Von Karl Christian Felmy (1938-2023)
Liebe Brüder und Schwestern!
Das Himmelreich ist gleich einem Könige, der Seinem Sohn Hochzeit machte. – Spüren wir die ganze Herrlichkeit der Verheißung und der Erwartung? Gottes Reich ist keine Besserungsanstalt und keine moralische Schulungsstätte, keine Akademie und keine Predigtkirche. Gottes Herrschaft ist Fest, ist Freude, ist Mahl. Hier werden wir nicht gefordert, sondern genährt und erquickt, erbaut und erfreut. Hier werden Himmel und Erde eins. Hier ist Freude und Trost und überirdische Schönheit. „Warum, fragst du, gebraucht Jesus das Bild von der Hochzeit?“, heißt es in einer alten Predigt. Die Antwort: „Gott will damit Seine Besorgtheit andeuten, Sein Verlangen nach uns, daß es dort keinen Kummer, keine Trübsal gibt, sondern nur lauter geistliche Wonne.“ – Nichts ist Gott zu teuer für dieses Fest. Alles gibt Er hin, nur damit die Geschöpfe Anteil haben an Seiner Freude.
Ganz fraglos: Das Bild von der Hochzeit und dem Mahl paßt nicht zu jener tristen Feierlichkeit und traurigen Langweiligkeit, die lange Zeit, Jahrhunderte hindurch gerade für unser evangelisches Christentum typisch war und die es noch immer hier und da gibt. Freilich: Noch vor wenigen Jahren hätte ich begeisterter, ungehemmter von der Hochzeitsfreude des Reiches Gottes gesprochen. Denn damals gab es noch nicht die andere Gefahr, die kaum geringer ist als die sauertöpfische Wehleidigkeit vergangener Zeiten. Damals gab es noch nicht die Gefahr, die Hochzeitsfreuden des Reiches Gottes mit seichten Nettigkeiten zu verwechseln. Eine orientalische Hochzeit hat ein strenges Ritual. Sie ist alles andere als einfach lustig. Schon gar die Hochzeit eines Königssohnes. Da können einem die Sinne schwinden, so jenseitig, ‚nicht von dieser Welt‘ ist dort die Pracht. Dort wird man erhoben, erfreut, beglückt. – Aber einfach heiter und lustig ist es nicht, schon gar nicht, wenn der König kommt und die Gäste inspiziert und Seine Kleiderordnung durchsetzt.
Gott lädt ein zu Seinem Fest. Man kann das ganze Evangelium darin zusammengefaßt sehen, daß Gott zu Seinem Fest lädt: Gott, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist ist Liebe. Und Er will, daß Seine Geschöpfe teilhaben an dieser Liebe, so wie Gäste teilhaben an den Freuden einer Hochzeit.
Voll von Einladung zur Teilhabe an dieser Liebe ist unser Evangelium. Nicht nur, daß die Boten gleich zweimal ausgesandt werden. Wie sie einladen, läßt einem das Wasser im Mund zusammenlaufen. Deftiger Ochsenbraten und zartes Mastkalb: ein königliches Fest. Wer will sich da versagen? – Gott lädt zum Innehalten in unseren Geschäften. Wer will weiter in seinem Alltag verharren?
Der König lädt ein, aber niemand will kommen. – Ist das überhaupt vorstellbar? – Und doch ist es so. Und jeder hat auch noch seine guten Gründe, nicht zu kommen. Man muß einmal darauf achten, wie wohlanständig die sind, die sich der Einladung versagen, und welch ehrenwerte Gründe sie haben. Niemand folgt der Einladung etwa deswegen nicht, weil er dunkle Geschäfte betreibt oder weil er weniger sittsame Vergnügungen als eine Königshochzeit vorziehen würde. Und wie bekannt sind uns all die Gründe und Ausflüchte: die Sorge für die Familie, der Bau eines schönen Hauses, die Arbeit. – Viele lassen sich von dem allen verzehren. Andere besinnen sich darauf, daß es etwas anderes als Arbeit und Sorge gibt und verschreiben sich mit Haut und Haar dem Sport. Aber allen ist gemeinsam, daß niemand etwas Böses tut. Nichts geschieht, bei dem nicht auch ein Christ mitmachen könnte. Lauter anständige und ehrbare Pflichten und Freuden. Doch vor lauter Wohlanständigkeit droht die Welt ihre Seele zu verlieren. Und sie drückt sich um die Frage nach dem Sinn ihres Tuns, um die Frage nach Gott, und schiebt sie beiseite oder verschiebt sie auf einen günstigeren Zeitpunkt, irgendwann im Alter.
Am Ende hat die vornehme Distanz von Gott und die wohlanständige Gleichgültigkeit aber doch die merkwürdige Tendenz in sich, ganz unvermittelt in Verachtung, manchmal sogar in Feindschaft umzuschlagen. Das hämische Mitleid für die, die noch an Gott glauben, daraus sogar noch Konsequenzen für ihr Leben ziehen, die in der allgemeinen Weltlichkeit und Gleichgültigkeit nicht mitmachen, ist oft nur der Anfang von Haß gegen alle, die nicht konform sind, gegen die, für die der Mensch nicht allein von Ansehen, Brot, Ehre und Vergnügen lebt. Wie schnell schlägt Gleichgültigkeit um in Haß. In unserem Evangelium ist an das Volk Israel gedacht, das Christus verworfen und ans Kreuz gebracht hat. Die darauffolgende Katastrophe der Zerstörung Jerusalems sitzt dem Evangelisten Matthäus noch in den Knochen. 2000 Jahre Kirchengeschichte zeigen, daß Israel nicht allein davon bedroht ist, Gottes Einladung auszuschlagen, daß es Verhöhnung und Verachtung Gottes auch im Christentum geben kann, kaum weniger roh und grausam!
