M. Douglas Meeks, Gott und die Ökonomie des Heiligen Geistes (1978): „Schließlich wollen die Bank­kaufleute ja auch, dass wir eine animistische Beziehung zum Geld haben, wenn sie uns ermahnen: ‚Lassen Sie Ihr Geld für sich arbeiten.‘ Unser ökonomisches Leben ist erfüllt vom Animismus, nicht viel anders als in vielen primitiven Gesellschaftsordnungen. Die Vorstellung vom Heiligen Geist ohne Gott dient der sich immer höher schraubenden Spirale von unersättlichen Wünschen und der Lehre vom wirtschaftlichen Wachstum, die die säkulare Religion unserer Gesellschaft geworden ist.“

Gott und die Ökonomie des Heiligen Geistes

Von M. Douglas Meeks

Sobald die Irrelevanz des Christentums öffentlich kritisiert wird, denkt man gewöhnlich an die Kirche. Es sieht so aus, als sei die Kirche für die Ausübung des Glaubens sowohl im sozialen als auch im persönlichen Be­reich überholt. Aber – ohne die Kirche wäre der christliche Glaube nichts anderes als eine esoterische Doktrin. Die Berufung des christlichen Glau­bens besteht darin, die Welt durch die Verbreitung des Gehorsams dem Evangelium gegenüber zu verändern, und das kann nicht ohne die Kirche geschehen. Christliche Theologie steht oder fällt deswegen mit der Entste­hung einer Kirche. Jedoch bildet sich Kirche Jesu Christi nur dann, wenn sie teilnimmt an Gottes Veränderung der Welt.

Ein Versagen der Kraft in der christlichen Theologie wird immer dann deutlich, wenn sie Kirche und Welt aufspaltet, und dieses Versagen zeigt sich heute in mehrfacher Weise. Einige Theologen sind geneigt, sowohl der Kirche als auch der Welt überdrüssig zu werden. Wo das geschieht, wird aber Theologie eine Reflexion abstrakter Ideen oder eine mystische Flucht aus der Realität. In einigen Fällen fühlen sich Theologen sogar versucht, die scheinbar allgegenwärtige Botschaft vom nahenden Weltuntergang zu vertreten. – Andere Theologen hingegen dienen nur noch der Kirche und vergessen die Welt. Theologie dieser Art gibt dann eine vernünftige Erklä­rung für die bestehende Praxis der Kirche, um sie so zu erhalten, wie sie ist. Nach dieser Denkart hängt die Erlösung der Welt von dem Erfolg der Kirche, so wie sie ist, ab. Wenn es ihr einmal wirklich gelingen sollte, die Welt zu erobern, dann wird diese gerettet werden. – Eine dritte Alternati­ve ist die, daß der Theologe der Welt dient und die Kirche vergißt. Die Kir­che wird als hoffnungslos betrachtet, aber es wird angenommen, daß die Theologie die Realität der Erlösung implizit in der Entwicklung der Natur und Geschichte erkennen kann. Diese verschiedenen Möglichkeiten lassen sich in Weltfluchttheologien, in nicht-weltlich-kirchliche und nicht­kirchlich-weltliche Theologien zusammenfassen. Hinter der gegenwärti­gen Krise der Theologie steht die irrige Annahme, daß Kirche und Welt völlig verschiedene und getrennte Realitäten seien.

Nach der überzeugenden Mehrheit der biblischen Überlieferungen ist eine solche absolute Trennung zwischen Kirche und Welt aber undenkbar. Die Kirche ist nicht nicht-weltlich. Vielmehr ist die Kirche der Teil der Welt, der der Herrschaft Jesu Christi übergeben worden ist. So bedeutet allein die Gründung der Kirche eine Veränderung der Welt. Die Entstehung der ecclesia bedeutet eine kulturelle, politische und ökonomische Verände­rung, eben weil, wenn immer eine messianische Gemeinde Jesu Christi ins Leben gerufen wird, die Interessen, Mächte und Forderungen wenigstens eines Teils der Welt den Interessen, der Macht und dem Anspruch Jesu Christi untergeordnet werden. Jener Teil der Welt legt dann in Wort und Tat Zeugnis von der Gerechtigkeit Gottes ab, die seine Macht zum Leben gegen den Tod ist.

Aber nach den biblischen Traditionen würden wir einseitig denken, wenn unsere Gedanken sich nur in diese Richtung bewegten. Wir würden bald den Eindruck gewinnen, daß die Kirche zuerst kommt und dann die Erlö­sung der Welt. Zuerst die Kirche, dann die Welt. Die Überlieferungen der Bibel gestatten uns nicht, ausschließlich so zu denken. Die Welt ist der Liebe Gottes nicht beraubt. Es heißt: „Also hat Gott die Welt geliebt (nicht die Kirche, nicht die Christen), daß Er seinen eingeborenen Sohn gab.“ Es ist Gottes Handeln zur Veränderung der Welt, die zuallererst die Kirche ins Leben gerufen hat. Es ist nicht so, daß die Kirche zuerst existiert und dann eine Mission in die Welt bekommt. Vielmehr schafft die Mission zur Veränderung der Welt die Kirche. Und so müssen wir beides zugleich sa­gen: Die Gründung der Kirche bedeutet eine Veränderung der Welt, und die Veränderung der Welt bedingt die Entstehung einer Kirche.

Von der biblischen Perspektive her ist das, was die Entstehung der Kirche und die Veränderung der Welt zusammenhält, die Gegenwart und die Kraft des Heiligen Geistes. Und das ist meiner Meinung nach auch der wichtigste Grund dafür, daß die Theologie des Heiligen Geistes in unserer theologischen Arbeit heute im Vordergrund steht. Die Kirche und der Hei­lige Geist. Warum ist es immer so schwierig gewesen, von beiden auf ein­mal zu sprechen? Warum gibt es so viele Kirchen ohne den Heiligen Geist? Warum gibt es so viele Kirchen, die nur voll sind von Spiritualismus und dem Geist der Welt? Ernst Käsemann hatte recht, als er sagte, daß die Kir­che nicht ohne den Heiligen Geist, daß sie aber auch kaum mit ihm leben könne.

Die Kirche soll der Ort in der Geschichte sein, wo Gottes Interessen für die Welt den Interessen der Welt begegnen in der Gegenwart und Kraft des Heiligen Geistes. Der Heilige Geist wandelt die Welt in Kirche um, so daß die Kirche als veränderte Welt für die Zukunft der Welt leben kann. Nach Paulus bedeutet die Gegenwart des Heiligen Geistes, daß wir entweder der Welt absterben müssen oder aber dem Geist Gottes. Wenn wir aber im Geist Gottes leben, so bedeutet das Solidarität mit der Welt. Denn wir sol­len der Welt absterben, damit wir für die Veränderung der Welt leben kön­nen. Wenn wir uns aber bemühen, Kirche, Welt und Heiligen Geist in un­serer Zeit und an unserem Ort zusammenzubringen, so heißt das, daß die Theologie mit einer Ideologiekritik der Kirche anfangen muß. Unsere erste Frage sollte dabei die uralte Frage Cui bono? sein. Zu wessen Nutzen trei­ben wir Theologie vor allem? Wessen Interessen dient die Kirche durch ihr Dasein? Falls die Kirche schon von den Interessen der Welt eingenommen ist, kann sie dann noch zur Veränderung der Welt beitragen?

Um in eine solche kritische Betrachtung der Interessen einzusteigen, muß die Theologie Namen nennen. Und es wird sich bald herausstellen, daß die Kirche nicht von allen erdenklichen Interessen der Welt eingenommen ist, sondern von einigen ganz besonderen, die sehr oft speziell diejenigen mei­ner oder deiner weltlichen Existenz sind. Je mehr Nachdruck wir auf diese Frage legen, umso mehr wird uns klar werden, daß das Wichtigste für die christliche Theologie heute die Befreiung der Kirche von vielen unserer Eigeninteressen sein sollte. Und das führt mich zu der harten Aussage: Wir Liberalen sind bereit, über die Veränderung der Welt und die Befrei­ung der Unterdrückten zu sprechen, aber wir finden es so gut wie unmög­lich, uns unserer eigenen Veränderung und unserer eigenen Befreiung zu­zuwenden. Wenn die Kirche schon von unseren ökonomischen, politischen und kulturellen Interessen eingenommen ist, kann sie dann noch Gottes Befreiung der Armen, der Sünder und der Sterbenden in der Welt dienen? Ist es nicht geradezu eine Farce, wenn ein nordamerikanischer weißer männlicher Theologe überhaupt über Befreiung und Veränderung spricht? Gehören nicht unsere Kirchen zu denjenigen Institutionen in unserer Ge­sellschaft, in denen es am meisten Rassentrennung, Sexismus und viel­leicht sogar Klassenunterschiede gibt? Hat nicht ein großer Teil der restli­chen Welt erklärt, sie wollten uns einstweilen nicht einmal mehr zuhören? Haben wir nicht die Autorität und das Recht verloren, zu der Welt zu spre­chen? Immer wenn die nordamerikanischen Kirchen sich in ökonomische, politische und kulturelle Fragen einmischen, erhebt sich der Verdacht, daß sie doch nur ihren eigenen Interessen dienen. Kraft welchen oder wes­sen Rechtes können wir noch Autorität beanspruchen oder etwas tun in der Welt? Der erste Irrtum, von dem wir uns befreien sollten, ist die Vor­stellung, daß die nordamerikanischen Kirchen in ihrer gegenwärtigen Form wirklich Befreiung und Veränderung der Welt herbeiführen könn­ten.

