer beschrieb mir die Verwendung der alten Anglikanischen Liturgie der Krankensalbung im Spital. Vor einer Opera­tion lädt er den Chirurgen, die Krankenschwe­stern, die Angehörigen des Kranken und einige Kirchengemeinderäte zu einer kurzen Abend­mahlsfeier mit anschließender Handauflegung und Salbung mit Öl ein (Jak 5,14).

Er erzählte mir, daß er drei verschiedene Resul­tate beobachtet habe:

Im ersten Fall geht die Operation gut aus. Das hat positive Wirkung. Der Chirurg ist zufrie­den und der Patient beruhigt. Das ist auch einer der Gründe, warum die Ärzte bei dieser Liturgie mitmachen, und zwar unabhängig davon, ob sie Christen sind oder nicht. Sie haben entdeckt, daß sich der kurze Zeitaufwand lohnt, weil der Patient dann besser disponiert ist. Gebet und Eingriff wir­ken zusammen.

Der zweite Fall tritt ein, wenn der Patient während oder kurz nach der Operation stirbt. Dies wird nicht als Versagen betrachtet, da die Heilung weder vom Glauben des Patienten noch des Pfar­rers noch von der Heiligkeit der übrigen beteilig­ten Personen abhängig gemacht wird, sondern al­lein von der unberechenbaren Gnade Gottes. So ist auch der Tod des Patienten nicht als Versagen oder als Schuld eines der Beteiligten zu verstehen, weder des Arztes noch des Geistlichen.

Im Gegenteil: es ist sinnvoll, einen Menschen auf dem letzten schweren Gang vom Leben zum Tod zu begleiten. Wenn jemand nach Amerika oder Australien auswandert, wird man sich auch gebührend von ihm verabschieden, ein kleines Ab­schiedsfest arrangieren und ihm gute Reise wün­schen. Warum soll ein Christ, wenn er auf die letzte Reise geht, nicht anständig verabschiedet werden?

Der dritte Fall tritt ein, wenn die Operation überflüssig wird, weil der Patient während des Ge­bets geheilt wurde. Das ist natürlich für Ärzte und Patienten der interessanteste, aber auch der am schwersten erklärbare Fall. Vorläufig haben wir le­diglich festzustellen, daß er gelegentlich ein tritt. In ganz seltenen Fällen ist er vorauszusehen.

In meiner Erfahrung kann ich mich nur an einen oder zwei Fälle erinnern, wo mir eine Prognose möglich war. Sonst sind wir darauf angewiesen, zu tun, was unsere Pflicht ist, und das Resultat dem Herrn über Leben und Tod zu überlassen. Verspre­chungen oder gar Versprechungen, die an bestimm­te Bedingungen geknüpft sind (z.B. der Kranke wird geheilt, wenn er glaubt oder dergleichen), sind unerlaubte Eingriffe in die Souveränität Gottes und führen über kurz oder lang zu Katastrophen.

Die Erfahrungen der Anglikanischen Kirche ha­ben dazu geführt, daß in vielen Gemeinden einmal monatlich ein Abendmahl stattfindet, in dessen Verlauf auch mit Kranken (oder überhaupt mit Menschen, die besonderer Fürbitte bedürfen) un­ter Handauflegung gebetet wird.

Ich gehöre zur Reformierten Kirche in Birming­ham. Unser Pfarrer wollte mit der charismatischen Bewegung nichts zu tun haben, da ihm ihr Stil nicht entspricht. Er hat während vieler Jahre un­sere reformierte Gemeinde an ihr nüchternes re­formatorisches Erbe und an ihre politische und so­ziale Verantwortung erinnert. Die Gemeinde be­treibt ein Beratungszentrum, in dem auch Nicht­christen (zum Beispiel, wenn psychiatrische Fach­leute hinzugezogen werden müssen) als Berater mitarbeiten, ferner ein Restaurant, in dem man mittags billig essen kann, ein Altersheim und ver­schiedene soziale Dienste in der von Armut ge­plagten Innenstadt. Dies alles wird aus Kollektengeldern finanziert, da alle Kirchen in England keine staatlichen Steuergelder bekommen.

Aber nun sind auch nüchterne, sozial und poli­tisch engagierte reformierte Christen mit dem Thema Krankheit konfrontiert. Und das Schlimm­ste ist, daß wir zwar den politischen und sozialen Dienst gemeinsam tun, krank sollen wir aber ganz allein sein. Um dem abzuhelfen, wurde (und zwar ohne mein Dazutun) ein monatlicher Gottesdienst für Kranke mit Handauflegung eingeführt.

Ähnliche Gottesdienste für kranke Stabsmit­glieder fanden auch gelegentlich im Ökumeni­schen Zentrum in Genf statt. Angestoßen wurden sie von dem unterdessen verstorbenen Afrikarefe­renten des Ökumenischen Rates, Hank Crayne, der – nach großen inneren Kämpfen – erkannte, daß sein primärer Widerstand gegen die Kimbanguisten aufzugeben sei. Von seinen ehemaligen Wi­dersachern, den Kimbanguisten (eine unabhän­gige afrikanische Millionenkirche in Zaire), die unterdessen Mitgliedskirche des Ökumenischen Rates geworden waren, lernte er einen biblischen Umgang auch mit seiner eigenen Krankheit. Die Versöhnung mit den Kimbanguisten ist in sich sel­ber schon eine Heilungsgeschichte. Die Aufnahme des Gebets für die Kranken in einer kirchlichen Bürokratie täte sicher auch den bundesrepublika­nischen Kirchenämtern gut.

Ähnliche Gottesdienste bahnen sich auch in Ge­meinden in der Schweiz und in der Bundesrepu­blik an. Solche Gemeindegottesdienste haben nichts mit den Heilungsgottesdiensten gewisser Heiler aus Übersee zu tun. Daß diese großen Zu­lauf haben (auch von Pfarrern und kirchlichen Mit­arbeitern) hat seinen Grund im Defizit unseres Gottesdienstes. Die rechte Antwort auf diese Hei­ler ist nicht, daß wir sie beschimpfen, indem wir sie kritisieren oder ihnen falsche Lehre und Praxis nachweisen (was oft den Tatsachen entspricht, aber meist unwirksam bleibt), noch daß wir sie nachahmen. Die rechte Antwort besteht darin, daß wir aus unseren Traditionen heraus Liturgien und Fürbittehandlungen entwickeln, durch die wir aus unserer Vereinsamung herausgenommen wer­den. Je strenger die Liturgie, desto einfacher wird es für die Menschen, sich darin wohlzufühlen.

