Johannes Rehm, „Gute Arbeit“ in christlicher Sicht: „Das gesellschaftliche Leben in unserem Land und insbesondere das Arbeitsleben verträgt keine weitere Beschleunigung und zusätzliche Arbeitsverdichtung. Die arbeitenden Menschen müssen spüren, dass es in den aktuellen Debatten um sie geht, dass ihre Arbeit geschätzt wird, dann wählen sie nicht rechtsradikal. Investitionen in ‚gute Arbeit‘ sind Investitionen in die Zukunft, die sich umfassend lohnen.“

„Gute Arbeit“ in christlicher Sicht

Von Johannes Rehm

I. Zur Einführung: Schlechte Zeiten für „gute Arbeit“?

Eine „gewaltige Kraftanstrengung“ ist erforderlich, um Deutschland wieder wettbewerbsfähiger zu machen. Dazu ist es nötig „wieder mehr und effizienter zu arbeiten“, so lässt sich Bundeskanzler Friedrich Merz, bereits in seiner ersten Regierungserklärung im Mai dieses Jahres vernehmen.[1] Auch Wirtschaftsministerin Katherina Reiche forderte die Deutschen dazu auf mehr und länger zu arbeiten, denn die steigende Lebenserwartung und der demografische Wandel würden eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit unumgänglich machen.[2] Der Bundeskanzler und die Bundeswirtschaftsministerin halten die Quantität von Arbeit beziehungsweise der Arbeitsleistung in unserem Land für unzureichend.

Die mir gegebene Themenformulierung dieses Vortrags zielt in eine andere Richtung und fragt nach der Qualität von Arbeit. Nun wird niemand von uns bestreiten wollen, dass die Konjunktur in Deutschland lahmt und die Wirtschaft aus vielerlei Gründen nicht so richtig in Fahrt kommt. Dies hat bekanntlich erhebliche negative Effekte auf die öffentlichen Haushalte bzw. die Steuereinnahmen und auf die privaten Einkommen.

Heißt dies nun, dass wir bezüglich des Anliegens, das sich mit dem Label „gute Arbeit“ verbindet in schlechten Zeiten leben? Zumindest ist es unter den genannten ökonomischen Rahmenbedingungen ungewöhnlich, die damit verbundene sozialpolitische Programmatik aufzugreifen. Das macht das Thema aber nicht weniger relevant, zumal es eine lange – widerständige – Geschichte hat. Seit 1974 wurde mit dem Schlagwort einer „Humanisierung des Arbeitslebens“[3] bereits nach der Qualität von Arbeitsplätzen gefragt.[4] Auch hinter dem aktuellen Thema „new work“ oder „decent work“ – anständige Arbeit, steht das Bestreben, der Arbeit im Zeitalter der Digitalisierung[5] ein menschengerechtes Maß zu geben. „Gute Arbeit“, „Humanisierung des Arbeitslebens“ und „new work“[6] sind Programmatiken und öffentliche Diskurse, die gemeinsam beinhalten, Arbeitsprozesse vom arbeitenden Menschen her wahrzunehmen und zu gestalten. In einer Phase, in der viele Menschen sich von der Vielzahl von beruflichen Aufgaben und umfassender Inanspruchnahmen überfordert fühlen und ausgebrannt sind, ist es höchste Zeit erneut nach „guter Arbeit“ zu fragen.

Gleichzeitig muss uns bewusst sein, dass Arbeit insgesamt und damit auch die erstrebte „gute Arbeit“, ein individuell sehr unterschiedliches Gesicht hat. Arbeit im Sinne von Erwerbsarbeit kann schließlich mit den Händen oder am Schreibtisch bzw. dem PC erbracht werden. Industrielle Arbeitsplätze, der Dienstleistungsbereich und der Handel führen zu einem unterschiedlichen Arbeitsleben. Ein Beamtenstatus und ein Angestelltenarbeitsverhältnis drücken sich nicht zuletzt in einem divergierenden Arbeits- oder Dienstrecht aus. Gemeinsam ist aber allen Menschen in den jeweiligen Berufen, dass die Arbeit und insbesondere die Erwerbsarbeit von existenzieller Bedeutung für sie alle ist. In der Arbeit drücken sie ihre Individualität aus, setzen ihre Fähigkeiten ein, verbringen in ihr ihre Lebenszeit und verschleißen damit ihre Kräfte. Im Sinne der jüdisch-christlichen Tradition gesprochen: die Arbeit gehört zur Geschöpflichkeit des Menschen dazu.[7] Das war schon zu biblischen Zeiten so. Angesichts dieser Quantität der Arbeit für die Lebenszeit versteht sich die Frage nach der Qualität fast von selbst: Wenn wir schon unserer Arbeit so viel Zeit widmen, dann sollte, ja dann muss es auch eine „gute Arbeit“ sein. Eine Form von Arbeit ist damit gemeint, die zu mir, zu meinen Fähigkeiten und zu meiner Lebenssituation passt. Ich meine eine Arbeit, die mich nicht überfordert und durch die ich nicht ausgebeutet werde. Es muss eine Arbeit sein, durch die ich mich und die Meinen ernähren kann, bei der ich natürlich auch mitbestimmen will und die einmal zu einem insgesamt erfüllten Arbeitsleben führt; eine Lebensarbeitszeit, von der gilt, dass man in der Rückschau im Ruhestand einmal sagen kann: es war recht so, irgendwie hat es schon für mich gepasst. Es war gut, so wie es war. In einer solchen lapidaren resümierenden Feststellung drückt sich eine wesentliche Qualität von „guter Arbeit“ aus.

