Martin Luther über die drei Stände Kirche, Gemeinwesen, Hausstand (Auslegung zu Genesis 2,16f): „Adam wurde also im Paradies nebst der Kirche danach auch die Ordnung (administratio) seines Hausstandes aufgetragen. Die Kirche aber wurde deshalb zuerst gegründet, damit Gott durch sie als Zeichen zeigen konnte, dass der Mensch auf ein anderes Ziel hin erschaffen ist als die übrigen Lebewesen.“

Über die drei Stände Kirche, Gemeinwesen, Hausstand (Auslegung zu Genesis 2,16f)

Von Martin Luther

»Und er gebot ihm und sprach: Du darfst essen von jedem Baum im Paradies, aber von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen darfst du nicht essen« (Gen 2,16f.).

So wurde die Kirche gegründet (Haec est institutio Ecclesiae), bevor es einen Haus­stand (oeconomia) und eine Obrigkeit (politia) gab; denn Eva war noch nicht er­schaffen. Es wurde aber eine Kirche gegründet ohne Mauern und ohne Prunk; und der Ort, an dem sie sich befand, bot genügend Raum und war lieblich anzusehen. Nach der Gründung der Kirche wurde auch der Hausstand eingerichtet, als an die Seite Adams als Gefährtin Eva gestellt wurde. So ist die Kirche älter und auch wich­tiger als die Familie. Eine Obrigkeit aber gab es vor dem Sündenfall überhaupt nicht; denn sie war nicht nötig. Die Obrigkeit ist nämlich ein notwendiges Heilmit­tel für die verdorbene Natur, da man ihre Begehrlichkeit durch gesetzliche Fesseln und Strafen in Schranken halten muss, damit sie nicht über die Stränge schlägt. Deshalb könnte man die Obrigkeit mit Recht »Reich der Sünde« nennen, so wie Paulus (Röm 8,2) auch Mose einen Diener des Todes und der Sünde nennt. Denn die Obrigkeit hat in erster Linie die Aufgabe, die Sünde abzuwehren – wie z.B. Pau­lus (Röm 13,4) sagt: »Die Obrigkeit (potestas) trägt das Schwert zur Strafe über den, der Böses tut.« Wenn die Menschen also nicht durch die Sünde böse gewor­den wären, so hätte man keine Obrigkeit gebraucht, sondern Adam und seine Nachkommen hätten in absoluter Ruhe gelebt und hätten mit der Bewegung eines Fingers mehr erreicht als jetzt alle Schwerter, Galgen und Äxte zusammen. Nie­mand hätte dann einen anderen beraubt, erschlagen, bestohlen, verleumdet oder belogen. Wozu hätte man also Gesetze oder eine Obrigkeit gebraucht? Denn sie ist ja ein Brenneisen oder ein brutales Heilverfahren, bei dem die kranken Glieder amputiert werden, um die übrigen zu retten.

Adam wurde also im Paradies nebst der Kirche danach auch die Ordnung (administratio) seines Hausstandes aufgetragen. Die Kirche aber wurde deshalb zuerst gegründet, damit Gott durch sie als Zeichen zeigen konnte, dass der Mensch auf ein anderes Ziel hin erschaffen ist als die übrigen Lebewesen. Denn da die Kirche durch das Wort Gottes gegründet wurde (instituitur verbo Dei), ist sicher, dass der Mensch zu unsterblichem und geistlichem Leben erschaffen ist, in das Adam ohne den Tod zu leiden entrückt oder versetzt worden wäre, nachdem er im Garten Eden und auf der übrigen Erde ohne jede Beschwernis gelebt hätte, bis er des Le­bens satt gewesen wäre. Bei ihm hätte es die schändliche Lust (foeda libido) nicht gegeben, die jetzt herrscht; die Liebe zwischen den Geschlechtern wäre einfältig und rein gewesen. Damit hätte der Kinderzeugung kein Makel angehaftet; sie wäre gewissermaßen Gehorsamspflicht (oboedientia) gewesen. Auch die Mütter hätten ohne Schmerzen ihre Kinder geboren; und ihre Erziehung wäre nicht mit so gro­ßer Mühe und Not verbunden gewesen.

Aber wer kann mit Worten die verlorene Unschuld gebührend preisen? Das Ver­langen (appetitus) des Mannes nach einer Frau ist zwar Teil seiner Natur geblie­ben und führt auch jetzt noch zur Zeugung, jedoch nicht ohne furchtbare, schänd­liche Lust und ungeheuren Schmerz bei der Geburt. Hinzu kommen Schamgefühl und Verwirrung, selbst bei Ehegatten, wenn sie den erlaubten Verkehr genießen (frui) wollen. So sehr ist das Grundübel der Erbsünde (pec­cati originalis gravissimum malum) überall gegenwärtig. Die Schöpfung und der auf ihr ruhende Segen ist gut; aber durch die Sünde ist alles so verdorben, dass die Ehegatten ohne Scham keinen Gebrauch davon machen (uti) können. Das alles hätte es im Stande der Un­schuld, wie sie Adam hatte, nicht gegeben, sondern so, wie Ehegatten ohne Scham zusammen essen und trinken, wäre auch Zeugung und Geburt in absoluter Ehr­barkeit und ohne Scham und Verwirrung vonstatten gegangen.

Quelle: WA 42,79,1-39 (Genesisvorlesung), übersetzt von Heiko A. Oberman.

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