Karl Barth über das Oberlicht in der Theologie (Einführung in die evangelische Theologie): „Rechte, brauchbare theologische Arbeit ist dadurch ausgezeichnet, dass sie in einem Raum geschieht, der nicht nur offene Fenster zu dem sie umgebenden Leben der Kirche und der Welt hin, sondern vor allem und entscheidend Ober­licht hat, will sagen: offen ist vom Himmel, von Got­tes Werk und Wort her, und offen zum Himmel, zu Gottes Werk und Wort hin.“

Über das Oberlicht in der Theologie

Von Karl Barth

Rechte, brauchbare theologische Arbeit ist dadurch ausgezeichnet, dass sie in einem Raum geschieht, der nicht nur (das ist freilich auch gut und nötig) offene Fenster zu dem sie umgebenden Leben der Kirche und der Welt hin, sondern vor allem und entscheidend Ober­licht hat, will sagen: offen ist vom Himmel, von Got­tes Werk und Wort her, und offen zum Himmel, zu Gottes Werk und Wort hin. Es versteht sich nicht von selbst, dass sie in diesem in der Richtung auf ihren Gegenstand, ihren Ursprung, ihr Ziel und also in der Richtung auf ihre große Gefährdung und ihre noch größere Hoffnung, die in ihm begründet wird, offenen Raum geschieht. Es könnte gerade nach dieser Rich­tung ein verschlossener, verstopfter, verkapselter und also lichtloser Raum sein. Zunächst und an sich ist er ja nur eben ein Raum menschlichen Fragens und Ant­wortens, Forschens, Denkens und Redens. Und welcher Theologe würde sich nicht immer wieder dabei über­raschen, dass er sich bei seinem ganzen, vielleicht sehr ernsthaften Bemühen, in immer besserem Hören auf die Bibel, in immer aufgeschlossenerem Verständnis des Glau­bensbekenntnisses, der Stimme der Väter und der Zeit­genossen und auch in der gebotenen Weltoffenheit zu verhältnismäßig richtigen und wichtigen Einsichten und Aussagen vorzustoßen, doch nur in einem menschlichen, allzu menschlichen Kreis herum bewegt wie eine Maus in der Falle? An sicher interessanten Problemen, an sicher nachdenklichen, ja aufregenden Erkenntnissen mag er da, jetzt hier, jetzt dort verweilend, und dann doch auch wieder weitereilend, wohl vorbeikommen – nur dass das Ganze und damit dann auch das Einzelne – auch wenn er noch so sehr bei der Sache und wenn die Fenster nach allen Seiten hin noch so weit offen wären – nirgends eigentlich zum Leuchten kommen, keine Konturen und keine Konstanz annehmen, seine Einheit, seine Notwen­digkeit, seine Heilsamkeit, seine Schönheit so gar nicht sichtbar machen will. Wo fehlt es? Es fehlt daran, dass er bei seiner ganzen Arbeit, wie eifrig er sie auch be­treibe, wie weit und breit sie auch angelegt sei, im Grunde doch nur bei sich ist, dass sie in einem Raum geschieht, der leider gerade nach oben zugeschlossen ist, von dort­her kein Licht empfängt, nach dorthin keinen Ausblick gewährt. Was kann, was muss da geschehen? Eine be­sondere Maßnahme muss da offenbar entschlossen er­griffen, ein zeitweiliges Stillstellen jenes Kreislaufs muss da ins Werk gesetzt, ein Sabbattag muss da eingeschal­tet und gefeiert werden – nicht um die Werktage abzu­schaffen, nicht um sich ihren Aufgaben zu entziehen, sondern um gerade den Werktagen das ihnen fehlende Oberlicht zu verschaffen. Wie kann dieses Sabbatwerk geschehen? Es kann und soll damit geschehen, dass der Theologe sich von seinen ganzen Bemühungen um den Vollzug des intellectus fidei für einmal abwendet, sich für einmal nur eben diesem Gegenstand als solchen zu­wendet. Was ist aber solche gerade um des Bestandes und Fortgangs des eigenen Werkes willen nötige vorübergehen­de Abwendung von diesem in der Zuwendung zu Gott sel­ber Anderes als eben das Anheben des Gebetes? Damit beginnt doch jedenfalls jedes Gebet, dass der Mensch sich selbst, sein eigenes Tun, und wäre es das beste und glück­lichste, für einmal auf sich beruhen, es hinter sich lässt, um sich aufs neue – wann sollte er das nicht nötig haben? – darüber klar zu werden, dass er vor Gott steht, der in seinem Werk und Wort sein Herr, Richter und Heiland ist, und dass eben dieser Gott vor ihm steht, nein: in seinem Werk und Wort mächtig, heilig und barmherzig, als die große Gefährdung und als die noch größere Hoff­nung seines Werkes auf ihn zukommt. Beten hebt an mit der Bewegung, in der der Mensch darüber neue Klarheit gewinnen möchte und sucht: „Gott ist’s, der regiert“ – nicht um sein Werk preiszugeben oder auch nur zu vernachlässigen, sondern damit es kein unfruchtbares Werk bleibe oder werde, damit er es in der Helligkeit und damit unter dem Regiment und Segen Gottes tun dürfe. Mit dieser bewussten Bewegung, in der das Gebet anhebt, darf und muss auch die theologische Arbeit an­heben. Soll sie verantwortlich und verheißungsvoll ge­schehen, dann bedarf sie der Klarheit darüber, durch wen sie gefährdet, wer aber auch ihre Hoffnung ist. Eben das Fragen und Suchen nach ihm wird aber immer Sache einer besonderen Bewegung sein, hinter der dann die anderen (wie die Werke der Woche hinter dem Werk des Sabbats) für eine Weile zurücktreten müssen: gerade um dann ihrerseits – durch jene besondere Be­wegung eröffnet und in das rechte Licht gestellt – rechte Werke zu werden.

Quelle: Karl Barth, Einführung in die evangelische Theologie, Zürich: EVZ, 1962, S. 177-179.

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