Adolf Martin Ritter über Arius: „Es macht den einzigartigen Rang des »arianischen Streites« und seine exempla­rische Bedeutung bis heute aus, dass man ihm wohl erst dann voll gerecht wird, wenn man sich darin die Problematik der geistesgeschichtlichen Bezie­hungen zwischen Antike und Christentum überhaupt bündeln und verdichten sieht. Dadurch, daß die Alte Kirche – nach einigem Schwanken gewiß – am Ende dem Arianismus gegenüber bei ihrem Nein blieb, kam es zum Bruch mit der naiven Aufnahme antiken Seinsverständnisses zur Deutung des biblischen Kerygmas.“

Arius

Von Adolf Martin Ritter

Arius (Areios) war (nach Epiphanius, Panar. 69, 1.2) Libyer von Herkunft. Sein Geburtsjahr könnte etwa 260 gewesen sein. Von seinem Bildungsgang ist uns nur so viel bekannt, und zwar durch ihn selbst (in seinem vermutlich um 318 verfaßten Brief an Euseb von Nikomedien, s. u.), daß er sich für eine gewisse Zeit zu Studienzwecken in Antiochien aufhielt, wo er den Unterricht des gelehrten Presbyters und späteren Märtyrers Lukian (gest. am 7. 1. 312, als eines der letzten uns bekannten Opfer der diokletianisch-galerischen Christenverfolgung) genoß, desselben, der bereits in einem Dokument aus den Anfängen des »arianischen Streites« als Stammvater der arianischen Irrlehre bezeichnet (s. Opitz, Urk. 14, 36) und noch in der modernen Dogmengeschichtsschreibung mit A. Harnack (DG II, 187) fast durchweg als »Arius vor Arius« angesehen wird. Die entscheidende theologische Schulung und Prägung scheint Arius gleichwohl in Alexandrien empfangen zu haben, wohin er womöglich bei Ausbruch der diokletianischen Verfolgung geflüchtet war. Jedenfalls muß er sich, wenn der Kirchenhistoriker Sozomenus (KG I, 15, 2) recht unterrichtet gewesen ist, bereits seit dieser Zeit (also ab 303) in der ägyptischen Hauptstadt aufgehalten haben, wo ihn Bischof Petrus (ca. 300-311) zum Diakon weihte. In der Folgezeit von diesem aus der Kirchengemeinschaft ausgeschlossen, weil er bei inneralexandrinischen Streitigkeiten, die am Ende zur Abspaltung einer rigoristischen »Kirche der Märtyrer« (melitianisches Schisma) führten, gegen ihn Partei ergriff, sei er beim Nachfolger, Achillas, jedoch auf Nachsicht gestoßen und wieder in den Diakonenstand aufgenommen worden; ja er habe sogar die Presbyterwürde erlangt, längst bevor Bischof Alexander (312-328) ihn in diesem Rang durch besonderes Wohlwollen auszeichnete.

Über die Tatsächlichkeit dieser nur von Sozomenus verbürgten Details ist ein sicheres Urteil kaum möglich; aber unwahrscheinlich sind sie in keinem einzigen Punkt. Als gesichert kann immerhin gelten, daß Arius während des Episkopats Alexanders Presbyter in Alexandrien war und eine der städtischen Hauptkir­chen, die – vermutlich ihrer eigenartig gedrungenen Architektur wegen (vgl. Philostorgius, KG I, 4) – »Baukalis«-Kirche hieß, seiner speziellen Leitung unterstand (Epiphanius, Panar. 68, 4, 2; 69, 1,2). Man muß sich die alexandrini­schen Presbyter jener Zeit (und damit Arius) vorwiegend als kirchliche Lehrer vorstellen, die dieser ihrer Lehrfunktion besonders im Rahmen eines Wortgottes­dienstes ohne Eucharistie am Mittwoch und Freitag nachkamen (vgl. ebd. 69, 2, 1-7; Sokrates, KG V, 22), und zwar in einer Unabhängigkeit gegenüber ihrem Bischof, wie sie dazumal bereits ziemlich einzigartig gewesen sein dürfte (vgl. Opitz, Urk. 10).

