Werner Heisenberg, Quantenmechanik (1926): „Es ist nicht möglich, einer Korpuskel einen bestimmten Ort als Funktion der Zeit zuzuordnen, doch kann ihr eine Gesamtheit von Strahlungs­größen, die die Fourrierreihe der klassischen Theorie ersetzen, zugeordnet werden. Es ist ferner unter einer Reihe gleichartiger Korpuskeln prinzipiell nicht möglich, eine bestimmte Korpuskel immer wieder zu identifizieren. Es besteht in unserer anschaulichen Inter­pretation des physikalischen Geschehens und der mathematischen Formeln ein Dualismus zwischen Wellentheorie und Korpuskulartheorie derart, daß viele Phänomene am natürlichsten durch eine Wellentheorie sowohl des Lichtes wie der Materie beschrieben werden, insbesondere Interferenz- und Beugungsphänomene, während andere Phänomene wieder nur auf Grund der Korpuskulartheorie ge­deutet werden können.“

Quantenmechanik

Von Werner Heisenberg, Kopenhagen.
(Aus dem Institut für theoretische Physik der Universität.)

Nach unserer gewöhnlichen „Anschauung“, d. h. bei Anwendung der üblichen Raum-Zeit­begriffe, werden Raum und Materie als in letzter Linie kontinuierlich und im Prinzip in beliebig kleine Teile zerlegbar vorgestellt — von der etwaigen technischen Undurchführbarkeit einer solchen Zerlegung abgesehen. Die physikalischen und chemischen Erfahrungen haben aber, ent­gegen dieser Folgerung aus unserer einfachen Anschauung, ergeben, daß bei den Vorgängen in ganz kleinen Räumen und Zeiten ein typisch dis­kontinuierliches Element eine hervorragende Rolle spielt. Die „ganzzahligen Proportionen“ in der Chemie schon legten den Gedanken an eine ato­mistische Struktur der Materie nahe, die sog. „Schwankungserscheinungen“ (BROWNsche Bewe­gung, Streuung des Lichtes usw.) führten zur Vorstellung vom Aufbau der Materie aus Korpus­keln von wohldefinierter, endlicher Größe, in den Versuchen über Korpuskularstrahlen (Kathoden­strahlen, α-, β-Strahlen) gelangten diese kleinsten Bausteine der Materie direkt zur Beobachtung. Wegen dieser unmittelbaren experimentellen Evi­denz der atomistischen Vorstellungen lag es daher nahe, den Grundbausteinen der Materie — also in letzter Linie dem positiven und dem negativen Elektron — die gleiche Art von Realität zuzu­sprechen, wie etwa den Gegenständen der uns umgebenden täglichen Welt; man stellte sich also diese Grundbausteine als außerordentlich kleine Körperchen bekannter (und zwar immer ein und derselben) Ladung und Masse, doch noch unbe­kannter inneren Struktur vor, die sich nach näher zu ergründenden Gesetzen in Raum und Zeit, und zwar in der unserer Anschauung entsprechenden bekannten kontinuierlichen Raum-Zeitwelt — be­wegten. Diese Vorstellung hat sich wohl im Laufe der Zeit als falsch erwiesen, was ja auch im Hin­blick auf die eigentliche prinzipielle Unanschaulichkeit jenes diskontinuierlichen Elements keines­wegs zu verwundern war; die Elektronen bzw. die Atome besitzen nicht jenen Grad von unmittel­barer Realität, wie die Gegenstände der täglichen Erfahrung. Die Untersuchung der Art von physi­kalischer Realität, die den Elektronen und Atomen zukommt, ist eben der Gegenstand der Atom­physik und damit auch der „Quantenmechanik“ (Qu.M.). Jenes typisch diskontinuierliche Element, über das wir oben gesprochen haben, findet nicht nur in der Tatsache der atomistischen Struktur der Materie ihren Ausdruck, sondern auch in den Gesetzmäßigkeiten des Atombaues. Aus der BOHRschen Theorie, sowie experimentell aus den Franck-HERTZschen Stoßversuchen und dem Stern-GERLACHschen Molekularstrahlversuch schließen wir die Existenz diskreter stationärer Zustände der Atome, wobei die Übergangsprozesse von einem solchen Zustand zu einem andern als typisch diskontinuierliche Akte zu betrachten sind. Schließlich treffen wir dieses diskontinuier­liche Element bei den Strahlungsphänomenen. Dies hat zuerst Planck aus dem von ihm ge­fundenen Gesetz der schwarzen Strahlung er­schlossen, EINSTEIN hat gezeigt, daß eben wieder die Schwankungserscheinungen auf die Vorstel­lung von „Lichtkorpuskeln“ ganz bestimmter wohldefinierter Energie und wohldefinierten Im­pulses führen und die Experimente über den lichtelektrischen Effekt, der COMPTON-Effekt und insbesondere das GEIGER-BOTHEsche Experiment über den COMPTON-Effekt veranschaulichen die Fruchtbarkeit der Lichtquantenhypothese aufs Deutlichste. Trotzdem hat man den Lichtquanten — im Gegensatz zu den Materiepartikeln — von vornherein nie die Art von Realität zugesprochen, die den Gegenständen der täglichen Welt zu­kommt, da man sich durch eine solche Vorstellung in allzu große Widersprüche mit den bewährten Gesetzen der klassischen Optik verwickelt hätte. Wohl aber bestehen Anzeichen dafür — was be­sonders von EINSTEIN betont worden ist —, daß umgekehrt den Elektronen ein ähnlicher Grad von Realität zukommt, wie den Lichtquanten; doch soll auf diese Frage erst später eingegangen werden. Hier kam es uns darauf an, zu betonen, daß die Untersuchung jenes typisch diskontinuierlichen Elementes und jener „Art von Realität“ das eigentliche Problem der Atomphysik und daher auch der Inhalt aller quantenmechanischen Über­legungen ist.