Aber ich muß auch gleich sagen, daß wir uns von einem zweiten Irrtum freimachen sollten, nämlich von der Täuschung, daß wir als christliche Theologen die Kirchen aufgeben sollten, in denen wir uns befinden. Dies scheint mir eine sich immer mehr ausbreitende Neigung unter Theologen, Pastoren und Laien zu sein: entweder die Hoffnung für die Kirche voll­ständig aufzugeben oder theologisch über Themen nachzudenken und zu arbeiten, die völlig von unserer eigenen kirchlichen Situation getrennt sind. Mir scheint, wir konzentrieren uns oftmals auf die Befreiung der Ar­men und Unterdrückten, ohne uns überhaupt bewußt zu werden, daß ihre Armut und Unterdrückung in Verbindung stehen mit unserer Sünde und unseren dem Tode dienenden Systemen. Ist es nicht so, daß alles andere eher möglich erscheint als unsere eigene Befreiung, als die Veränderung der Kirchen, von denen wir ein Teil sind, als die Veränderung jenes Teils der Welt, der von unseren Wertvorstellungen zusammengehalten wird? Wir sollten uns weder nach rechts noch nach links wenden, sondern unsere Aufmerksamkeit auf die Kirchen richten, die uns vor Augen sind.

Ich glaube, das heißt, daß unser Leben und unsere Arbeit als Theologen noch vor der kirchlichen Revolution stehen, die die völlige Veränderung der Welt, die unsere Kirche ist, bedeuten würde.

Unsere Kirchen sind ein Stück Welt geworden, aber nicht die gewandelte Welt. So könnte man unsere Situation heute grundlegend definieren. Des­halb muß man sich als nordamerikanischer Theologe auf einen besonderen Punkt konzentrieren, d.h. wir sollten die Theologie auf die Veränderung der Kirche ausrichten um einer humanen Gestaltung der Welt willen.

I. Kritik der Gottesvorstellungen

Das bedeutet, meine ich, daß es die vorrangige Aufgabe der Theologie ist, die Gottesvorstellungen kritisch zu betrachten, die in den Kirchen und der Gesellschaft Nordamerikas vorherrschen, weil das, was wir als göttlich verehren, unsere Lebensinteressen bestimmt, die Form unseres Lebens und die Institutionen unserer Gesellschaft. Dies ist notwendigerweise die Hauptaufgabe der Theologie, wenn sie um des Evangeliums willen betrie­ben wird. Denn immer, wenn das Evangelium gepredigt und geglaubt wird, ist das auch eine unmittelbare Herausforderung an die herrschenden Gottesvorstellungen der sie umgebenden Welt.

Das Evangelium bewirkt einen Konflikt mit all den Gottesvorstellungen, die einen Anspruch auf Herrschaft und Regierung gegen die Herrschaft des Vaters Jesu Christi im Heiligen Geist erheben. Die Aufgabe der Theo­logie ist es, sich in diesen Widerstreit der Gottesvorstellungen einzuschal­ten und deutlich zu machen, daß die Kirche hier und jetzt dazu berufen ist, das Stück der Welt zu sein, in dem den Interessen von Gottes Gerechtig­keit in Jesus Christus durch den Heiligen Geist gedient wird. Die Theolo­gie ist also dazu berufen, Kirche und Welt zusammenzuhalten (um der Liebe Gottes zur Welt willen) unter der unabänderlichen Voraussetzung, daß die Kirche nicht für sich selbst existiert. Nicht die Kirche ist das erste Wort Gottes, sondern Jesus Christus. Und die Kirche ist auch nicht das letzte Wort Gottes. Das letzte Wort Gottes ist Gottes Umwandlung alles dessen, was ist, und die Herrschaft seiner Herrlichkeit in allem. Die Auf­gabe der Theologie hier und heute ist es, einen Punkt klarzustellen: Nur wenn die Kirche die Interessen des Vaters und des Sohnes vertritt, so wie sie im Heiligen Geist gegenwärtig sind, repräsentiert die Kirche die verän­derte Welt und ist somit imstande, auch die Interessen der Welt zu verän­dern.

Die Trinitätslehre ist dazu bestimmt, eine erste Antwort auf die Frage Cui bono? zu geben. Sie ist eine Antwort auf das Evangelium und bekennt un­sere Absicht, den Interessen Gottes in Jesus Christus durch den Heiligen Geist zu dienen. Außerdem ist die Trinitätslehre eine Denkform, mit deren Hilfe wir uns in den Widerstreit der Gottesvorstellungen einschalten kön­nen. Sie ist eine Formel zum Verständnis der Geschichte von Gottes recht­fertigendem Handeln in der Welt, und somit das Prinzip für die Verände­rung der Welt, deren einer Aspekt die kirchliche Revolution ist. von der ich gesprochen habe. Das weitverbreitete Versagen der Kraft in unserer gegenwärtigen Theologie hat etwas mit unserer mangelnden Bereitschaft zu tun, in dem Konflikt der Gottesvorstellungen und in der Kritik unserer eigenen Interessen trinitarisch zu denken.

Was dabei klar wird, ist, daß die grundlegenden Probleme etwas mit der Frage nach dem Heiligen Geist zu tun haben. Sicher haben wir Probleme mit der Tradition der Theologie selbst. Das traditionelle trinitarische Denken hat es fast unmöglich gemacht, eine Theologie des Heiligen Gei­stes zu entwickeln, und aus diesem Grunde hat die Kirche bisher unter Ausbrüchen von Spiritualismus gelitten und leidet heute noch daran. Das dornigere Problem besteht jedoch darin, daß eine biblische Theologie des Heiligen Geistes unsere Interessen in der Welt heute ernstlich bedroht – besonders unsere ökonomischen Interessen. Aber die Theologie wird nur fortschreiten als eine Funktion der kirchlichen Revolution, wenn sie die Gottesvorstellungen kritisch betrachtet, die jetzt in unseren amerikani­schen Kirchen und in unserer Gesellschaft vorherrschen. Die Veränderung der Welt beginnt mit der Veränderung der Gottesvorstellungen, nach de­nen unsere Kirche und unsere Welt ausgerichtet sind.

II. Der Heilige Geist und die Ökonomie

Ich möchte nun einen kleinen Beitrag zur Lösung dieser Aufgabe anbieten unter der Überschrift „Der Heilige Geist und die Ökonomie“. Dies mag auf den ersten Blick seltsam anmuten. Sind nicht der Heilige Geist und die Ökonomie einander diametral entgegengesetzt? Nein. Sie haben es überra­schenderweise mit der gleichen Sache zu tun. „Ökonomie“ kommt von dem griechischen Wort oikonomia, was das Gesetz oder das Management des Haushalts bedeutet. „Ökonomie“ hat in seiner Grundbedeutung etwas mit der Frage zu tun, ob jedes Mitglied des Haushalts das bekommt, was es zu einem menschlichen und erfüllten Leben braucht. Der Heilige Geist ist die Gegenwart des lebendigen Christus und die Gegenwart des lebendi­gen Gottes „für uns“ und für die ganze Schöpfung. Der Heilige Geist ist Gott, der „ökonomisch“ handelt, so daß Gottes Geschöpfe und die ganze Schöpfung leben mögen und im Überfluß leben mögen. Das ist der Grund dafür, daß der Heilige Geist mit Gottes Gerechtigkeit identifiziert wird, die exemplarisch in der Auferweckung Jesu von den Toten erscheint (Röm 1,4), und als „der Geist, der da lebendig macht“ (1Kor 15,45) bezeichnet wird. Im Heiligen Geist vergegenwärtigt Gott die Macht seiner Gerechtig­keit, die seine Macht zum Leben gegen den Tod ist.