In seinem Presbyteramt also in der Hauptsache »mit der Auslegung der heiligen Schriften betraut« (Theodoret, KG I, 1, 9), erwarb sich der dialektisch offenbar gut geschulte (Sokrates, KG 1,5; Sozomenos, KG 1,15,3) und auch als besonders eifrig geltende Mann (Sozomenus, KG I, 15, 2; Theodoret, KG I, 1, 11; vgl. Epiphanius, Panar. 69, 3; Athanasius, or. c. Arian. I, 8) allseits großes Ansehen, nicht zuletzt in Kreisen frommer Frauen (vgl. Opitz, Urk. 14,5) – falls das nicht als für die Ketzerpolemik typische, feststehende Wendung einzustufen ist! All das ist um so eher begreiflich, als im übrigen wahrscheinlich – als Folge der Rechtsunsi­cherheit und Halbheimlichkeit, in der das östliche Christentum unter dem Regime der Diokletiannachfolger Galerius und Maximin (305-311) irgendwie zu überdau­ern versuchen mußte – ein fühlbarer geistiger Verfall zu beklagen war. Ein weiterer Grund für das unbezweifelbare Ansehen, dessen sich der Presbyter der Baukaliskirche sowohl im Klerus als auch im Kirchenvolk Alexandriens erfreute, mag in dem Vorsichhindämmern der einst berühmten Katechetenschule zu sehen sein, deren Existenz für die Zeit etwa zwischen 311 und 328 nicht mehr als gesichert angesehen werden kann (s. Ritter, Arianismus 699, mit Nachweisen).

So wäre denn auch Arius kaum besonders Nachteiliges nachzusagen gewesen, hätte er nicht in bereits fortgeschrittenem Lebensalter zu jenem Lehrstreit Anlaß gegeben, »der seinen Namen als den des meistverfluchten Ketzers durch die Jahrhunderte trägt« (Loofs, Arianismus 7), ausgenommen allenfalls sein (ihm später von Gegnern als »Herrschsucht« ausgelegtes) Selbstbewußtsein, um nicht zu sagen: seine Eitelkeit, wie sie u. a. in den Anfangsversen seiner »Thalia« (s. u.) zu Worte kommt: »Gemäß dem Glauben der Gotterwählten, Gotteskundigen, heiligen Kinder, Rechtgläubigen, die heiligen Geist Gottes empfingen, habe ich von denjenigen, die Anteil haben an der Weisheit, den Gebildeten, Gottunterwie­senen und in allem Weisen, folgendes gelernt. In ihre Fußstapfen bin ich getreten, [mit ihnen] eines Sinnes, [ich] der ich in aller Munde bin und um Gottes Ehre willen viel erlitt; und von Gott unterwiesen gewann ich Weisheit und Erkenntnis« (so der Anfang der »Thalia« nach Athanasius, or. c. Ar. 1,5). Zugleich spricht sich darin, und das ist natürlich von viel größerer Bedeutung, ein betonter »Traditionalis­mus« aus. Und zwar ist es speziell die (katholisch-)»gnostisch«-weisheitliche Tradition – für Alexandrien neben Klemens und in gewisser Weise auch Origenes etwa von den in der gnostischen Bibliothek von Nag Hammadi (NHC VII, 4) aufgefundenen, selbst allerdings höchstens oberflächlich gnostisierenden »Lehren des Silvanus« bezeugt –, auf die sich Arius hier beruft, seinen Jüngern auch seinerseits »Erkenntnis« und »Weisheit« verheißend.