I. Durch die Experimente von Lenard und Rutherford und durch die großen Erfolge der BOHRschen Theorie konnte es als bewiesen gelten, daß die Atome aus positiven und negativen Elek­tronen aufgebaut seien, so wie diese Theorie es annimmt. Gleichzeitig bedeuteten die BOHRschen Grundpostulate der Quantentheorie schon einen endgültigen Bruch mit den Begriffen der klassischen Theorie. Es lag trotzdem nahe, die Benutzung klassischer Begriffe und Bilder so weit zu ver­suchen, als es logisch möglich schien. Die so entstehende Form der BOHRschen Theorie, die durch das Korrespondenzprinzip eine vollständige qualitative Beschreibung fast aller Züge des Atom-[990]baues bis in die Einzelheiten ermöglichte, genügte jedoch nicht zu einer quantitativen Beschreibung der Atomvorgänge; auch stellten sich bei der Anwendung dieser Form der Theorie auf gewisse Probleme (Dispersion, Wasserstoffatom in ge­kreuzten Feldern) große gedankliche Schwierig­keiten heraus. Die eigentliche Ursache dieser Schwierigkeiten war eben die dem Wesen der quantentheoretischen Grundpostulate fremde Über­tragung klassischer Begriffe und Vorstellungen auf die Probleme des Atombaus, die Benützung ein­fach anschaulicher Modelle und Bilder zur Deutung physikalischer Gesetzmäßigkeiten, deren anschau­licher Inhalt in Wirklichkeit durchaus nicht zu übersehen war.

Das Programm der Qu.M. mußte daher sein, sich zunächst von diesen anschaulichen Bildern freizumachen und an Stelle der bisher benutzten Gesetze der klassischen Kinematik und Mechanik einfache Beziehungen zu setzen zwischen ex­perimentell gegebenen Größen. Während also die frühere Theorie den Vorteil der unmittelbaren Anschaulichkeit und des Gebrauchs bewährter physikalischer Prinzipien mit dem Nachteil ver­band, im allgemeinen mit Beziehungen zu rechnen, die prinzipiell nicht prüfbar waren und daher zu inneren Widersprüchen führen konnten, sollte die neue Theorie auf die Anschaulichkeit zunächst ganz verzichten, dafür aber nur ganz konkrete Be­ziehungen enthalten, die einer unmittelbaren ex­perimentellen Prüfung zugänglich sind und des­wegen kaum in die Gefahr innerer Widersprüche kommen. Um dieses Ziel zu erreichen, mußte man sich von der klassischen Anschauung offenbar sehr weit entfernen: Denkt man etwa an das Spektrum des Wasserstoffatoms, so bestand ja der bekannte Widerspruch, daß das Spektrum jeder periodischen Bewegung einer Partikel nach der klassischen Kinematik ein Spektrum äquidistanter Linien sein muß, daß aber in Wirklichkeit ein Linien­spektrum mit Häufung der Linien im endlichen beobachtet wird und daß wir trotzdem schon um des Korrespondenzprinzips willen von einer peri­odischen Bewegung des Elektrons sprechen möch­ten. Wenn überhaupt die Korpuskularvorstellung beibehalten werden sollte, konnte man dieser Schwierigkeit offenbar nur entgehen, wenn man überhaupt darauf verzichtete, dem Elektron oder dem Atom einen bestimmten Punkt im Raum als Funktion der Zeit zuzuordnen; zur Recht­fertigung muß angenommen werden, daß ein solcher Punkt auch nicht direkt beobachtet werden kann. Dieser Verzicht bedeutet die erste entschei­dende Einschränkung bei der Diskussion der Rea­lität der Korpuskeln.