Für die kirchliche Industrie- und Sozialarbeit, die ich selbst viele Jahre vertreten durfte, hat das Eintreten für „gute Arbeit“ Tradition. Mein langjähriger Kollege, der evangelische Sozialethiker Roland Pelikan verweist in einem Sammelband zu „guter Arbeit“ auf das wirkmächtige Studienprojekt der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Finnland „Good work“ aus dem Jahr 2000, das über den Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt in die deutsche sozialpolitische Debatte eingebracht und erfreulicherweise in den Folgejahren von den Gewerkschaften, insbesondere von der IG Metall ab 2002, aufgegriffen wurde bis hin zum weitverbreiteten DGB-Index „Gute Arbeit“ von 2007.[8]

Neben einem solchen qualitativen Verständnis der Arbeit steht aber wirkmächtig ein Arbeitsverständnis, welches Arbeitsleistung quantifiziert. Arbeit wird wahrgenommen als Wirtschaftsfaktor. Einmal wird die Arbeit aus der Sicht des arbeitenden Menschen betrachtet und andererseits von den Erfordernissen der Wirtschaft her. Beide Sichtweisen, die soziale und die ökonomische Perspektive, sind einander ergänzend notwendig, wenn wir sachgerecht von Arbeit sprechen wollen.

In der Arbeit, insbesondere in der Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen, drückt sich das Arbeits- beziehungsweise Berufsethos des arbeitenden Menschen aus. Ein solches Ethos ist nicht denkbar ohne ein Fundament oder einen weltanschaulichen Hintergrund. Damit ist eine Grundlage an ethischen Orientierungen gemeint. Ich selbst will das Ethos der jüdisch-christlichen Glaubenstradition leben, wie sie in der Bibel zum Ausdruck kommt. Diese Tradition prägt und trägt mich. Das hindert mich nicht an einer Haltung des Respekts vor den ethischen Überzeugungen von Menschen anderer Religionsgemeinschaften oder vor einem sich säkular verstehenden humanistischen Ethos. Ich selbst kann aber aus persönlicher Überzeugung nur aus christlicher Sicht sprechen. Aus dieser formuliere ich im Folgenden 10 Qualitätsmerkmale von „guter Arbeit“, die anders begründet sind als eine sozial- oder wirtschaftswissenschaftliche Sichtweise. Abschließend formuliere ich eine Forderung an die Politik. Als Bürger dieses Landes fühle ich mich zudem einem Verständnis von Sozialer Marktwirtschaft[9] verpflichtet, welches auf einem christlichen Menschenbild, der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte[10] und dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland fußt. Denn die genannten Dokumente sind von und unter Mitwirkung katholischer und evangelischer Christinnen und Christen formuliert und inhaltlich konzeptioniert worden. Daran knüpfe ich an. Deshalb nun

II. Zehn Qualitätsmerkmale von „guter Arbeit“

1. Qualitätsmerkmal: „Gute Arbeit“ ereignet sich in der Spannung von alltäglicher Realität und ferner Utopie

Schon jetzt und noch nicht – in dieser Spannung von Erfüllung und Vollendung vollzieht sich aus christlicher Sicht menschliches Leben. Die neue Weltzeit des Reiches Gottes ist längst angebrochen und mitten unter uns wirksam. Aber die endgültige Vollendung, dass einmal alle Widersprüche in Gott aufgehoben sind, die steht noch aus. Eine solche Sicht ermöglicht bei unserem Thema der menschlichen Arbeit eine differenzierte Sichtweise: Nämlich die Wirklichkeit in ihrem Potential, mit allen Chancen dankbar wahrzunehmen, aber auch ihre Abgründigkeit einschließlich der ungelösten Probleme nicht zu übersehen. Vieles ist nicht gut, sondern schlecht für uns und unsere Mitmenschen. Manchmal gilt es sich zu freuen, wenn die Arbeit gut gelingt und Erfüllung eröffnet. Aber dann, wo dies nicht der Fall ist, heißt es nicht zu resignieren, sondern hoffnungsvoll danach zu streben, dass schlechte Arbeit nicht schlecht bleibt, sondern doch noch menschengerecht und gut wird. In dieser Spannung von Realismus und Utopie können wir von „guter Arbeit“ reden.

Realistischerweise werden wir nicht überrascht sein, dass Arbeit nicht immer gut ist, weil es schließlich fehlbare Menschen sind, welche arbeiten. Diese Einsicht kann keine Entschuldigung für die Fortführung ungerechter Strukturen und eine falsche Verteilung von Ressourcen sein. Mein Tübinger Doktorvater Jürgen Moltmann nannte den Glauben einmal „erinnerte Hoffnung“[11]. Es war einst die Erfahrung der Befreiung aus dem Sklavenhaus in Ägypten gewesen, welche das besondere Vertrauensverhältnis des Volkes Israel zu seinem Gott begründete. Davon erzählt das Alte Testament. Und es ist die Botschaft der Auferstehung Jesu Christi, welche die Hoffnung zur Grundsignatur des Christentums schlechthin werden ließ. Dies bezeugt das Neue Testament. Diese Dynamik von Unfreiheit zur Freiheit hin, von Ungerechtigkeit zur Gerechtigkeit sowie der Gegensatz von Armut und Reichtum prägen unsere Welt. Es ist atemberaubend und nervenzerfetzend diese Kontraste in den Fernsehnachrichten vor Augen geführt zu bekommen oder sie im eigenen Umfeld zu erleben.

