Auferstehung von den Toten versus Weiterleben nach dem Tod
Der Tod eines Menschen hat immer auch eine soziale Dimension, sind doch von dem Präsenzverlust eines Verstorbenen dessen Angehörigen betroffen.
In einem Familienzusammenhang wird sich auf ein Weiterleben des Verstorbenen kultisch ausgerichtet, das dessen Seele betrifft. Mag auch der Körper als Leichnam verwesen, so scheint doch dessen Seele als Kontinuum über den Tod hinaus in einer weiteren Beziehung zur jeweiligen Familie stehen. Die Ahnenverehrung sucht die Seele des Verstorbenen gegenwärtig zu halten und erwartet in der Seelenverehrung eine segensreiche Auswirkung auf die eigene Familie. Dabei wird in einer patriarchalen Gesellschaft mit deren Patrilinearität der Fokus auf männliche Nachkommen gerichtet, in deren Totengedächtnis bzw. Erbe der Namen des männlichen Verstorbenen weiterlebt.
In der Leviratsehe im Alten Testament (vgl. Deuteronomium 25,5-10) sind Bestimmungen vorgesehen, dass im Falle einer Kinderlosigkeit die Witwe den Bruder des Verstorbenen zu heiraten hat, um durch einen Nachwuchs dem Verstorbenen einen Nachkommen zu verschaffen.
Die Ausrichtung auf männliche Nachkommenschaft als eigenes Weiterleben (vgl. Genesis 15,2-4) lässt Töchter, die exogam – das heißt außerhalb der eigenen Familie, der eigenen Sippe, des eigenen Clans – verheiratet werden, nachrangig behandeln.
Die Revolution der Geschlechterdifferenz findet bei Jesus in seinem Auferstehungswort wider die Sadduzäer statt. Diese leugnen die Auferstehung von den Toten, da sie nur die Tora, d.h. die ersten fünf Bücher der Bibel ohne die Propheten als Heilige Schrift anerkennen. Jesus widerspricht dem Heilsgebot der Leviratsehe mit folgenden Worten:
„Ihr irrt euch, ihr kennt weder die Schrift noch die Macht Gottes. Wenn nämlich die Menschen von den Toten auferstehen, heiraten sie nicht, noch lassen sie sich heiraten, sondern sind wie Engel im Himmel. Dass aber die Toten auferstehen, habt ihr das nicht im Buch des Mose gelesen, in der Geschichte vom Dornbusch, in der Gott zu Mose spricht: Ich bin der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs? Er ist kein Gott von Toten, sondern von Lebenden. Ihr irrt euch sehr.“ (Markus 12,24-27)
Von der zu erwartenden Auferstehung der Toten her können eigene irdische Lebensverhältnisse nicht in ein Jenseits verlängert werden. Wo Gott in der Auferstehung von den Toten mit Menschen neu anfängt, gibt es keine bleibende Geschlechterdifferenz bzw. Statusunterschiede nach dem Tod. Die christliche Lehre von der Auferstehung von den Toten, die mit der gottesdienstlichen Gegenwart des auferstandenen Jesus Christus verbunden ist, hat einen tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel im Hinblick auf die Gleichstellung der Geschlechter bedingt, auch wenn der Prozess dahin 20 Jahrhunderte gedauert hatte.
Zwei Unterbrechungen einer „Familienreligion“ hat es außerhalb des Christentums bezüglich eines Weiterlebens nach dem Tode gegeben. Im alten Ägypten wird mittels eines individuellen Totengerichts eine Zukunftsbestimmung des seelischen Weiterlebens getroffen, die von der moralischen Lebensweise des Verstorbenen abhängt. Wo in diesem Totengericht das Herz des Verstorbenen gegen die Feder der Maat, welche Wahrheit und Ordnung symbolisiert, gewogen wird, kann das gelebte Leben als zu leicht befunden und damit von einem postmortalen Seelenheil ausgeschlossen werden.
Im Hinduismus wird mit der Lehre vom Atman bzw. vom Karma ein Weiterleben als Wiedergeburt gelehrt, wo die Moralität des jeweiligen Lebens sich im Status einer (höherrangigen) Wiedergeburt außerhalb des bisherigen Familienzusammenhangs auszahlt.
Seelisches Weiterleben nach dem Tode ist nicht die Kernbotschaft der christlichen Lehre von der Auferstehung von den Toten. Vielmehr verdankt sich Auferstehung bzw. Auferweckung von den Toten einer schöpferische Handlung Gottes, die über eine Reanimation bzw. Wiederbelebung im bisherigen irdischen Leben (vgl. Lukas 7,11-17) hinausgeht. Die Auferweckung von den Toten hat ihren Anfang in Jesu Auferweckung von den Toten genommen. Er ist es, der als der lebendige Herr im Advent bzw. in seiner Parusie den Toten gegenübertritt und mit deren Auferstehung diese in die Gemeinschaft des ewigen Lebens mit ihm nimmt (vgl. 1. Thessalonicher 4,13-18).
Die göttliche Handlung einer leiblichen Auferweckung von den Toten wird als zukünftiges, endgültiges Geschehen für alle Menschen aller Generationen gleichzeitig angesagt. Demzufolge gibt es keine sukzessive Auferweckung jeweils nach dem individuellen Tod, was eher der Vorstellungen eines postmortalen Weiterlebens entsprechen würde. Es ist fraglich, ob man im christlichen Sinne von einer Unsterblichkeit der Seele sprechen kann. So schreibt der Theologe Paul Althaus:
„Der Begriff Auferstehung oder Auferweckung schließt die volle Wirklichkeit des Sterbens und des Todeszustandes ein und widersetzt sich jeder Abschwächung. Das Sterben besteht nicht darin, dass eine unsterbliche Seele sich von ihrem Leibe trennt und sich durch den Tod durchhält, sondern die jetzige leiblich-seelisch-geistige Daseinsgestalt des Menschen wird als ganze zerbrochen. Die Auferstehung betrifft also den ganzen Menschen; es geht um Auferstehung der Toten, nicht nur des Leibes!“ (Art. Auferstehung dogmatisch, RGG3)
In diesem Zusammenhang ist von einer Ganztodtheorie die Rede, so dass auch die Auferstehung von den Toten den ganzen Menschen betrifft und nicht nur die körperliche Einhüllung einer vermeintlich unsterblichen Seele.
Wenn in der Parusie, d.h. in der endzeitlichen Ankunft Jesu Christi die Auferstehung von den Toten geschieht, ist dies für alle Verstorbenen ein gleichzeitiges Geschehen. Da für Tote der eigene Tod selbst zeitlos ist, ist die Auferweckung von den Toten für diese unmittelbar vorgesehen. Es gibt keinen Zwischenzustand, dem zeitlich irgendwelche seelischen Erlebnisse zugeschrieben sind. Die Auferstehung von den Toten ist betrifft diese sofort nach dem Tod, auch wenn in der irdischen Zeitrechnungen Jahrzehnte, Jahrhunderte oder gar Jahrtausende dazwischen liegen.
Mit der Auferweckung von den Toten ist nicht ein individuelles Totengericht, sondern das weltumfassend Jüngste Gericht verbunden, wo der richterliche Urteilsspruch kein selbstgerechtes Weiterleben der vom Tode Auferweckten zulässt. Nur dort wo Gottes Barmherzigkeit im Gericht nach den Werken zur Geltung kommt, findet der Mensch zur bleibenden Gegenwart Gottes, die für ihn das ewige Leben bedeutet.