Predigt über Lukas 21,25-36 (2. Advent)
Von Hans Joachim Iwand
Liebe Gemeinde! „Alsdann“ heißt es in diesem Text, der die Zeichen der Endzeit beschreibt. Laßt uns vor allem auf dieses „Alsdann“ merken. Laßt uns vor allem an dieses „Alsdann“ glauben. Denn was nützt es uns, wenn wir all die schrecklichen Zeichen beobachten und wahrnehmen, in denen sich das Ende und das Gericht über die Welt ankündigen, aber nicht glauben, daß diese Zeichen nur Vorzeichen sind eines Ereignisses, das „alsdann“ geschieht. Denn so schrecklich die Tage sein werden, in denen die großen Veränderungen auf der Erde und am Himmel geschehen werden, von denen hier die Rede ist, so süß und wunderbar, so über alle Maßen herrlich wird das sein, was dann folgt. Wie der Ostermorgen der Nacht von Golgatha gefolgt ist, so wird der großen Weltennacht der strahlende Morgen der Erlösung folgen, der Tag der Erscheinung unseres Herrn. Gerade weil die Erlösung so nahe ist, wird es den Anschein haben, als wäre sie ferner denn je. Denn auch dieser letzte Tag, der Tag des Herrn, will geglaubt sein. Und wer nicht glaubt, der wird ihn nicht kommen sehen. Und wer ihn nicht kommen sieht, dem wird er nicht als der Tag der Erlösung kommen. Dem wird er der Schrecken aller Schrecken, der Höhepunkt des Gerichtes sein. Nicht alle werden die Erscheinung Jesu Christi als den Tag der Erlösung erleben, denn erlöst werden können ja nur die, die darauf warten. So wie der Name Jesu jetzt den einen ein Geruch des Todes zum Tode ist, den anderen aber der Odem des Lebens, ohne den sie nicht leben können, so wird es auch an und mit dem letzten Tage sein. So wie seine irdische Erscheinung den einen der Anlaß war, ihn zu schmähen und zu verwerfen, den anderen aber ein Anlaß, zu ihm zu kommen und sich helfen zu lassen, so und nicht anders wird es auch mit seiner himmlischen Erscheinung sein: die einen werden erfüllt sein mit Furcht und Grauen; aber die anderen werden bei ihm ihre Zuflucht suchen, und ihr Lobgesang wird sein Kommen besingen, so wie wir es angezeigt finden im Buche der Offenbarung: „Halleluja, denn der allmächtige Gott hat das Reich eingenommen. Lasset uns freuen und fröhlich sein und ihm die Ehre geben.“ Daß wir in dieser Freude dem Tag des Herrn entgegengehen und nicht verzagen in den Schrecknissen, die ihm vorangehen werden, darauf kommt alles an. Dazu will der Herr die Seinen auf Erden zurüsten und stark machen. Darum laßt uns nun auf das Einzelne achten, was er uns zu sagen hat.
I.
„Es werden Zeichen geschehen an Sonne, Mond und Sternen,“ das ist das erste Zeichen am Himmel, Alarmzeichen Gottes. Wenn nur niemand unter uns meinen wollte, daß diese Ereignisse uns Christen nicht berühren werden! Gerade wir werden davon betroffen sein. Denn wir wissen ja, daß in der ganzen Schöpfung uns Gottes Güte entgegenleuchtet. Wir wissen, daß Gott waltet in dem Maß und der Ordnung der Welt, daß das All ihn rühmt, seine Kraft und Herrlichkeit. Und wir wissen ja noch mehr: Daß Gott diese unsere Welt so geliebt hat, daß er seinen Sohn hier Mensch werden, wirken und leiden ließ. Sollte es uns nicht berühren, wenn jetzt die unheilvollen Zeichen des Endes in ihr und über ihr kundwerden: Kriege und Empörungen, Erdbeben, teure Zeit und Pestilenz, Christenhaß und Verrat unter den Gefreundeten und Blutsverwandten, wie das alles in dieser Rede vom Herrn selbst beschrieben wird? Sollte es uns nicht bewegen, daß all die Liebe und Güte Gottes, das Opfer und der Tod Christi umsonst gewesen ist? Und wenn nun gar die Zeichen des Verfalls auf das Firmament übergreifen, die Sonne ihren Schein verliert und „die Kräfte des Himmels sich bewegen“ — diese Kräfte, von deren Ordnung und Gesetzlichkeit alles, was ist, Leben und Wesen hat — wenn die Revolution auch dahin übergreift, meinen wir, das sei nur ein Gericht für die, die nicht an Gott glauben? Rühmen nicht gerade uns die Himmel des Ewigen Ehre, verkündet nicht gerade uns die Feste seiner Hände Werk?