Wie und wann der Streit seinen Anfang nahm, läßt sich angesichts einer unbefriedigenden Quellenlage nicht mehr mit Bestimmtheit sagen (vgl. zur Forschungsgeschichte Ritter, Arianismus 699). Doch ist es unnötig, darauf wie erst recht auf den Fortgang der Auseinandersetzungen hier im einzelnen einzuge­hen. Fest steht anscheinend, daß der Streit (um 318) als inneralexandrinischer Konflikt begann. Dabei mögen Eifersüchteleien zwischen Ortsbischof und seinem (als zu unbotmäßig empfundenen) Presbyterat mitgespielt haben, ohne jedoch von ausschlaggebender Bedeutung gewesen zu sein. Zum andern ist Arius nach allem, was wir hören, nachdem er von den melitianischen Schismatikern (mit denen er sich demnach vorübergehend überworfen hatte) bei Bischof Alexander wegen dogmatischer Neuerungen angeschwärzt worden war (Sozomenus, KG I, 15, 4; Epiphanius, Panar. 68, 4, 1; 69, 3, 3f.), alsbald zum Gegenangriff übergegangen. Er hat sich nicht gescheut, öffentlich gegen dessen Lehrweise, besonders gegen die von ihm behauptete »Gleichewigkeit« des präexistenten Logos, d. h. des göttlichen WORTES vor seiner Fleischwerdung (vgl. Joh. 1, 1 ff.), mit Gott-Vater zu Felde zu ziehen (vgl. Opitz, Urk. 1, 2 mit 17, 6), während dieser anfangs wohl eher zögerlich reagierte (s. Opitz, Urk. 4b, 4; 14, 6; vgl. Sozomenus, KG I, 15, 4).

Wie ist dieser Zusammenstoß überlieferungsgeschichtlich zu deuten? Es ist lange Zeit üblich gewesen, den lehrmäßigen Hintergrund des Konflikts als Aufeinan­derprallen alexandrinischer und antiochenischer Überlieferungen zu bestimmen, wie sie der angriffslustige Schüler Lukians, Arius, auch in Ägyptens Hauptstadt heimisch zu machen suchte. Doch hat sich inzwischen gezeigt, daß wahrschein­lich das hier vorausgesetzte Bild antiochenischer (d. h. im Unterschied zur alexandrinischen eher auf historisch-grammatische Bibelauslegung und aristote­lische Dialektik ausgerichteter) Theologie, die es zudem als Schultheologie zu dieser Zeit mit Bestimmtheit noch gar nicht gegeben hat, und damit der gesamte ältere Erklärungsversuch aufgegeben werden muß. Stattdessen wird man in der (christlich-platonischen) Tradition Alexandriens selbst nach den wichtigsten Vorgaben für die Theologie des Arius Ausschau zu halten haben. Allerdings weist auch diese Überlieferung eine erhebliche Spannweite auf; auch zeigt es sich bei genauerem Zusehen eigentlich in jedem einzelnen Falle, daß es allenfalls teilweise Übereinstimmungen zwischen Arius und älteren Alexandrinern gibt, so daß jener nur bedingt als der »Traditionalist« und Konservative gelten kann, als den er sich selbst gern hinstellte. Bliebe dann zu klären, was die Motive und Kriterien für diesen »Eklektizismus« gewesen seien. Etwa nur die Lust am dialektischen Spiel oder »rationalistische« Konsequenzmacherei? Wie es scheint, kommt man, was immer sonst noch an Einflüssen geltend zu machen sein mag, kaum um die Erklärung herum, daß Arius, stärker noch als seine Vorgänger, von den Diskussionen innerhalb des kaiserzeitlichen Platonismus um die Problema­tik des »Einen« und des »Vielen« beeindruckt und beeinflußt gewesen ist, wogegen es wenig besagen will, daß wir einstweilen über die in Alexandrien zu Beginn des 4. Jahrhunderts gängige Philosophie tatsächlich wenig Verläßliches wissen (vgl. die forschungsgeschichtliche Skizze bei Ritter, Arianismus 700, mit Literaturangaben; gründlicher Lorenz, Arius 23 ff.).

Doch sind wir damit der Darstellung weit vorausgeeilt. Was wissen wir über­haupt über die Theologie des Arius?

