Der starke Mann (1997)
Von Richard Rorty (1931-2007)
Viele Autoren auf dem Gebiet der Sozial- und Wirtschaftspolitik haben davor gewarnt, dass die alten industrialisierten Demokratien auf eine Weimarer Zeit zusteuern, in der populistische Bewegungen wahrscheinlich verfassungsmäßige Regierungen stürzen werden. Edward Luttwak zum Beispiel hat angedeutet, dass der Faschismus die amerikanische Zukunft sein könnte. In seinem Buch The Endangered American Dream (Der gefährdete amerikanische Traum) geht es darum, dass Mitglieder von Gewerkschaften und unorganisierte ungelernte Arbeiter früher oder später erkennen werden, dass ihre Regierung nicht einmal versucht, ein Sinken der Löhne oder den Export von Arbeitsplätzen zu verhindern. Etwa zur gleichen Zeit werden sie erkennen, dass die Angestellten in den Vorstädten – die selbst verzweifelt Angst vor Stellenabbau haben – sich nicht besteuern lassen, um Sozialleistungen für zu erbringen.
An diesem Punkt wird es zu einem Bruch kommen. Die Wählerschaft außerhalb der Vorstädte wird beschließen, dass das System gescheitert ist, und sich nach einem starken Mann umsehen, den sie wählen können – jemand, der ihnen versichert, dass, sobald er gewählt ist, die selbstgefälligen Bürokraten, trickreichen Anwälte, überbezahlten Anleiheverkäufer und postmodernen Professoren nicht mehr das Sagen haben werden. Dann könnte sich ein Szenario wie in Sinclair Lewis‘ Roman It Can’t Happen Here abspielen. Denn wenn ein solcher Machthaber erst einmal im Amt ist, kann niemand vorhersagen, was passieren wird. Im Jahr 1932 waren die meisten Vorhersagen darüber, was passieren würde, wenn Hindenburg Hitler zum Reichskanzler ernennen würde, viel zu optimistisch.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Errungenschaften, die schwarze und farbige Amerikaner sowie Homosexuelle in den letzten vierzig Jahren errungen haben, wieder zunichte gemacht werden. Die scherzhafte Verachtung von Frauen wird wieder in Mode kommen. Die Worte „Nigger“ und „Jude“ werden am Arbeitsplatz wieder zu hören sein. All der Sadismus, den die akademische Linke versucht hat, ihren Studenten zu verleiden, wird wieder auftauchen. Der ganze Unmut, den schlecht ausgebildete Amerikaner darüber empfinden, dass ihnen ihre Manieren von Hochschulabsolventen diktiert werden, wird ein Ventil finden.
Aber eine solche Erneuerung des Sadismus wird nichts an den Auswirkungen des Egoismus ändern. Denn wenn mein imaginierter starker Mann das Kommando übernommen hat, wird er schnell seinen Frieden mit den internationalen Superreichen machen, so wie Hitler seinen mit den deutschen Industriellen gemacht hat. Er wird die glorreiche Erinnerung an den Golfkrieg heraufbeschwören, um militärische Abenteuer zu provozieren, die kurzfristigen Wohlstand bringen werden. Er wird eine Katastrophe für das Land und die Welt sein. Die Menschen werden sich fragen, warum es so wenig Widerstand gegen seinen unvermeidlichen Aufstieg gab. Wo, werden sie fragen, war die amerikanische Linke? Warum waren es nur Rechte wie Buchanan, die zu den Arbeitern über die Folgen der Globalisierung sprachen? Warum konnte die Linke die wachsende Wut der neu enteigneten Menschen nicht kanalisieren?
Die William E. Massey Sr. Vorlesungen über die Geschichte der amerikanischen Zivilisation 1997.
Quelle: Richard Rorty, Achieving Our Country. Leftist Thought in Twentieth Century America, Cambridge, Massachusetts: Harvard University 1998. S. 89-91.