ENTSTEHUNG EINER LITURGIE

Die folgende Liturgie entstand in der Zusam­menarbeit mit 17 Personen, darunter drei Ärzte. Nach einem Vortrag über Heilung in der Evangeli­schen Hochschulgemeinde, Zürich, wurde zu ei­ner Vorbereitung für einen Gottesdienst für Müh­selige und Beladene eingeladen.

In der ersten Sitzung fragte ich die Teilnehmer, warum sie zu dieser Vorbereitung gekommen wa­ren. Die Motivationen waren vielfältig, und nicht alle Teilnehmer gehörten zum inneren Kreis der Gemeinde (siehe unten Seite 6).

  • Eine Frau sagte, daß sie jedes Jahr auf die Philip­pinen reise, weil sie dort Wirklichkeiten be­gegne, die sie in der Kirche vergeblich gesucht habe. Jetzt habe sie dies nicht mehr nötig.
  • Die Ärzte sagten: „Endlich, endlich hilft uns die Kirche in unserer schweren Arbeit an den Kran­ken und Depressiven.“
  • Ein Oberkirchenrat protestierte gegen das Schema bestimmter Charismatiker, die sagen: Wer nicht geheilt wird, glaubt nicht.
  • Andere wünschten sich im Gottesdienst einen Ort der Ruhe, des Verschnaufens, der Besin­nung.

Nach diesen ausführlichen Berichten schlug ich den Teilnehmern vor, aus ihren Sorgen und Erwar­tungen eine Liturgie zu schreiben, die ich ihnen in der nächsten Sitzung vorlegen wollte. Dann betete ich mit ihnen.

In der zweiten und dritten Sitzung besprach ich mit den Teilnehmern die handwerklichen Aspekte der Liturgie. Sehr oft lassen sich theologische Ein­sichten besser beim „Tun“ einer Liturgie entwickeln als bei der Diskussion der Begriffe. Ich ging mit ihnen in die Kirche, zeigte ihnen die farbigen Talare, die wir gebrauchen konnten, wenn sie es wünschten. Dadurch wur­de klar, daß die Teilneh­mer nicht als Individuen, sondern als Beauftragte der Gemeinde auftraten. Auch halfen die Talare den liturgisch ungeschulten Schweizern, „nicht wie die Hühner“ in der Kirche umherzulaufen.

Meine Beobachtung ist, daß die meisten Pfarrer umgekehrt vorgehen. Sie wollen lediglich die in­haltliche Kontrolle über den Gottesdienst ausüben und vergessen dabei, daß die meisten ihrer Mitar­beiter keine Ahnung davon haben, wie man in der Kirche spricht und sich bewegt.

Ich übte auch die Handauflegung mit den Mitar­beitern. Sie müssen spüren, was passiert, wenn sie einem Menschen die Hand auf Kopf und Schultern legen. Sie müssen wissen, was da für Ängste auf ei­nen zukommen und sie müssen lernen, damit um­zugehen. In dieser Phase der Vorbereitung waren die Ärzte sehr hilfreich.

Sie müssen sich auch überlegen, was sie mit den zur Handauflegung Kommenden beten. Ich riet ihnen, nicht nach dem Grund der Handauflegung zu fragen. Persönliche Gespräche gehören in die Seelsorge, nicht in die Liturgie. Einige (besonders die Ärzte) sagten, sie hätten noch nie öffentlich ge­betet. Ich riet ihnen, zwei oder drei Psalmen zu ler­nen und im übrigen das Vaterunser und passende Verse aus dem Kirchengesangbuch zu beten.

Diese liturgische Vorsicht bewährte sich, vor al­lem, wenn Schwerkranke und Invaliden zum Ge­bet kamen. Was soll man beten, wenn eine Frau ohne Arme und Beine in einem Rollstuhl kommt? Zu beten, daß ihr Arme und Beine wachsen, er­scheint mir nicht nur geschmacklos, sondern geradezu grausam. Aber ebenso grausam ist es, zu beten, daß sie ohne Arme und Bei­ne an der Gnade Gottes genug haben soll. Jedoch ein solches dürfen wir immer beten: „… der dir alle deine Sünde ver­gibt und heilet alle deine Gebrechen“ (Ps 103,3).

Der Gottesdienst hat unterdessen Fortsetzun­gen in anderen Züricher Gemeinden gefunden. Diese Gottesdienste sind von der Tagespresse aus­führlich und positiv kommentiert worden. Bei Be­suchern und Mitarbeitern hat der Gottesdienst ein großes Echo gefunden. Hier einige Stimmen:

  • „Es hat mich sehr beeindruckt, wieviel Offen­heit und echtes Ernstnehmen jedes einzelnen da waren. Niemand fühlte sich ‚draußen‘.“
  • „Mich hat seit einiger Zeit aus persönlichen und beruflichen Gründen interessiert, was Heilung und Handauflegen im Neuen Testament be­deuten und wie diese Seite unseres Lebens einge­bunden, heimgeholt werden kann in die Ge­meinde Jesu. Darum mein Interesse an aktiver Mitarbeit. Wir waren ein Häuflein sehr verschiede­ner Geister, das sich dreimal vorher traf, um das Procedere, die Liturgie, die Inhalte des Gottes­dienstes in der Predigerkirche zu gewichten. Und es entstand wirklich eine kleine Gemeinde, die ei­ner großen Gemeinde (und sich selber!) einen ein­dreiviertelstündigen Gottesdienst zu gestalten half. Nach Aussagen sehr verschiedener Gottes­dienstteilnehmer wurden übereinstimmend die Vielfalt, die Art der Gestaltung und vor allem der große Ruhe-Bogen im Gottesdienst wohltuend er­lebt, so etwa die Einbettung des ganzen Abend­mahls- und Heilungsgeschehens im orthodox-grie­chischen Anbetungslied, das alle, die gerade konn­ten, mitsangen, mitsummten.“
  • Ich denke, daß der Gottesdienst ein weihevol­ler Akt von Menschenliebe war, mit Bitten und Gebeten zu Gott. Zum ersten Mal, nach vielen Jahren des Fernbleibens von der Kirche, durfte ich zufällig an diesem außergewöhnlichen und weihe­vollen Gottesdienst in der Predigerkirche teilneh­men, es bedeutete ein großes, inneres Erleben.“
  • „Suchend, viele Fragen in mir tragend, bin ich mit dieser Arbeitsgruppe in Kontakt gekommen. Dann sind Zweifel aufgestiegen über mein Tun. Wer bin ich denn, da mitzumachen, ich, die ich sel­ber nicht heil bin, die ich an meinen Vorstellungen und Forderungen hafte und so schwer zur Demut finde? Wo ist mein Platz, meine Aufgabe? Und mit vielen offenen Fragen gehe ich jetzt meinen Weg weiter. Dazwischen liegt dieser Gottesdienst, die­ser Moment der Andacht, des Annehmens, der Gemeinschaft, der Betroffenheit. Zwar am Rand in bezug auf den äußeren Ablauf, fühlte ich mich doch ganz einbezogen ins Geschehen, Teil eines größeren Ganzen. Dieses Einander-Einbeziehen und Sich-Einbeziehen-Lassen aller, eine höhere Gegenwart ahnend, empfand ich als einen zutiefst heilsamen Vorgang.“