Aber der Heilige Geist, Gott in seinem ökonomischen Handeln, steht in ei­nem ernstlichen Widerspruch zu der Ökonomie unserer Gesellschaft heu­te. Der Konflikt konzentriert sich auf gewisse Gottesvorstellungen, die unsere Kirchen und das Ethos der nordamerikanischen Gesellschaft be­herrschen. Worum es geht, ist, daß wir neu über den Heiligen Geist nach­denken müssen in bezug auf das, was Max Weber den „Geist des Kapita­lismus“1 genannt hat. Ich will hier nicht die technischen Vor- und Nach­teile des Kapitalismus diskutieren oder Kapitalismus und Sozialismus vergleichen, da ich glaube, daß alle existierenden Formen des Sozialismus im Grunde dieselben entstellten Gottesvorstellungen im ökonomischen Bereich haben wie wir.

Vielmehr richtet sich mein Interesse auf drei fundamentale Voraussetzun­gen unseres ökonomischen Ethos, die sich, denke ich, aus falschen Vorstel­lungen von Gott und dem Heiligen Geist herleiten. Die erste Vorstellung, mit der ich mich auseinandersetzen möchte, ist „Gott ohne den Heiligen Geist“, eine Vorstellung, die wir oft in den Großkirchen finden und die die sich hartnäckig haltende Idee des „possessiven Individualismus“ in unse­rer Gesellschaft unterstützt. Die zweite Vorstellung ist die vom „Heiligen Geist ohne Gott“, die wir oft in der sogenannten charismatischen Erneuerungsbewegung und den spiritualistischen Kirchen antreffen und die Anlaß zu unkritischem Spiritualismus und Dynamismus gibt, zu einem Zwang zum Erfolg, zu Fortschritt und Wachstum in unserer Gesellschaft. Die dritte Vorstellung hat etwas zu tun mit dem Bewußtsein des Mangels, das als tiefste Überzeugung hinter der Ökonomie unserer Gesellschaft steht und sich aus den beiden ersten entstellten Gottesvorstellungen er­gibt. Womit ich mich hier also beschäftige, sind drei Mißverständnisse in bezug auf Gott und den Heiligen Geist, die einen unmittelbaren Einfluß auf die, wie ich glaube, drei fundamentalsten Probleme unseres ökonomi­schen Lebens haben: 1) Der possessive Individualismus, der die Menschen voneinander isoliert, indem er sie unfähig macht, die Bedürfnisse des an­deren zu spüren und mit dem anderen zu leiden. 2) Der spiritualisierte Zwang zu Wachstum und Verbrauch, der uns als Gesellschaft dazu veranlaßt, dem Idol des Zuwachses um jeden Preis zu dienen, selbst wenn die daraus resultierenden Unvereinbarkeiten offensichtlich eine menschliche Zukunft für unsere Gesellschaft ausschließen. 3) Ein Bewußtsein des Man­gels, das der überhitzte, dröhnende Motor hinter den sinnlosen Ungerech­tigkeiten unserer ökonomischen Ordnung ist.

Unsere Befreiung von diesen Gottesvorstellungen würde den Anfang einer kirchlichen Revolution bedeuten, die in unserer Situation die gleichzeitige Veränderung von Kirche und Welt wäre. Ich glaube, daß ein trinitarisches Verständnis des Kreuzes die Perspektive ist, von der aus wir die Person und das Wirken des Heiligen Geistes kennenlernen und von der aus wir die herrschenden Gottesvorstellungen unseres ökonomischen Lebens in Frage stellen können.

III. Gott ohne den Heiligen Geist

In unseren Hauptkirchen glauben und verehren viele Menschen Gott als ein einfaches, radikal individuelles Wesen. Die Bibel aber spricht von Gott, indem sie eine Geschichte von den gemeinsamen Beziehungen zwi­schen dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist erzählt. Ist Gott ein absolut Einzelner oder ist Gott eine Vielfalt von Beziehungen? Dies ist die entscheidende Frage für die Ökonomie der Erlösung in Kirche und Welt heute, weil die Vorstellung von Gott als eines einfachen individuellen We­sens die Vorstellung von dem radikal getrennten, individuellen menschli­chen Wesen hervorruft und zu dem verhängnisvollen Begriff des „posses­siven Individualismus“ in unserem ökonomischen Leben führt.

Die traditionellen Gotteslehren begannen mit dem Versuch, sich Gott auf­grund eines Naturbegriffes vorzustellen, um etwas über sein Wesen auszu­sagen, das als eins, als unwandelbar, bedürfnislos und unfähig zu leiden definiert wird. Im allgemeinen ergab sich dabei nur ein grundlegendes Problem: wie nämlich dieses Wesen in Jesus Mensch werden konnte. In diesem Gedankengang kommt der Heilige Geist immer zu kurz. Die Ver­fasser des Neuen Testamentes hatten jedoch nicht das Wesen Gottes als Ausgangspunkt im Sinn, sondern vielmehr die Erfahrung, daß Jesus unser Heil und Gottes Verheißung für die kommende Erlösung der Welt ist. Und es ist genau diese Erfahrung mit Jesus, die das Neue Testament pneuma, den Geist, nennt. Die ganze neutestamentliche Theologie ist eine themati­sche Ausführung dieser gemeinsamen Erfahrung von Jesus im Heiligen Geist2.

Das Problem bei den patristischen Gotteslehren war, daß sie nicht von dieser sozialen Erfahrung des Geistes ausgingen, sondern von dem Wissen um Gott als den Schöpfer. So heißt es im ersten Satz des nizänischen Glaubensbekenntnisses: „Ich glaube an den Einen Gott, den Vater, den Allmächtigen, Schöpfer Himmels und der Erden, all des, das sichtbar ist und unsichtbar.“ Und dann wechselt die Aufmerksamkeit unmittelbar auf den Sohn über. Das Glaubensbekenntnis braucht einen ganzen Abschnitt, um deutlich zu machen, daß Jesus Christus einen anderen Ursprung hat als alles Erschaffene. Es wurde nicht für notwendig gehalten, viel über den Heiligen Geist zu sagen. Das Bekenntnis per se endet einfach so: „Und (wir glauben) an den Heiligen Geist.“ Daß wir zu diesem Gott nur durch den Geist Zugang haben (der Ausgangspunkt des Neuen Testamentes), wird hier nicht reflektiert.

Das Problem kann man in Thomas von Aquins Gotteslehre sogar noch deutlicher sehen. Thomas beginnt mit einer Beschreibung dessen, was als das esse absolutum bezeichnet werden kann, das absolute Sein, und er en­det auch wieder mit ihm. Hinter den drei göttlichen Personen steht die göttliche Natur, Gottes absolutes Sein in und für sich selbst. Gott existiert für sich selbst, er gehört sich selbst, und das heißt, er ist Eigentum seiner selbst3. Und Thomas folgt natürlich einfach Augustins Gedanken, wenn er sagt, daß wir über das Wesen Gottes nachdenken sollten aufgrund des Mo­dells einer radikal individuellen menschlichen Persönlichkeit, die sich sel­ber einsetzt, sich selbst gehört und Eigentum ihrer selbst ist.

Es wird weithin angenommen, daß dieser griechische Monotheismus und göttliche Absolutismus mit dem sogenannten „Tod Gottes“-Phänomen der letzten zwei Jahrhunderte zu einem Ende gekommen ist. Aber ist dieser Gottesbegriff des einfachen individuellen Wesens, das als eine sich selbst genügende Person vorgestellt wird, wirklich zu einem Ende gekommen oder wirkt er nicht noch in unseren Kirchen und in unserer Gesellschaft als ein Grund für den „possessiven Individualismus“ nach? Wenn man sich Gott ohne den Geist vorstellt, so stellt man sich Gott als eine Einzelperson vor. Und da das menschliche Leben immer aufgrund der Begriffe verstan­den wird, die man für göttlich hält, sieht man den Menschen auch als eine Einzelperson. Gott ohne den Heiligen Geist ist ein Wesen, das als Eigen­tum seiner selbst existiert. Er ist ein Wesen ohne Bedürfnisse und ohne Be­ziehungen nach außen. Er ist ein Wesen, das nicht aus sich selbst hinaus­gehen und sich verschenken kann. Er ist ein Wesen, das frei ist, weil es apathisch ist, d.h. unfähig zu leiden. Diese Beschreibung von Gott ohne den Heiligen Geist deckt sich genau mit der Beschreibung des Menschen ohne den Geist in unserem ökonomischen Leben heute. Sie ist der theolo­gische Hintergrund für die Aussage, zu der C. B. MacPherson in seiner er­schöpfenden historischen Studie über die ökonomische Anthropologie in der modernen Welt kommt: „Das Individuum in der Marktwirtschaft ist menschlich als Besitzer seiner eigenen Person. Seine Humanität hängt von seiner Freiheit von jeglichen Beziehungen zu anderen ab, es sei denn, sie dienten seinen eigenen Interessen.“4

Der homo americanus ist das private Individuum, ökonomische Freiheit bedeutet dann, daß man anderen gegenüber keine Verpflichtungen hat. Es ist die Freiheit, sein eigenes Glück zu machen, es auch wieder zu verän­dern und immer auf Gewinn aus zu sein. Es ist die Freiheit, sich selbst als sein Eigentum zu betrachten. Es ist die Freiheit, nicht zu leiden, wenn an­dere leiden. Es ist die Freiheit, seinen eigenen Interessen zu dienen.

