Martin Luthers heroische Ermahnung, dass die Bürger wegen der Pest nicht fliehen sollen (hortatio tempore pestis, 1539): „Lieber, wann aber wäre Gottes Kommen uns recht, sodass wir uns vor dem Tod nicht fürchten? Wenn er kommt, wollen wir nicht – und doch müssen wir, wenn er will. Darum lasst uns sterben, wenn er will, nicht aber wünschen, so lange zu leben, wie wir wollen. Ich will jedoch niemanden dazu verleiten, Gott zu versuchen, noch jemanden ohne guten Grund oder Auftrag in Gefahr bringen. Doch die, die verbunden sind, müssen nach dem Gesetz der Liebe und kraft ihres Amtes auch die größte Gefahr zurückstellen. Denn es ist herrlich, in der Erfüllung eines von Gott auferlegten und befohlenen Amtes zu sterben.“

Abschrift eines Auszuges aus einer Predigt, dass die Bürger wegen der Pest nicht fliehen sollen (1539)

Von Martin Luther

Zuerst strafte er heftig jene, die diese Gerüchte von der Pestilenz verbreiteten; dann redete er den Bürgern alsbald die Flucht aus, denn sie seien verwurzelte Bürger. Er sagte, es sei ganz gottlos, wenn sie die Ihren verließen, da es Tatsache sei, dass in früheren Zeiten dadurch mehr Menschen an Hunger und Durst gestorben seien als an der Pest. Er ermahnte sie daher, die Zuchtrute Gottes des Vaters willig zu tragen. Denn wenn wir die Kinderstrafe nicht ertragen können – da die Pest von allen Plagen noch die geringste ist –, wie wollen wir dann Krieg und Hungersnot ertragen?

Die Pestilenz ist bloß eine Reinigung der Welt ohne äußere Grausamkeit, bei der auch fromme Menschen sanft in einem kurzen Augenblick entschlafen. Das Geschrei von der Pestilenz soll euch nicht schrecken; tut dem Teufel nicht so viel zu Gefallen, dass ihr fliehen wollt, selbst wenn die Pestilenz in euer Haus, Bett, die Wiege und an euren Tisch kommt. Wir haben dennoch Trost: Christus ist aufgefahren (Röm. 8, 31). Da wir ihn als Mittler haben und die Lehre des Lebens kennen, warum fürchten wir uns jetzt mehr als selbst unter dem Papsttum, als wir in der Finsternis viel wacher gewesen sind?

Was ist es denn mehr, wenn der Teufel einige mit Gift erschießt? Er hat ein Rohr dazu. Euch, die ihr fortziehen wollt, ermahne ich, dafür zu sorgen, dass die Stadt mit öffentlichen Dienern, Ärzten, Wundärzten, Barbieren und Krankenwärtern für die Armen, die im Hospital von öffentlicher Wohltätigkeit leben, versorgt wird. Haltet sie und andere, die für solche Ämter geeignet sind, dazu an – oder vertreibt sie aus der Stadt. Sodann sage ich allen, die fliehen und die Ihren zurücklassen: Ich werde die Armen in der Not nicht verlassen, sondern euer Holz vom Anger hereinholen und verbrennen lassen, auch euren Vorrat an Korn, Bier und allem, was genießbar ist, unter den Armen verteilen und damit haushalten – dessen seid gewarnt!

Es geht nicht ums Fliehen, sondern darum, das zu tun, was Christus sagt (Matth. 25, 35): „Ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich nicht gespeist.“ Ihr wisst wohl, dass ich bei Pestilenz niemals geflohen bin, sondern mit meinem ganzen Haus und meiner Familie ausgehalten habe. Ich bin wohl ebenso edel wie ihr und hätte mit gutem Gewissen fliehen können – besonders auf kurfürstlichen Befehl hin. Doch nicht so! Wer mit Weib, Brüdern, Kindern, Schwestern, Nachbarn verbunden ist, der bleibe, helfe und tröste in gemeinsamer Gefahr. Wir sind einander den Tod schuldig.

