Paul Schulze zur Wiesche über Friedrich Justus Perels (1910-1945): „Im Leben Perels’ spürt man etwas von der großen Verwandlung, die mit dem Menschen vor geht, wenn er der Wirklichkeit und Macht Gottes begegnet und sich ihm ganz ausliefert. Dieses neue Wesen des Menschen strahlt in seine Umgebung aus. So gibt er, der Todgeweihte, seiner ihn besuchenden Frau Kraft zum Durchhalten. Wenn sie ihn nicht sehen, sondern ihm nur Nahrungsmittel bringen kann, läßt er ihr mit den Büchern oder leeren Schachteln fast immer einen Zettel mit den wenigen Worten zu­kommen: ‚Ich bin getrost, seid ihr es auch!‘ So ist sein ganzes Sein zur damaligen Zeit ein einziges Bekenntnis zu Gott. Den höhnischen Bemerkungen der Gestapo-Beamten und auch dem berüchtigten Präsidenten des Volksgerichtshofes, der immer nur hohnlächelnd in der Gerichtsverhandlung von dem ‚Justitiar der Bekennenden Kirche‘ spricht, tritt er mit aller Ruhe entgegen. So sagt er einmal dem vernehmenden Beamten: ‚Auch Sie müssen sich, Herr Kommissar, ob Sie es glauben oder nicht, im letzten Gericht verantworten für Ihre Taten.‘“

Ich bin getrost. Seid Ihr es auch!“ Über Friedrich Justus Perels (1910-1945)

Bericht von Rechtsanwalt Dr. Paul Schulze zur Wiesche, teilweise nach Mitteilungen der Witwe Perels’ und der Pastoren Lic. Wilhelm Niesel und Eberhard Bethge.

Wir trafen uns einige Tage nach dem 20. Juli 1944 auf der Wilhelmstraße in Berlin. So etwas wie ein Erstaunen darüber, daß man sich noch lebend wiedersah, lag über dem Zusammentreffen. Und als ich den Tod der Er­schossenen, insbesondere unseres Freundes von Haeften, bedauerte, da antwortete er:

„Wie, armer Kerl? Gibt es denn was Besseres, als für eine gute Sache zu sterben?“

An dieses Wort mußte ich denken, als sich die dunkle Ahnung von Perels’ Tode bestätigte. Es gibt die ganze Haltung dieses Mannes wieder, die er auch in der schwersten Zeit, der Zeit nach dem Erlaß des Todesurteils, an den Tag legte. Und auch die Situation, in der es damals fiel, war bezeich­nend für ihn. Gerade nach Berlin zurückgekehrt, befand er, der selbst in dauernder Gefahr lebte und mit einer Verfolgung rechnen mußte, sich auf dem Wege zu einem Ministerium, um sich für Graf Paul York einzusetzen, der einen Tag vorher verhaftet worden war. Perels dachte nicht an sich, nur an die andern. So auch, als wir einige Tage später mit unserem Freund Klaus Bonhoeffer überlegten, was wir aussagen würden, falls wir von der Gestapo ergriffen und vernommen würden, ohne uns noch einmal verstän­digen zu können, und als wir die schwere Frage erörterten, ob wir nicht über die Grenze gehen sollten, wenn wir Anzeichen dafür hätten, daß man auch uns suchte. Da erklärte Perels ohne Überlegung, er dächte nicht an Flucht, da er damit rechnen müßte, daß man sonst seine Frau in Sippen­haft nähme.

So wurde er dann doch noch verhaftet und am 2. Februar 1945 durch den Volksgerichtshof mit Klaus Bonhoeffer, Rüdiger Schleicher und Hans John wegen Beteiligung an dem Komplott gegen Hitler zum Tode verurteilt, haupt­sächlich wegen unterlassener Anzeige. Man hatte ihn, der von überzarter Ge­sundheit war, besonders grausam verhört: körperliche Mißhandlungen, stän­dige Bedrohungen für seine Familie, Schmähungen gemeiner Art mußte er wo­chenlang über sich ergehen lassen. Durch solche langandauernden Quälereien und die Drohung, das Gleiche würde mit seiner Frau und seinem Jungen geschehen, hat man von ihm Geständnisse erpreßt, die er ohne diese Fol­terungen nicht abgegeben hätte (auch seinen Vater, den Berliner Historiker, tat man um des Sohnes willen ins KZ., aus dem er nicht mehr lebend herauskam). Selbst hier im Zustande halber Bewußtlosigkeit handelt er nur für die andern, seine Familie, und belastet keine Kameraden. Aber er läßt seine ihn besuchende Frau nichts merken von dem, was er zu ertragen hat. Nur einmal verliert er seine Fassung, erzählt von den furchtbaren Mißhandlungen und erklärt unter Tränen zitternd: „Wir sind zu weich er­zogen!“ Doch schon bei ihrem nächsten Besuch in der Gefängniszelle hatte er seine Ruhe wieder vollkommen zurückgewonnen und gab ihr durch seine Gefaßtheit viel tröstende Kraft. Am Gerichtstag zeigte er eine prächtige Haltung und führte die geschickteste Verteidigung. Es war übrigens der letzte Prozeß, den der unglückselige Freisler führte; denn tags darauf kam er bei einem Luftangriff ums Leben.