Nach meiner Gewohnheit war ich eine Stunde vor dem Gottesdienst in der Kirche und schaute dem Küster zu, wie er die Kirche rüstete. Er legte ein wenig Brot auf den Abendmahlstisch und be­reitete ein bißchen Wein vor. Ich fragte den Küster: „Meinen Sie denn, daß dies reicht?“ Der Küster schaute mich mitleidig an: „Wissen Sie, Herr Pro­fessor, hier in dieser Kirche kommen höchstens dreißig Leute zum Gottesdienst. Und davon neh­men nur ungefähr die Hälfte das Abendmahl.“

Als sich dann die Kirche bereits zwanzig Minu­ten vor Gottesdienstbeginn zu füllen begann und immer mehr Leute hineinströmten, suchten meine Blicke den Küster wieder. Er eilte in den Keller und mußte mehr Brot und Wein holen. Aber noch erstaunter war er, daß beim Beginn des Abend­mahls nicht die Hälfte der Gottesdienstbesucher die Kirche verließ, wie das in Zürich üblich ist, sondern daß alle bis zum Schluß blieben, obschon der Gottesdienst fast zwei Stunden gedauert hatte.

DIE LITURGIE

Die folgende Liturgie ist ein Beispiel von vielen. Wichtig ist, das, was die Mitarbeiter mitbringen, ihre Tradition, ihre Erwartungen und Sorgen, in die Liturgie aufzunehmen.

I. Eingang

Eingangsspiel zu „Komm, Schöpfer Geist“

Kanzelgruß     Jesus spricht: Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen. Macht Kranke gesund, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt böse Geister aus. Umsonst habt ihr’s empfangen, umsonst gebt es auch (Mt 10,7f).

Gebet               Hagios Theos, heiliger Gott,
gib uns Stille.
Sammle unsere Gedanken.
Konzentriere uns auf dein Wort.
Richte uns auf dein Reich.
Ach Herr,
du weißt ja die Unordnung, die wir zu Hause haben, die Gedanken, die uns durch den Kopf schwirren: die Kinder, die Arbeit, die Erfolge, das Versagen, die Freunde, die Feinde, der Ärger, die Begei­sterung, all das, was die ganze Woche auf uns einstürmt und uns jetzt bedrängt, wo wir uns auf dich ausrichten wollen.
Ach Gott,
hilf uns, daß wir wenigstens eine Stunde, ein einziges Stündlein, uns auf das Wesent­liche besinnen können, auf dich und auf das, was du mit uns vorhast.
Komm, Schöpfer Geist, kehr bei uns ein und laß uns deine Wohnung sein.

Lied                 „Sollt ich meinem Gott nicht singen“ (EKG 232)

Begrüßung      Anliegen unseres heutigen Gottesdien­stes ist die Heilung von Krankheit – wie sie, von Christus gewirkt und von unseren Gebeten getragen, Gegenstand unseres Glaubens ist. Alles, was wir heute sagen und tun, ist darauf hin angelegt, uns zu öff­nen und bereit zu machen, zu empfan­gen, was uns heilt. Denn alle sind wir, ob sichtbar krank oder nicht, Mühselige und Beladene und der Gnade Gottes Bedürf­tige. Befreiung, um die wir beten, aber ist Gabe Gottes.

Gebet              Darum, o Herr, bitten wir dich: Öffne un­sere Herzen und Sinne für deine heilende Gegenwart in unserer Gemeinschaft. Sende deinen Heiligen Geist, daß er un­sere einfachen Worte, unsere stillen Ge­bete, das Brot, Frucht des Ackerbodens und der Arbeit von Menschen, den Wein, Frucht der Reben und der Mühe von vie­len, daß er unsere armseligen Gaben mit deiner Kraft erfülle, damit sie uns nähren und stärken und deiner gewiß machen. Wir danken dir. Amen.

Lied                „Komm, Schöpfer Geist“

II. Predigt nach Markus 1

Lektor             Markus 1,14-15
Meditatives Zwischenspiel zu „Komm, Schöpfer Geist“

Lektor             Markus 1,16-20
Meditatives Zwischenspiel zu „Komm, Schöpfer Geist“

Erster Prediger

Jesus war der von Gott gesandte Bevoll­mächtigte. Aber selbst er tat seinen Dienst nicht allein. Er berief zwölf Jün­ger. Unter diesen befanden sich Leute, die wir kaum zu Aposteln berufen hätten: Ju­das, der ihn verriet; Petrus, der ihn ver­leugnete; Johannes und Jakobus, die Donnersöhne; Matthäus, der Finanz­mann und Kollaborateur der Römer; Simeon, der Terrorist… Es ist nicht er­staunlich, daß sie oft stritten und Jesus nicht verstanden.

Mit dieser Gesellschaft baute Jesus das Reich Gottes. Dann kann er’s auch mit uns, dann ist niemand zu gering. Wenn Je­sus nur zusammen mit anderen das Reich Gottes baute, wieviel weniger können wir allein predigen, Gottesdienst halten, mit den Kranken beten. Es ist die Gemeinde, die die Vollmacht der Krankenheilung hat, nicht der Pfarrer oder sonst ein Geist­begabter. Wir, als Gemeinde Jesu Christi, haben den Auftrag: Heilt die Kranken, weckt die Toten auf, treibt die Dämonen aus. Umsonst habt ihr es empfangen, um­sonst gebt es.