Meint ihr, daß unser Glaube nicht angefochten wird, wenn Himmel und Erde nur noch die Zeichen aufweisen werden, das; Gott kommt zu richten das Erdreich? Vielleicht werden wir mehr und ganz anders unter diesen „Zeichen“ leiden und erschrecken als die, die nichts wissen von der Güte des Schöpfers und von der wunderbaren Liebe Gottes zur Welt in Jesus Christus. Vielleicht wird es in der Tat so sein, daß die meisten Menschen in jenen Tagen sicherer sein werden denn je; so wie Jesus selbst das Leben der Menschen in der Endzeit sieht: „Sie atzen, sie tranken, sie kauften, sie verkauften, sie vflanzten, sie bauten.“ Mit einem Wort: Sie liehen sich nicht stören durch die Gewitterwolken, die sich am Himmel zeigten. Ihnen kommt des Herren Tag „wie ein Blitz“, unerwartet, unerhofft und ungeglaubt, mitten in die Erdgebundenheit des Lebens.
Vielleicht daß wir im Unterschied zu diesen Menschen ganz anders wach, hörend, zagend, ja erschrocken und sorgend sein werden. Vielleicht daß wir, gerade wir mit denen gemeint sind, die verschmachten vor Erwarten der Dinge, die da kommen sollen. Denn wir wissen ja: Gott lätzt sich nicht spotten! Wir wissen ja: Der Herr Christus wird kommen zu richten die Lebendigen und die Toten. Wir wissen, daß die Geschichte dieses Herrn mit der Welt noch nicht zu Ende ist, daß der letzte Akt noch aussteht; dem ersten Advent muß der zweite folgen, dem Hingehen zum Vater das Wiederkommen vom Vater her „in der Wolke“! Wir wissen, so, wie der Glaube belohnt wird, so wird auch der Unglaube nicht ohne Folge sein. Wir wissen, es wird der Welt nicht gelingen, so zu tun, als ob Gott tot wäre, als ob die Geschichte von Jesus von Nazareth eine überwundene Sache sei. Weil wir das wissen, darum schrecken uns diese Zeichen. Darum spüren wir in ihnen das sich anbahnende Gericht. Darum hören wir in dem „Rauschen der Wasserwogen“ die uralte Drohung der großen Flut, die Antwort Gottes auf das Gigantentum der Menschen. Darum fürchten wir, es könnte die Stunde kommen, da die Geduld Gottes, mit der er der Welt ihr Dasein fristet, am Ende ist. Es könnte der Tag kommen, da Gott den Gnadenbund kündigt, von dem wir alle bewußt oder unbewußt leben. „Des Himmels Kräfte werden sich bewegen.“
Wo sollen wir dann hinfliehen vor seinem Zorn? Wo uns bergen vor seinem Angesicht? Was würden die Menschen tun, wenn auch das zerbräche, diese ihre letzte Illusion, ihr „Glaube an die ewigen Naturgesetze“? Wie, wenn auf einmal an diesen Zeichen deutlich würde, daß Gott allein ewig ist, Gott und nicht die Natur, und daß die Ordnung aller Dinge aufrechterhalten wird von Gottes geduldiger Güte? Und wenn dies den Menschen erst offenbar würde daran, daß Gottes Geduld zu Ende ist, erschöpft von unserer Bosheit und Blindheit, wenn wir erst begriffen, was Gott getan hat, in dem Augenblick, da er seine Hand zurückzieht und den Aufruhr der Elemente zuläßt, nach dem es diese gelüstet? Meinen wir dann immer noch, uns Christen gingen diese Zeichen weniger an als die anderen? Geht uns der Zorn Gottes nichts an, wenn er kommt, Gericht zu halten? Müssen nicht gerade wir seufzen: Herr, wer wird bestehen?
II.