Und diese Ruhe hält bei Perels an, auch nach dem Fällen des Todesurteils, als er der Hinrichtung entgegensah. Wohl gibt es nach der Zeit der An­spannung bis zum Termin nun Tage der Erschöpfung. So heißt es in seinem Brief an seine Frau vom 19. Februar 1945:

„Jetzt gehen die Tage wieder so dahin, und für jeden Tag erbitte ich mii Hilfe und Trost und umgebe Euch mit meinen Gedanken und bittendem Gebet. Nicht immer ist es leicht. Aber wie sollte das auch sein, solange wir Menschen sind?“

Und. auch am 28. Februar klingt es wieder durch:

„Die Stunden gehen hier so hin. Nicht immer ist es leicht, aber bis hierher hat der gnädige Gott mir noch immer geholfen, und ich vertraue darauf, daß er Dich und mich nicht verlassen wird.“

Die Zeit nach dem Erlaß des Todesurteils ist eine einzige Zeit der Vorbe­reitung auf den Tod. Das schreibt er klar in seinem Brief vom 11. Februar: „Eine Woche ist nun wieder verstrichen, und die innere Spannung, die in den ersten Tagen nach dem Termin angehalten hatte, läßt wieder nach Ich bin sehr dankbar, daß ich mich auf das zeitliche Ende in der Stille hier vorbereiten darf. Da sehe ich von Tag zu Tag unerkannte Schwäche und Sünde. Und ich versuche, die einfach Gott zu übergeben … Ihr müßt Euch ganz fest an Ihn klammern. Er hilft wirklich, weil Er lebendig und auferstanden ist.“

Sein Glaube nimmt zu an Kraft und Tiefe. Das beweist die Stelle in einem anderen Briefe:

„Man muß so glauben, wie Abraham. Moses und Jakob und wie diejenigen im Evangelium, an denen der Herr Wunder tut. Man darf nicht mit Gott rechten. Immer wieder zu ihm kommen, gerade dann, wenn wir fühlen, daß die Kräfte nachlassen! Das Schlimmste ist Gleichgültigkeit.“

Es ist ein tiefes Gespräch mit Gott, diese Zeit im Gefängnis. Ständig ist seine Bibel aufgeschlagen. Er spürt die Kraft und Verheißung des Gebetes Sein Herz findet Ergebung und Trost:

„Wir wollen anhalten am Gebet — betet weiter für mich wie ich für Euch! Jeh bin hier sehr dankbar, daß ich so von den Brüdern getragen werde, innerlich und äußerlich. Und die Gebete der ‚Heiligen‘ haben ihre Ver­heißung.

Letzten Endes bin ich sicher, daß alles auf unsere Gebete ankommt. Die haben nämlich wirkliche Verheißung. Und das bestätigt sich immer wieder bei mir, wenn man den Herrn nicht losläßt und um Stärkung im Glauben bittet, dann stärkt er uns und hilft uns auch.

Ich bin ganz getrost, wie alles auch werden mag. In dieser Zeit habe ich viel innere Hilfe erfahren. Das Entscheidende für uns alle ist: ‚Christi Blut und Gerechtigkeit, das ist mein Schmuck und Ehrenkleid‘. Ich mußte erst ganz kaputtgehen und zuschanden werden, um das zu verstehen. Darum sei ganz getrost! Er hilft Dir und Euch allen wunderbar.

Wie alles auch kommen mag, wir wissen es nicht. Gott allein weiß es. Er hat mich hier nicht verlassen, sondern oft wunderbar errettet und gestärkt. Er wird Dich ganz gewiß auch nicht verlassen. Halte Dich ganz fest an Ihn! Er ist auferstanden und lebt … Aber über all unserer Not, Anfech­tung und Sünde dürfen wir uns in dem Tod und der Auferstehung des Herrn getrosten. Das höre ich immer wieder, und das gilt auch für Euch Er erlebt Karfreitag und Ostern bewußter denn je, weil ihm nur das Le­ben und Sterben Christi Kraft gibt, diese aber in einer ihn nicht verlassen­den Stärke. Im Karfreitagsbrief heißt es:

„Heute, am Karfreitag, steht der ganze große Trost des Kreuzes Jesu Christi unmittelbar vor unseren Augen. Das ist eine starke und ewige Gewißheit, daß er für unsere Sünden dahingegeben ist und daß wir durch seine Wunden geheilt sind. Diese Gewißheit gibt er uns und macht uns damit in der größten Trübsal fröhlich und reißt uns aus Angst und Qual Das erfahre ich hier in ganz großem Maße. Und daran und an nichts an­deres dürft und sollt Ihr Euch halten.“

An diesen Christus, an ihn allein, hält er sich. Er bittet seine Frau um ein kleines Kruzifix, und als er es besitzt, sagt er zu ihr:

„Es ist gut, daß ich das habe. Darauf sehe ich, und dann sage ich mir: Warum soll ich es besser haben?“

Wochenlang hatte Perels versucht, auf offiziellem Wege die Erlaubnis zum Empfang des heiligen Abendmahles zu erhalten, aber stets vergeblich. Da brachte ihm am ersten Ostertage ein Mitgefangener (Pfarrer Bethge) mit Hilfe eines freundlichen Postens heimlich das Abendmahl. Der Wein war aus der Zelle von Ernst von Harnack, der schon früher hingerichtet wurde, die Oblaten hatte ein katholischer Pater, der Jesuitenprovinzial Rösch, aus seiner Zelle gegeben. Übergroß ist da das Glück von Perels. Immer wieder drückt er dem Bruder seine Freude und Dankbarkeit darüber aus und meint, wie unwesentlich alles dagegen sei, was er je an Laufereien, Planen und Anstrengungen vollbracht habe.

Im Leben Perels’ spürt man etwas von der großen Verwandlung, die mit dem Menschen vor geht, wenn er der Wirklichkeit und Macht Gottes be­gegnet und sich ihm ganz ausliefert. Dieses neue Wesen des Menschen strahlt in seine Umgebung aus. So gibt er, der Todgeweihte, seiner ihn be­suchenden Frau Kraft zum Durchhalten. Wenn sie ihn nicht sehen, sondern ihm nur Nahrungsmittel bringen kann, läßt er ihr mit den Büchern oder leeren Schachteln fast immer einen Zettel mit den wenigen Worten zu­kommen:

„Ich bin getrost, seid ihr es auch!“

So ist sein ganzes Sein zur damaligen Zeit ein einziges Bekenntnis zu Gott. Den höhnischen Bemerkungen der Gestapo-Beamten und auch dem berüch­tigten Präsidenten des Volksgerichtshofes, der immer nur hohnlächelnd in der Gerichtsverhandlung von dem „Justitiar der Bekennenden Kirche“ spricht — Perels war der Justitiar des Rates der evangelischen Kirche der altpreußischen Union — tritt er mit aller Ruhe entgegen. So sagt er ein­mal dem vernehmenden Beamten:

„Auch Sie müssen sich, Herr Kommissar, ob Sie es glauben oder nicht, im letzten Gericht verantworten für Ihre Taten.“

Und als seine Peiniger dann voller Spott und Drohung sagten: „Nach dem Krieg wird noch ganz anders gegen die Kirche vorgegangen, sie wird über­haupt noch ganz abgeschafft“, antwortete er:

„Das glaube ich nicht, die Kirche bleibt, ob Sie es wollen oder nicht.“ Nicht als Politiker wurde er auch letzten Endes gefangen genommen, viel­mehr hatte ihn die Tätigkeit für die Kirche in Gefahr gebracht. Der Pflichtverteidiger bestätigte es, wenn er Perels mitteilte, der Vorwurf, er sei „ein Mann der Kirche“, zöge sich wie ein roter Faden durch die Akten. Und er selbst äußerte einmal bei einem Besuch seiner Frau:

„Es ging immer wieder gegen die Kirche. und ich bin dankbar, daß ich denen da Verschiedenes habe sagen können. Wenn auch viel anderes da­bei war, im Grunde richtete sich alles gegen die Kirche. Dies trat auch wieder am Verhandlungstage vor dem Volksgerichtshof zu Tage.“

Im Dienste der Bekennenden Kirche knüpfte er all die Bande zu Politikern. Militärs und hohen Dienststellen. Die Beziehungen zu diesen und die häu­figen Besuche bei ihnen verrieten ihn schließlich. Dieses rastlose Leben konnte ja der Gestapo nicht verborgen bleiben, dieses Leben, das der befreundete Pfarrer bei der Trauerfeier am 11. Juni 1945 auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof zu Berlin in die Worte faßte: „Wann kam einer vergeblich zu Friedrich Justus Perels? Vom Morgen bis zum Abend ließ er sich in Anspruch nehmen und machte Wege bis zur Erschöpfung, um Gefangenen die Freiheit zu verschaffen, Angehörigen von KZ.-Leuten zu helfen, Pfarrfrauen zu beraten, Juden ihr Los zu erleichtern, sie zu ver­stecken oder ihnen zur Flucht zu verhelfen, der Kirche Möglichkeiten zum Wirken zu schaffen. Was sind wir ihm doch Dank schuldig?“