In zunehmendem Maße werden sich jedoch die Amerikaner bewußt, daß in Wirklichkeit keiner im ökonomischen Bereich als ein atomistisches Indi­viduum lebt. Unser Leben wird immer kollektiver wegen der technologi­schen und institutionellen Entscheidungen, die wir Tag für Tag treffen5. Fabriken, Gewerkschaften, Körperschaften, Versicherungsgesellschaften und Regierungsbürokratien strafen die Vorstellung Lügen, daß man Frei­heit gewinnen könne, indem man alle Beziehungen ablehnt, außer denen, die den eigenen Interessen dienen. Wenn irgendetwas in bezug auf die na­he und ferne Zukunft des Menschen sicher ist, so ist es dies, daß wir kol­lektiv leben werden. Die einzige Frage ist: Welche Art von kollektiver Exi­stenz werden wir haben? Bürokratisch, totalitär, demokratisch? Die Ant­wort darauf kann nur von der Ökonomie eines öffentlichen Haushaltes ge­geben werden6. Aber es ist genau die grundlegende Lehre vom „possessi­ven Individualismus“, die sogar manchmal die Zustimmung zum öffentli­chen Haushalt verhindert und noch weniger die Entwicklung einer huma­nen Art der Verteilung dessen anerkennt, was nötig ist für das Leben aller Mitglieder dieses öffentlichen Haushaltes.

Die Veränderung von Kirche und Welt wird mit der Veränderung der Vor­stellung von „Gott ohne den Heiligen Geist“ beginnen und mit der Verän­derung des daraus resultierenden Begriffs des possessiven Menschen ohne den Geist.

IV. Der Heilige Geist ohne Gott

Wie alle spiritualistischen Bewegungen seit Montanus ist die gegenwärti­ge charismatische Erneuerungsbewegung eine Reaktion gegen den stati­schen Gottesbegriff, der den Heiligen Geist als einen nachträglichen Ge­danken ansieht, und gegen die sich daraus ergebende „geist-lose* Realität von Kirche und Welt. Diese Bewegungen weigern sich, Gott als ein stati­sches, sich selbst genügendes Einzelwesen aufzufassen, das der Grund für eine Herrschaft von außen durch hierarchische, imperialistische oder tota­litäre Autoritäten ist. Darum sind spiritualistische und pietistische Bewe­gungen am Anfang immer Befreiungsbewegungen. Sie kämpfen gegen die Herrschaft, indem sie von der Gottesvorstellung des egozentrischen, all­mächtigen Wesens abrücken zu der Erfahrung hin, daß der Geist der Aus­gangspunkt für alles ist. In den heutigen charismatischen Bewegungen gibt es vieles, was wir in den Großkirchen von ihnen lernen sollten.

Aber typischerweise neigen diese Bewegungen dazu, den Heiligen Geist von dem Vater und dem Sohn zu trennen. So verstehen sie manchmal den Heiligen Geist als eine eigene dritte Größe, einen unabhängigen zweiten Vermittler oder sogar als eine abgesonderte dynamistische oder animisti­sche Kraft. Außerdem glauben sie, daß sich die Erfahrung des Heiligen Geistes in den isolierten Gefühlen des Einzelnen konzentriert (manchmal artikulierbar nur in der Glossolalie). Und schließlich betonen sie die Af­fekte und das Wirken des Heiligen Geistes mehr als seine göttliche Person, die subjektive Macht des Geistes mehr als seine Gegenwart. Wenn der Hei­lige Geist das „Göttliche“ ist, abgetrennt von dem Vater und dem Sohn, dann wird er schließlich zu einem Geist, der für jeden erdenklichen Zweck des menschlichen Geistes hinzugezogen und gebraucht werden kann.

Obwohl dies nicht ihre Absicht war, zeigt die Analyse des Neo-Pentecostalismus in Nordamerika, die Richard Quebedaux in seinem Buch „The New Charismatics“ vorgenommen hat, daß diese Gottesvorstellung eine Stärkung des grundlegenden kapitalistischen Ethos Nordamerikas be­wirkt hat7. Immer wieder unterstreicht er die Art und Weise, wie die Cha­rismatiker heute die Gesellschaftskritik des älteren Pentecostalismus ab­lehnen und sich dem Geist und den Wertvorstellungen des ökonomischen Systems anpassen. In der Tat, je mehr der Heilige Geist von Gott in Jesus Christus abgetrennt wird, desto mehr wird er als bloße Motivation und blinder Dynamismus betrachtet, aus dem heraus das herrschende ökono­mische Ethos lebt. Man könnte auf viele führende Persönlichkeiten aus dem spiritualistischen Umkreis hinweisen, die schamlos die negativsten Aspekte unseres ökonomischen Lebens vertreten: Warenfetischismus, Profitgier und Verbrauchermentalität. Wenn man das Trio Charles Colson, Eldridge Cleaver und Larry Flint zusammentut. wird man sehr bald an den Katalog von Sünden erinnert, die Paulus als das direkte Resultat aus dem Spiritualismus der korinthischen Gemeinde ansah. Aber selbst einige Charismatiker, die eine strikte private Moral haben, soweit es sich um Sexualität, Familie und persönliche Beziehungen handelt, lassen sich völlig vom Animismus einfangen, wenn es um die Ökonomie geht. Immer wieder erweisen sich ihre Definitionen von den Gaben des Heiligen Gei­stes als die Idole von Aktion, Wachstum und Fortschritt. Finanzieller Er­folg ist ein sicheres Zeichen dafür, vom Heiligen Geist begabt zu sein. Und das heißt, daß alles vom Geld über den Umsatz bis hin zu den persönlichen Verbindungen spiritualisiert werden kann. Schließlich wollen die Bank­kaufleute ja auch, daß wir eine animistische Beziehung zum Geld haben, wenn sie uns ermahnen: „Lassen Sie Ihr Geld für sich arbeiten.“ Unser ökonomisches Leben ist erfüllt vom Animismus, nicht viel anders als in vielen primitiven Gesellschaftsordnungen.

Die Vorstellung vom Heiligen Geist ohne Gott dient der sich immer höher schraubenden Spirale von unersättlichen Wünschen und der Lehre vom wirtschaftlichen Wachstum, die die säkulare Religion unserer Gesell­schaft geworden ist.

V. Der Heilige Geist und das Kreuz

Was diese beiden falschen Gottesbegriffe („Gott ohne den Heiligen Geist“ und „der Heilige Geist ohne Gott“) tun. ist, daß sie den Heiligen Geist von dem Vater und dem Sohne trennen, indem sie das Kreuz leugnen. Die Großkirchen und die sogenannten charismatischen Kirchen sind dessen oft gleichermaßen schuldig. Aber nach dem Zeugnis des Neuen Testa­ments kann der Heilige Geist nur durch das Kreuz verstanden werden, das das Zentrum der christlichen Verkündigung und des christlichen Glau­bens ist. Sowohl die Evangelien als auch Paulus sprechen von der Bezie­hung zwischen dem Vater und dem Sohne als einer, in der der Vater den Sohn und der Sohn sich selbst an das Kreuz hingegeben hat8. Das tiefste Leiden des Sohnes ist die Erfahrung der Gottverlassenheit, seine Erfah­rung, daß er unendlich getrennt ist vom Vater, dem besonders nahe zu sein er behauptet hatte: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlas­sen?“ (Mk 15,34) Das tiefste Leiden des Vaters andererseits ist, daß er den Tod seines Sohnes erleidet. Dies ist ein tieferes Leiden, ebenso wie unser Leiden beim Tod eines geliebten Menschen größer ist als bei unserem eige­nen Tod. Der Vater gibt den Sohn hin, und der Sohn gibt sich selbst hin, beide gehen aus sich selbst heraus und leiden. So müssen wir in Anbe­tracht des Kreuzes jeden Gottesbegriff ablehnen, der Gott als einen radi­kal Einzelnen beschreibt, der selbstgenügsam und ohne Passion sei, eben­so wie wir jede Vorstellung des Göttlichen kritisieren, die den Heiligen Geist als bloßen Dynamismus, als Motivation oder Ermächtigung ohne Leiden beschreibt. Der Heilige Geist ist Gott, der in seinem Mitleiden in der Welt und unter uns gegenwärtig ist.

