Dekan Reinhold Hopf über Hans Jakob Wehe († 5. April 1525), erster lutherischer Pfarrer in Leipheim (1896): „Das Pförtlein in der Stadtmauer am Pfarrhause, durch das Wehe entfloh, ist heute noch vorhanden. Es führt hinaus an die Bergabhänge, welche am südlichen Donauufer sich hinziehen. In ihnen finden sich schluchtenartige Einschnitte und, wenn sie damals so reich mit Niederholz bewachsen waren wie noch vor einigen Jahren, hatte Wehe gar nicht nötig, sich eine Höhle zu graben. Das Terrain bot wenigstens für kurze Zeit von Natur schon Schlupfwinkel genug.“

Hans Jakob Wehe, erster lutherischer Pfarrer in Leipheim.

Von Dekan Reinhold Hopf in Leipheim.

Was uns von Hans Jakob Wehe bekannt ist, stammt zu­meist aus den Quellen zur Geschichte des Bauernkriegs, soweit sie sich auf Oberschwaben beziehen. Diese Quellen sind ge­sammelt von Dr. Franz Ludwig Baumann. (Quellen zur Geschichte des Bauernkrieges in Oberschwaben. Für den litterarischen Verein in Stuttgart gedruckt. Tübingen 1876.) Für uns kommen in Betracht: „Die Weißenhorner Historie von Nikolaus Thoman“ S. 1, „Das Schreiben des Truchsessen Georg von Waldburg“ S. 525, „Das Tagebuch des Heroldes Hans Lutz“ S. 613, Jakob Holzwarts „Rustica seditio totius fere Germaniae“ S. 639 und Ambrosius Geyers „Handlung des Bundes wider die Bauern“ S. 721.

Weitere Quellen sind die im Archive zu Stuttgart befind­lichen Aufzeichnungen des 1827 zu Ulm verstorbenen Prälaten von Schmid, welche den Ulmer Ratsprotokollen und anderen Akten entstammen, ferner sind Veesenmeyers „Nachrichten von Hans Jakob Wehe, ersten evangelischen Pfarrer in Leipheim“ Ulm 1794 von Interesse im Zusammenhalt mit Max Radlkofer „Johann Eberlin von Günzburg und sein Vetter Hans Jakob Wehe“. Nördlingen 1887. Das letztgenannte Werk ist äußerst gründlich und steht auf ganz unparteiischem Standpunkte.

Eberlin von Günzburg war ein Vetter Wehes und zwar allem Anscheine nach nicht in sehr weitem Sinn des Wortes. Seine Verwandtschaft war die Ursache, warum Eberlin in zweien seiner Schriften sich mit ihm beschäftigte. Davon führt die eine den Titel: „Der Clockerturm bin ich genannt“ (vergleiche hiezu Radlkofer, 8. 187 etc.), während die andere eine Art Pastoraltheologie ist, dem Wehe gewidmet unter dem Titel: „Wie sich ein Diener Gottes in all seinem Thun halten soll“ (Radlkofer S. 226 etc.). Aus diesen beiden Schriften erfahren wir einiges Weniges von den persönlichen Verhältnissen Wehes, der lange Zeit nur unter den Namen Hans Jakob bekannt war, bis Pastor Strobel in den „Freiburger Beiträgen“ seinen vollen Namen zu weiterer Kenntnis brachte.

Danach lebten seine Eltern bei ihm in Leipheim, wahr­scheinlich im Pfarrhause selbst, auch hatte er Weib und Kind, was vielleicht für das Verhalten des Ulmer Rates gegen ihn von Einfluß war. In Leipheim und Umgebung war er sehr beliebt, wozu schon seine natürliche Bescheidenheit und Freund­lichkeit viel beigetragen haben mag; doch war seine Gemüts­art allem Anscheine nach etwas heftig, sein Temperament zu leidenschaftlichen Erregungen geneigt.