An Stelle des aufgegebenen Begriffs vom ,,Ort des Elektrons“ versuchte die Qu.M. eine Gesamt­heit physikalisch wohldefinierter Größen zu setzen, die in der klassischen Theorie dem ,,Ort des Elek­trons“ mathematisch äquivalent wäre. Die ge­samte Ausstrahlung des Elektrons würde in der klassischen Theorie durch die Fourierentwicklung der Bewegung des Elektrons gegeben sein und insofern als Repräsentant der Bewegung des Elektrons angesehen werden können. Frequenz, Amplitude und Polarisation einer Spektrallinie sind jedenfalls wohldefinierte beobachtbare Größen. Daher wurde in der Qu.M. die Gesamtheit der beobachtbaren Strahlungsgrößen, die der klassi­schen Fourierreihe entsprechen, als Repräsentant des „Ortes des Elektrons“ angesehen. Da nach den Grundpostulaten der Quantentheorie die Aus­strahlung einer Linie mit dem Übergang von einem stationären Zustand des Atoms zu einem anderen verkauft ist, so ist jede Strahlungsgröße zwei Termen oder Zuständen zugeordnet. An Stelle der klassischen „Koordinate des Elektrons“ trat also in der Qu.M. eine zweidimensionale ,,Tabelle“ von Strahlungsgrößen, eine sog. „Matrix“.

Es lag der weitere Schritt nahe, an Stelle aller aus der klassischen Theorie übernommenen und vielleicht nicht direkt beobachtbaren Begriffe wie Impuls, Energie usw. solche Tabellen von konkreten, beobachtbaren Größen einzuführen. Der Gesamt­energie des Atoms entsprach dann z. B. die Tabelle aller Energiewerte der stationären Zustände des Atoms. Diese eben genannte Annahme bedeutete eine weitere Einschränkung der oben diskutierten Realitätsverhältnisse der Atome. Gleichzeitig er­möglichte diese Annahme eine merkwürdig enge Verbindung der Qu.M. mit den in den Grund­postulaten der BOHRschen Theorie enthaltenen Zügen von Diskontinuität. Zunächst stellte sich heraus, daß die Existenz diskreter Energiewerte für die Qu.M. ebenso natürlich war, wie etwa die Existenz diskreter Eigenschwingungen einer Membran für die klassischen Theorie. Weiter zeigte sich, daß einfache Beziehungen, die aus Überlegungen etwa über die Häufigkeit von Über­gängen oder über Zeitmittelwerte von diskon­tinuierlich veränderlichen Größen gewonnen waren, auch als mathematisches Resultat des Rechnens mit solchen Tabellen von Strahlungsgrößen ge­wonnen werden konnten. Dies scheint mir eine der allerwichtigsten Eigenschaften der Qu.M.; leider ist eben diese Eigenschaft der Qu.M. bisher wenig untersucht worden.