Bald nach Ausbruch des Konflikts mit Alexander ist Arius, wie wir schon hörten, auch schriftstellerisch aktiv geworden. Und obwohl auch er von der Nachwelt für die »Mangelhaftigkeit« seiner Orthodoxie mit dem Geschick seines literarischen Nachlasses bestraft wurde (vgl. Loofs, Arianismus 7), ist doch nicht alles verloren gegangen. Erhalten blieben vielmehr ein um 318 geschriebener Brief an den »Syllukianisten« (d. h. »Mitschüler bei Lukian«) Euseb von Nikomedien (Opitz, Urk. 1), der noch zu Lebzeiten des Arius zur kirchenpolitischen Zentralfigur in der östlichen Reichskirche aufsteigen sollte; die wohl annähernd gleichzeitig verfaßte, allerdings nur bruchstückhaft (in verschiedenen Athanasiusschriften) überlieferte (vgl. dazu jetzt bes. Stead, JThS 1978, 20-52, und Lorenz, ZKG 1983, 19-35), wahrscheinlich ganz in metrischer Form (wohl in ionischen Tetrametern) gehaltene und kaum besonders umfangreiche »Thalia« (»Bankett«); endlich zwei sorgfältig stilisierte Briefe, in denen Arius überdies – aus gutem Grund – seine Lehre in zurückhaltenderer Form präsentierte: ein um 320 geschriebener und von mehreren alexandrinischen Presbytern und Diakonen mitunterzeichneter Brief an Alexander von Alexandrien (Opitz, Urk. 6), der, wie der respektvolle Ton vermuten läßt, von dem Bestreben diktiert war, eine Verständigung mit dem Bischof zu erzielen – oder doch wenigstens den Anschein von Verständigungswillen zu erwecken (Stead, JThS 1978, 21), sowie ein Ende 327 zusammen mit dem Schicksalsgefährten Euzoius zum Beweis ihrer Recht­gläubigkeit abgefaßtes Schreiben an Kaiser Konstantin (Opitz, Urk. 30), das nun in der Tat gar nichts spezifisch »Arianisches« mehr enthält. Bekennt Arius darin doch seinen Glauben wie folgt: »Wir glauben an einen Gott, [den] Allmächtigen; und an [den] Herrn Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, der aus ihm vor allen Zeiten geboren ward, Gott das WORT, durch welches alle Dinge geworden sind: die im Himmel wie die auf Erden; welcher herniederstieg und Fleisch annahm, litt, auferstand und auffuhr gen Himmel und wiederkommen wird, zu richten Lebende und Tote. Und an den Hl. Geist, die Fleischesauferstehung, ein Leben der zukünftigen Welt, das Himmelreich und eine heilige katholische Kirche Gottes, die da wohnt von einem Ende [der Erde] bis zum anderen«.

Die übrigen Selbstzeugnisse hingegen wie auch die zahlreichen Zitate und Anspielungen in gegnerischen Schriften, bei Alexander und seinem Nachfolger Athanasius zumal (s. dazu Ritter, Arianismus 694, und Lorenz, ZKG 1983, 10ff.), lassen als Grundanschauung des Arius folgendes erkennen (vgl. die Einzelbelege bei Ritter, Arianismus 700ff.; Lorenz, Arius 38-47): Gott ist recht eigentlich Gott aufgrund dessen, daß er, und zwar er »allein, ungeworden, allein ewig, allein anfangslos, allein wahr, allein im Besitze der Unsterblichkeit, allein weise, allein gut, allein … unwandelbar und unveränderlich« ist (Opitz, Urk. 6, 2). Dieser Gottesbegriff aber verband Arius, wie sich gar nicht bestreiten läßt, aufs engste mit dem Platonismus der römischen Kaiserzeit (dem sog. Mittel- und Neuplatonismus), für den die Frage nach dem Transzendenten zunehmend wichtig wurde. So gibt es denn auch für die bei Arius — in einer Massierung, die ohne Vorbild sein dürfte – vorgeführten, »mittels der Negation« (via negationis) aller geschöpflichen Unvollkommenheiten gewonnenen Aussagen über Gottes Wesen eine Überfülle von Parallelen in mittel- und neuplatonischen Schriften (vgl. dazu Ricken). Nicht, daß er der erste christliche Theologe gewesen wäre, der sich solchermaßen an den philosophischen Gottesgedanken anlehnte; wohl aber verschärfte und vereinseitigte er die ihm überkommene »negative Theolo­gie«, mit dem Ergebnis, daß in seinem Entwurf die Kluft zur transzendenten Gottheit nachgerade unüberbrückbar wurde, da für ihn selbst der »Sohn« (vgl. Mt. 11, 27 u. ö.) Gott nicht so erkennt, wie er »an sich« ist, sondern lediglich »analog« und innerhalb der ihm gesetzten Grenzen, ähnlich wie wir.