Gott lädt zu dem Gastmahl Seines Reiches. Und das Mahl findet statt, auch wenn die Gäste sich versagen. Er läßt sich das Fest nicht verderben. Freilich: Manche unter uns hätten sich einen anderen Ausgang gedacht. Sie hätten gemeint: ,Eine königliche Hochzeit kommt heute anscheinend nicht mehr an; lassen wir uns ein attraktiveres Programm einfallen!“ – Gott aber bleibt bei Seinem Programm. Eher wechselt Er die Gäste aus, als daß Er die Hochzeit absagt! Er teilt sich und Seine Liebe allen mit, die Seiner Einladung folgen. Aber wenn die einen nicht wollen, lädt Er andere. – Eine bunte Gesellschaft, die nun zusammenkommt. Es sind allerdings nicht nur sympathische Leute, die sich da an Seinem Tisch versammeln. Arme, Landstreicher, Krüppel, Blinde und Lahme sind es nach dem Zeugnis des Evangelisten Lukas. In der Fassung, die uns Matthäus berichtet, wird es fast noch schonungsloser deutlich: Die Knechte „brachten zusammen, wen sie fanden, Gute und Böse“ – ja auch Böse. – So ist es nun einmal im Reich Gottes. Gemeinschaft, Einheit beruhen nicht auf unserer Sympathie und unserer Wahl. Gemeinschaft, Einheit stiftet Er mit Seinem Wort, mit dem einen heiligen Brot und dem einen gesegneten Kelch. Alle sind eingeladen: Fromme und Unfromme, Edle und Unedle, ja auch Böse. Gott schenkt sich allen ohne Vorbedingung. Jeder wird angenommen, wie er ist. „Denn überreich an Gnade ist der Herr. Er nimmt den letzten wie den ersten… Der Tisch ist beladen, erfreut euch alle daran. Das Kalb ist gemästet, niemand gehe hungrig davon; alle erfreut euch an dem Mahl des Glaubens, alle empfangt den Reichtum der Gnade.“
Gott kommt zu Seinem Ziel. Er teilt sich und Seine Liebe mit an Böse und Gute. Jeder kann so kommen, wie er ist.
Jeder kann so kommen, wie er ist. Aber keiner soll so bleiben, wie er ist.
Der Evangelist Matthäus hat dem Gleichnis vom Hochzeitsmahl des Königs noch einen Zug angefügt, der die Festfreude auch ein wenig trüben kann: die Geschichte von dem Mann, der kein hochzeitliches Kleid anhat. Manchen erscheint das wie eine bittere Pille hinterher. Und wer unter uns wäre nicht peinlich berührt, wenn er auf einem Fest zugegen wäre und erleben müßte, wie einer neben ihm aus dem Saal verwiesen wird, weil seine Kleidung nicht stimmt! Viele stoßen sich daran. Und ich will nicht verschweigen, daß mir dieser Zug auch nicht nur angenehm ist. Ich könnte ja mit zu denen gehören, die der Herr aus dem Saal weist.
Und zugleich liebe ich diesen Zug wiederum besonders. – Warum? – Weil er der Säkularisierung des Gnadenangebotes wehrt, anders ausgedrückt: weil er sich dagegen sperrt, das Evangelium in eine billige Allerweltswahrheit zu verkehren. Jeder kann so kommen, wie er ist – gewiß! – Aber nicht, weil Gott eine besondere Vorliebe für das Gemeine, das Alltägliche, für das Gewöhnliche hätte, sondern im Gegenteil: weil die Habenichtse, die Bettler, die Lahmen und Blinden, die, die von der Landstraße geholt werden, und oft auch die Bösen eher bereit sind, sich beschenken, sich formen, sich neu einkleiden, sich umgestalten zu lassen. 2000 Jahre Christentum und 450 Jahre Reformation haben bewirkt, daß wir uns daran gewöhnt haben, daß Gott verzeiht, haben bewirkt, daß Böse und Gute meinen: „Ich bin nun einmal, wie ich bin, und Gott wird mich schon so nehmen, wie ich bin.“ Doch hüten wir uns, die unbezahlbar teure in billige Gnade zu verkehren. Das kann uns teuer zu stehen kommen.
Spüren wir nicht mehr, daß uns die Chance des Neuanfangs doch dazu gegeben ist, neu anzufangen und uns verändern zu lassen? Nicht die freche Selbstbehauptung und nicht der Hinweis, daß wir nun einmal so sind, wie wir sind, ist die rechte Antwort auf die Einladung zu Gottes Fest, sondern die Bitte, die ein Hymnus ausdrückt, den die Kirche des Ostens in der Leidenswoche singt:
„Dein Brautgemach schau ich, mein Erlöser, geschmückt. Ich habe kein Festgewand, daß ich eintreten darf. Lichtspender, mach leuchtend das Gewand meiner Seele und rette mich.“
Gehalten am 28. Juni 1987, 2. Sonntag nach Trinitatis, in der Neustädter Universitätskirche in Erlangen.
Quelle: Wolfgang Bub/Christian Eyselein/Günter R. Schmidt, Lebenswort. Erlanger Universitätspredigten. Manfred Seitz zum 60. Geburtstag, Erlangen: Junge & Sohn, 1988, S. 94-98.