Um zu einer geschlossenen Theorie zu kommen, war es noch notwendig, die mathematischen Be­ziehungen zwischen jenen Tabellen von Strah­lungsgrößen zu finden, die den Beziehungen der klassischen Mechanik korrespondenzmäßig ent­sprachen; es stellte sich heraus, daß diese Be­ziehungen formal sehr einfach waren: Aus physi­kalischen Analogieschlüssen fand man, daß Ad­dition und Multiplikation dieser Tabellen nach den wohlbekannten Rechenregeln der Matrizenalgebra erfolgen mußten, rein formal bestand also der Unterschied der neuen von der alten Theorie zu­nächst nur in der Nichtgültigkeit der Kommutativität der Multiplikation. Die HAMILTONschen Gleichungen der Mechanik konnten der Form nach vollständig in die neue Theorie übernommen werden. Wegen der Nichtkommutativität der [991] Multiplikation mußten noch gewisse Vertauschungs­relationen angegeben werden, um das mathema­tische Schema der Theorie vollständig zu machen. Diese Relationen entsprachen in gewissem Sinne den Quantenbedingungen der früheren Theorie und enthielten als einzige Relationen der neuen Theorie die PLANCKsche Konstante.

Damit ist dann das mathematische Schema der Qu.M. schon vollständig gegeben. Bei seiner näheren Durchführung, auf die ich gleich zu sprechen kommen werde, stellt sich heraus, daß die Qu.M. in vieler Beziehung der klassischen Theorie so ähnlich ist, wie man überhaupt ver­langen konnte. Es gelten Energiesatz und Im­pulssätze, wie in der klassischen Theorie. Es läßt sich eine Theorie der kanonischen Transformationen und damit eine vollständige Störungstheorie ent­wickeln, die ganz den Methoden der Astronomie entspricht. Die Qu.M. ist sogar in dieser Bezie­hung viel einfacher als die klassische Mechanik. Die Störungsreihen beim Mehrkörperproblem zeigen in der klassischen Theorie die berüchtigten Kon­vergenzschwierigkeiten, in der Qu.M. konvergieren diese Reihen im allgemeinen und das Mehrkörper­problem hat hier keine prinzipiellen Schwierigkeiten.

So mag die Qu.M. wenigstens prinzipiell dem Stand unserer tatsächlichen physikalischen Erfah­rungen über Atome ganz weitgehend entsprechen. Für makroskopische Vorgänge geht die Qu.M. for­mal in die klassische Mechanik über — so, daß sich auch die Realitätsverhältnisse denen unserer ge­wöhnlichen Anschauung außerordentlich weit an­nähern können. Für mikroskopische Vorgänge bleiben nur noch Relationen zwischen beobacht­baren experimentell gegebenen Größen übrig, eine unmittelbare anschauliche Deutung kann den zu­grunde liegenden physikalischen Vorgängen einst­weilen nicht gegeben werden.

Zur experimentellen Prüfung der Theorie liegt ein außerordentlich umfangreiches Material vor: die Spektra aller Elemente, Energiemessungen usw. Zum Vergleich der Theorie mit dem Experiment war aber zunächst ein mathematischer Ausbau der Theorie erforderlich. Er ist auf drei verschiedene Weisen — unabhängig — durchgeführt worden.

1. Born-Jordan: Da von vornherein die quantenmechanischen Größen als Matrizen ge­geben sind, werden die bekannten Methoden der höheren linearen Algebra angewendet. Die Lösung eines quantenmechanischen Problems wird zurück­geführt auf ein Eigenwertproblem, nämlich eine Hauptachsentransformation einer HERMiTEschen Form. Behandelt: Wasserstoffatom, Zeemaneffekt, Starkeffekt (Pauli), Intensitäten beim Zeemaneffekt, Multipletts und anomaler Zeemaneffekt, Feinstruktur, Bandenspektra: Oszillator, Rotator; Dispersionstheorie.

2. Dirac. Es wird Algebra und Analysis von Größen, für die das kommutative Gesetz nicht gilt („q-Zahlen“) — unabhängig von ihrer Deu­tung als „Matrizen“ — soweit ausgebaut, daß einfache Rechenverfahren, die denen der klassi­schen Theorie weitgehend analog sind, zur Be­handlung mechanischer Probleme gefunden werden können (Einführung der Wirkungs- und Winkel- variabeln, Fourierreihen; vgl. auch Arbeiten von London). Behandelt: Wasserstoffatom, Intensi­tätsformeln bei den Multipletts, g-Werte, relativistische Qu.M. Comptoneffekt, hv/c Rückstoß, Dispersion.