Ich bin jetzt euer Pfarrherr und Lückenbüßer, an den Predigtstuhl gebunden, und keine hundert Pestilenzen sollen mich davon vertreiben. Vielmehr will ich bereit sein, mit meinen Priestern die Kranken zu besuchen. Sterben wir darüber im Werk der Liebe – wohl uns! Dann wird uns das Stündlein besser sein als tausend Jahre Leben.

Andererseits: Wenn du vor deinem Übel fliehst, wird dir geschehen, dass du lieber tausendmal gestorben wärst. Darum seid tapfer und schlagt euch die Gedanken des Entsetzens und der Flucht aus dem Sinn. Versucht im Herrn, dass ihr nur das Stündlein ertragen könnt, denn sterben müssen wir ohnehin. Und in dieser so gefährlichen Zeit, bei der verzweifelten Bosheit sowohl der Bauern als auch des Adels, sollte sich niemand das Leben wünschen.

Die Pestilenz ist eine so gute Reinigung der Welt, dass ich kaum weiß, ob ich gegen sie beten soll, denn sonst will oder kann niemand strafen. Ja, ich bitte zuweilen, dass Gott mit der Pestilenz komme und strafe, um die Gassen zu fegen, damit die Bauern sehen, wem sie ihre Taler mit Recht oder Unrecht zusammengerafft haben, auf dass sie zur Buße geleitet werden.

Darum, wer mit dieser Stadt verbunden ist, lasst uns Gott nicht erzürnen, dass er uns nicht mit einer größeren Strafe trifft. Halten wir zusammen, wenn die Rute kommt. Sterben wir jetzt, so müssen wir uns in den nächsten Jahren nicht mehr fürchten.

Lieber, wann aber wäre Gottes Kommen uns recht, sodass wir uns vor dem Tod nicht fürchten? Wenn er kommt, wollen wir nicht – und doch müssen wir, wenn er will. Darum lasst uns sterben, wenn er will, nicht aber wünschen, so lange zu leben, wie wir wollen.

Ich will jedoch niemanden dazu verleiten, Gott zu versuchen, noch jemanden ohne guten Grund oder Auftrag in Gefahr bringen. Doch die, die verbunden sind, müssen nach dem Gesetz der Liebe und kraft ihres Amtes auch die größte Gefahr zurückstellen. Denn es ist herrlich, in der Erfüllung eines von Gott auferlegten und befohlenen Amtes zu sterben.

Ich habe es bereits zweimal in der Pestilenz erfahren, da ich hätte fliehen können, dass die Krankheit den Frommen nichts anhaben kann gegen Gottes Willen – selbst wenn sie auf Anstiften des Teufels befallen werden. Ich bin davor bewahrt geblieben mit meiner ganzen Familie, obwohl ich mein Amt durch Predigen ausgeübt habe. Und obwohl ich hätte fliehen können, habe ich die Gemeinde niemals verlassen.

O, dass ich keine größeren Anfechtungen hätte als die Schrecken der Pestilenz!

Die fremden Studenten, die von ihren Eltern zum Studium hierher geschickt wurden und nicht an Stadt und Haus gebunden sind, mögen fliehen – ihnen können wir die Tore nicht versperren. Doch wer hier verwurzelt ist, für den gilt etwas anderes.

Denkst du, dass es recht ist, in Glück, Heil, Gesundheit und Frieden alle Freiheiten und Annehmlichkeiten der Stadt zu genießen – und dann, wenn es schlecht steht, die Nachbarn zu verlassen, die dir oft in vielerlei Dingen gedient haben?

Die Studenten aber ermahne und bitte ich: Da die Pestilenz bis jetzt noch nicht hier ist, flieht nicht voreilig, damit ihr nicht durch eure unzeitige Flucht unsere Universität unnötig zersprengt.

Quelle: Martin Lutherʼs sämmtliche Schriften, hrsg. v. Johann Georg Walch, Bd. 10: Katechetische Schriften und Predigten, St. Louis: Concordia Publishing House, 1885, Sp. 2028-2033.

Hier der Text als pdf.

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