Aber mit dem Kreuz ist die Geschichte Gottes mit uns noch nicht zu Ende. Sie wird in der Geschichte des Heiligen Geistes fortgesetzt. Dem ganzen Kontext des Neuen Testamentes nach kann es keinen Zweifel geben, daß der Geist, durch dessen Kraft Jesus sich selbst für uns Gott dargebracht hat (Hebr 9,14), im strengsten Sinn des Wortes identisch ist mit dem „Geist aus Gott“ (1Kor 2,12). Der Heilige Geist ist diese Realität der Liebe zwi­schen dem Vater und dem Sohn, ihrer beider Opfer für uns, ihr Herausge­hen aus sich selbst und ihr Sich-Hingeben für uns. Deshalb können wir von Gott nie ohne den Heiligen Geist sprechen, der Gottes Herausgehen aus sich selbst ist, um Gemeinschaft mit seiner Schöpfung zu haben. Ebensowenig können wir von dem Heiligen Geist sprechen ohne die au­ßerordentliche Liebe zwischen dem Vater und dem Sohn. Der Heilige Geist ist die Gegenwart und Kraft Gottes unter uns und in der Welt zum Leben.

  1. Mangel oder Fülle?

Dies führt uns zu einem entscheidenden Punkt in dem Konflikt zwischen der Ökonomie des Heiligen Geistes und dem ökonomischen Ethos unserer Gesellschaft. Es ist der Widerspruch zwischen dem Mangel und dem, was das Neue Testament das pleroma oder die Fülle von Gottes Segnungen und Gaben im Heiligen Geist nennt. Eine allgemein anerkannte Definition der Ökonomie besagt, daß Ökonomie „die Kunst sei, knappe Güter ange­sichts konkurrierender Ansprüche zu verteilen“9. Die grundlegendste Vor­aussetzung der Ökonomie im Westen ist die Annahme, daß die Dinge knapp seien, die man für ein menschliches Leben braucht. Ich meine aber, daß ein trinitarisches Verständnis und Erleben des Heiligen Geistes uns dazu führen kann, das ganze Unternehmen der Ökonomie auf dieser Grundlage in Frage zu stellen.

Nichts ist im Geist des Kapitalismus und auch des Sozialismus tiefer ver­wurzelt als die Überzeugung, daß nicht genug für alle da sei10. Die Kirche aber ist dazu berufen, sich zu organisieren und aus dem sicheren Glauben heraus zu leben, daß Gott, der Heilige Geist, uns alles geben will und gibt, was alle Menschen und die ganze Schöpfung zum Leben nötig haben. Ob­wohl es der Welt als ein unglaublicher Skandal erscheinen mag, wird die Kirche mit Paulus sagen: „Welcher auch seines eigenen Sohnes nicht hat verschonet, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben, wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?“ (Röm 8,32) Die frühere Kirche sprach von der Gegenwart des Heiligen Geistes immer in Superlativen, in einer Spra­che der Fülle und Überfülle11.

Wenn wir diesen Glauben wirklich in der Kirche lebten, würde das schon eine Veränderung eines Teils der Welt bedeuten; denn es würde den Geist des unmenschlichen Kampfes gegen einen vermeintlichen Mangel beseiti­gen. Außerdem könnte die Kirche Jesu Christi dann tatsächlich zur Veränderung der Weltökonomie beitragen. Zu nichts Geringerem aber ist die Kirche berufen. Aber: Ich spreche über ein Wunder des Heiligen Geistes, nicht über ein Programm für die bestehenden Kirchen. Denn wir alle leben Stunde um Stunde noch so, als ob es einen Mangel an dem gäbe, was nötig zu einem menschlichen Leben ist.

Für Aristoteles ist es das Ziel der Ökonomie, für das zu arbeiten und das zu produzieren, was nötig ist zum Leben12. Was produziert wird, ist für die Bedürfnisse des Menschen bestimmt. Diese Bedürfnisse werden folgender­maßen definiert: ausreichende Nahrung, Kleidung und Unterkunft, Ver­sorgung in Krankheitsfällen, menschliche Nähe, freundschaftlicher Um­gang und Lebenssinn. Diese Bedürfnisse werden zum größten Teil aus der Biologie hergeleitet, sie sind begrenzt und können befriedigt werden. Die Kunst der Ökonomie macht es erforderlich, daß wir die natürlichen Gren­zen erkennen. Wenn wir diese Grenzen erkennen, wird auch genug für alle da sein.

Es gibt in den biblischen Traditionen einiges, was dieser Ökonomie ähnelt, aber mit dem entscheidenden Unterschied, daß die Frage, ob für alle ge­nug da sei, völlig von der Gegenwart der Gerechtigkeit Gottes abhängt. Wenn Gottes Gerechtigkeit (seine Kraft zum Leben) gegenwärtig ist und angenommen wird, ist für alle genug da. In seinem ausgezeichneten Buch „The Land“ ist Walter Brüggemann diesem grundlegenden Gedanken im biblischen Glauben durch die verschiedenen Traditionen nachgegangen13. Immer wieder wird es dabei klar, daß die entscheidende Frage nicht die ist, wie viele Güter da sind, sondern ob die Gerechtigkeit Gottes gegen­wärtig ist, weil die Gerechtigkeit Gottes den Mangel überwindet14. Die Gerechtigkeit Gottes bringt Manna in die Wüste, und es ist genug da. Der Vorwand des Mangels wird als Voraussetzung für die Ökonomie nicht geduldet. Die Gerechtigkeit Gottes bringt die Gerechtigkeit hervor, die es möglich macht, daß 5000 Menschen sich fünf Brote und zwei Fische teilen und daß es genug ist. Selbst in der Armut ist genug da, wenn die Gerech­tigkeit Gottes gegenwärtig ist. Die Menschen können dann ihre Armut tei­len. Wenn die Gerechtigkeit Gottes nicht gegenwärtig ist, dann ist Armut eine Hölle. In diesem Fall sind einige Menschen arm, weil andere reich sind. Natürlich gibt es auch in der Natur Verknappungen und Grenzen, öl, Kohle, reines Wasser, Ackerland und Nahrung sind begrenzt (obwohl ihre Begrenzung immer sehr viel mit dem unrechten Gebrauch der Schöpfung durch den Menschen zu tun hat). Aber wir sollten mit den Argumenten über physikalische Grenzen und materielle Knappheit vorsichtig sein15.

Die Spitzfindigkeit unseres Glaubens sollte uns sofort zu der Frage drän­gen, welche Art von Ökonomie denn aufgrund solchen Mangels gemacht werden soll. Denn im allgemeinen lehrt uns der biblische Glaube doch, daß immer genug da ist, falls die Gerechtigkeit Gottes gegenwärtig ist und anerkannt wird als die Quelle des Lebens.

Tatsächlich wissen die biblischen Überlieferungen etwas davon, daß die ernstesten ökonomischen Probleme nicht dann auftreten, wenn wenig, sondern wenn viel da ist. Die Geschichte der modernen Ökonomie wird in zunehmendem Maße nicht so sehr von den menschlichen Bedürfnissen als vielmehr von den Wünschen der Menschen bestimmt. Nach Adam Smith wird „der Verbrauch der einzige Sinn und Zweck aller Produktion“16. Die Motive zur Herbeischaffung von Gütern sind nicht mehr die Bedürfnisse, sondern die Wünsche. Die Psychologie tritt als Grundlage zu ihrer Befrie­digung an die Stelle der Biologie. Wir bewegen uns von einer Ökonomie der Produktion für menschliche Bedürfnisse hin zu einer Ökonomie des Konsums für spiritualisierte menschliche Wünsche. Wie man schon lange erkannt hat, entstehen die Hauptprobleme des Kapitalismus dann, wenn eine Überfülle produziert wird. Karl Marx dachte, die Herstellung einer Überfülle sei eine große Errungenschaft des Kapitalismus, auf der der Sozialismus aufgebaut werden könne. Wenn Industrie und Technologie genug für jeden produzierten und somit den Mangel beseitigten, so sei es dann und nur dann möglich, ökonomische Gerechtigkeit für alle herzustellen. Wie alle großen „Kapitalisten“ war Marx zutiefst davon überzeugt, daß Mangel das größte Übel, aber auch die sicherste Voraussetzung für die Ökonomie sei. Sobald die Knappheit der materiellen Güter beseitigt und genug für alle da sei, könne die Gesellschaft sich für ökonomische Gerech­tigkeit einsetzen, und dann würde die Ökonomie sich selbst erübrigen.17 Aber Marx war darin naiv, daß er das unbegrenzte Potential des Menschen zur Sünde nicht erkannte, dh. die Fähigkeit des menschlichen Geistes, ei­nen spiritualisierten künstlichen Mangel mitten in der Fülle zu erzeugen. Es ist schon immer ein schwieriges Problem der modernen Ökonomie ge­wesen, die Menschen zum Arbeiten zu veranlassen, wenn schon genug da ist18. Um dieses Problem zu lösen, hat der Geist unserer Gesellschaft künstlichen Mangel geschaffen. Er hat den unersättlichen menschlichen Geist hervorgebracht. Es ist dieser Geist, der dem blinden Zwang zu Wachstum, Zuwachs und Erfolg Nahrung gibt und der unsere Gesellschaft in seinem todbringenden Griff hält. Soweit ich es beurteilen kann, stim­men alle Ökonomen heute darin überein, daß die ökonomischen Wider­sprüche – Arbeitslosigkeit, Inflation, Verteidigungshaushalt und andere dem Tode dienenden Systeme -, die unserer Gesellschaft den Weg in die Zukunft versperren, etwas mit diesem Zwang zum Wachstum zu tim ha­ben19. Ich glaube, daß die Veränderung der Kirche und Welt in unserer Zeit von dem Konflikt abhängt zwischen der künstlichen Mangelerzeu­gung und dem Heiligen Geist, der all unsere Versuche vereitelt, Ökonomie auf Mangel aufzubauen.