Dem entspricht folgender Grundriß der »Dreifaltigkeitslehre«: Zwar gibt es (gemäß der theologischen Überlieferung und vielleicht auch nach dem Beispiel der neuplatonischen Hypostasenlehre) drei göttliche Ausprägungen oder Wirk­lichkeiten (»Hypostasen«). Gleichwohl hat alles, mit Ausnahme des »Einen«, »allein Ungewordenen« selbst, als durch Gottes Willen »aus dem Nichts« ins Dasein gebracht zu gelten. Weil für Arius demnach die Alternative »geworden« – »ungeworden« von grundlegender Bedeutung ist, darum rückt für ihn auch der »Sohn« (wie erst recht der Hl. Geist) eindeutig in den Bereich des Geschöpfli­chen. Gab es doch – so die berühmte, (fast) in allen auf Arius bezüglichen Quellen wiederholte Wendung der »Thalia« – »eine ›Zeit‹, da er [der Sohn] nicht war«, die »Zeit« nämlich, »bevor er erzeugt bzw. geschaffen bzw. [zum Sohne] bestimmt oder gebildet ward« (vgl. Prov. 8, 22 f., die »klassische« Belegstelle des arianischen Schriftbeweises), während Gott selbst wesensmäßig »anfangslos« ist. Gewiß weiß auch Arius von einem Vorrang, einer Einzigartigkeit des göttlichen WORTES gegenüber allen übrigen Geschöpfen zu reden: Nur der Logos ist vom Vater selbst geschaffen, damit durch ihn das All, der Mensch, erschaffen werde. Aber ebenso klar ist für Arius, daß er, der Sohn und Gott-Logos, da von Natur aus »wandelbar« und mit »Willensfreiheit« begabt, nicht »eines Wesens« mit dem »einen« und »allein unwandelbaren« Gott ist. Nur tatsächlich entscheidet er sich für das Gute und verharrt in der Einigung des Willens mit demjenigen Gott- Vaters. Diese in sittlicher Selbstbestimmung begründete »Unwandelbarkeit« des Sohnes aber hat Gott vorausgewußt und ihm deshalb vorwegnehmend die »Herrlichkeit« verliehen, die er als Mensch aufgrund seiner Tugend und Werke sich verdienen sollte, nämlich die Adoption zum Sohne Gottes.

Und wie er Schöpfungsmittler ist, so ist er nach Arius auch Erlöser. Er »ward Fleisch« (Joh. 1, 14), und das heißt für Arius wie wohl für die Mehrzahl seiner theologischen Zeitgenossen: er ging in einen »unbeseelten« Menschenleib ein. Somit sei auch er selbst als das Subjekt der in den Evangelien berichteten Entwicklung des Jesus von Nazareth (vgl. Lk. 2, 52 u. ö.) anzusehen. Aber nicht nur das. Vielmehr seien auch alle Affekte des Leidenden, Weinenden, Hungern­den, Zagenden (vgl. nur die Gethsemane-Szene, Mk. 14, 26. 32-42 parr.) nicht etwa einer menschlichen »Seele«, sondern ihm, dem Logos-Sohn, zuzuschrei­ben, der eben dadurch selbst bezeuge, daß er in all seiner Hoheit doch nicht von ferne an die Glorie des »unaussprechlichen«, einzigen Vaters heranreiche.

