Dass Christus mir etwas von sich gibt
Christoph Kardinal Schönborn OP weiß folgende Geschichte nachzuerzählen:
„Ein alter Russe hat mir folgende Geschichte erzählt: In seiner Jugend, nach der russischen Revolution, ist er nach Frankreich geflohen. Weil er nichts zu tun und kein Geld hatte, ging er in die Fremdenlegion, wurde dort Offizier. Unter seinen Legionären war auch ein deutscher Soldat, der sich durch besondere Brutalität der Sprache und des Umgangs auszeichnete – eine Bestie, sagte dieser alte Russe. Nun kam es einmal zu einem Scharmützel, und dieser deutsche Legionär wurde schwer verwundet. Er läßt seinen Offizier, den damals noch jungen Russen, zu sich rufen. Dieser überlegt sich, ob er hingehen soll, um dann nur wieder unflätige Worte zu hören, geht schließlich doch hin und findet den verwundeten deutschen Legionär verändert. Dieser stellt ihm auf französisch, in sehr feinen Worten, die Frage: ‚Glauben Sie, daß Christus mir etwas von sich geben kann, wenn ich jetzt sterbe?‘ Der junge Offizier war etwas verwirrt und fragte: ‚Was meinen Sie damit?‘ ‚Ja‘, sagte der Verwundete, ‚wenn ich jetzt sterbe und dann hinüberkomme und da dann alle die Engel und Heiligen sind, dann werden die auf mich zeigen und sagen: Was macht der denn da? Und ich werde nicht hineinkommen. Aber wenn Christus mir etwas von sich gibt, dann können sie nichts sagen, dann komme ich rein.‘ Der Russe hat dem Legionär versichert, Christus werde ihm wohl etwas von sich geben. Kurz darauf ist dieser gestorben. Und mit diesem Erlebnis, sagte der alte Russe, habe er zum erstenmal begriffen, was eigentlich das Christentum ist. Das ist die christliche Grunderfahrung: daß Christus uns etwas von sich gibt und daß wir dadurch neue Menschen werden. Alle Knochenberge des Karma, alle Ozeane der Tränen können diesem Geschenk nicht widerstehen, wenn Christus uns etwas von sich gibt.“
Quelle: Christoph Schönborn, Reinkarnation und christlicher Glaube, in: C A. Keller u. a., Reinkarnation – Wiedergeburt – aus christlicher Sicht, Freiburg (Schweiz): Paulusverlag, 1987, S. 127-146, hier 129f.