Unsere Gesellschaft versucht auf wenigstens drei Arten, künstlichen Man­gel zu erzeugen, um die Menschen zum Arbeiten zu veranlassen und um dem Zwang zu Wachstum und Zuwachs nachzukommen. Für diejenigen, die darauf aus sind, einen immer größeren Anteil an Profit und Produk­tion zu erwerben, kann die Arbeit selbst spiritualisiert und somit dazu be­nutzt werden, künstlich ein Gefühl von Mangel zu erzeugen20. Arbeit wird dann ein Kriterium für das Mensch-Sein. In unserer Gesellschaft wird ja Krank-Sein als Unfähigkeit zur Arbeit definiert und Nicht-Einordnung in die Gesellschaft als eine Weigerung zu arbeiten. Falls wir wirklich glauben, daß wir durch Arbeit frei und menschlich werden, dann müssen wir daraus folgern, daß wir gar nicht genug arbeiten können. Die volle Bedeu­tung des Mensch-Seins wird dann Mangelware und nur denen zuteil, die sie durch viel Arbeit erwerben. Und so wird unser Verlangen nach Arbeit als einem Selbstzweck geboren.

Aber Arbeit ist niemals Selbstzweck. Sie bringt immer auch Nutzen mit sich. Darum kann Arbeit zu einem Hauptkriterium werden bei der Ent­scheidung, wer die angeblich knappen Ressourcen bekommt. Das gerechte Prinzip der Verteilung lautet dann so: Jeder soll nach seiner Arbeit, seiner Anstrengung und seiner Leistung bekommen. Somit wird Arbeit zu einer Rechtfertigung für den ungleichen Anteil an Gütern, den man hat, und zu einer Beruhigung des schlechten Gewissen, wenn man mehr hat als ande­re. Da aber Arbeit schließlich doch immer wieder bei der dreifachen Auf­gabe versagt, Freiheit, Leben und Selbstrechtfertigung zu geben, wird man zwangsläufig wenigstens einige Leute von Natur aus für schuldig und unwürdig halten. Darum intensiviert die spiritualisierte Arbeit unseres ökonomischen Ethos den Rassismus und den Haß auf die Armen, so wie der Feudalismus es mit dem Klassensystem tat.

Die Gegenwart des Heiligen Geistes macht dieser Form künstlicher Man­gelerzeugung ein Ende. In der Gegenwart des Heiligen Geistes können wir nur den Überfluß, den Reichtum und die Fülle von Gottes Gerechtigkeit bekennen. Der Heilige Geist macht es klar, daß keiner durch Arbeit menschlich und gerechtfertigt werden kann. Menschlich zu sein und in der Überfülle zu leben ist ausschließlich eine Gabe aus der Gnade Gottes, an der es keinen Mangel gibt. Immer wenn wir die Gegenwart des Heiligen Geistes erkennen, bedeutet das eine Krise für uns und unsere Gesellschaft, denn dann können wir uns nicht mehr durch Arbeit rechtfertigen, und die Arbeit wird ihres spiritualisierten Wertes völlig beraubt. Es gibt keinen Mangel an dem, was der Mensch braucht, um menschlich zu sein. Die Ga­be von Gottes Leben an all seine Geschöpfe ist unumschränkt, mächtig und überreich. Und was noch wichtiger ist: Gott, der Heilige Geist, gibt uns die Kraft, das Undenkbare zu tun, nämlich diese Gabe anzunehmen und ein menschliches Wesen zu werden. Die Arbeit ihres überhöhten Wer­tes zu entkleiden, wird darum eine Antwort auf den Reichtum der Gnade Gottes sein. Die Arbeit wird nicht mehr ein Selbstzweck sein, sondern in jeder Hinsicht ein Diener der Fülle des Lebens. Es gibt keinen Weg zum Reich der Freiheit durch das Reich der Arbeit. Und darum kommt der Sabbath zu uns am ersten Tag der Woche als Vorbedingung für die Arbeit und nicht am letzten Tag der Woche zur Erholung nach der Arbeit.

Noch schwieriger ist es, die Menschen zum Arbeiten zu bewegen, die nicht darauf aus sind, einen verhältnismäßig größeren Anteil am Profit zu er­werben. Für diese Leute hat unser ökonomisches Ethos das Schuldensy­stem entwickelt. Selbst wenn jemand nicht geeignet ist, zu arbeiten, da seine Familie genug zu essen hat – wenn er Schulden hat und unter Geset­zen lebt, die seine Freiheit einschränken können, falls er seine Schuld nicht abarbeitet, so wird er ganz sicher morgen früh zur Arbeit kommen. Wir leben in einer Schulden-Gesellschaft21. Aber um ein solches Schul­densystem aufzubauen, müssen wir sowohl das Geld als auch die Waren spiritualisieren. Wir müssen die Leute davon überzeugen, daß sie nur dann ganz menschlich leben, wenn sie bestimmte Produkte besitzen. Und so wird durch die Medien und durch tägliche Erlebnisse ein tiefes Bewußtsein des Mangels in die Köpfe und Herzen der Menschen geträufelt. Mehr zu wollen ist ein Zeichen dafür, daß man lebendig und etwas wert ist. Ist es nicht, ganz offen gesagt, heute unmöglich, irgendein Produkt zu ver­kaufen, wenn es nicht weit über das hinausgeht, was man braucht? Rasier­creme muß dem Käufer „ein großartiges Erlebnis von Komfort“ geben, sonst wird es das Bewußtsein eines Mangels nicht befriedigen, für das der Verbrauch die messianische Heilsbotschaft ist.

Paulus schrieb an die Menschen der früheren Kirche in Korinth, die davon besessen waren, an spiritualisierten Dingen und spiritualisierten mensch­lichen Beziehungen immer reicher zu werden: „Ihr seid schon satt gewor­den. Ihr seid schon reich geworden“. (1Kor 4,8) Aber dieses pleroma, diese Fülle ist von „dem Geist aus Gott“ gekommen (2,12), nicht von dem Geist der Welt. Der Reichtum und die Fülle, die wir von Gott haben, ist nichts anderes als die Kraft seiner leidenden Liebe am Kreuz. An dem Geist teil­zuhaben, im Geist zu sein, heißt mit der Kraft erfüllt zu sein, mit anderen in ihren Nöten zu leiden. Ich denke, eine glaubwürdige Zukunft der Kir­chen, von denen wir ein Teil sind, hängt davon ab, ob der Heilige Geist es uns deutlich macht, daß die Fülle der Liebe Gottes den Mangel aufhebt, den wir durch unsere spiritualisierte Liebe zu Sachen herzustellen ver­sucht haben.

Das heißt natürlich nicht, daß menschliches Leiden und menschliche Sehnsucht ein Ende haben. Tastsächlich ist es der Reichtum der Gnade Gottes unter uns im Heiligen Geist, der im Einklang mit der ganzen Schöpfung unser Verlangen nach der Vollendung von Gottes Gerechtig­keit in allem erweckt. Wir in den nordamerikanischen Kirchen werden uns nach Gottes Gerechtigkeit sehnen, und das heißt, wir werden den Überfluß des Lebensnotwendigen an die abgeben, deren Lebensbedürfnisse nicht gestillt sind, sobald wir verstehen, daß Gott uns wirklich mit den Gaben seiner Liebe zum Leben erfüllt hat22. Es ist nicht ein Verlust, wenn wir das künstliche Bewußtsein des Mangels und damit die Begierde nach den lee­ren Erfüllungsver­sprechungen aufgeben. Es ist nicht ein Verlust, sondern vielmehr das freudvolle und freie Umfangen des Lebens.