Wenn diese Zeichen, die Gott geschehen läßt, nur die Welt etwas angingen, dann würde Christus nicht zu seinen Jüngern davon reden. Sie gehen in der Tat alle an. Und alle Menschen werden dazu Stellung nehmen. Manche werden unter ihrem Eindruck noch leichtsinniger werden, andere noch ratloser, wieder andere noch verstockter. Die einen werden sagen: „Laßt uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot.“ Die anderen „werden sprechen zu den Hügeln: Decket uns!“ Viele werden die Zeichen deuten, und mancherlei solcher Zeichendeutungen werden unter den Menschen Glauben finden. Die Menschen werden sich den Kopf zerbrechen über den Sinn der Ereignisse auf Erden und werden ihn doch nicht finden. Die Christen werden in Gefahr sein, aus den Ereignissen Zeit und Stunde von des Herrn Wiederkunft zu berechnen, und werden so des Herren eigenes Gebot übertreten. „Denn Zeit und Stunde weiß niemand, auch nicht der Sohn.“
Aber was bedeuten denn nun diese Zeichen für uns? Was bedeutet das „Alsdann“, von dem Jesus redet? Warum ermahnt er uns, mitten in diesen endgeschichtlichen Katastrophen den Kopf hoch zu tragen und wie Sieger dem Ziel entgegenzugehen? Darum, weil dies alles Zeichen sind, daß Chr stus uns nicht allein läßt. Weil wir an ihnen ablesen können, daß er kommt. Der Herr sieht in diesen Ereignissen den Weltenfrühling anbrechen. Wenn wir mit unseren Augen die Zeichen deuten, werden wir sie nicht verstehen. Sie sind in einer Sprache geschrieben, die wir nicht entziffern können. Aber wenn wir sie ansehen mit dem Auge Jesu Christi, dann sehen wir ein anderes Bild vor uns. Dann ist alles verwandelt. Dann sieht uns in alledem nicht mehr das Ende an und der Untergang, der Schrecken und der Zorn Gottes, sondern der Anfang einer neuen Welt, der Fortschritt vom Glauben zum Schauen; nicht die Nacht, sondern der Tag ist nahe! Die Stunde der Erlösung hat geschlagen. Oder haben wir das etwa bisher noch nicht gewußt, daß die Erlösung, das wahre Ziel des Glaubens, noch aussteht? Daß immer noch der Tod und die Sünde und das Leid und der Irrtum in dieser Welt eine Macht sind, eine Macht auch in unserem Leben, und daß wir darum noch sehr wenig sehen und spüren von der „großen Kraft und Herrlichkeit“ des Christus. Sind wir etwa zufrieden mit dem Zustand der Welt und unseres eigenen Lebens? Meinen wir, daß das unsichtbare Reich des Herrn Christus in alle Ewigkeit ein unsichtbares Reich bleiben soll und die Reiche der Welt nichts, gar nichts mit ihm zu tun haben? Was denken wir denn, wenn wir an den Gräbern stehen und die Hoffnung der Auferstehung verkündet wird? Was denken wir denn, wenn wir bekennen: Christus der Herr, und immer wieder sehen müssen, daß die Welt für diesen Herrn nichts anderes übrig hat als eine Dornenkrone und einen Purpurmantel? Muß sich nicht das einmal wenden? Der Wirklichkeit dieser Welt steht die andere, kommende, neue Wirklichkeit gegenüber, die Wirklichkeit des Lebens und der Gerechtigkeit und der Auferstehung und der weithin leuchtenden, das All mit ihrem Licht durchdringenden Erscheinung Jesu Christi. „Alsdann werden sie sehen des Menschen Sohn kommen in der Wolke, mit großer Macht und Herrlichkeit.“ Darum, weil Gott einmal alles in allem sein wird, ist der Gang der Weltgeschichte auf Abbruch eingestellt. Aber die Welt zerbricht nicht, um ins Nichts zu stürzen, sondern um der neuen Welt Gottes den Weg frei zu machen. Was euch dann auch widerfahren wird an Schrecklichem, wisset, daß es alles nur Vor-Zeichen sind, Ankündigungen dessen, daß eure Erlösung nahe ist. Jesus sieht uns wie Gefangene und die Welt als unseren Kerker. Gefangene des Todes, Gefangene der Sünde sind wir immer noch. Jesus sagt: Wenn die Mauern eures Gefängnisses Risse bekommen, wenn gewaltige Stütze das Fundament erschüttern, dann gerade richtet euch auf, dann erhebt eure Häupter, denn dann tagt der Morgen der Befreiung. Die Hand, die von außen her so gewaltige Schläge gegen das Gemäuer führt, ist Gottes Hand. Die fürchterlichen Einschläge sind seine Zeichen. Weil euch Gott nicht vergessen hat, darum geschieht dies alles. „Siehe, ich stehe vor der Tür.“ Es wird erzählt vom Zuge der Deutschen, die von den Polen verschleppt und eingekerkert waren, wie diese Männer auf die Einschläge der Bomben und Granaten aufhorchten, die neben ihre verschlossenen Wagen und in die Nähe ihrer Gefängnisse fielen. Trotz der Todesgefahr, die sie für sie bedeuteten, richteten diese Einschläge ihren Mut auf. Sie verstanden diese Sprache. Es waren Zeichen, daß der Netter vor der Tür stand, daß es nur noch eine kleine Weile auszuhalten galt. Ist nicht unsere Lage, im Lichte der Ewigkeit gesehen, die gleiche?