Die menschliche Arbeit bleibt in diesem spannungsgeladenen Leben und auf dieser widersprüchlichen Welt eine Dauerbaustelle, die nicht fertig wird. Die Digitalisierung der Arbeitswelt sowie der Einsatz von KI bestimmen inzwischen den Arbeitsalltag. Zeitaufwändige Routinen erübrigen sich, aber es fallen für arbeitende Menschen auch vertraute Berufsbilder weg und nicht wenige müssen sich im fortgeschrittenen Alter beruflich umorientieren. Vor allem das ökonomisch Wünschenswerte passt mit dem ökologisch Notwendigen häufig nicht zusammen. Gerne würde unsere Autoindustrie beispielsweise weiter Verbrenner produzieren. Andererseits spüren alle die Auswirkungen der Klimakrise mit unübersehbaren, auch finanziell spürbaren Folgen. Was ist da der richtige Weg? Darauf gibt es keine einfachen Antworten, aber wir müssen uns dieser Frage stellen und um die nächsten Schritte gesamtgesellschaftlich ringen.

2. Qualitätsmerkmal: „Gute Arbeit“ ist Ausdruck guten Lebens

„Ich lebe und ihr sollt auch leben“, sagt Jesus Christus nach der Überlieferung des Johannesevangeliums. (Joh 14,9) Das Leben, von dem Jesus spricht und zu dem er ermutigt, hat mannigfache Dimensionen und Ausdrucksweisen in dieser Welt und unserer Zeit. Sie umfasst das ganze Leben, aber Jesu Rede vom Leben weist immer über sich hinaus auf Gottes Ewigkeit. Leben beinhaltet viel Arbeitszeit und gleichzeitig ist das Leben mehr als Arbeit sowie sehr viel mehr als Erwerbsarbeit. Deshalb ist christliches Verständnis von Arbeit als selbstverständlicher Ausdruck der Geschöpflichkeit des Menschen nicht einzuengen auf die Erwerbsarbeit, mit der wir unseren Lebensunterhalt verdienen. Dazu gehört die Familienarbeit für Männer und Frauen: alte Familienmitglieder müssen besucht, nicht selten betreut werden. Die junge Generation verdient unsere Aufmerksamkeit und Zuwendung. Ferner ist Demokratie ohne ehrenamtliche Arbeit undenkbar. Menschen brauchen neben ihrer Erwerbsarbeit zeitliche Spielräume um aktive Mitglieder in Parteien, Verbänden, Kirchen- und Pfarrgemeinden sowie in Bürgerinitiativen zu sein. Erwerbsarbeit ist auch zeitlich nicht das ganze Leben, sondern lediglich ein wichtiger Teil, der einmal vorbei ist und in den Ruhestand beziehungsweise in die Rente münden darf. Ein gutes und gelingendes Leben beinhaltet eine Erwerbsarbeit, welche Raum lässt für die von den Geschlechtern gemeinsam zu verantwortende Haus- und Familienarbeit als auch für das Ehrenamt, in der sich arbeitende Menschen in ihrer Freizeit in unsere Gesellschaft einbringen sowie am kulturellen Leben teilnehmen.

Insofern kann ich nur warnen vor dem Aufweichen von Errungenschaften des Sozialstaats in Form des 8 Stunden-Tags und einer gemeinschaftlich begrenzten Lebensarbeitszeit. Insbesondere in Phasen starker familiärer Beanspruchung und gesundheitlicher Krisen ist ein verlässlicher regelbasierter Rahmen notwendig und lebensdienlich. Niemand wird an mehr Erwerbsarbeit im erforderlichen Fall gehindert, wenn persönliche Lebensumstände sowie Gesundheit es zulassen. Doch die Erwerbsarbeit profitiert in qualitativer und damit zusammenhängend auch in quantitativer Hinsicht davon, dass Menschen sich für ihre Alten und ihre Jungen einsetzen können sowie ehrenamtlich noch einmal andere Fähigkeiten zum Einsatz kommen.

„Gute Arbeit“ drückt einem nicht die Luft zum Atmen ab, sondern lässt arbeitenden Menschen den Raum, eigenen Neigungen nachzugehen und sich über grundsätzliche Themen selbstständig Gedanken zu machen.

3. Qualitätsmerkmal: „Gute Arbeit“ gedeiht auf ewigem Grund

Was bedeutet es in christlichem Sinn zu arbeiten und zu wirtschaften? Was beinhaltet ein christliches Arbeitsethos und wie wirkt es sich auf den Arbeitsalltag aus? Zuallererst bedeutet es eine Haltung der Ehrfurcht vor allem Geschaffenen. Diese drückt sich als Dankbarkeit gegenüber dem Schöpfer aus. Ihm ist zu danken für die Ressourcen, welche menschliche Arbeit erst ermöglichen. Eine Berufung auf Jesus Christus verändert darüber hinaus meine Sicht auf die Menschen, denen ich am Arbeitsplatz begegne. Sie sind vordergründig zunächst einmal meine Kollegen und/oder Kunden, aber sie sind zugleich meine Nächsten, die mir ans Herz gelegt sind. Das Gelingen meines Arbeitseinsatzes hängt nicht nur von mir ab, sondern bedarf des Segens Gottes, dass „Gute Arbeit“ in dieser Welt auch Gutes für andere bewirkt und zum Dienst am Nächsten wird. Was folgt nun aus dieser Haltung?

Ehrfurcht vor dem Geschaffenen verlangt danach, dass die Güter dieser Welt gerecht geteilt und im Sinne von Nachhaltigkeit mit ihnen umgegangen wird. Die von Jesus gestiftete Nächstenschaft ist für das Arbeitsleben eine Herausforderung, denn sie gilt für alle Mitmenschen, unabhängig von ihrer Hautfarbe, ihrem Geschlecht, ihrem Herkommen und unabhängig von unserer Sympathie. Die christliche Sicht des Mitmenschen als Nächsten bewahrt nicht vor Konkurrenz und vor Konflikten. Aber jeder Mensch ist ein Geschöpf Gottes und damit das Miteinander nicht ohne Hoffnung.