Lektor             Markus 1,21-22
Meditatives Zwischenspiel zu „Komm, Schöpfer Geist“

Lektor             Markus 1,23-28

Zweiter Prediger

Es gibt Leute, die glauben, diese Ge­schichten stünden in der Bibel, damit die Pfarrer darüber predigen. Aber das ist doch wohl eine eher lächerliche An­nahme. Wir sind nicht berufen, lediglich mit den Kranken und über die Kranken zu reden. In der Gemeinde Jesu Christi, im Gottesdienst wird gehandelt. Darum heißt das Abendmahl in der reformierten Theo­logie „eine heilige Handlung“.
Die Handauflegung ist eine Handlung. Menschen, die ihr Lebtag nie berührt wer­den – mit der Hand berührt werden – fin­den es schwer, zu glauben, daß Gott sie berührt. Wer nie berührt wird, ist nicht be­rührt.
Heute erkennen wir: Es ist lange genug geredet worden. Jetzt soll gehandelt wer­den. Was aus dieser Handlung kommt, ist nicht in unserer Hand: Heilung, Besse­rung, Trost oder auch – keine spürbaren Resultate. Warum gläubige Menschen nicht geheilt und Menschen, die in den Tag hinein leben, geheilt werden, wissen wir nicht. Wir können nicht in Gottes No­tizbuch schauen. Wir tun, was wir tun, weil es uns vom Wort Gottes aufgetragen ist.

Lektor             Markus 1,29-34

Dritter Prediger

Jesus heilte die Schwiegermutter des Petrus. Er heilte viele, aber er heilte nicht ganz Palästina. Es gab viele Kranke, die er nicht heilte. Alle, die er heilte, starben am Ende ihres Lebens. Seine Heilungen sind Zeichen des kommenden Gottesrei­ches. So sind auch unsere Ärzte, Kranken­schwestern und Gemeindeschwestern Zeichen des Reiches Gottes. Selbst die Mutter, die ihr weinendes Kind in den Arm nimmt und betet „Heile, heile, Segen …“, setzt ein Zeichen des Gottesrei­ches. So möge auch dieser Gottesdienst Zeichen des Reiches Gottes sein.

Lektor             Markus 1,35-39
Meditatives Zwischenspiel zu „Komm, Schöpfer Geist“

Vierter Prediger (betet)

Herr, Jesus Christus,
du bist kein Erfolgsmensch. Im Gegen­teil, du bist dem Erfolg ausgewichen. Du gehörst nicht zu jener Sorte von Religions­propagandisten, die sagen: Kommt zu uns, bei uns werdet ihr Wunder erleben.
Herr Jesus Christus,
wir möchten deine Jünger sein. Befreie uns von allem Erfolgsdenken. Hilf uns, daß wir unseren Glauben nicht auf unsere Erfolge stützen und daß wir nicht verza­gen, wenn wir keinen Erfolg haben.
Hilf uns, daß wir deinen Segen nicht mit Erfolg und deine Prüfungen nicht mit Mißerfolg verwechseln.

Lektor             Markus 1,40-45
Musikalische Überleitung zum Abend­mahl

III. Abendmahl mit Handauflegung für die Kranken

Ortsübliche Abendmahlsliturgie mit Krankensegnung, Dankgebet und Vater­unser.

IV. Segen und Sendung

Vater,
segne Pfarrer und Mitarbeiter, die diesen Gottesdienst vorbereitet haben,
segne diejenigen, die Trost, Heilung und Weisung suchten.
Segne diejenigen, deren Zweifel nicht ge­stillt wurden.
Segne diejenigen, deren Krankheit nicht geheilt wurde.
Hagios Theos
Hagios ischyros
Hagios athanatos
Eleison hämin.
Heiliger Gott,
du kannst, was wir nicht können.
Du hast den Tod bezwungen.
Komm mit uns in den Alltag.
Empfanget das Sendungswort:
Jesus Christus spricht:
Sagt allen: Das Himmelreich ist herbeige­kommen. Heilt die Kranken! Weckt die Toten auf! Treibt die Dämonen aus! Um­sonst habt ihr es empfangen, umsonst gebt es.

Schlußlied

WIE ANFANGEN?

Wer sich auf solche Liturgien für „Mühselige und Beladene“ oder Liturgien „für Kranke und Gesunde“ einläßt, muß seine Gemeinde vorberei­ten. Die meisten Pfarrer und kirchlichen Mitarbei­ter werden in der Seelsorge mit den Kranken be­ten. Das ist richtig, solange wir nicht behaupten, dies sei die einzige Form unseres Dienstes an den Kranken. Der Dienst an den Kranken hat eine seelsorgerliche und eine öffentliche Seite.

Dieser Aufsatz behandelt nur den zweiten Aspekt. Die Erfahrung zeigt aber, daß, wer solche Liturgien einführt, mit wachsender Seelsorge zu rechnen hat. Es scheint, daß die öffentliche Hand­auflegung die Tür für die Seelsorge öffnet. Wer ge­heilt worden ist, wird zur Seelsorge kommen. Wer nicht geheilt worden ist, wird ebenfalls kommen.

Der öffentliche Aspekt ist aus verschiedenen Gründen wichtig. Wir haben erst vor kurzem er­kannt, daß zum Beispiel die Taufe nicht in erster Linie privat, im kleinen Kreis, vollzogen werden soll, sondern in der Öffentlichkeit. Das Gleiche gilt für Abendmahl und Krankensegnung bzw. -Sal­bung.

Zudem hat der Dienst an den Kranken im klei­nen Kreis – zu Recht oder zu Unrecht – ein wenig den Beigeschmack des Exklusiven. Das unberech­tigte Vorurteil wird genährt, daß dies für die ganz Frommen reserviert sei. Andererseits kommen in die öffentlichen Gottesdienste für Mühselige und Beladene viele kirchliche Außenseiter (auch Men­schen anderer Konfessionen oder Religionen). Im allgemeinen schaut der innere Kreis der Ge­meinde dem Geschehen vorerst verwundert zu.

Die Frage, die ich in diesem Abschnitt beantwor­ten will, lautet: Wie können wir in einer Gemeinde die Unterstützung für eine öffentliche Liturgie „für Mühselige und Beladene“ gewinnen? Aus der Erfahrung hat sich ergeben:

Ohne die Mitarbeit der Pfarrer und des Kir­chengemeindevorstands soll eine solche Sache nicht unternommen werden. Wer es trotzdem tut, wird über kurz oder lang die Gemeinde spalten. Wir haben seit der Reformation über 400 Jahre ver­schlafen. Da kommt es auf sechs Monate oder ein paar Jahre mehr oder weniger nicht an.

Ein Pfarrer, der mit seiner Gemeinde einen Weg sucht, den Dienst an den Kranken zwei- bis viermal pro Jahr öffentlich anzubieten, wird zu­nächst einmal anders predigen. Er wird die Heilungsgeschichten der Bibel nicht lediglich allegorisieren und spiritualisieren; er wird seine Ge­meinde darauf hinweisen, daß hier u.a. auch das gemeint ist, was da steht und daß sie als Gemeinde daher einen Weg suchen, dies erfahrbar zu ma­chen.

