„Gott achtet das Ansehen der Menschen nicht“ – Martin Luthers Auslegung von Galater 2,6

„Denn Gott achtet das Ansehen der Menschen nicht“ (Deus personam hominis non accipit). Auslegung zu Galater 2,6

Von Martin Luther

Diese Worte zieht Paulus aus Mose an, die der nicht nur einmal gebraucht (5. Mose 1,17). Es handelt sich um einen theologischen Sinnspruch oder um eine Sentenz: Gott sieht nicht das Angesicht oder die Person an. Mit diesem Wort stopft Paulus den Falschlehrern den Mund, wie wenn er sagen wollte: Ihr stellt mir jene, die da etwas zu sein scheinen, entgegen usw. Aber Gott kümmert sich um diese nicht. Er sieht nicht an den Apostolat, den Episkopat, das fürstliche Amt, er achtet nicht auf Ehren, Autorität etc. Damit das ganz klar werde, ließ Gott zu, daß einer von den Hauptaposteln, nämlich Judas, fiel und verworfen wurde. Genauso er­ging es einem aus den höchsten Köni­gen und zwar dem ersten, Saul. — Von Natur sind wir angelegt auf den Per­sonenkult. Dies Laster ist uns eingepflanzt, daß wir die Personen bewun­dern und mehr achten als Gottes Wort, während Gott doch will, daß wir hängen und haften allein am Worte selbst. Er will, daß wir den Kern und nicht die Schale erwählen sollen, daß wir uns mehr um den Hausvater, als um das Haus kümmern. Er will nicht, daß wir in Petrus und Paulus das Apostelamt bewundern und verehren, er will, daß wir Christus ehren, der in ihnen redet, und das Wort Gottes selbst, das aus ihrem Munde geht.

Dies zu sehen, liegt dem Weltmenschen nach seiner natürlichen Beschaffenheit nicht, sondern ist Sache des geistlichen Menschen. Der allein unter­scheidet die Person von dem Wort, die göttliche Larve von Gott selbst und seinem Werk. Jetzt in dieser Weltzeit haben wir mit dem Gott, der sich ver­hüllt, zu tun; jetzt und hier können wir nicht mit Gott von Angesicht zu An­gesicht handeln. Die gesamte Kreatur ist Angesicht und Larve Gottes. Aber da ist Weisheit vonnöten, Gott von seiner Larve zu unterscheiden. Diese Weisheit hat die Welt nicht, daher kann sie Gott nicht von seiner Larve unter­scheiden. Wenn so ein Geizhals, der nur auf seinen Bauch achtet, hört, daß der Mensch nicht allein von dem Brot lebe, sondern in einem jegli­chen Wort, das aus dem Munde Gottes geht, so schlingt er zwar das Brot, aber er erkennt [71] Gott im Brote nicht, weil er die Larve so groß achtet und in Verwunderung gerät und sie anbe­tet. So macht er’s mit dem Golde und den anderen Kreatu­ren, solange er sie hat, vertraut er darauf. Wenn sie aber weg sind, verzweifelt er.

Das sage ich darum, daß niemand meine, solche Larven oder Personen würden von Paulus gänzlich verworfen oder verachtet. Paulus sagt nicht, daß keine Person sein dürfe, sondern, daß bei Gott kein Ansehen der Person sei. Person oder Larve muß sein, und Gott hat sie gege­ben. Sie sind seine Kreatu­ren, aber wir dürfen sie nicht verehren und anbeten. Im Gebrauch der Dinge, nicht in den Dingen selbst liegt die Kraft, wie ich oben sagte. Der Fehler liegt nicht in der Beschneidung oder in der Vorhaut (denn die Beschneidung ist nichts und die Vorhaut ist nichts), sondern darin, wie man dazu steht. Die Be­schneidung verehren und anbeten und seine Gerechtigkeit damit aufrichten, und die Vorhaut zur Sünde machen, heißt verdammli­chen Gebrauch aufrich­ten, der abgetan werden muß. Wenn dieser falsche Gebrauch weg ist, sind die Beschneidung und die Vorhaut gute Dinge.