Die Spiritualisierung von Arbeit und Geld aus Mittel, Arbeit und Wach­stum zu erzwingen, bricht dauernd zusammen, da wir uns von einer Produktions- zu einer Verbrauchergesellschaft entwickeln. Je reicher eine Gesellschaft wird, desto schwieriger ist es für sie, noch ein Gefühl des Man­gels auf der Basis von Geld oder Arbeit zu wecken. Gibt es aber irgendei­nen künstlichen Mangel, der nichts mit dem inneren Wert der Arbeit als Mittel zur Selbstrechtfertigung oder dem Geld als Kriterium für den Wert eines Menschen zu tun hat? Nach Philip Slater hat die Gesellschaft ent­deckt, daß die Sexualität als ein fast universales Mittel eingesetzt werden kann, um im Menschen ein künstlicher Bewußtsein des Mangels zu erzeu­gen23. Unsere Gesellschaft hat den Sex heute so spiritualisiert, daß er ahistorisch und unrealisierbar wird. Wenn überhöhte Leitbilder vom Sex oft genug als solche präsentiert werden, die man erreichen muß, um wirklich lebendig zu sein, fühlen die Menschen eine dauernde Leere in ihrem Le­ben, einen Mangel, eine nagende Unerfülltheit, die sie unbefriedigt läßt und sie in einen dauernden Konkurrenzkampf und Konsum von Vergnü­gen stürzt, nur um diese Leere zu füllen. In seinem wichtigen Buch, das unter dem Titel „Social Limits to Growth“ erschienen ist, sagt Fred Hirsch, daß je mehr die grundlegenden materiellen Bedürfnisse des größten Teils unserer Bevölkerung gedeckt werden, deso intensiver der Konkurrenz­kampf um das wird, was er „die Güter der sozialen Stellung“ nennt. Dar­unter versteht er Spitzenstellungen, Mobilität, Erholung, Bildung, Dienst­leistungen und Freizeit24. Die Ironie dabei ist aber, daß diese Dinge immer unbefriedigender werden, je mehr Leute dazu Zugang finden. Man rea­giert darauf, indem man versucht, sie rarer zu machen, indem man sie teu­rer und exklusiver werden läßt. Dies steigert Jahr um Jahr den destrukti­ven Konkurrenzkampf um diese Statussymbole und mindert die Fähigkeit der Menschen, in Gemeinschaft miteinander zu leben und wirklich füreinander da zu sein. Die Gesellschaft wird in zunehmendem Maße eine Arena für einen wahnsinnigen Konkurrenzkampf, der schmerzhafte Frustratio­nen mit sich bringen, und sie wird immer weniger ein öffentlicher Haus­halt.

Die Gegenwart und die Kraft des Heiligen Geistes befreit von dem unstill­baren Hunger nach Besitz und Verbrauch, indem sie selbst das stärkste spiritualisierte Gefühl von Mangel aufhebt. In diesem Sinne ist der Heilige Geist die Macht der kirchlichen Revolution, von der ich gesprochen habe. Der Heilige Geist befreit uns nicht von jeglichem Hunger. Vielmehr ver­wandelt er jedes Verlangen in ein Hungern nach Gerechtigkeit (Mt 5,6) und schafft so Menschen, die sich selbst hingeben können und auf das ver­zichten können, was andere zum Leben brauchen.

Nichts ist uns heute nötiger, als eine Offenheit für den Heiligen Geist, der leidet und nach der Umwandlung der Kirche verlangt und nach der Ent­wicklung einer gerechten Welt. Der Heilige Geist stellt uns in Frage und verlangt danach, uns von unseren falschen Gottesvorstellungen zu befrei­en, die das Ich zu einem isolierten Besitz oder zu einem ahistorischen Geist machen, der von einer spiritualisierten Welt oder von einem zwingenden Wettkampf um mangelnde Güter bewegt wird. Der Heilige Geist bringt uns die Gerechtigkeit als Lebensunterlage. Der Heilige Geist ist die reiche Gegenwart von Gottes Macht, uns und die Kirche zu verändern, so daß wir an einer gerechten Gestaltung der Welt teilhaben können. Und somit lehrt uns der Heilige Geist, daß wir von der Kirche sprechen müssen, sobald sich die Frage nach der Relevanz des Christentums erhebt.

Diese am 28.3. 1978 gehaltene Antrittsvorlesung am Eden Theological Seminary wurde übersetzt von Marianne Reppekus.

Quelle: Evangelische Theologie 40, Heft 1 (1980), S. 40-58.

1 M. Weber, Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, in: ders., Die protestantische Ethik I, München/Hamburg 19692, 27ff. Die nachreforma­torische protestantische Auffassung von der Prädestination (die weitgehend auf einem Mißverständnis Calvins beruht), ist tatsächlich eine ganz wichtige Quelle für unser ungerechtes ökonomisches System. Sie ist das, was ich in diesen Ausfüh­rungen unter „Gott ohne den Heiligen Geist“ verstehe. Der Protestantismus wird weiterhin an Kraft verlieren, wenn er sich, wie Weber, nur mit der „historischen Bedeutung“ der Prädestination beschäftigt und seine Vergangenheit unkritisch mit der „protestantischen Werkethik“ identifiziert. Die vor uns liegende Aufgabe besteht darin, falsche Gottesbegriffe und verzerrte ökonomische Vorstellungen von Menschen und der Gesellschaft, die uns überliefert worden sind, einer Kritik zu unterziehen. In solcher Weise kritisch betrachtet hat die Reformation durchaus eine Zukunft und kann sogar eine Quelle für die Kritik am „Geist des Kapitalis­mus“ werden.

2 H. Mühlen, Soziale Geisterfahrung als Antwort auf eine einseitige Gotteslehre, in: Erfahrung und Theologie des Heiligen Geistes, hg. von C. Heitmann und H. Mühlen, München 1974, 255ff; s. auch H. Mühlen, Der Heilige Geist als Person. Münster 1963.

3 Thomas von Aquin, Summa Theologica, Q.3, Art. 1-8.

4 C. B. MacPherson, The Political Theory of Possessive Individualism, New York 1962, 275. MacPherson sagt: „Der possessive Charakter des Individualismus im 17. Jahrhundert hatte seine Grundlage in der Auffassung vom Individuum als wesenhaftem Eigentümer seiner selbst und seiner Fähigkeiten, das der Gesellschaft nichts schuldig ist. Das Individuum wurde weder als eine moralische Einheit, noch als Teil eines größeren sozialen Ganzen gesehen, sondern als Eigentümer seiner selbst. Die Relation der Eigentümerschaft, die für immer mehr Menschen die ent­scheidend wichtige Relation zur Definition ihrer tatsächlichen Freiheit geworden war, … wurde nun nachträglich in die Natur des Individuums hineingelegt. Man meinte, daß das Individuum in dem Maße frei sei, in dem es Eigentümer seiner selbst und seiner Fähigkeiten ist. Das eigentliche Wesen des Menschen ist Unab­hängigkeit von dem Willen anderer, und Freiheit ist eine Funktion des Besitzes.“ (3) S. auch J. R. Wikse, About Possession: The Self as Private Property, University Park 1977, 44: „Dieses Ich, das wir als Abgetrenntsein von anderen erleben, erken­nen wir nach dem Modus des Beraubtseins oder des privaten Besitzes. Wo die Iden­tität des Menschen durch Subjektivität, Innerlichkeit oder inneres Leben definiert wird, wird die Erfahrung, intimer oder dauernder Verbindungen und Beziehungen mit anderen beraubt zu sein, umgedeutet und umgemünzt in den Begriff der Frei­heit. Die Freiheit und das Privileg des bürgerlichen Individuums besteht dann darin, andere ängstlich zu verdächtigen, daß sie ihm seinen Besitz, einschließlich seiner selbst, rauben könnten. Das eigene Ich als ein ,Ding an sich‘ zu betrachten, das grundsätzlich und wesentlich von anderen getrennt ist, die einem das zu .ent­fremden‘ drohen, was einem gehört, ist nur möglich, wo die Struktur der sozialen Beziehungen und der entsprechende Modus der ökonomischen Produktion auf­grund des Privateigentums organisiert sind. Daß man von sich selbst als ‚lebendem Eigentum‘ sprechen kann, heißt, daß die Logik der sozioökonomischen Beziehun­gen die Psyche durchdrungen hat, daß die Vorstellungen, die wir von uns selber haben, von der Ausweitung der grundlegenden Metaphern von Besitz und Eigen­tümerschaft bestimmt sind. Subjektivität, auf diese Weise verstanden, wird in Begriffen von Privatbesitz und als eine verborgene private Beziehung auf gefaßt: als der Besitz des eigenen Selbst.“

5 M. Harrington, Socialism, New York 1975, 4: „… man braucht nicht mehr zu fragen, ob unsere Zukunft kollektiv sein wird – wenn wir uns nicht in die Luft sprengen, so ist diese Frage schon durch eine Technologie von so komplexer Inter­dependenz gelöst, daß sie eine bewußte Regulierung und Kontrolle einfach erfor­derlich macht.“

6 Siehe D. Bell, The Cultural Contradictions of Capitalism. New York 1976. 220ff.

7 The New Charismatics, The Origins, Development, and Significance of Neo- Pentecostalism, Garden City, N.Y. 1976. Vgl. M. Marty, Pentecostalism in the Context of American Piety and Practice, in: Aspects of Pentecostal-Charismatic Origins, hg. v. V. Synan. Plainfield, N.Y. 1975, 195-233.