Die evangelische Theologin Dorothee Sölle versteht unter Arbeit „… das lebendige Symbol für den unablässig weitergehenden Prozess der Schöpfung selbst…“.  Sie ist „… Selbstausdruck des Menschen, soziale Beziehungshaftigkeit und Versöhnung mit der Natur…. In guter Arbeit drückt sich die Arbeiterin selbst aus, so dass sie erkennbar wird. Das kann nur dort gelingen, wo möglichst alle unsere Fähigkeiten und Kräfte am schöpferischen Prozess beteiligt sind, wo wir uns also selber lernend entwickeln und nicht einige unserer Organe unterentwickelt verkümmern lassen.“[12]

4. Qualitätsmerkmal: „Gute Arbeit“ funktioniert nach bewährten Regeln

„Gute Arbeit“ ermöglicht und befördert Kreativität und Innovation. Sie erschöpft sich nicht im Gleichmaß von Routinen und Bewährtem, sondern wagt Neues und Ungewohntes. Dass dies gelingt, dafür bedarf das Arbeitsleben hilfreicher Regeln, denn bei der Arbeit arbeiten Mitarbeitende aus unterschiedlichen Hierarchieebenen und mit divergierenden Interessen zusammen. Erst ein möglichst reibungsloser Ablauf von Arbeitsprozessen führt zu gelingendem Zusammenwirken als Voraussetzung von guten Arbeitsergebnissen. Doch kann es in einer sich dynamisch weiterentwickelnden Arbeitswelt ein stimmiges Reglement für alle geben? Noch dazu in der Umwälzung, welche die Digitalisierung beinhaltet? Wie alle wissen und erleben, ist der Betrieb entweder ganz oder teilweise nicht mehr der Ort der Berufsausübung, wie es das für Deutschland maßgebliche Betriebsverfassungsgesetz voraussetzt. Wie ist Homeoffice zu regeln und wer setzt den Rahmen für Videokonferenzen beziehungsweise für das Arbeiten im Internet?

„Solidarität und Selbstbestimmung im Wandel der Arbeitswelt“, so lautet der programmatische Titel der für unser Thema einschlägigen EKD-Denkschrift aus dem Jahr 2015. Diese schärft unter anderem ein, das aus der Würde menschlicher Arbeit grundlegende Rechte folgen. Nämlich Rechte „aus“ der Arbeit, welche zu unterscheiden sind von Rechten „in“ der Arbeit. Schon die Bibel mahnte an, dass Arbeit den vereinbarten Lohn verdient. Was für welche Arbeit der gerechte Lohn ist, darüber lässt sich trefflich streiten. Für die Praxis gibt es ein bewährtes Verfahren: „Dabei kommt dem Instrument der Tarifautonomie eine entscheidende Bedeutung zu, da Tarifverträge im Sinn der grundlegend kooperativen Struktur der Arbeit als Friedensverträge der Tarifpartner verstanden werden können, bei denen sich beide Verhandlungsseiten gleichberechtigt gegenüberstehen und sich gemeinsam auf einen tragfähigen Kompromiss einigen.“ [13] Diese bewährte Regel des Arbeitslebens in einer Sozialen Marktwirtschaft ist von Aktualität und Brisanz angesichts der Tendenzen zur Tarifflucht, die nicht nur der Arbeitnehmerschaft, sondern dem gedeihlichen Miteinander in der Gesellschaft erheblich schaden. Durch ihren Arbeitseinsatz erwerben arbeitende Menschen Partizipationsrechte in der Arbeit im Sinne von Mitbestimmung, unbeschadet von aus Eigentumsrechten abgeleiteten Entscheidungsbefugnissen in Unternehmen. Die Denkschrift erinnert an Folgendes: „Im Prozess der Ausgestaltung und Weiterentwicklung der Arbeitsbedingungen spielen neben der Gesetzgebung vor allem die Sozialpartner – Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften – eine zentrale Rolle.“[14]

Der evangelische Sozialethiker Traugott Jähnichen und der katholische Gesellschaftsethiker Joachim Wiemeyer weisen darüber hinaus in einer gemeinsamen Veröffentlichung auf folgende zentrale Herausforderung hin: „Für eine humane und soziale Gestaltung der Arbeitswelt wird es in Zukunft wesentlich darauf ankommen, den Gedanken der Solidarität in neuer Weise unter den Bedingungen von Arbeit 4.0 zu profilieren.“[15]