Soweit Arius, über dessen Doktrin noch in der dem antiarianischen Dogma der Alten Kirche durchaus kritisch gegenüberstehenden klassischen protestanti­schen Dogmengeschichtsschreibung um die Jahrhundertwende (bei A. Harnack, R. Seeberg und F. Loofs) eine nahezu uneingeschränkt negative Beurteilung an der Tagesordnung gewesen ist (vgl. Ritter, Arianismus 702). Das hat sich freilich in der Zwischenzeit, besonders in den allerletzten Jahren, gründlich geändert. Dabei ist man nicht immer der Gefahr entgangen, Licht und Schatten einfach umgekehrt zu verteilen als in der orthodoxen (und »liberalen«) Ketzerbestrei­tung. Doch wie immer: Arius die Ernsthaftigkeit seiner christlichen Motivation abzusprechen, ihn als verkappten Philosophen zu betrachten oder sonstwie theologisch zu unterschätzen, dazu besteht gewiß nicht der geringste Anlaß. Allein, auch wer ihn als Theologen, als Schriftausleger, ernstzunehmen wünscht, wird in seiner Exegese schwerlich den Schlüssel zum Verständnis seines Konflikts mit Alexander entdecken können, zumindest dann nicht, wenn er sich klar macht, wohin der arianische Schriftbeweis gravitiert und was er notorisch ignoriert oder doch wenigstens um sein faktisches Gewicht bringt. Überspitzt gesagt, handelte es sich um eine Theologie des Neuen Testaments ohne den Apostel Paulus und den Evangelisten Johannes, um eine Theo­logie des Hebräer­briefes ohne Kap. 1 (vor allem). Wo jedenfalls findet der Ton der Anbetung, der hier aufklingt, der Ton der Dankbarkeit für das in Christus erschienene Heil, bei Arius je deutlichen Widerhall? Stattdessen wird begreiflich, »wie notwendig« damals »die dogmatische Entscheidung war, wenn anders der Schriftkanon nicht zum Resonanzboden aller möglichen theologischen Eingebungen und Kon­struktionen werden sollte« (Beyschlag, 240 f.). Aber auch mit den Deutungskate­gorien des »Konservativen« und der »Neuerung« ist hier nicht weit zu kommen, weil es bereits manches Vorspiel zum »arianischen Streit« gegeben hatte (s. Ritter, Arianismus 694-698) und es in den zwischen Arius und Alexander strittigen Fragen einstweilen nur konkurrierende Traditionen und Entwürfe gab, gemeinverbindliche Entscheidungen dagegen erst im Verlaufe des Konflikts gefällt wurden, der sich am Auftreten des Arius entzündete und erst etwa ein halbes Jahrhundert nach dessen Tod (337), auf dem Konzil von Konstantinopel (381) nämlich, endgültig beigelegt werden konnte.

Ohne daß andere Interpretationsansätze und Beurteilungsmaßstäbe damit ausge­schlossen wären – jedenfalls nicht als Ergänzungen, höchstens als Alternativen im strengen Sinne –, bleibt es wohl berechtigt und aufschlußreich, den Arianis­mus als krisenhafte Zuspitzung einer in der theologischen Tradition längst angelegten Tendenz zu betrachten. Das schließt nicht aus, daß es Arius selbst lediglich um eine zeitgemäße Verkündigung, eine geistig anspruchsvolle und den sittlichen Leistungswillen des Menschen anspornende »Auslegung der heiligen Schriften« zu tun war – ausdrücklich gesagt wird das, vor allem das letztere, freilich nie, weder von Ari­us noch von seinen Freunden und Gegnern. Daß ihn also ein vorwiegend »soteriologisches« Interesse geleitet haben sollte, d. h. ein Interesse daran, daß Christus als ethisches Modell für uns Menschen verständlich und tauglich bleibt, ist nicht eben sehr wahrscheinlich. Klar ist hingegen: Es entsprach der Denkstruktur zeitgenössischer Philosophie, die Welt aus dem obersten Sein, der Transzendenz heraus zu entwerfen. In diesem Entwurf blieb das oberste Sein (Gott) absolut einzigartig und wurde von keinem andern Sein erreicht. Nun hatte sich die christliche Theologie spätestens seit dem 2. Jahrhun­dert, im Einklang mit dem Prolog des Johannesevangeliums, den Gottessohn WORT (Logos) zu nennen angewöhnt und darüber eine Vermittlung des christlichen Glaubens mit dem allgemeinen Denken der Zeit erstrebt. Denn auch dieses, namentlich die mittel- und neuplatonische Philosophie, kannte Mittlerge­stalten zwischen dem göttlichen »Einen« und der Welt des »Vielen«. Für diese Mittlergestalten verwendete man u. a. den Logosbegriff und räumte ihnen eine seinsmäßige Zwischenstellung zwischen »Gott« und »Welt« ein. Eine derartige Zwischenstellung aber gab es vom biblischen Schöpfungsglauben her im Grunde nicht, sondern nur die Alternative: entweder Schöpfer oder Geschöpf; ein Drittes war ausgeschlossen. Mithin mußte sich vor diesem Hintergrund die christliche Theologie entscheiden, wohin für sie der Logos der Bibel gehöre: auf die Seite Gottes oder auf die der Geschöpfe. Arius glaubte ihn auf Seiten der Geschöpfe – »um Gottes Ehre« und Einzigkeit (Monarchia) »willen«.

