Zur ethischen Problematik eigener Identifikationen (Sympathismus): „Statt unkritischer Identifikation ist passionierte Solidarität angebracht. Solidarität – im ursprünglichen Sinne als gemeinschaftliche Verantwortung bzw. Haftung verstanden – ignoriert kein Fehlverhalten, sondern spricht dieses um der göttlichen Gerechtigkeit willen an. Während Identifikation auf Selbstbestätigung in einem Gruppenideal aus ist, stellt sich Solidarität problematischem Gruppengeschehen bzw. -vergehen, die das eigene Gewissen versehren.“

Zur ethischen Problematik eigener Identifikationen (Sympathismus)

Identifikation lässt sich unterschiedlich thematisieren. Kognitiv verstanden geht um das Wiedererkennen bzw. das begriffliche Erfassen und Bestimmen eines Gegenstandes. „Identifizieren“ – eine neulateinische Wortschöpfung aus idem (»dasselbe«) und facere (»machen«) – bedeutet, Dinge oder Begriffe als ein und dasselbe zu betrachten. Ethisch relevant werden Identifikationen bzw. Identifizieren in einer reflexiven Ausrichtung: Wo Menschen sich innerlich mit der Lebensform anderer Menschen, dem Selbstverständnis einer Gruppe oder dem politischen bzw. kulturellen Programm einer Bewegung verbunden fühlen, betrifft dies ihr eigenes Urteilen wie auch Handeln.

Wird eine soziale Identifikation (Sympathismus) als Teil der eigenen Identität erklärt, kann dies das ethische Urteilsvermögen beeinflussen oder gar einschränken. Wer sich mit einer bestimmten Gruppe besonders identifiziert, neigt dazu, Widersprüche oder problematische Verhaltensweisen innerhalb dieser Gruppe nicht wahrzunehmen oder zu relativieren. Um die Identifikation beizubehalten bzw. die eigene Identität zu wahren, ist man nicht bereit, sich von Fehlverhalten oder Missständen zu distanzieren oder diese anzusprechen. So kann Sympathie Empathielosigkeit bedingen.

Anstelle unkritischer Identifikation ist passionierte Solidarität angebracht. Solidarität – im ursprünglichen Sinne als gemeinschaftliche Verantwortung bzw. Haftung verstanden – ignoriert eben nicht Fehlverhalten, sondern spricht dieses um die göttliche Gerechtigkeit willen an, wie sie in Psalm 36 gepriesen wird: „HERR, bis in den Himmel reicht deine Güte, / bis zu den Wolken deine Treue. // Deine Gerechtigkeit ist wie die Gottesberge, / deine Gerichte sind wie die große Flut. // Menschen und Tieren hilfst du, HERR.“ (Vers 6f Zürcher)

Während Identifikation auf Selbstbestätigung in einem Gruppenideal aus ist, stellt sich Solidarität problematischem Gruppengeschehen bzw. -vergehen, die das eigene Gewissen versehren. In solidarischer Verbundenheit hat man Verdikte und Verurteilungen auf sich selbst zutreffen lassen, ohne in voreilige Entschuldigungen zu entfliehen. So kann zur passionierten Solidarität auch ein eigenes Schuldbekenntnis gehören.

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