5. „Gute Arbeit“ als erbrachte Arbeitsleistung

Von „Guter Arbeit“ sprechen wir, wenn die Arbeitsleistung eines Handwerkers, eines Arbeitsteams, einer polizeilichen Ermittlung oder was auch immer ungewöhnlich gut gelungen ist. „Gute Arbeit“ ist wie ein anerkennendes Gütesiegel, wie ein Prädikat, ein hohes Lob für ein besonders ertragreiches Arbeitsergebnis, das die Erwartungen weit übertrifft und so eine Basis bildet für die Weiterarbeit von anderen. Die allgemein beklagte derzeitige Wirtschaftsflaute wird nicht zu überwinden sein, wenn nicht die Arbeitnehmerschaft, die unternehmerisch Tätigen sowie die politisch Verantwortlichen je auf ihre Weise „gute Arbeit“ abliefern. „Gute Arbeit“ allein wird es nicht herausreißen, weil unsere Wirtschaft global vernetzt vom Weltmarkt einschließlich des Börsengeschehens abhängt. Aber ohne Arbeit geht es nicht, denn Wirtschaft braucht Wertschöpfung, die erarbeitet sein will. Diese erfordert bekanntlich Fleiß, Arbeitseinsatz und Können. „Gute Arbeit“ entsteht da, wo arbeitende Menschen ihren Fähigkeiten und Neigungen entsprechend eingesetzt sind. Wo dieser Ort ist und wie dieser Arbeitsplatz beschaffen sein muss, setzt einen komplexen Explorations- und Aushandlungsprozess von Betriebs- und Dienststellenleitungen und den einzelnen Mitarbeitern voraus. Und wo das ist und wie das gelingen kann, das wird sich im Arbeitsleben immer wieder ändern und Anpassungen erforderlich machen. Vielfältige Voraussetzungen sind es, welche Arbeitsleistung und Arbeitserfolg erst ermöglichen. Das betont die Erziehungswissenschaftlerin Marianne Gronemeyer, wenn sie schreibt: „Gute Arbeit macht Rückerstattung an ihre Grundlagen möglich und regeneriert sich durch sie. Diese Grundlagen sind alle gleich wichtig und nur durch ihr Zusammenwirken kann gute Arbeit entstehen, solche, die nützt und nicht schadet. … Für das Gelingen einer Arbeit ist Arbeitsmaterial nicht wichtiger als die Fähigkeit und Konzentration des Schaffenden.“[16]

6. Qualitätsmerkmal: „Gute Arbeit“ in guter Gemeinschaft

Wirtschaft ist Kooperation. Doch was bedeutet dies in der Praxis? Es beinhaltet die Notwendigkeit des Zusammenwirkens von sehr unterschiedlichen Menschen. Nicht nur in der industriellen Arbeitswelt arbeiten alltäglich Menschen unterschiedlicher Beheimatung, Geschlechtszugehörigkeit, Mentalitäten und unterschiedlichen Alters zusammen. Zur Herausforderung wird dieses Zusammenwirken Verschiedener im Arbeitsprozess dadurch, dass Mitarbeitende unterschiedlicher Hierarchieebenen mit unterschiedlichen Funktionen, Qualifikationen beziehungsweise differierenden Interessenlagen miteinander auskommen und Wertschöpfung gemeinsam generieren müssen. Solange die Chemie zwischen den Menschen stimmt und die Auftragslage sich hoffnungsfroh anlässt, wird das kein Problem sein. Wenn sich die zwischenmenschliche und die wirtschaftliche Stimmung eintrüben, dann sind Konflikte bis hin zu nachhaltigen Verwerfungen oft unvermeidbar. Und nicht selten wird der alltägliche Gang zur Arbeit zur angstbesetzten Qual. Die begeisternde Chance von Diversität verkehrt sich nun ins Gegenteil. Kaum ein Arbeitsleben vergeht ohne diese schmerzliche Erfahrung. Auch die christliche Sicht auf die Arbeit ersetzt geordnete Konfliktlösungsmechanismen und insbesondere den Einsatz mediatorisch befähigter Mitmenschen nicht. Sie vermag uns aber daran zu erinnern, dass auch der befremdlich andersartige Kollege und die nicht sofort sympathische Kollegin Geschöpfe ein und desselben Schöpfers bleiben. Der katholische Wirtschaftsethiker P. Friedhelm Hengsbach S.J. lehrte eindrücklich die gesamte christliche Ethik als eine Ethik der Nächstenschaft zu verstehen, die nicht zuletzt in der Arbeitswelt allen Schwierigkeiten zum Trotz gelebt sein will.[17] Gute Gemeinschaft braucht Zeit miteinander und vielfältige dialogische Formen des gemeinsamen Austausches sowie Erfahrungen wechselseitiger Solidarität.

7. „Gute Arbeit“ bedarf heilsamer Unterbrechungen

Im Rückblick auf mein eigenes Arbeitsleben in einem sehr selbstbestimmten Beruf empfand ich es manchmal nicht leicht bei der Arbeit das richtige Maß zu finden. Arbeit in guter Gemeinschaft macht Spaß und ein Arbeitserfolg tut gut. Ja, Erfolg verlangt förmlich nach Wiederholung. All das kann schnell viel werden und Arbeitseifer wächst sich aus zu Arbeitswut. Diese tut niemanden gut. Da sind Grenzen und ein Rahmen, den man sich nicht selbst setzt, eine Hilfe. Der Soziologe Hartmut Rosa analysierte die gesellschaftliche „Beschleunigung“ aller Lebens- und Arbeitsvollzüge. Er macht auf ein Paradoxon aufmerksam: „`Das Tempo des Lebens hat zugenommen` und mit ihm Stress. Hektik und Zeitnot, so hört man allerorten klagen – obwohl wir, ganz wie in Kairos, auf nahezu allen Gebieten des sozialen Lebens mit Hilfe der Technik enorme Zeitgewinne durch Beschleunigung verzeichnen können. Wir haben keine Zeit, obwohl wir sie im Überfluss gewinnen.“[18]

Bekanntlich führen diese beschleunigten Lebens- und Arbeitsverhältnisse zu Krisensymptomen und Krankheitsbildern. Diese Gesundheitskrise der Arbeit könnte die Gelegenheit sein, sich an die Weisheit der jüdisch-christlichen Glaubenstradition zu erinnern, bei welcher die Feiertagsruhe Gebotscharakter hat. Denn Arbeit ist nur gut, wenn sie auch rein zeitlich nicht alles ist im Leben.