Gleichwohl blieb ihm fürs erste der Erfolg nicht versagt. Vielmehr gewann er innerhalb kürzester Frist über Alexandrien und Ägypten hinaus beträchtliche Resonanz (s. zu den Einzelheiten Ritter, Arianismus 702 ff.). Ja, er wurde binnen weniger Jahre, zunächst allerdings nur im Ostteil des Römischen Reiches, zum Begriff, für oder gegen den man sich zu entscheiden hatte. Das hing nicht zuletzt damit zusammen, daß der »arianische Streit« seit der mit dem Namen Konstan­tins des Großen verbundenen religionspolitischen Wende in zunehmendem Maße eine politische Dimension gewonnen hatte, so daß es Konstantin für geboten hielt einzugreifen, wenn anders die öffentlichen Angelegenheiten eine der frommen Gesinnung aller entsprechende Wendung zum Besseren nehmen sollten (so in seinem Schreiben an Alexander und Arius vom Okt. 324: Opitz, Urk. 17,1): Zunächst verharmloste er den Konflikt nach Kräften; dann, als das nichts fruchtete, nahm er die Lösung entschlossen selbst in die Hand, indem er das Konzil von Nizäa (325) einberief und dessen Verlauf merklich und nachhaltig beeinflußte.

Dieses Konzil brachte zwar für Arius und seine Freunde den bis dahin schwer­sten Rückschlag mit sich, aber beileibe noch keine definitive Entscheidung. Zusammen mit zweien seiner Getreuen, den beiden libyschen Bischöfen Secundus von Ptolemais und Theonas von Marmarica, wurde er aus der Kir­chengemeinschaft ausgeschlossen und vom Kaiser in die Verbannung geschickt (wie Philostorgius, KG I, 9, wissen will, nach Illyricum). Mehrere Spitzen­sätze, wie er sie im Anfangsstadium seiner Kontroverse mit Alexander ver­fochten hatte, verfielen dem Verdammungsurteil. Auf ein schriftliches Bekenntnis (Opitz, Urk. 30), das alle in Nizäa ausdrücklich verurteilten Wen­dungen vermied und sich im übrigen, ganz im Sinne des Kaisers, dafür aus­sprach, die »Streitfragen samt all dem überflüssigen Geschwätz, das sich aus ihnen fortentwickelt hat«, beiseite zu tun und sich in der ganzen Kirche zur »gewohnten Fürbitte« für Konstantins »friedliche und fromme Herrschaft« und für sein ganzes Kaiserhaus von neuem zu vereinen, sowie auf mündlich gegebene Erläuterungen hin wurde jedoch Ende 327 das Verbannungsdekret gegen ihn auf gehoben. Seitdem betrieb der Kaiser gegen den hinhaltenden Widerstand des alexandrinischen Bischofs (seit 328 war dies Athanasius) seine Wiederaufnahme in die Kirchengemeinschaft und seine Rückkehr in die ägyp­tische Metropole. Auf kaiserliche Aufforderung hin sprach endlich eine Jeru­salemer Synode (17. 9. 335) die Wiederaufnahme des Arius aus, der jedoch vor dem feierlichen Vollzug dieses Beschlusses (wohl in Konstantinopel) starb, ein Jahr vor Konstantin.