8 Zum Folgenden vgl. J. Moltmann, Der gekreuzigte Gott, München 1972.

9 Bell, Cultural Contradictions, 26. In dem wohl am weitesten verbreiteten ameri­kanischen Ökonomie-Textbuch definiert P. Samuelson die Ökonomie wie folgt: „Ökonomie ist das Studium der Frage, wie die Menschen und die Gesellschaft schließlich mit oder ohne den Gebrauch des Geldes knappe Ressourcen verwenden wollen, die zu verschiedenen Zwecken gebraucht werden könnten, um Waren zu produzieren und sie für den Verbrauch zu verteilen, jetzt oder in der Zukunft unter verschiedenen Personen oder Gruppen in der Gesellschaft.“ Economics, New York 19708, 4.

10 Die grundlegende logische Folgerung ist auch in dem Umkreis des Club of Rome formuliert worden: „Man sollte sich dessen bewußt sein, daß die Konflikte, die wir hier betrachten, sich im weitesten Sinne des Wortes aus dem Konkurrenzkampf um die Ressourcen ergeben – um Materialien, Energie, Nahrung, Land, Wasser usw. Wären die Ressourcen unbegrenzt, so gäbe es eine Chance, den Konflikt zu vermeiden. Aber gerade das Phänomen des Wachstums auf unserem endlichen Planeten bringt einen Konkurrenzkampf um die Ressourcen mit sich. Darum kann Wachstum nur Verhältnisse schaffen, die zu Konflikten führen.“ M. Mesarovic und E. Pestel, Mankind at the Turning Point, New York 1974, 83f. Der Club of Rome glaubt, daß eine Computeranalyse es völlig überzeugend zeigen wird, daß „globale Kooperation für alle Betroffenen viel bessere Bedingungen bietet als ein Konflikt“. Man ist sich natürlich darüber im klaren, daß Computer die Menschen nicht „ver­nünftig“ machen kann. Trotzdem sagen Mesarovic und Pestel, daß „Kooperation kein Schulwort mehr ist, das eine ethische, aber schwer zu fassende Verhaltens­weise kennzeichnet, sondern daß Kooperation eine wissenschaftlich bewiesene, politisch lebensfähige und absolut erforderliche Verhaltensweise für die orga­nische Entwicklung eines Weltsystems ist“ (aaO. 111). Wie aber können die Welt­bewohner, die Nationen und ökonomischen Regionen zu einem Geist der Koopera­tion und Interdependenz bekehrt werden? Der Club of Rome hat bisher noch keinen bedeutsamen Vorschlag in dieser Richtung unterbreitet. Die Antwort auf seine Frage, ob „die Menschen vernünftig genug sein werden, diesen Weg zu gehen“ (111), lautet „nein“. Nicht, solange der grundlegende Modus der menschlichen Existenz im Rahmen der Weltökonomie von einem Bewußtsein des Mangels und des Verschuldetseins bestimmt wird. Wie Wikse gesagt hat, ist es hauptsächlich das Gefühl, daß wir verschuldet sind und daß es nicht genug für alle gibt, das die Unfähigkeit, in Gemeinschaft zu leben, bewirkt und somit auch die Unmöglich­keit, die ungerechte Verteilung des Wohlstandes politisch zu beheben.

11 „… daß ihr seid durch ihn an allen Stücken reich gemacht…, so daß ihr keinen Mangel habt an irgendeiner Gabe und nur wartet auf die Offenbarung unseres Herrn Jesus Christus.“ (1Kor 1,5-7) „… denn es ist alles euer … es sei Welt oder Leben oder Tod, es sei Gegenwärtiges oder Zukünftiges, alles ist euer, ihr aber seid Christi, Christus aber ist Gottes.“ (1Kor 3,21-23) „Mein Gott aber wird ausfüllen all euren Mangel nach seinem Reichtum in der Herrlichkeit in Christus Jesus.“ (Phil 4,19) „… ich kann beides: satt sein und hungern, beides: übrig haben und Mangel Leiden. Ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht, Christus.“ (Phil 4.12b-13) „Und da sie gebetet hatten, erbebte die Stätte, da sie versammelt waren, und sie wurden alle des Geistes voll und redeten das Wort Gottes mit Freimut. Die Menge aber der Gläubigen war ein Herz und eine Seele, auch nicht einer sagte von seinen Gütern, daß sie sein wären, sondern es war ihnen alles gemeinsam. Und mit großer Kraft gaben die Apostel Zeugnis von der Auferstehung des Herrn Jesus, und große Gnade war bei ihnen allen. Es war auch keiner unter ihnen, der Mangel hat­te; denn wieviele ihrer waren, die da Äcker oder Häuser hatten, die verkauften sie und brachten das Geld des verkauften Gutes und legten es zu der Apostel Füßen; und man gab einem jeglichen, je nachdem einer in Not war.“ (Apg 4.31-35)

12 Aristoteles, Politik, Buch 1,13: „Ersichtlich muß die meiste Mühe der Transwirt­schaft auf die Menschen verwandt werden, mehr als auf den Besitz an leblosen Dingen, und auf ihre Tüchtigkeit kommt es mehr an, als auf den Besitz, den soge­nannten Reichtum …“

13 W. Brüggemann, The Land, Philadelphia 1977.

14 Das paradigmatische pleroma von Gottes Gerechtigkeit ist die Auferstehung, sein Sieg über den größten Mangel, den Tod selbst.

15 Siehe D. H. Meadows u.a., The Limits to Growth, New York 1972. In „Mankind at the Turning Point“ wird ein schwaches Erkennen der „Grenzen im Menschen selbst“ deutlich, Grenzen, die mit dem menschlichen Geist Zusammenhängen und mit sei­nem Streben, immer größere und kompliziertere künstliche Systeme zu schaffen, siehe 151f. Aber im ganzen konzentrieren sich die Studien ausschließlich auf die objekti­ven Gegebenheiten der knappen Ressourcen und sind somit dem Mißbrauch durch Gesellschaft und andere ausgesetzt, die die psychologischen und spirituellen Vor­aussetzungen zur Manipulierung dieser Ressourcen schaffen können.

16 A. Smith, The Wealth of Nations, Buch IV. viii.

17 Einen zeitgenössischen Ausdruck dieser Annahme kann man bei M. Harrington finden, Socialism, 29ff.

18 Vgl. M. Weber, aaO., 44ff.

19 Vgl. z.B. R. Heilbroner, An Inquiry into the Human Prospect, New York 1974; Bell, Cultural Contradictions, 237ff.

20 Nach Weber war der wichtigste Beitrag des Protestantismus zu dem modernen Dilemma des Kapitalismus die Auffassung, daß „Arbeit geleistet werden muß, als ob sie ein absoluter Selbstzweck wäre, eine Berufung“.

21 Vgl. Wikse, About Possession, 85ff u.ö.

22 Zu einer ersten Aussage über eine „Theologie des Verzichts“ siehe M.A. Neal, A Socio-Theology of Letting Go, New York 1977, bes. 103ff. Augustin gab folgenden Ratschlag zum Verzicht: „Finde heraus, wieviel Gott dir gegeben hat, und nimm davon, was du brauchst. Der Rest, den du nicht brauchst, wird von anderen ge­braucht. Der Überfluß der Reichen ist das Notwendige für die Armen. Diejenigen, die das für sich behalten, was überflüssig ist, besitzen die Güter von anderen.“

23 Ph. E. Slater, The Pursuit of Loneliness, Boston 1971, 81 ff.

24 F. Hirsch, Social Limits to Growth, Cambridge 1977.

Hier der Text als pdf.

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