John Wesley, Gedanken über die Sklaverei (1774): „Freiheit ist das Recht jeder menschlichen Kreatur, sobald sie die zum Leben notwendige Luft atmet; und kein menschliches Gesetz kann ihn dieses Rechts berauben, das er vom Naturgesetz her hat.“

Gedanken über die Sklaverei (1774)

Von John Wesley

Das ist die einfache, keineswegs übertriebene Wirklichkeit. Das ist die Art und Weise, wie unsere afrikanischen Sklaven dazu gemacht werden. So werden sie von ihrem Heimatland weggeholt und so in unseren Plantagen behandelt. Ich möchte nun erforschen, ob dergleichen auch nur nach den Prinzipien einer heidnischen Ehrenhaftigkeit verteidigt werden kann; ob es in Übereinstimmung zu bringen ist mit (setzen wir die Bibel einmal beiseite) irgendeinem Grad von Gerechtigkeit oder Barmherzigkeit.

Die große Entschuldigung lautet: Es ist geltendes Recht! Aber kann ein Gesetz, ein menschli­ches Gesetz, die Natur der Dinge verändern? Kann es Dunkelheit in Licht oder Böses in Gutes verwandeln? Keineswegs. Trotz zehntausend Gesetzen bleibt, was richtig ist, richtig, und was falsch ist, falsch. Es muß ein wesenhafter Unter­schied bleiben zwischen Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, Grausamkeit und Erbarmen. So frage ich nach wie vor: Wer kann diese Behandlung der Neger überhaupt in Übereinstimmung bringen mit Barmherzigkeit oder mit Gerech­tigkeit?

Wo ist die Gerechtigkeit, die es erlaubte, schlimmste Übel denen zuzufügen, die uns nichts Böses getan haben? Diejenigen aller Annehmlichkeiten im Leben zu be­rauben, die uns weder mit Worten noch mit Taten beleidigt haben? Sie aus ihrem Heimatland zu reißen und sie sogar der Freiheit zu berauben, auf die doch ein Angolese das gleiche natürliche Recht hat wie ein Engländer und die er ebenso hoch bewertet? Wahrhaftig, wo ist die Gerechtigkeit, wo man unschuldigen, wehrlosen Menschen das Leben nimmt, Tausende von ihnen im eigenen Land ermordet, durch die Hand ihrer eigenen Landsleute, viele Tausende, Jahr um Jahr, auf den Schiffen, um sie dann wie Dung ins Meer zu werfen, und Zehntausende in jener grausamen Sklaverei, wozu sie in so ungerechter Weise gebracht werden?

Aber ich wische jetzt einmal alle anderen Überlegungen beiseite und greife dieser komplexen Schurkerei an die Wurzel: Ich bestreite aller Sklavenhalterei voll und ganz, daß sie auch nur mit einem Grad von natürlicher Gerechtigkeit bestehen kann . . .

»Aber unsere Ausstattung mit Sklaven ist notwendig für den Handel und für den Reichtum und das Ansehen unserer Nation!« Darin liegen eine ganze Reihe von Fehlern. Denn zunächst einmal ist Reichtum nicht notwendig für das Ansehen ir­gendeiner Nation; vielmehr Weisheit, Tugend, Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Großzügigkeit, Verantwortungsbewußtsein, Liebe zu unserem Land. Diese alle sind notwendig für das wirkliche Ansehen einer Nation, aber Über­fluß an Reich­tum ist es nicht. Kenntnisreiche Männer stimmen darin überein, daß der Ruhm Englands zur Zeit der Königin Elizabeth so groß war wie heute: obwohl damals un­sere Reich­tümer und unser Handel um so viel geringer waren wie unsere Tugend größer. Doch zum an­dern ist es ja keineswegs eindeutig, daß wir über weniger Geld oder Handel verfügten (nur über weniger an jenem verabscheuungswürdigen Handel des Menschendiebstahls), wenn es überhaupt keine Neger auf allen unse­ren Inseln oder überhaupt im englischen Amerika gäbe. Es läßt sich zeigen, daß weiße Männer, gewöhnt man sie nur nach und nach daran, dort so gut wie jene auch arbeiten können; und sie würden es auch, wenn es da keine Neger gäbe und wenn angemessene Ermutigungen gewährt würden! Damit aber komme ich drit­tens zum gleichen Punkt zurück: Besser kein Handel als ein Handel, der durch Schurkerei gefördert wird. Es ist weit besser, keinen Wohlstand zu haben als ihn um den Preis der Anständigkeit zu gewinnen. Besser ist ehrenhafte Armut als alle Reichtümer, die mit den Tränen, dem Schweiß und Blut unserer Mitgeschöpfe er­kauft sind . . .