Eindrücklich hat der jüdische Religionsphilosoph Franz Rosenzweig beschrieben, was der alttestamentliche Sabbat bedeutet. Rosenzweig schreibt: „Der Sabbat ist Fest der Erlösung; er ist es sogar doppelt, in seinen beiden Begründungen, sowohl als Erinnerung des Werks vom Anfang, denn er feiert die göttliche Ruhe des siebenten Tags wie als Gedenktag der Befreiung aus dem Sklavenhaus Egypten, denn sein Zweck ist, dass Knecht und Magd ruhen wie ihr Herr, Schöpfung und Offenbarung münden bei ihm in der Ruhe der Erlösung.“[19] Der Sabbat gab nicht zuletzt Jesus und seinen Jüngern die Form ihres Lebens. Der Jude Rosenzweig schreibt über den christlichen Sonntag: „Der Sonntag… ist ganz zum Fest des Anfangs geworden… Und so ist der Sonntag in seiner über das Tagewerk der Woche seinen Segen ausstrahlenden Kraft das rechte Bild dieser immer von frischem, immer jung, immer neu die Welt überstrahlenden Kraft des Christentums.“[20]

Diese Kraft aus der schöpferischen Sabbatruhe sowie der Kraft des Neuanfangs durch die Auferstehung Jesu Christi kann erfahren werden an jedem arbeitsfreien Sonntag, welchen unser Grundgesetz aus gutem Grund schützt. In einer radikal beschleunigten Arbeitswelt ist dieser Tag der heilsamen Unterbrechung menschlichen Arbeitsdrangs unendlich wertvoll, weil alle Menschen ohne Ansehen von Rang und Stand ruhen dürfen am selben Tag.

8. Qualitätsmerkmal: „Gute Arbeit“ in globaler Perspektive

Wirtschaftliches Handeln ist in seinen globalen Bezügen wahrzunehmen. Dies gilt auch für unser Thema der menschlichen Arbeit. Arbeit ist nur gut, wenn sie weltweit gut ist. Und dahin ist es ein weiter Weg, was uns nicht entmutigen darf. Wir brauchen ein globales Arbeitsethos und fangen damit am besten bei uns selbst an. Orientierung dafür bietet ein globales Wirtschaftsethos, welches eine Gruppe von Wirtschaftssachverständigen zusammen mit meinem zweiten Doktorvater dem Tübinger katholischen Theologen Hans Küng 2010 formuliert hat. Ich zitiere aus dem einschlägigen Artikel 5:

„Jede Form von Gewalt als Mittel zum wirtschaftlichen Zweck ist abzulehnen. Sklavenarbeit, Zwangsarbeit, Kinderarbeit, körperliche Züchtigung sowie andere Formen der Verletzung international anerkannter Normen des Arbeitsrechts müssen zurückgedrängt und abgeschafft werden. Alle Wirtschaftsakteure müssen … den Schutz der Menschenrechte in ihren eigenen Organisationen sicherstellen. Sodann müssen sie alle Anstrengungen unternehmen, dass sie in ihrem Einflussbereich nicht zu Menschenrechtsverletzungen ihrer Geschäftspartner oder anderer Parteien beitragen oder gar von ihnen profitieren.
Die gesundheitliche Beeinträchtigung von Menschen durch defizitäre Arbeitsbedingungen ist zu vermeiden. Arbeitssicherheit nach dem Stand der Technik, Produktsicherheit und die Unschädlichkeit der Produkte für die menschliche Gesundheit sind grundlegende Anforderungen einer Kultur der Gewaltlosigkeit und Achtung vor dem Menschen.“[21]

9. Qualitätsmerkmal: „Gute Arbeit“ als Praxis fortlaufender Erneuerung

Die Arbeitswelt ist in einem kontinuierlichen Prozess von Innovation und Erneuerung begriffen. Unerschöpflich ist der menschliche Erfindungsreichtum, der nichts beim Alten lässt. Bewährtes und Vertrautes sind im arbeitsweltlichen Kontext selten von Bestand. Konkurrenz und Wettbewerb dynamisieren die Modernisierungsgeschwindigkeit von Produkten und Abläufen. Wie kann es da in einem verlässlichen Rahmen für arbeitende Menschen „gute Arbeit“ geben?

Der christliche Glaube ist ein hoffnungsfroher Osterglaube, welcher Erneuerung fördert in einem tieferen, umfassenderen Sinn. Der Apostel Paulus ermahnt die Gemeinde in Rom damals und heute: „Und stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, auf dass ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene.“ Röm 12, 2 Wer sich auf diesen Perspektivwechsel einlässt, findet sich mit schlechten unmenschlichen Arbeitsbedingungen nicht ab, sondern befördert mit geschärften Sinnen „gute Arbeit“, die dem Leben in Gemeinschaft dient. Der evangelische Ethiker Hans Günter Ulrich schreibt: „Geschöpfliches Leben heißt, sich im Modus des Neuwerdens aufzuhalten… Das geschöpfliche Leben bleibt das Leben von Sterblichen in der Hoffnung auf die Auferstehung.“[22]