3. Schrödinger. Auf die physikalischen Grund­lagen der ScHRöniNGERschen Theorie werde ich nachher zu sprechen kommen; einstweilen sei nur auf ihre Bedeutung für den mathematischen Ausbau der Qu.M. hingewiesen. Nach bekannten Prinzipien der höheren linearen Algebra und der Analysis ist ein Eigenwertproblem einer unendlichen qua­dratischen Form, wie das BoRN-JoRDANsche, im allgemeinen äquivalent mit einem durch eine lineare Differentialgleichung und Randbedin­gungen charakterisierten analytischen Eigenwert­problem. Wenn es gelang, diese lineare Differen­tialgleichung und dieses Eigenwertproblem zu finden, so war die mathematische Behandlung quantenmechanischer Probleme zurückgeführt auf außerordentlich weitentwickelte mathematische Disziplinen. Dies wurde durchgeführt von Schrö­dinger, der aber zu diesem mathematischen Schema auf einem anderen, als dem hier angegebenen Wege und unabhängig von den früheren quanten­mechanischen Arbeiten gekommen ist. Behandelt: Wasserstoffatom (ohne magnetische Feinstruktur), Starkeffekt, Zeemaneffekt, Bandenspektra, Dis­persion. Die Stärke des ScHRöDiNGERschen Ver­fahrens besteht hauptsächlich darin, daß es eine einfache Bestimmung der Übergangswahrschein­lichkeiten gestattet, was bei den anderen mathe­matischen Methoden im allgemeinen sehr schwierig sein dürfte. Behandelt: Intensitäten im Starkeffekt des Wasserstoffatoms, Intensitätsformeln bei den Zeemaneffekten. Intensitäten in der Lyman- und der BALMERserie (Pauli).