Es bleibt nur übrig, eine kleine Anwendung der vorangegangenen Beobachtungen zu machen. Aber auf wen sollte diese Anwendung bezogen werden? Das ist die Frage. Sollen wir uns an die breite Öffentlichkeit wenden? Welche Wirkung könnte das haben? Es könnte die Welt gegen die Schuldigen entflammen – aber wahrscheinlich nicht die Schuld selbst entfernen. Sollen wir uns an die englische Nation allgemein wenden? Auch das wäre aufsehenerregend weit genug: und wird vermutlich keine Beseitigung des schmerzlichen Übels bewirken, woge­gen wir an­gehen. Ebensowenig würde es aller Wahrscheinlichkeit nach nützen, sich an das Parlament zu wenden. So viele Dinge, die von größerer Bedeutung zu sein schei­nen, liegen ihm vor, so daß es diesem Thema kaum seine Aufmerksamkeit schen­ken dürfte. Darum füge ich einige Worte an diejenigen an, die unmittelbar betrof­fen sind, nämlich Schiffskapitäne, Händler oder Pflanzer . . .

Soll ich offen zu euch reden? Ich muß es. Liebe zwingt mich: Liebe sowohl zu euch als zu denjenigen, mit denen ihr es zu tun habt.

Gibt es einen Gott? Ihr wißt, daß es Ihn gibt. Ist er ein gerechter Gott? Dann muß es einen Zustand der Vergeltung geben, einen Zustand, wo der gerechte Gott je­dermann nach seinen Werken belohnen wird. Welchen Lohn wird Er dir zuteil werden lassen? Denke beizeiten daran! Bedenke jetzt: Er wird Gericht halten ohne Barmherzigkeit über die, die keine Barm­herzigkeit gezeigt haben . . .

Hatte dein Vater, hast du, hat irgendein Lebewesen ein Recht, einen anderen als Sklaven zu gebrauchen? Das kann nicht sein, selbst wenn man die Offenbarung einmal beiseite setzt. Es kann nicht sein, daß Krieg oder Vertrag irgendeinem Menschen solch‘ ein Eigentumsrecht über einen anderen geben, wie er es über seine Schafe und Ochsen hat. Noch viel weniger ist es möglich, daß irgendein Menschenkind jemals als Sklave geboren werden kann. Freiheit ist das Recht jeder menschlichen Kreatur, sobald sie die zum Leben notwendige Luft atmet; und kein menschliches Gesetz kann ihn dieses Rechts berauben, das er vom Naturgesetz her hat.

Wenn du also auch nur den geringsten Respekt vor der Gerechtigkeit hast (zu schweigen von der Barmherzigkeit und dem geoffenbarten Gesetz Gottes), dann gib allen, was ihnen zusteht. Gib Freiheit an die, denen Freiheit zusteht, d. h. je­dem Menschenkind, jedem, der Anteil hat an menschlicher Natur. Laß dir von niemandem dienen außer durch seine eigene Tat und Handlung, durch seine ei­gene freiwillige Wahl. Weg mit allen Peitschen, allen Ketten, allem Zwang! Sei gütig zu allen Menschen; und sieh zu, daß du ohne Schwanken jeden so behan­delst, wie du von ihm behandelt werden möchtest.

O Du Gott der Liebe, Du, der Du jeden Menschen liebst und dessen Gnade über al­len Deinen Werken ist; Du, der Du der Vater der Geister alles Fleisches bist und reich an Barmherzigkeit über alles; Du, der Du aus einem Blut alle Nationen auf Erden gemischt hast: habe Erbarmen mit diesen ausgestoßenen Menschen, die niedergetrampelt werden wie Dung auf der Erde! Erhebe Dich und hilf diesen, die keinen Helfer haben, deren Blut auf den Boden verspritzt wird wie Wasser! Sind diese nicht auch das Werk Deiner eigenen Hände, erworben durch Deines Sohnes Blut? Bewege sie, nach Dir zu schreien im Land ihrer Gefangenschaft; und laß ihre Klage vor Dich kommen, laß sie in Deine Ohren dringen! Laß auch diejenigen, die sie gefangen wegführten, sich ihrer erbarmen und wende ihre Gefangenschaft wie die Flüsse im Süden. O brich Du alle ihre Ketten entzwei, vor allem die Ketten ih­rer Sünden. Du Heiland aller, mache sie frei, damit sie wahrhaft frei werden.

Übersetzt von Martin Greschat.

Der vollständige englischsprachige Text findet sich hier.

Quelle: Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen. Ein Arbeitsbuch, Bd. IV/1 Neuzeit 1. Teil: 17. Jahrhundert bis 1870, ausgewählt, übersetzt und kommentiert von Hans-Walter Krumwiede, Martin Greschat, Manfred Jacobs und Andreas Lindt, Neukirchen-Vluyn 31989, S. 109-111.

Hier der Text als pdf.

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