Es macht den einzigartigen Rang des »arianischen Streites« und seine exempla­rische Bedeutung bis heute aus, daß man ihm wohl erst dann voll gerecht wird, wenn man sich darin die Problematik der geistesgeschichtlichen Bezie­hungen zwischen Antike und Christentum überhaupt bündeln und verdichten sieht. Dadurch, daß die Alte Kirche – nach einigem Schwanken gewiß – am Ende dem Arianismus gegenüber bei ihrem Nein blieb, kam es zum Bruch mit der naiven Aufnahme antiken Seinsverständnisses zur Deutung des biblischen Kerygmas. Ja, man wird wohl noch einen Schritt weiter gehen und sagen müssen: sosehr die damals gegebenen Antworten, insbesondere das Bekennt­nis zur »Wesenseinheit« des Gottessohnes mit dem Vater (Dogma von Nizäa – Konstantinopel), selbst wiederum der Interpretation bedürfen, so läuft ihre gänzliche Preisgabe bei genauerem Zusehen regelmäßig auf eine Ablehnung wesentlicher biblischer Aussagen oder doch zumindest auf eine Verkümme­rung der Antwort des Glaubens auf das biblische Zeugnis hinaus, ein untrügli­ches Anzeichen dafür, daß es sich bei diesem Dogma, seiner Aussageintention nach, um rechte Schriftauslegung handelt.

Quellen

H.-G. Opitz (Hg.): Athanasius Werke. Bd. III/1: Urkunden zur Geschichte des arianischen Streites 318-328. Berlin 1934.

Weitere Quellen sind aufgeführt bei A. M. Ritter, Arianismus. In: Theologische Realenzyklo­pädie) (TRE), Bd. 3 (1978), 718.

Darstellungen

Beyschlag, K.: Grundriß der Dogmengeschichte. Bd. 1: Gott und Welt. Darmstadt 1982.

Gregg, R. C.-Groh, D. E.: Early Arianism – A View of Salvation. Philadelphia 1981 (zur Kritik s. o., 220f.).

Kopecek, Th. A.: A History of Neo-Arianism. Philadelphia 1979 (aufschlußreicher für den Fortgang der »arianischen Streitigkeiten« als für die hier vor allem zu berücksichtigenden Anfänge).

Loofs, F.: Arianismus. In: Real-Encyklopädie für protestantische Theologie und Kirche. 3.Aufl. Bd. 2 (1897), 6-45 (wichtig für die Forschungsgeschichte).

Lorenz, R.: Arius judaizans? Untersuchungen zur dogmengeschichtlichen Einordnung des Arius. Göttingen 1980 (wohl das beste neuere Ariusbuch; läßt jedoch die Frage nach den Motivationen unbeantwortet).

Lorenz, R.: Die Christusseele im Arianischen Streit. Nebst einigen Bemerkungen zur Quellen­kritik des Arius und zur Glaubwürdigkeit des Athanasius. In: Zeitschrift für Kirchenge­schichte 94 (1983), 1-51.

Ricken, F.: Zur Rezeption der platonischen Ontologie bei Eusebios von Kaisareia, Areios und Athanasios. In: Theologie und Philosophie 53(1978), 321-352 (grundlegend für die geistesge­schichtliche Einordnung des Arianismus).

Ritter, A. M.: Arianismus. In: TRE, Bd. 3 (1978), 692-719 (Forschungsgeschichte).

Ritter, A. M.: Dogma und Lehre in der Alten Kirche. In: C. Andresen (Hg.): Handbuch der Dogmen- und Theologiegeschichte. Bd. 1: Die Lehrentwicklung im Rahmen der Katholizität. Göttingen 1982, 99-283.

Stead, G. C.: The Thalia of Arius and the testimony of Athanasius. In: Journal of Theological Studies 29 (1978), 20-52.

Torrance, Th. F.: Homoousion. In: Evangelische Theologie 43 (1983), 16-25 (35: mit Diskus­sionsbeiträgen von A. M. Ritter, A. Schindler und A. I. C. Heron).

Der Ariusfrage werden auch mehrere Beiträge der Akten der »Ninth International Conference on Patristic Studies« (Oxford, 5.-10. Sept. 1983) gewidmet sein.

Quelle: Martin Greschat (Hrsg.), Gestalten der Kirchengeschichte, Bd. 1. Alte Kirche I, Stuttgart-Berlin-Köln-Mainz: Kohlhammer, 1984, S. 215-223.

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