So sind die Obrigkeit, Kaiser, König, Fürst, Bürgermeister, Doktor, Predi­ger, Lehrer, Schüler, Vater, Mutter, Kinder, Hausherr, Knecht etc. Personen oder Larven, die Gott aufs herrlichste gehalten und als seine Kreaturen er­kannt haben will, die in diesem Leben sein müssen. Aber er will nicht, daß wir ihnen gottheitliches Wesen beilegen, d. h., daß wir sie als Gott fürchten und ehren, ihnen vertrauen und seiner vergessen. Darum hat Gott bei all diesen Personen Sün­de und Fall zugelassen und zwar so schwer, daß wir daran erin­nert werden, es gelte zwischen der Person und Gott einen großen Unterschied zu machen. — So hat Petrus Christus verleug­net etc. —

Wenn Paulus hier von dem Ansehen der Person des Menschen redet, meint er den Apostolat oder das Amt der Apostel, die doch gewiß viele Wunder ge­tan, gelehrt und Menschen zum Glauben gebracht hatten und mit Christus in vertrautem Umgang gestanden waren. Alles in allem: „Person“ umfaßt den ganzen äußeren Wandel der Apostel, der heilig war, und ihre Autorität, die doch groß war. Und doch, sagt Paulus, kümmert sich Gott darum nicht. Nicht als ob das alles ihm überhaupt nichts gälte, aber dort, wo es um die Rechtfertigung geht, bleibt es außer Ansatz. Es gilt also auf diesen Unter­schied exakt zu achten, so daß wir in der Theo­logie ganz anders reden als in Sachen des Staatswesens. Im Staatswesen sollen wir nach Got­tes Willen diese Personen als seine Larven und Instrumente ehren, durch die Gott die Welt lei­tet und regiert. Aber wenn es sich um die Religion, das Gewissen, die Gottes­furcht, das Gott­vertrauen, den Gottesdienst handelt, soll niemand irgendeine Person fürchten wie Gott, nie­mand ihr das höchste Vertrauen geben, nie­mand von ihr den wahren Trost erwarten, niemand soll hoffen, von irgend jemand leiblich oder geistlich Befreiung erlangen zu können. —

So würde ich auch den Papst ehren und ihn seiner Person halben achten, wenn er mir nur mein Gewissen frei lassen wollte und mich nicht zwingen [72] würde, Gott selbst zu beleidigen. Aber er will selbst so geehrt und gefürchtet werden, daß die Gottesmajestät Schaden leidet, das Gewissen verwundet wird und ich in die Sklaverei der Sünde gebracht werde. Wenn eins von den beiden verloren sein soll, dann die Person, aber Gott muß behalten werden. Die Herr­schaft des Papstes würde ich gern ertragen, aber er mißbraucht seine Autorität und Herrschaft und will uns nötigen, daß wir ihn allein, unter Verleugnung und Lästerung Gottes als Herrn anerkennen; er will unsere Gewis­sen binden und pressen, unter Hintansetzung der Gottes­furcht und des Gott­vertrauens; so sind wir gezwungen, wiewohl unwillig, dem Papst zu wider­stehen; denn es steht geschrieben: „Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen“ (Apg. 5,29). Daher guten Gewissens widerstehen wir dem Papst, was uns gewaltig tröstet. Sonst würde das sicher unser Gewissen bedrücken, daß wir dem Papst, außerdem aber einem so großen Reich und der Majestät des Kaisers, die Gott aufs höchste zu ehren befohlen hat, zuwider wären. Es haben auch Müntzer und andere Sekten dem Papst widerstanden und tun es noch, aber das geschieht bei ihnen wegen der Person, nicht Gottes wegen. Wir würden gern den Behemoth und seine Schuppen gewähren lassen, d. h. den Papst und seine Bischöfe, alle Personen und die Würden, die sie haben, dulden, wenn sie uns nur Christus ließen. Weil wir aber das von ihnen nicht erlangen können, verachten wir ihre Person und sagen zugleich mit Paulus: „Gott sieht nicht auf die Person der Menschen.“

Es liegt ein großer Nachdruck auf dem Wort Gott. In Sachen der Religion und des Wortes Gottes kann die Person auf keine Weise etwas gelten. Wenn es aber um Dinge außerhalb der Religion, abgesehen von der Gottesvereh­rung, geht, dann gilt die Achtung der Person, und ein Mensch muß die Person annehmen, damit keine Verwirrung entsteht und nicht Achtung und Ord­nung aufgehoben werden. Gott will, daß in diesem Kreis die Ordnung, die Ehrfurcht und der Unterschied der Personen erhalten bleibe. Sonst könnten ein Sohn, ein Schüler, ein Unter­gebener, ein Knecht sagen: Ich bin ebenso ein Christ wie mein Vater, Lehrer, Fürst, Gebieter, warum sollte ich ihm Ehre erweisen? So will Gott, daß wir untereinander den Unterschied der Person bewahren; vor ihm selbst aber fällt aller Unterschied der Person hin. Da gilt weder Grieche noch Jude, sondern alle sind eins in Christus. —

WA 40 I,172-179.

Quelle: D. Martin Luthers Epistel-Auslegung, Bd. 4: Der Galaterbrief, hrsg. v. Hermann Kleinknecht, Göttingen 1980, Seiten 70-72.

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