II. Kehren wir von dem mathematischen Aus­bau der Theorie wieder zur physikalischen Be­deutung dieses Formalismus, also zur Diskussion der Aussagen, die sich über die Realität und die Gesetze der Korpuskeln machen lassen, zurück. Von einer ganz anderen Seite her ist ein Angriff auf dieses Problem unternommen worden durch die Theorie DE BROGLIes, aus der ja Schrödin­gers Überlegungen hervorgegangen sind, und die EINSTEINsche Anwendung der BOSEschen Statistik. Die Einschränkungen, die wir in Teil I über die Realität der Korpuskeln gemacht haben, insbesondere die Aussage, daß es unmög­lich sei, einer Korpuskel einen bestimmten Ort als Funktion der Zeit, eine bestimmte Energie usw. zuzuordnen, lassen es schon als möglich er­scheinen, daß die Realität der Materiekorpuskeln eine große Ähnlichkeit aufweist mit der Realität der Lichtquanten, denen ja auch wegen der Inter­ferenz- und Beugungsphänomene der Lichtwellen nicht eine bestimmte Bahn und ein bestimmter [992] Ort zu geschrieben werden kann. Eine Analogie im Verhalten von Materiekorpuskeln und Licht­quanten wird besonders deutlich, wenn man die Reflexion eines Materieteilchens etwa an einem Beugungsgitter quantenmechanisch untersucht. Das Materieteilchen erleidet dann, wie vor kurzem auf Grund einer Überlegung Duanes von Jordan gezeigt worden ist, nach der Qu.M. Reflexion an dem Gitter nur in ganz bestimmten, diskreten Richtungen, ebenso wie ein Lichtstrahl in ganz bestimmten diskreten Richtungen abgebeugt wird Ähnliche Analogien hatten DE BROGLIe zu folgen­der Annahme geführt, und zwar lange vor dem Entstehen der Qu.M.: Ebenso, wie bei der Theorie des Lichtes einstweilen jener merkwürdige Dualis­mus besteht, nach dem viele Erscheinungen durch die Wellentheorie des Lichtes, andere durch die Lichtquantentheorie, manche durch beide Theorien beschrieben werden können, so mag ein solcher Dualismus auch bei den Materiepartikeln einst­weilen berechtigt sein; DE BROGLIe ordnete also jedem Materieteilchen eine Welle bestimmter Fre­quenz zu; diese Frequenz bestimmte sich, wie bei den Lichtquanten, aus der Energie der Partikeln nach der hv-Relation. Nach EINSTEIN sollten diese Wellen, ebenso wie Lichtwellen, zu Inter­ferenzen Anlaß geben; eine Schar von Elektronen sollte also bei der Reflexion an einem Gitter eben in bestimmten diskreten Richtungen abgebeugt werden. Ein solches Ergebnis wurde später — wie oben erwähnt — auch auf Grund der Qu.M. gefunden und dieser Sachverhalt schon legt den Gedanken nahe, daß die Qu.M. und die DE BROGLIEschen Wellen in engstem Zusammenhang stehen. DE BROGLIe wies auch schon darauf hin, daß man die BoHRschen Bahnen im Wasserstoffatom er­halten könnte, wenn man forderte, daß der dem Elektron entsprechende Wellenzug um den Kern herum eine eindeutige Funktion des Raumes sei. Der eigentliche Zusammenhang der DE BROGLIeschen Theorie und der Qu.M. wurde aufgedeckt durch Schrödinger. Dieser Forscher hat die von DE BROGLIe und EINSTEIN herrührenden Gedanken weiter ausgebaut, indem er die Differentialgleichung der DE BROGLIEschen Wellen aufstellte und zeigte, daß das ihr entsprechende Eigenwertproblem eben das Eigenwertproblem der Qu.M. sei. Dabei hat es sich allerdings herausgestellt, daß eine dreidimen­sionale Wellengleichung, wie in der Theorie des Lichtes, in der Theorie der Materie nicht angegeben werden konnte, da ja die Wellengeschwindigkeit immer noch von der Anwesenheit anderer Partikel beeinflußt werden kann. Dagegen war es möglich, bei einem Problem über die Bewegung von f-Korpuskeln eine Wellengleichung im Koordinaten­raum von 3-f-Dimensionen aufzustellen, die dann das quantenmechanische Problem mathematisch völlig ersetzte. Es ist bisher nicht allgemein gelungen, einen direkten Zusammenhang der Schrödinger- schen Wellen im Phasenraum mit den DE BROGLIEschen Wellen im gewöhnlichen Raum, die den Lichtwellen analog sein sollten, herzustellen. Die Wellen im q-Raum haben also bis jetzt nur eine formale Bedeutung. Ebenso, wie seinerzeit eine große formale Ähnlichkeit der klassischen Mechanik mit einer geometrischen Optik in mehrdimensio­nalen Räumen von Hamilton aufgedeckt und zur Grundlage für die wirksamste mathematische Be­handlungsweise klassischer Probleme ausgebaut wurde, so besteht nach Schrödinger eine große formale Ähnlichkeit der Qu.M. mit einer Wellen­optik in mehrdimensionalen Räumen, die auch hier zur wirksamsten mathematischen Behandlungs­weise quantenmechanischer Probleme führt. Es ist in letzter Zeit manchmal (Schrödinger, Flamm) die Vermutung ausgesprochen worden, daß auf Grund der ScHRöDiNGERschen Differentialgleichung eine rein kontinuierliche Beschreibung der quanten­theoretischen Erfahrungen im Sinne etwa der klassischen Theorie möglich sei, daß also die Quantentheorie in ihrer bisherigen Form illusorisch sei. Bei einer konsequenten Durchführung dieses Gesichtspunktes verläßt man aber eben die Grund­lagen der DE BROGLIEschen Theorie, damit der Qu.M. und aller Quantentheorie überhaupt und ge­rät meines Erachtens in vollständigen Widerspruch mit der Erfahrung (Gesetz der schwarzen Strahlung; Dispersionstheorie). Dieser Weg ist also nicht gang­bar. Die eigentliche Realität der DE BROGLIEschen Wellen liegt vielmehr in den oben genannten Inter­ferenzphänomenen, die jeder Deutung auf Grund klassischer Begriffe spotten. Die außerordentliche physikalische Bedeutung der ScHRÖDiNGERschen Er­gebnisse liegt in der Feststellung, daß eine anschau­liche Interpretation der quantenmechanischen For­meln sowohl typische Züge einer Korpuskulartheorie, wie typische Züge einer Wellentheorie enthält.