Er wird ferner mit seinem Kirchenvorstand reden und ihn auf seine Verantwortung und Mitar­beit hin ansprechen. Man wird vielleicht einwen­den: Wenn dieser Autor nur wüßte, was ich für ei­nen ungeistlichen Kirchenvorstand habe, dann würde er nicht derart utopische Vorschläge ma­chen. Antwort: Das mag ja sein. Aber da Jesus sein Reich ebenfalls mit „ungeistlichen Jüngern“ baute, ist vielleicht gerade die Einladung an die Kirchenvorstände, diese Gottesdienste mitzutra­gen, ein Weg für sie, ihre geistlichen Gaben zu ent­decken und zu entwickeln.

Es ist möglich, die Fürbitte im Gottesdienst konkreter zu fassen und ernster zu nehmen. Wir wissen nicht mehr, was für eine Macht das Gebet einer ganzen Gemeinde ist. Nur: Eine Gemeinde, die dem Pfarrer zuhört (im besten Fall), wenn er etwas aus dem schwarzen Liturgiebuch vorliest, ist noch nicht im Gebet engagiert.

Hier sind neue Formen des gemeinsamen Für­bitte-Gebets zu finden, zum Beispiel, indem kon­krete Menschen Gegenstand der Fürbitte werden. Vorsicht ist allerdings angebracht. Wer bestimmte Menschen in der Fürbitte erwähnen will, muß vor­her die Betreffenden um ihr Einverständnis bit­ten. Der Gegenstand der Fürbitte soll mit dem nö­tigen Takt, aber auch mit der nötigen Konkretisie­rung, erwähnt werden.

Meine Erfahrung ist jedoch, daß die meisten Menschen nichts dagegen haben, wenn für sie in der Kirche unter Namensnennung gebetet wird. Schwieriger ist es, mit spektakulären Heilungen aufgrund der Fürbitte umzugehen. Überhaupt ist das Problem nicht, wie viele immer wieder fürch­ten: Was machen wir, wenn nichts geschieht. Wenn gebetet wird, ist es gar nicht möglich, daß nichts geschieht. Probleme entstehen, wenn unerwartete „Erfolge“ eintreten. Ich würde gelegentlich darauf hinweisen, daß das Gebet eine unberechenbare Kraft ist. Im übrigen aber ist aus den „Erfolgen“ keine große Geschichte zu machen. Die Betreffen­den werden das sowieso überall erzählen, selbst wenn man sie bittet, ihre Heilung nicht an die große Glocke zu hängen.

Es ist auch immer empfehlenswert, die vor­gesetzte Behörde über einen abzuhaltenden Got­tesdienst mit und für Kranke zu informieren. Man sollte sie aber nicht um Erlaubnis bitten, denn dann kommen die kirchlichen Bürokraten in Verle­genheit, da sie ja nicht wissen, zu was sie die Er­laubnis geben. Also werden sie im Zweifelsfall „nein“ sagen.

Besser allerdings, als die Kirchenleitung bloß zu informieren, ist es, eines ihrer Mitglieder zur Mit­arbeit in der Liturgie einzuladen. Dann kann es aus eigener Erfahrung berichten, wenn es Anfra­gen und Kritik gibt – meist von solchen, die selber gar nicht an dem betreffenden Gottesdienst teilge­nommen haben.

Es hat sich bewährt, die Liturgie zusammen mit einem größeren Kreis von Menschen vorzube­reiten. Dabei ist mir aufgefallen, wie viele soge­nannte nichtkirchliche Menschen bereit sind, sich zu beteiligen. Wichtig ist auch, daß das ärztliche Personal in der Vorbereitungsgruppe vertreten ist, damit klar wird, daß wir nicht in Konkurrenz zur Ärzteschaft stehen.

Auch wird ja der Ortsarzt viele der Menschen kennen, die zur Segnung oder zur Salbung kom­men. In vielen Fällen ist sein Rat wertvoll. Ob er ein „engagierter Christ“ ist oder nicht, ist in dieser Sache nebensächlich. Wichtiger ist, daß er mit­macht. Es kann auch sein, daß er durch die Mitar­beit ein engagierter Christ wird.

Da auch viele Frauen zur Handauflegung kommen, und da viele Frauen etwas von „der Be­rührung“ verstehen, ist es wichtig, daß die Frauen im Vorbereitungsteam und in der Gruppe derer, die die Handauflegung ausüben, angemessen ver­treten sind.

Bei der Vorbereitung soll „das Handwerkli­che“ nicht vernachlässigt werden. Besonders fol­gende Fragen sind zu erörtern:

  • Wo stehen die, die den Kranken die Hände auf­legen?
  • Wenn die Salbung durch Öl angewandt wird, was für ein Öl soll verwendet werden?
  • Was beten die Segnenden?
  • Wo sitzen oder wo knien die, die Handaufle­gung oder Salbung empfangen?
  • Wie sind die Mitarbeiter gekleidet?
  • Wie wird eingeladen?

DAS GEHEIMNIS DER HEILUNG

Da nach dem Zeugnis der Schrift der Geist Got­tes Ursache allen Lebens ist (auch des Lebens der Bösen, Unfrommen, auch des Lebens der Nicht­christen), erscheint die Gabe des Heilens, genau wie die anderen Charismen, als eine von Gott dem Menschen geschenkte Schöpfungsgabe, die weder von unserer Heiligkeit noch von unserer Theologie abhängt.

Die nächste mir bekannte Parallele sind die Ga­ben des „Träumens“, des „Vorauswissens“ oder des absoluten Musikgehörs, die alle nicht von Reli­gion, Theologie oder Moral der Betreffenden ab­hängen (Eine wichtige Einschränkung ist hier zu machen: Die Tatsache dieser Gaben hängt nicht von Ethik und Theologie des Gabenträgers ab, wohl aber der verantwortliche Gebrauch).

Was die Heilungsgaben betrifft, so treten diese im Christentum und außerhalb des Christen­tums, bei den Medizinern und bei den Nichtmedizinern auf. In einer durchschnittlichen Gemeinde ist da­mit zu rechnen, daß eine Anzahl von Gliedern diese Heilungsgabe hat, meist ohne es zu wissen.