10. Qualitätsmerkmal: „Gute Arbeit“ ist ein Segen

Die christliche Sicht, welche einzubringen ich in diesem Vortrag gebeten worden war, ist keine harmlose Perspektive, der man mit ein paar veränderten Stellschrauben entsprechen könnte. Im letzten Qualitätsmerkmal war im Anschluss an Paulus Christinnen und Christen eine veränderte Existenzform, das heißt eine umfassende Erneuerung von Sichtweisen und Lebensstilen ans Herz gelegt worden. Doch was hat man davon? Oder dürfen Christenmenschen nicht so utilitaristisch, so absichtsvoll fragen und denken? Ich meine, selbstverständlich wird so gefragt, weil es zutiefst menschlich ist immer wieder so zu denken. Allerdings gibt es keine einfache und eingängige Antwort, wenn wir die jüdisch-christliche Tradition diesbezüglich befragen. Stets wird einerseits das gute und gelingende Leben im Einklang mit unserem Schöpfer verheißen. Andererseits wird auch die Grenze der besten menschlichen Bemühungen, einschließlich von „guter Arbeit“ klar benannt. Einerseits ist unserem Tun und Lassen, das wir in Gottes Namen in Angriff nehmen, der Segen Gottes verheißen, andererseits ist auch die beste Arbeit nicht heilsvermittelnd. Selbsterlösung durch Arbeit ist ausgeschlossen! Ist das nicht gerade eine gesunde und lebensdienliche Form von Work-Life Balance: Das Notwendige tun und es an Arbeitseinsatz nicht fehlen lassen. Aber andererseits sich selbst mit seinem Können auch nicht überschätzen. Das ist Weisheit. Das Zugleich von Selbstbewusstsein und Bescheidenheit scheint mir ein Qualitätsmerkmal von „guter Arbeit“ in christlichem Sinn zu sein.

Meine Frau hat mich schon vor einiger Zeit auf ein biblisches Wort aus den Sprüchen Salomos hingewiesen, welches eine tiefe Weisheit enthält. In den Sprüchen Salomos heißt es: „Der Segen des Herrn allein macht reich, und nichts tut eigene Mühe hinzu.“Spr 10, 22

Im Blick auf unser Thema verstehe ich dieses Bibelwort so, dass es des Segens Gottes bedarf, dass aus Mühe und Plage „gute Arbeit“ wird. Dieses Wissen entbindet uns nicht von unseren Bemühungen um qualitätsvolle „gute Arbeit“. Aber, dass unterschiedliche Menschen am Arbeitsplatz sich wirklich verstehen, dass Arbeitsergebnisse letztlich dort gut ankommen, wo sie am dringendsten gebraucht werden, dazu bedarf es des Segens Gottes. Diesen Segen hat keine Kirche dieser Welt selbstverständlich zur Verfügung, sondern er muss stets neu erbeten werden. Das Entscheidende im Leben ist und bleibt Geschenk des Schöpfers selbst. Der Reichtum, von dem dieser Spruch Salomos spricht, ist eine andere Währung als Euros, Dollars oder Rubel, aber es ist ein Reichtum mit Ewigkeitswert und ohne Verfallsdatum.

III. Zum Schluss: Hoffnung ist der Atem des Lebens

„Gute Arbeit“ ist in der Erwerbsarbeit im modernen Sinn ein Joint Venture von Arbeitnehmern, Arbeitgebern und politisch Verantwortlichen, dessen Gelingen durch dialogischen Einsatz befördert, aber nicht umfassend garantiert werden kann.

Das in meinem Vortrag entfaltete mehrdimensionale Verständnis von „guter Arbeit“ verstehe ich als Ausdruck und Anwendung eines christlichen Arbeitsethos. Politisch ist es an der Zeit, anstelle von Forderungen nach einer quantitativen Ausdehnung von Arbeitszeit mit einer Qualitätsoffensive im skizzierten Sinn „gute Arbeit“ zu befördern. Die aktuelle öffentliche Debatte ist defizitär: zu sehr steht ein Denken in Quantitäten im Vordergrund – alles muss mehr und schneller werden. Nämlich die Arbeitsleistung, die digitalen Prozesse und vor allem die Absatzzahlen sollen gesteigert werden. Mit meinem Vortrag plädiere ich dafür, dass die arbeitenden Menschen ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt werden. Es muss mehr und schneller alles dafür getan werden, dass die Qualität von Arbeit gesteigert wird: „Gute Arbeit“ für alle, was sich auch quantitativ förderlich auswirken wird und das nicht zuletzt auf sowie durch Arbeitszufriedenheit und auf stabile Betriebszugehörigkeit von Arbeitnehmenden. Für diese Wertschätzung der menschlichen Arbeit. habe ich die jüdisch-christliche Glaubenstradition auf meiner Seite.

Gerne möchte ich für ein christliches Arbeitsethos, das alle im Blick hat und auf gute Arbeit abzielt, auch den katholischen Mitchristen Friedrich Merz sowie die evangelische Mitchristin Katharina Reiche gewinnen. Das gesellschaftliche Leben in unserem Land und insbesondere das Arbeitsleben verträgt keine weitere Beschleunigung und zusätzliche Arbeitsverdichtung. Die arbeitenden Menschen müssen spüren, dass es in den aktuellen Debatten um sie geht, dass ihre Arbeit geschätzt wird, dann wählen sie nicht rechtsradikal. Investitionen in „gute Arbeit“ sind Investitionen in die Zukunft, die sich umfassend lohnen.

Was könnte nun der wichtigste christliche Beitrag in diesem Zusammenhang sein? M.E. ist es etwas über die Befriedigung elementarer Bedürfnisse Hinausgehendes und für den Menschen Lebensnotwendiges, auf das Jürgen Moltmann in und mit seinem Lebenswerk hingewiesen hat. Er schreibt vom anpassungsfähigen Menschen: „Und doch gibt es ein Element und eine Umwelt, ohne die er nicht menschlich leben kann, und das ist die Hoffnung. Sie ist der Atem des Lebens.“[23]

Vortrag gehalten im Rahmen der Reihe „Mutausbruch für Gute Arbeit. Gewerkschaft und Kirche im Austausch“, Esslingen-Göppingen, 13. November 2025. Pfarrer Dr. Johannes Rehm ist emeritierter Leiter des Kirchlichen Dienstes in der Arbeitswelt der ELKB und apl. Professor für Praktische Theologie an der Universität Erlangen-Nürnberg.


[1] Tagesschau, 18.5.25.

[2] Tagesschau, 27.7.25.