III. EINSTEIN hat, ausgehend von der BOSEschen Statistik der Lichtquanten, eine Statistik der Materiepartikel vorgeschlagen, die die Realität der DE BROGLIEschen Wellen noch von einer anderen Seite her beleuchtet. BOSE hatte gezeigt, daß man zu einer mit der Erfahrung übereinstim­menden Statistik der Lichtkorpuskeln kommen könnte, wenn man darauf verzichtete, den Ort eines Partikels im Phasenraum zur Bestimmung des „Zustandes“ zu verwenden, und wenn man statt dessen einen Zustand als durch die Angabe, wieviele gleichartige Partikel sich in einer Zelle des Phasenraums befinden, bestimmt ansieht. Diese Grundannahme der BOSEschen Statistik, die in einer Korpuskulartheorie zunächst keinen Platz zu haben scheint und jedenfalls eine sehr merk­würdige weitere Einschränkung der Realität der Korpuskeln bedeutet, wird einigermaßen ver­ständlich, wenn man von den Lichtkorpuskeln zu den in irgendeiner bisher nicht bekannten Weise „entsprechenden“ Lichtwellen übergeht; an Stelle der „Zahl der Korpuskeln“ tritt dann die „Energie einer Eigenschwingung“ als Bestimmungsstück eines Zustandes, was durchaus der gewöhnlichen Statistik entspricht. Diese Grundannahme der BOSEschen Statistik hat EINSTEIN direkt auf die Statistik gleicher Materieteilchen übertragen; vom [993] Standpunkt der DE BROGLIEschen Wellentheorie aus ist eine solche Statistik wieder verständlich; in einer Korpuskulartheorie bedeutet sie, daß es im allgemeinen nicht möglich sei, eine Korpuskel auf ihrem Wege zu verfolgen und wiederzuerkennen d. h. die Individualität einer Korpuskel kann verloren gehen. Eine solche Annahme liegt durch­aus im Sinn der oben gelegentlich der Ableitung der Grundlagen der Quantenmechanik gemachten Einschränkungen bei Begriffen, wie Ort des Elek­trons usw. Trotzdem stand dieser EINSTEINschen Statistik die Qu.M. zunächst fremd gegenüber. Denn da die Qu.M. mit Korpuskeln rechnet bzw. bei Schrödinger mit Wellen in 3-f-dimensionalen Räumen, so ergibt eine Abzählung der Zustände z, B. eines Atoms immer zunächst das der klassi­schen Statistik entsprechende Resultat.

Um diesen Widerspruch aufzuklären, wurden die bei den Atomsystemen auftretenden Mehr­körperprobleme genauer untersucht. Zwar handelt es sich hier um ein mechanisches Problem, das von dem der EINSTEINschen Statistik zugrunde liegenden verschieden ist. Man konnte aber doch erwarten, die wesentlichen Züge, die die EINSTEINsche Statistik von der klassischen unterscheiden, auch hier wiederzufinden. Zunächst zeigte sich — unter diesem Vorbehalt — daß die experimentell gefundene Anzahl von stationären Zuständen bei Atomen mit mehreren Elektronen eine eindeutige Entscheidung zugunsten einer Reduktion der stati­stischen Gewichte im EINSTEINschen Sinne und zuungunsten der klassischen Statistik lieferte. Wäre die klassische Statistik richtig, so wäre die Anzahl der stationären Zustände um ein vielfaches größer, als die beobachtete. Weiter zeigte sich, daß die quantenmechanische Lösung eines Mehrkörper­problems eine charakteristische Unbestimmtheit aufweist; Das gesamte Termsystem oder Termspektrum des Problems zerfällt in verschiedene Teilsysteme. Unter diesen Teilsystemen ist eines, das keine „äquivalenten Bahnen“ enthält und von den anderen in der Weise getrennt ist, daß auf keine Weise Übergänge von Termen dieses Teilsystems zu Termen anderer Teilsysteme vor­kommen können. Nun kann sowohl das gesamte Termsystem, als auch dieses Teilsystem als voll­ständige quantentheoretische Lösung angesehen werden. Denn von einer quantenmechanischen Lösung eines Problems wird ja nur verlangt, daß das ihr entsprechende Termsystem „geschlossen“ sei, d. h. daß es nur Übergänge innerhalb des Systems geben dürfte. Wählt man nun, zunächst ohne eigentliche Begründung, dieses eine Teil­system als endgültige quantenmechanische Lösung aus, so reduziert man damit einerseits die stati­stischen Gewichte eben in dem von EINSTEIN vorgeschlagenen Sinne und erfüllt andererseits von selbst Paulis Verbot äquivalenter Bahnen. Wie weit das PAULIsche Verbot umgekehrt eine Modi­fikation der EINSTEINschen Statistik notwendig macht, ließ sich aus dieser Untersuchung nicht entscheiden. Ein enger Zusammenhang mit der EINSTEINschen Statistik ist daran zu erkennen, daß diese Reduktion der statistischen Gewichte nur mög­lich ist bei völliger Gleichheit der Partikel des Mehr­körperproblems (bei Elektronen ist diese Gleich­heit natürlich gegeben). Bei auch sehr kleinen Verschiedenheiten der Partikel treten Übergänge zwischen den genannten Teilsystemen auf, als quantenmechanische Lösung kommt dann nur das gesamte Termsystem in Betracht — was der klas­sischen Abzählung entspricht. Der mechanische Grund für die oben diskutierte Einteilung des Termspektrums in Teilsysteme, die nicht mitein­ander kombinieren, ist ein charakteristisches Re­sonanzphänomen, das darin besteht, daß in allen Mehrkörperproblemen die das System bildenden Partikel kontinuierlich die Plätze tauschen; z. B. ist eine Unterscheidung zwischen inneren und äußeren Elektronen bei Atomen sinnlos. Wenn, wie oben angegeben, das eine Teilsystem als quantentheoretische Lösung ausgewählt wird, so bedeutet dies nach dem Gang der Rechnung, daß nur symmetrische Funktionen der Elektronen des Atoms physikalischen Sinn haben, daß es nicht möglich ist, über die Bewegung eines einzelnen Elektrons, auch nicht über die diese Bewegung repräsentierende Matrix zu sprechen. Dies be­deutet eine neue Einschränkung in der Frage nach der Realität der Korpuskeln. Als Beispiel für Mehrkörperprobleme sind bisher untersucht worden die Spektra der Atome mit zwei Elektronen, also He und Li mit befriedigender Übereinstimmung mit der Erfahrung.