Wenn das oben beschriebene Modell übernom­men wird, gemäß dem immer mindestens drei Per­sonen mit einem Heilungsuchenden beten, so wird diese Heilungsgabe nie genau zu lokalisieren sein. Man wird nie genau wissen, wer nun diese Gabe hat. Man wird nur wissen: In der Kirche wird mit den Kranken gebetet, und das ist gut für sie. Ich halte es für günstig, wenn die Öffentlichkeit nur weiß, daß in der Kirche für Heil und Heilung gebe­tet wird, daß sie aber nicht weiß, durch welche Per­sonen Heilungen vermittelt werden. Es ist auch für die betreffenden „Heiler“ besser, denn sie wer­den dann nicht mit Anfragen aus der ganzen Um­gebung überschwemmt. Es ist für die Kirche eben­falls besser, denn es wird dann deutlich, daß die Kirche der Ort ist, wo Heilung gesucht wird. Jetzt dürfte auch klar sein, wo die Unterschiede zu den von bestimmten religiösen Virtuosen inszenierten „Heilungsgottesdiensten“ liegen.

Es ist damit zu rechnen, daß Personen, die we­der ein Amt in der Kirche haben, noch bis jetzt be­sonders intensiv in der Kirche mitgearbeitet ha­ben, diese Gaben entwickeln. Auch dies ist eine Form von Gemeindeaufbau.

Ausführliche theologische Erörterungen über den Zusammenhang dieser Schöpfungsgaben mit dem paulinischen Begriff „charisma“, den Er­scheinungsformen dieser Gaben im außerchristli­chen Bereich, ihrer Problematik und ihrer Mög­lichkeiten können hier im einzelnen nicht darge­legt werden. Ich verweise auf den dritten Band meiner Interkulturellen Theologie „Geist und Ma­terie“, wo diese Problematik im Zusammenhang mit der Lehre vom Heiligen Geist verhandelt wird.

Wenn aber damit gerechnet wird, daß diese Ga­ben genau so wie Management, Barmherzigkeit und Lehren (Röm 12), wie Orgelspiel, Redegabe und Organisationstalent zur Schöpfungsordnung gehören, dann ist zu fragen: Was ist das spezifisch Christliche an dieser Liturgie für Mühselige und Beladene?

DAS SPEZIFISCH CHRISTLICHE IM HEILUNGSDIENST

Der christliche Umgang mit den Kranken ist vom Glauben an Gottes Freiheit und Souveränität geprägt. Daraus ergeben sich vor allem vier Ein­sichten:

1. Die Verrechnung der Sünde des Kranken oder seiner Vorfahren mit der Krankheit des Kran­ken wird im Evangelium ausdrücklich abgelehnt. Zwar weiß die Bibel über diese schicksalhaften Zusammenhänge, aber sie sind im Einzelfall nicht verrechenbar (Joh 9).

2. Der Christ weiß sehr wohl: Es gibt gesunde Sünder und kranke Heilige. Weder führt der Glaube notwendigerweise zur Heilung, noch ist die Krankheit notwendigerweise die Folge von Unglauben. Christen verharren im Gebet und im Gottvertrauen in gesunden und in kranken Tagen.

3. Es stimmt nicht, daß der Glaube immer Be­dingung für die Heilung ist. Es gibt Heilungsge­schichten im Neuen Testament, wo der Glaube des Patienten oder seiner Umgebung Bedingung für die Heilung ist und andere, wo diese Bedingung nicht gestellt wird.

Noch weniger ist die Dankbarkeit eine Bedin­gung. Von zehn Aussätzigen, die geheilt wurden, kam nur einer zurück. Deswegen ist noch lange nicht gesagt, daß die neun wieder krank wurden. Dies ist im übrigen auch meine Erfahrung. Eine Aufrechnung zwischen Glaube und Heilung ist we­der auf Grund der Erfahrung noch der Schrift statthaft. Jesus heilte „Glaubende“ und „Nicht- Glaubende“. Der Glaube entfällt daher als Bedin­gung.

4. Dem christlichen Umgang mit Kranken ist je­des Erfolgsdenken und jedes marktschreierische Ausposaunen der Heilung fremd.

Zusammenfassend kann man darum sagen: Das Christliche am Gebet für die Kranken ist die Ein­sicht, daß das Gebet keine unfehlbare Medizin ist, die garantiert wirkt, wenn alles andere versagt. Zwar gibt es Fälle in der Schrift und in unserer Er­fahrung, wo Menschen geheilt wurden, die von den Ärzten aufgegeben worden waren. Trotzdem gilt: Unser Herr Jesus Christus ist nicht die Ant­wort auf alle unsere Fragen, wie in unverständli­cher Verkennung der biblischen Texte oft gesagt wird. Ganz abgesehen davon, daß wir manchmal auch dumme Fragen stellen, hilft uns Christus, mit unbeantworteten und ungelösten Fragen zu leben, starb er doch mit der furchtbaren und unbeantwor­teten Frage auf den Lippen: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“

EINWÄNDE

Zum Schluß sollen sechs geläufige Einwände ge­gen dieses Konzept verhandelt werden.

Erster Einwand: Solche Gottesdienste wecken falsche Erwartungen. Was machen wir, wenn nie­mand geheilt wird?

Antwort: Dieser Einwand ist eine Begründung für die Trägheit. Er ist im übrigen auch angebracht in bezug auf unsere Medizin und Spitäler. Viele werden in den Spitälern nicht geheilt, und minde­stens 30 Prozent aller Krankheiten haben iatrogene (d.h. von der Medizin selber verursachte) Gründe. Das kann man in medizinischen Fachpu­blikationen lesen. Es wird trotzdem niemandem einfallen, unsere Ärzte zu entlassen und die Spitä­ler zu schließen.

Auch in Predigt, Abendmahl und Taufe (beson­ders in der Taufe) machen wir Versprechungen, die in vielen Fällen nicht eingelöst werden. Können wir deswegen auf Predigt, Abendmahl und Taufe verzichten?

Trotzdem ist der Einwand wichtig. Er soll uns daran erinnern, daß wir keine Versprechungen ma­chen dürfen außer der, daß alle, Kranke und Ge­sunde, in Gottes Hand sind. Aber damit dies nicht eine reine Vokabel bleibt, muß sie „sichtbar“ und erfahrbar werden. Die Handauflegung und die Salbung sind nichts anderes als sichtbar und erfahr­bar gewordenes Wort Gottes in all seiner Zweideu­tigkeit.

Zweiter Einwand: Bei uns ist niemand zur Mitar­beit bereit.

