Über Jesu Wort von den unnützen Worten nach Matthäus 12,36f
Von Martin Luther
Ich sage euch aber, dass die Menschen Rechenschaft geben müssen am Tage des Gerichts von jedem nichtsnutzigen Wort, das sie reden. Aus deinen Worten wirst du gerechtfertigt werden, und aus deinen Worten wirst du verdammt werden. (Matthäus 12,36f)
Die Gottlosen sind dessen ganz sicher, der ganze Hexenkessel ihrer Bosheit bleibe vor Gott nicht nur ungestraft, sondern sei sogar verdienstlich und müsse preisgekrönt werden. Drum spricht Christus schneidend kalt das Urteil: kein unnützes Wort wird ungestraft bleiben. Er spricht nicht nur vom giftigen Wort und Lästerung, obwohl in diesen Versen nur hiervon die Rede ist, sondern er sagt: nicht nur ihre Lästerungen werden ihnen nicht geschenkt, sondern sogar ihre unnützen Worte werden gerichtet.
Hier hat sich nun wieder ein Meer von Fragen erhoben darüber, was das „unnütze Wort“ sei. Und man hat die Gewissen gar sehr damit geplagt, weil man das unnütze Wort äußerlich definiert hat. Aber Christus definiert es innerlich. Aus einem guten Herzen kann nur Gutes hervorgehen. Aber obwohl ein solcher Mensch auch fällt und einmal Böses und Unnützes aus ihm hervorgeht, so wird es doch durch die Gnade vergeben und bleibt nicht böse und unnütz, sondern wird sogar nützlich zu Demut, Buße, Besserung und zur Ehre Gottes. So muss man auch das unnütze Wort innerlich definieren: wo das Herz böse ist, da ist auch das Wort böse, auch wenn’s nicht böse, sondern nur unnütz und Scherzwort zu sein scheint. Ein böses Herz ist ein ungläubiges Herz, das Gott nicht kennt und ihn hernach lästert. Drum spricht Paulus Römer 14 (V. 23): was nicht aus dem Glauben kommt, ist Sünde. Summa, Christus will seinen Widersachern, die ihn abweisen, nichts gut sein lassen, weil sie ihm auch nichts gut sein lassen. Umgekehrt will er auch jedermann alles gut sein lassen, die ihm auch alles gut sein lassen, d.h. die ihm glauben.
Aus deinen Worten wirst du gerechtfertigt und aus deinen Worten wirst du verdammt werden. Das kann man zwiefach verstehen. Erstlich so, wie es der Zusammenhang dieses Texts mit sich bringt: das unnütze Wort wird verdammt werden, also werden dich deine Worte verdammen, wiederum das heilsame Wort wird gerechtfertigt werden, also werden dich deine Worte rechtfertigen. Hast du Böses geredet, so wirst du darnach gerichtet werden, hast du Guts geredet, so wirst du darnach selig werden. Es ist der bekannte Spruch: nach eines jeglichen Werken wird ihm vergolten. Nichts wird unbestraft, nichts unbelohnt bleiben. Der Ton liegt auf „nach deinen Worten“, also wollte Christus sagen: nicht einmal die Worte, geschweige die Taten, werden ungestraft dahingehen.
Zum zweiten aber kann man’s auch so verstehen: wenn die Gottlosen sich rechtfertigen wollen, so verdammen sie sich oft grade damit. So auch hier, wo sie Christus zu einem Teufel und sich selbst zu Heiligen machen, verraten sie sich selbst, indem sie gestehen müssen, dass der böse Geist von Christus ausgetrieben sei. Desgleichen haben sie am Kreuz gesagt: andern hat er geholfen. Damit gestehen sie, dass er ihnen geholfen hat, und haben ihn dennoch gekreuzigt. Desgleichen spricht Kain, als er sich selbst rechtfertigen wollte (1. Mose 4,9): soll ich meines Bruders Hüter sein?, womit er sich selbst anklagt, dass er es abweise, seinen Bruder lieben zu sollen. Und umgekehrt auch: wer sich selbst anklagt und seine Sünden bekennt, der erlangt eben damit die Gnade und wird gerechtfertigt.
WA 38, 551f (Annotationes in aliquot capita Matthaei, 1538)
Quelle: D. Martin Luthers Evangelien-Auslegung, hrsg. von Erwin Mülhaupt, Zweiter Teil: Das Matthäus-Evangelium (Kap. 3-25), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 41973, S. 453f.