Seine Freunde versuchten, diese Dankesschuld ihm gegenüber abzutragen. Zur Vorbereitung der Verteidigung konnten wir leider nichts tun, da der Gerichtstermin wider Erwarten plötzlich stattfand. Aber nach dem Spruch des Todesurteils taten wir alles, wie auch Perels selbst und seine Frau die größten Anstrengungen machten. Wir taten manchen gefährlichen Weg. um die Vollstreckung hinauszuschieben. Mit nervöser Teilnahme verfolgten wir den Weg der Feinde auf Berlin, wo er mit seinen Freunden im Gefängnis saß. Immer wieder bewegte uns die bange Frage: Wird der Feind eher in Berlin sein, als die SS. oder die Vollstreckungsbehörde zugreifen werden? Es war, wie wenn man an einem Wettlauf zwischen den Russen und der SS. teilnahm. Und dann geschah doch das Entsetzliche: Als der Russe schon in Berlin kämpfte, wurde Perels mit seinen Freunden am 22. April 1945 von starkbewaffneter SS, aus dem Gefängnis herausgeholt und in den Trümmern Berlins meuchlings ermordet, Seine Sterbeurkunde enthält die grausige, nüchterne Tatsache: „Auf dem Gelände des Lehrter Bahnhofes tot aufgefunden“.

Es richtet uns die Gewißheit auf, daß Perels getrost in den Tod ging, als Zeuge für die Kraft, die Gott dem Menschen gibt, wenn er sich ganz auf ihn verläßt, wenn er Christus „nachfolgt“. Nicht von ungefähr las Perels im Gefängnis mit Vorliebe das Büchlein „Die Nachfolge Christi“ von Tho­mas a Kempis. Aus ihm schöpfte er Kraft und Trost. Für seine Frau hat er darin die Stellen angestrichen, die ihm lieb und wert waren. Wie oft mag er das angestrichene Gebet des frommen Katholiken nachgebetet ha­ben: „Mein Gott, entferne dich nicht von mir, mein Gott, sei auf meine Hilfe bedacht! Denn vielerlei Gedanken sind in mir aufgeschrieben, und große Schrecken ängstigen meine Seele. Wie werde ich unverletzt durch sie hindurchkommen, wie sie durchbrechen?“ Man liest die angestrichenen „Betrachtungen des Todes“ in dem Büchlein, als seien es Perels’ eigene Worte: „Wenn es schrecklich ist, zu sterben, so ist es vielleicht noch viel gefährlicher, länger zu leben … Halte Dich für einen Fremdling und Gast auf dieser Erde, den das Treiben der Welt nichts angeht. Bewahre Dein Herz frei von dieser Welt und zu Gott erhoben, denn Du hast hier keine bleibende Stätte. Dorthin richte Dein Gebet, Deine täglichen Seufzer und Tränen, damit Dein Geist verdiene, nach dem Tode selig zum Herrn hin­überzugehen … Ich höre den Gottmenschen Jesus Christus selbst am Kreuze rufen: Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen? Ich sehe ihn in der bittersten Not, ihn, den Heiligen, wie er allen Trost entbehren will. Nach einem solchen Vorbilde, o meine Seele, kannst Du nicht verlangen, es besser haben zu wollen. Nein, mein sterbender Heiland, ich verlange es nicht, sondern will auch den Zustand der Trockenheit und den Mangel allen Trostes als Deine Fügung betrachten und an Deinem Beispiel mich aufrichten.“

Wir können annehmen, daß Perels, der ein so nüchterner, sachlich denken­der Mann war, in der letzten Zeit der Gefangenschaft kaum noch auf Er­den weilte. So wie es Philipper 3, 20 und 21 heißt, worauf er einen Mit­gefangenen immer wieder besonders hinwies: „Unser Wandel aber ist im Himmel, von dannen wir auch warten des Heilandes Jesu Christi, des Herrn, welcher unseren nichtigen Leib verklären wird, daß er ähnlich werde seinem verklärten Leibe, nach der Wirkung, mit der er kann auch alle Dinge sich untertänig machen.

Quelle: Konrad Hofmann/Reinhold Schneider/Erik Wolf (Hrsg.), Sieger in Fesseln. Christuszeugnisse aus Lagern und Gefängnissen, Freiburg i.Br.: Herder, 1947, S. 26-31.

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