Antwort: Wer das sagt, nachdem er versucht hat, Menschen (vor allem unkirchliche Menschen) zur Mitarbeit zu gewinnen und dabei ins Leere ge­stoßen ist, muß vermutlich zu dem Schluß kom­men, daß für seine Gemeinde der Zeitpunkt noch nicht gekommen ist. Meist aber wird dieser Ein­wand von kirchlichen Mitarbeitern und Pfarrern vorgebracht, die gar keinen ernsthaften Versuch unternommen haben, Menschen zur Mitarbeit zu gewinnen oder die die Mitarbeit „nach ihrem Bild“ gestalten wollen. Oft hilft auch die Mitarbeit von Menschen und Amtsträgern aus Nachbarge­meinden, die in dieser Sache schon einen Schritt weiter gegangen sind (vgl. auch die Antwort zum dritten Einwand).

Dritter Einwand: Auch wenn wir einen solchen Gottesdienst gestalten, wird bei uns niemand zur Handauflegung kommen. Sie kennen ja unsere Be­völkerung gar nicht. Sie ist bereit, nach Südafrika und auf die Philippinen, nach Taize oder gar nach Rom zu reisen, um „religiöse Erfahrungen“ zu ma­chen. Aber in unserem Dorf ist nichts zu machen.

Antwort: Fast alle Pfarrer, in deren Gemeinden solche Gottesdienste durchgeführt wurden, sagten dies im voraus. Sie entdeckten, wie der Küster der Predigerkirche in Zürich (S. 7), daß sie sich ver­rechnet hatten.

Ein Pfarrer aus einem Berner Bergdorf sagte mir genau das: „Unsere Bevölkerung und unser Kirchenvorstand wird sich nie für eine solche Sa­che gewinnen lassen, weil bei uns niemand zu ei­nem solchen Gottesdienst käme.“ – „Haben Sie sie denn gefragt?“, wollte ich wissen. – „Nein, aber ich weiß es.“

Glücklicherweise hatte dieser Pfarrer seinen Dorfarzt zu diesem Gespräch mitgenommen. Die­ser erklärte mir: „Bei uns wird das Thema Krank­heit folgendermaßen verhandelt: Wenn einer eine schwere Migräne bekommt, dann sagt er: Es ist Gottes Wille, daß ich eine Migräne habe. Sie dient zu meiner Glaubensstärkung. Dann nimmt er eine doppelte Portion Aspirin und hofft, die Migräne werde verschwinden.“

Der Pfarrer mußte lachen und bekannte: „Was ich vorhin sagte, stimmt nicht ganz. Was unsere Be­völkerung von dieser Sache denkt, weiß ich nicht. Die Wahrheit ist hingegen, daß ich vor einer sol­chen Liturgie Angst habe. Wir haben dies weder an der Universität noch im Praktikum gelernt.“

„Das ist völlig normal“, gab ich zur Antwort. „Vielleicht müssen wir uns einiges überlegen in bezug auf die praktische Ausbildung unserer Pfarrer. Trotzdem, wir alle haben Angst. Darum ist es umso wichtiger, daß Sie mit ihrem Dorfarzt, mit Ihrem Kirchenvorstand und mit Ihrer Gemeinde offen reden. Und wenn es Ihnen hilft, werde ich in Ihr Dorf kommen und Ihnen helfen, die Diskus­sion zu führen und die Liturgie mit Ihren Leuten und Ihren Traditionen zu gestalten.“

Vierter Einwand: Solche Gottesdienste ziehen dunkle Mächte an.

Antwort: Natürlich eignen sich nicht Krethi und Plethi für die Mitarbeit in einem solchen Gottes­dienst. Aber kirchliche oder theologische Akkredi­tierung sind nur sehr ungenaue Kriterien, um die richtigen Mitarbeiter zu finden. Bereitschaft, sich in ein Team einzufügen, Sensibilität und gesunder Menschenverstand, und schließlich eine innere Verpflichtung zum Hören auf die Weisung des Wor­tes Gottes sind entscheidender.

Was für eine Karikatur geben wir von der Ge­meinde, wenn wir unterstellen, daß dort, wo eine Gemeinde um Heil und Heilung zu beten beginnt, sich der Teufel einschleichen wird? Es ist bezeich­nend, daß in der Schrift nirgends eine Heilung durch Dämonen oder andere dunkle Mächte über­liefert wird.

Gewiß, der Teufel ist ein Bluffer und ein Lügner. Er versucht allerhand Schabernack, Imitationen, Symptomverschiebungen, zum Beispiel wird ein Magengeschwür durch eine Neurose ersetzt oder eine Gürtelrose durch eine Depression. Aber das gibt es schließlich auch in der medizinischen Pra­xis, in der Psychiatrie, in der Erziehung und auch in der Seelsorge. Das komplexe Gebiet von Beses­senheit und Exorzismus kann hier nicht behandelt werden (siehe dazu „Geist und Materie“).

Aber, wenn wir um Heilung bitten, dann bitten wir, daß der Wille Gottes geschieht, daß das ge­schieht, was dem Betroffenen zu seinem Heil dient. Wie könnte da Gott zulassen, daß „sich dunkle Mächte einschleichen“?

Andererseits, wenn sich in einer Gemeinde eine Erweckung anbahnt und Menschen wieder anfan­gen, nach Gott zu fragen, dann wird sich auch der Erzfeind des Evangeliums „auf die Socken ma­chen“. Gelegentlich geschieht dies in der Form ok­kulter Kräfte. Meist aber genügen die gewöhnli­chen Kompetenzstreitigkeiten und Eifersüchte­leien in einer Gemeinde, um eine Erweckung zu gefährden. In beiden Fällen aber ist es umso wich­tiger, daß möglichst viele Menschen diese Gottes­dienste mittragen.

Fünfter Einwand: Es ist unbarmherzig, unsere gewohnte Liturgie durch eine Liturgie für Mühselige und Beladene zu ersetzen.

Antwort: Dies ist ein wichtiger Einwand. Es soll eben gerade nicht die gewohnte Liturgie ersetzt werden. So viele Elemente wie möglich sollen aus der Tradition übernommen werden. Erstens haben sich diese Elemente bewährt und zweitens ist es wichtig, daß die Gemeinde in der Liturgie ihre ei­gene Tradition wieder erkennt.

Sechster Einwand: Wir fürchten in unserer Ge­meinde einen enthusiastischen Einbruch, der un­sere reformatorische Tradition gefährden wird.