[3] Georg Kliesch, Art. Humanisierung des Arbeitslebens, in: Theodor Schober u.a. (Hg.), Evangelisches Soziallexikon, Stuttgart 19807, S. 590.

[4] Vgl. Harry Jablonowski, Art. Arbeit, in: Werner Heun u.a. (Hg.), Evangelisches Staatslexikon, Stuttgart 2006, S. 67ff.

[5] Vgl. Roland Pelikan, Johannes Rehm (Hg.), Arbeit im Alltag 4.0. – Wie Digitalisierung ethisch zu lernen ist, Münster 2018; Traugott Jähnichen, Freiheit digital? Ansätze einer evangelischen Digitalethik in der Perspektive der EKD-Denkschrift von 2021, in: Hanns Kerner, Peter Lysy, Sabine Weingärtner (Hrsg.), Wort und Welt. Dimensionen gelebten Glaubens, FS Johannes Rehm, Leipzig 2023, S. 45ff.

[6] Vgl. Swantje Allmers, Michael Trautmann, Christoph Magnussen, On the Way to New Work. Wenn Arbeit zu etwas wird, das Menschen stärkt, München 2022.

[7] „Dann geht der Mensch hinaus an seine Arbeit und an sein Werk bis an den Abend.“ Psalm 104,23. Vgl. Franz Segbers, „Erinnere dich daran, dass du selbst ein Sklave, eine Sklavin in Ägypten warst…“ (Dtn 5,15) Biblische Impulse für Humanität in der Arbeit, in: Johannes Rehm, Hans G. Ulrich (Hrsg.), Menschenrecht auf Arbeit? Sozialethische Perspektiven, Stuttgart 2009, S. 11ff.

[8] Roland Pelikan, Das finnische Projekt Gute Arbeit/Good Work, in: Jürgen Klute, Herbert Schlender, Sabine Sinagowitz (Hg.), Gute Arbeit Good Work, Münster 2004, S. 99ff.; zu den einschlägigen Kriterien für „Good Work“ des finnischen Projekts aus dem Jahr 2000 vgl. Pelikan ebd. S. 103. Vgl. Friedhelm Hengsbach, Ein Menschenrecht auf Arbeit? Orientierungen christlicher Gesellschaftsethik, in: Johannes Rehm, Hans G. Ulrich (Hrsg.), Menschenrecht auf Arbeit? Sozialethische Perspektiven, a.a.O., S. 167 f.

[9] Art. 20 I GG: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.“ Art. 28 I GG: „Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern muss den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen.“

[10] Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Artikel 23 (Recht auf Arbeit/ gleicher Lohn), vgl. Friedhelm Hengsbach, Ein Menschenrecht auf Arbeit? Orientierungen christlicher Gesellschaftsethik, in: Johannes Rehm, Hans G. Ulrich (Hrsg.), Menschenrecht auf Arbeit? Sozialethische Perspektiven, a.a.O., S. 153 ff.

[11] Jürgen Moltmann, Der Weg Jesu Christi. Christologie in messianischen Dimensionen, München 1999, S. 230.

[12] Dorothee Sölle, Lieben und arbeiten. Eine Theologie der Schöpfung, München 2001, S. 105, 123, 125.

[13] Kirchenamt der EKD (Hg.), Solidarität und Selbstbestimmung im Wandel der Arbeitswelt. Eine Denkschrift, Gütersloh 2015, S. 37.

[14] ebd. S. 38.

[15] Traugott Jähnichen/Joachim Wiemeyer, Wirtschaftsethik 4.0 Der digitale Wandel als wirtschaftsethische Herausforderung, Stuttgart 2020, S. 108.

[16] Marianne Gronemeyer, Wer arbeitet, sündigt…Ein Plädoyer für gute Arbeit, Darmstadt 2012, S. 60.

[17] Friedhelm Hengsbach, Die andern im Blick. Christliche Gesellschaftsethik in den Zeiten der Globalisierung, Darmstadt 20052; vgl. Matthias Möhring-Hesse, Gute Arbeit unter den Bedingungen von Erwerbsarbeit. Überlegungen zu einem protestantischen Thema in katholischer Tradition, in: Heinrich Bedford-Strohm u.a. (Hg.), Arbeitswelten, Jahrbuch Sozialer Protestantismus Bd. 5, Gütersloh 2011, S. 42ff.

[18] Hartmut Rosa, Beschleunigung, die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne, Frankfurt 201611, S. 11.

[19] Franz Rosenzweig, Der Stern der Erlösung, Frankfurt 1988, S. 398.

[20] Ebd. S. 398f.; vgl. Manfred Böhm, Der Schutz des arbeitsfreien Sonntags – ein ökumenisches Anliegen, in: Hanns Kerner, Peter Lysy, Sabine Weingärtner (Hrsg.), Wort und Welt. Dimensionen gelebten Glaubens, FS Johannes Rehm, a.a.O., S. 159ff.

[21] Hans Küng, Klaus M. Leisinger, Josef Wieland, Manifest Globales Wirtschaftsethos. Konsequenzen und Herausforderungen für die Wirtschaft, München 2010, S. 28f.

[22] Hans G. Ulrich, Wie Geschöpfe leben. Konturen evangelischer Ethik, Münster 2005, S. 115. Vgl. Hans G. Ulrich, Menschliche Arbeit und die Formen der Gerechtigkeit. Sozialethische Perspektiven, in: Johannes Rehm, Hans G. Ulrich (Hrsg.), Menschenrecht auf Arbeit? Sozialethische Perspektiven, a.a.O., S. 125 ff.

[23] Jürgen Moltmann, Das Experiment Hoffnung. Einführungen, München 1974, S. 36.

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