Die verschiedenen Aussagen, die sich nach den hier besprochenen Überlegungen über das typisch diskontinuierliche Element bei Vorgängen in kleinen Dimensionen, über die Korpuskeln und ihre Reali­tätsverhältnisse machen lassen, sollen noch einmal kurz zusammengefaßt werden:

1. Aus allen Versuchen über α- und β-Strahlen, WILSONaufnahmen, Molekularstrahlen usw. folgt die unmittelbare experimentelle Evidenz der Materiekorpuskeln. Ähnlich lassen die Experi­mente über den lichtelektrischen, Effekt, der GEIGER-BOTHEsche Versuch (vgl. auch den neueren Versuch von Bothe und die Untersuchungen von Kirchner) direkt die Realität der Lichtquanten in Erscheinung treten. Die Existenz diskreter stationärer Zustände bei den Atomen wird durch die FRANCK-HERTZschen Stoßversuche und die STERN-GERLACHschen Molekularstrahlexperimente dargetan.

2. Es ist nicht möglich, einer Korpuskel einen bestimmten Ort als Funktion der Zeit zuzuordnen, doch kann ihr eine Gesamtheit von Strahlungs­größen, die die Fourrierreihe der klassischen Theorie ersetzen, zugeordnet werden. Es ist ferner unter einer Reihe gleichartiger Korpuskeln prinzipiell nicht möglich, eine bestimmte Korpuskel immer wieder zu identifizieren.

3. Es besteht in unserer anschaulichen Inter­pretation des physikalischen Geschehens und der [994] mathematischen Formeln ein Dualismus zwischen Wellentheorie und Korpuskulartheorie derart, daß viele Phänomene am natürlichsten durch eine Wellentheorie sowohl des Lichtes wie der Materie beschrieben werden, insbesondere Interferenz- und Beugungsphänomene, während andere Phänomene wieder nur auf Grund der Korpuskulartheorie ge­deutet werden können.

Diese Feststellungen sollten den jetzigen Stand unseres Wissens über das bei den Vorgängen in sehr kleinen Räumen auftretende typisch dis­kontinuierliche Element in groben Umrissen wieder­geben. Die in dem „bisherigen Schema enthaltenen Widersprüche der anschaulichen Deutungen ver­schiedener Phänomene sind ganz unbefriedigend. Zu einer widerspruchsfreien anschaulichen Inter­pretation der ja an sich widerspruchsfreien Ex­perimente fehlt bis jetzt noch irgendein wesent­licher Zug in unserem Bilde vom Bau der Ma­terie.

Vortrag, gehalten am 23. September 1926 auf der 89. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte in Düsseldorf.

Quelle: DIE NATURWISSENSCHAFTEN, Vierzehnter Jahrgang, 5. November 1926, Heft 45, S. 989-994.

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