Antwort: Diese Einbrüche geschehen bereits in der Bundesrepublik und in der Schweiz, aber nicht, weil wir nüchterne, reformatorische Litur­gien für Mühselige und Beladene durchführen, sondern weil unsere Gemeinden ein Defizit ver­spüren und darum bereit sind, von löchrigen Brun­nen zu trinken. Es ist eben gerade umgekehrt: Ein reformatorischer, in der Ortsgemeinde veranker­ter Dienst an den Kranken ist die beste Verteidi­gung gegen enthusiastisches Religionsgut aus Übersee.

Es „kann nicht überhört werden, daß das Neue Testament zutiefst in seinem Kerygma verankert und nicht spiritualisierend allein Vergebung, Be­kehrung, Glauben als Wunder behandelt. Ihm liegt an der Aussage, daß Gott eschatologisch wie in der Schöpfung Leiblichkeit will und erfaßt, nämlich den ganzen Menschen in seiner Welt“ (Ernst Käsemann: „Wunder“, RGG3 VI, 1837).

Literaturhinweise

Die folgende kurze Literaturliste berücksichtigt die lawinenhaft angewachsene Literatur der – meist amerika­nischen – Heilungsevangelisten nicht, da diese für unsere Gemeinden nicht hilfreich ist (vgl. Hans-Diether Rei­mer). Die erwähnten Autoren gehen von verschiedenen theologischen Voraussetzungen aus, die sich nicht not­wendigerweise mit denjenigen des Verfassers decken.

Hans-Jürgen Becken: Theologie der Heilung. Das Hei­len in den Afrikanischen Unabhängigen Kirchen in Süd­afrika. Hermannsburg 1972.

Hans-Jürgen Becken: „Begegnung mit Medizinmän­nern in Afrika“. Materialdienst 48, 1985, S. 284-294; vgl. auch Materialdienst 49, 1986, S. 321-324.

Wolfgang J. Bittner: Heilung – Zeichen der Herrschaft Gottes. Neukirchen-Vluyn 19882.
Ein reformierter Schweizer Pfarrer entdeckt die Orts­gemeinde als Ort des Heilens; gute Einführung, etwas ängstlich in bezug auf die Mitarbeit unkirchlicher Men­schen.

Heinz Doebert: Das Charisma der Krankenheilung. Hamburg 1960.
Dieses vor bald 30 Jahren erschienene Buch geht die Problematik von einem streng lutherischen, liturgischen Ansatz her an.

Walter J. Hollenweger: Geist und Materie. Interkultu­relle Theologie 3. München 1988.
Behandelt den „Heilungsdienst“, die Themen „Beses­senheit und Exorzismus“, „Christentum und Fremdreli­gionen“, „die neue Physik“ im Rahmen der Lehre vom Heiligen Geist ausführlich; viele Beispiele und Berichte aus persönlicher Erfahrung und aus der Erfahrung der Drittweltstudenten des Verfassers.

Bernhard Martin: Die Heilung der Kranken als Dienst der Kirche. Basel 1954.
Bericht eines Genfer Pfarrers, der schon vor über drei­ßig Jahren Erfahrungen mit dem Gebet für die Kranken machte.

Wilhelm Quenzer: Alternatives Heilen als Herausfor­derung für Kirche und Medizin. Information der Evange­lischen Zentrale für Weltanschauungsfragen Nr. 89, III/84. Stuttgart 1984.
Wichtige und gut informierende Studie über ein Thema, das in diesem Aufsatz nicht verhandelt wurde.

Hans-Diether Reimer: Gedanken zum 5. Evangeli­schen Charismatischen Kongreß. Materialdienst 49/8, 1. 8.1986, S. 234-239 (wichtiger Bericht).

Hans-Jürgen Ruppert: 10 Jahre Arbeitskreis „Psi und christlicher Glaube“ der EZW. Materialdienst 48/10, 1.10.1985, S. 300-308 (wie Quenzer).

Hans Schäfer: Die Medizin in unserer Zeit. Theorie. Forschung. Lehre. München 19632.

Hans Schäfer: Dein Glaube hat dich gesund gemacht. Religion und Medizin im Wechselspiel. Herder TB 1087. Freiburg 1984.
Grundlegende Darlegungen eines führenden Medizi­ners aus der Bundesrepublik.

Eduard Schweizer: Das Evangelium nach Matthäus. NTD 2. Göttingen 198616 (siehe S. 1 dieses Studienbriefs).

Gerd Theissen: Urchristliche Wundergeschichten. Ein Beitrag zur formgeschichtlichen Erforschung der synop­tischen Evangelien. Gütersloh 1974.
Korrigiert die etwas simplifizierende Wunderdeutung der Bultmannschule, zieht aber keine praktischen Kon­sequenzen.

Quelle: Studienbriefe Gemeindeaufbau A 28, Beilage zu Das missionarische Wort. Zeitschrift für Verkündigung und Gemeindeaufbau, Heft 5/1988, hrsg. v. der Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste, Stuttgart.


[1] (Die im Text erwähnte Literatur ist auf Seite 16 zusammengestellt)

[2] „Man muß der Beteuerung „entschieden widersprechen, urchristlicher Wunderglaube stelle im Rahmen der damaligen Zeit nichts Ungewöhnliches dar“ (Gerd Theissen: Urchristliche Wundergeschichten, S. 272).

[3] „Wichtig wäre nur, daß alle, Hausärzte, Fachärzte, Heilpraktiker und Geistheiler noch wüßten, von wem letztlich alle Heilung und alles Heil ausgeht. Wichtig wäre, wenn wir es vor allem als Patienten nicht vergessen und immer darauf achten wollten, daß wir uns nicht in unseren verschiedenen Fluchtbewegungen – Flucht in die Krankheit, Flucht in Gesundheit – auf der Flucht vor dem wahren Arzt befinden, der allein helfen, allein einzelnen und Gemeinschaften helfen kann. Wichtig wäre die Erkenntnis, daß es dem wahren Arzt und letzten Heiler nicht nur um unsere Gesundheit geht“ (Wilhelm Quenzer: Alternatives Heilen als Herausforderung für Kirche und Medizin, Information der Evang. Zentralstelle für Weltanschauungsfragen [EZW] Nr. 89, III/84, Stuttgart 1984, S. 17f).

[4] In den neutestamentlichen Texten steht „die Rettung aus Nöten und Gefahren des irdischen Lebens bei sozein im Vordergrund, und man fragt sich verwundert, inwiefern das Heil im Neuen Testament ‚wesentlich beschränkt auf geistliche Güter‘ sein soll“ (Wolfgang Schrage: Heil und Heilung im Neuen Testament, Ev. Theol. 46, 1986, S. 200; gegen Hermann Cremer/J. Kögel: Wörterbuch, S. 1033).

Hier der Text als pdf.

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