Seid unverzagt,
ihr habet die Hilfe vor der Tür.
Der eure Herzen labet
und tröstet, steht allhier.
III.
Das eben will uns Jesus noch einmal einschärfen mit dem unvergeßlich schönen Bild von den knospenden Bäumen, die den nahen Sommer künden, und der Mahnung, die er daran anschließt. So wie im Frühling der Saft durch den Baum steigt und die Rinde sprengt und die Knospen hervortreibt, so sprengt jetzt Gottes Geist diese winterlich-harte Welt. Es kommt etwas Neues. Der Sommer steht vor der Tür. Die Zeit macht einen Sprung. Es muß fallen, was nicht bleiben kann, und es wird bleiben, was nicht fallen kann. Der Himmel wird vergehen, die Erde wird hinfällig — aber gerade dann, gerade jetzt wird etwas anderes euer Himmel und eure Erde, eure Bleibe werden: Mein Wort, meine Gnade, meine Verheißung, meine Entscheidung. Es kommt der Tag, da werdet ihr in meinem Wort das Leben haben — in meinem Wort und in nichts sonst. Dann erst werdet ihr wissen, was es heißt: Hören, glauben, bleiben!
Und darum zum Schluß die Mahnung: Lebt zeitgemäß! Drückt in eurem Wandel den Ernst und die Größe dieser Stunde aus. Wisset, es kommt jetzt nicht darauf an, daß ihr einen vollen Bauch habt, sondern eine wache Seele. Beschwert euch nicht. Die Leute, die in solcher Zeit keine anderen Sorgen kennen als die der Nahrung und Kleidung, machen es sich selbst schwer, das Haupt zu erheben. Dies Leben drückt sie in den Staub. Unvorbereitet, mit Dingen beschäftigt, die gar nicht der großen Stunde gemäß sind, laufen sie dem Fallensteller Gott in sein Netz. Wenn es zu spät sein wird, werden sie begreifen, worum sie sich hätten kümmern sollen: um Gott, um seine Gerechtigkeit, um sein Kommen und um ihr Heil. Darum — wenn ihr euch auch mitten unter diesen um den Leib sorgenden Menschen wie seltsame Ausnahmen vorkommt, tut, was die Stunde gebietet. Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe! Geht dem Tage entgegen. Bleibt wach. Laßt euch nicht von der Müdigkeit überwinden, von der großen Müdigkeit, die die Seele überfällt vom langen, bangen Wachen und Kämpfen. Es kommt alles auf das Beharren bis ans Ende an. Bleibt nüchtern gegenüber jeder Schwärmerei, mag sie von der Welt oder auch von der Kirche Herkommen. Seid gewiß: Noch ist Wartezeit — noch ist die Erlösung nicht da! Solange ihr das wisset, werdet ihr nicht einschlafen. Es heißt: Noch nicht — aber es heißt auch: bald!
Darum: Betet, daß sein Reich komme! Zieht es herbei zu euch, damit es euch zu sich ziehe. Gewöhnt euch betend, sehnend, hoffend an den Jüngsten Tag, entwöhnt euch betend von dem, was „aufhält und beschwert“. Wisset, es kommt alles darauf an, daß ihr „entflieht“, daß euch die Mächte, die jetzt stürzen werden, nicht in die Tiefe reißen, denn ihr wißt ja, wohin der Weg geht. Es geht nicht ins Nichts, sondern aus den Trümmern der vergehenden Welt tritt eine Gestalt hervor, die ihr kennt, auf die ihr wartet, die Gestalt dessen, der Ostern sich schon einmal zeigte, der nun aber nicht mehr vor unseren Augen verschwinden wird. Wachet und betet, daß ihr ihn erkennt, wenn er euch erkennen wird, daß ihr, wenn ihr vor ihn hintretet, euch nicht fürchtet, ihn zu grüßen, an dem Ostermorgen der Weltenwende: Mein Herr und mein Gott! Amen.
Quelle: Joachim Beckmann/Friedrich Linz (Hrsg.), Meine Worte werden nicht vergehen. Ein Predigtbuch über die altkirchlichen Evangelien, Gütersloh: Bertelsmann, 1940, S. 5-11.