Nach Dr. Dieterich (Jubelpredigt vom Jahre 1617) hat er seine reformatorische Thätigkeit zu Leipheim im Jahre 1524 begonnen, sie reicht aber ganz sicher noch in das Jahr 1523 zurück. Im benachbarten Ulm[1]), zu dem Leipheim damals gehörte, hatten sich schon bald reformatorisch gesinnte Stimmen erhoben. Vor allem war im Sinne Luthers der Franziskanermönch Eberlin von Günzburg aufgetreten, der sicher auf die Überzeugungen seines Vetters Wehe keinen geringen Einfluß übte. Doch mußte Eberlin trotz der Fürbitte des Ulmer Rates für den beliebten Prediger die Stadt bald verlassen, nachdem die über sein Auftreten erbitterten Klosterbrüder ihn ausgestoßen hatten. Sein Nachfolger im Predigtamte an der Barfüßerkirche, Heinrich Kettenbach, wirkte in gleichem Sinne wie er, mußte jedoch auch bald den Anstrengungen seiner Gegner weichen, an deren Spitze der Dominikaner Peter Hütz genannt Nestler stand. Unter den Laien zeichnete sich namentlich der Arzt Wolfgang Rychard durch seine Thätigkeit für die Sache der Reformation aus. Nach Kettenbachs Abgang war nur noch der Prediger an der Frauenkirche Johann Diepold, genannt der Dollfuß, in evangelischem Sinne thätig, doch bekam er bald einen treuen Gehilfen an Johann Höflich. Dessen Auslieferung an den Bischof von Konstanz förderte die Sache der Reformation beim Volk erst recht, wie denn jetzt auch einige vom Rate für sie gewonnen wurden, so besonders der Bürgermeister Bernhard Besserer. Der Rat sah sich infolgedessen genötigt, den evangelisch Gesinnten einen evangelischen Prediger zu berufen, und zwar fiel die Wahl auf Konrad Sam von Bracken­heim, dessen Thätigkeit für den schließlichen Sieg der evange­lischen Sache in Ulm von hervorragender Bedeutung ge­worden ist.

Also in jener Zeit, da Sam nach Ulm berufen wurde, der Rat selbst aber in seiner Mehrzahl noch keineswegs entschieden für die Sache des Evangeliums ein trat, fällt der größte Teil der reformatorischen Thätigkeit Wehes in Leipheim. Zunächst predigte er im Sinne Luthers, wie denn seine ganze kirchliche Thätigkeit lutherisch gerichtet war im Gegensatz zu Ulm, wo man sich seit dem Auftreten Sams immer mehr zu den Grundsätsen Zwinglis bekannte. Es hat sich da bei Wehe jedenfalls der Einfluß Eberlins geltend gemacht, der Luther mit vollem Herzen ergeben war.

Bald teilte er das Sakrament unter beiderlei Gestalt aus und hörte auf, die Messe zu lesen. Seine Predigten fanden bei einem großen Teil seiner Gemeinde vollen Anklang. Scharen­weise eilten die Leute auch aus dem benachbarten Günzburg herbei, ja sogar aus Ulm fanden sich Hörer ein. Die Günz­burger Geistlichkeit sah nicht gerade wohlwollend dazu und verklagte ihre Pfarrkinder beim Stadtrate unter Beziehung auf das Wormser Edikt und das Mandat des Nürnberger Reichstages von 1523, worauf ein Verbot des Kirchenbesuches in Leipheim an die Günzburger Einwohner erging. Einige Übertreter des­selben ließ der Rat in den Turm sperren, auch wurde einigen Toten das Begräbnis im Kirchhofe versagt. Den Wehe aber ließ der Pfarrer von Günzburg hart an, daß er seinen Günz­burger Pfarrkindern nicht ausgeboten hätte. Wehe erwiderte darauf, es wäre ihm wegen der Zwistigkeit, die daraus nach aller Wahrscheinlichkeit hätte erwachsen müssen, nie besonders lieb gewesen, daß Günzburger zu ihm gekommen wären. Allein er hätte sie deswegen nicht abweisen können, damit man nicht sagte, er scheute das Licht, überdies wäre der Vortrag der Wahrheit und besonders der Religion etwas, das man niemand vorenthalten dürfte, und hätte er dies gethan, so hätte er in seinem Gewissen geglaubt, sich gegen den Befehl Christi zu versündigen, allen das Evangelium zu predigen. Wenn man indessen glaubte, er wäre so gar ein ketzerischer Lehrer, so erböte er sich zu einer öffentlichen Unterredung mit dem Pfarrer oder Vikarius an einem sicheren Orte und vor unpar­teiischen Richtern. Dieser Vorschlag wurde jedoch nicht an­genommen.

Die Vorgänge bei Einführung des lutherischen Gottesdienstes, insbesondere auch der Austeilung des heil. Abendmahles unter beiderlei Gestalt schildert der Verfasser der Weißenhorner Historie, Thoman, in der Weise, daß es dabei „überaus übel und frevelich“ (Baumann, S. 59) zugegangen sei. Man habe das Bildnis unserer lieben Frau vom Altäre genommen und unten an den Predigtstuhl gehängt, die Bildnisse der 12 Boten aus der Kirche hinausgetragen und in den Kot getreten, von der Kanzel habe der Pfarrer verkündigt (Baumann, S. 60), er wolle hiefür sein Leben lang keine ketzerische Meß mehr haben, wie er vormals gethan hätte, und wenn es nicht wider die brüderliche Liebe wäre, wollte er gerne, er hätte so viel Menschen umgebracht, als er Messen gehalten hätte. Als er von dem Predigtstuhle gegangen, hätten seine Anhänger das Te Deum gesungen, dann hätte er viel Partikel aufgelegt und ohne alle christliche Ordnung und der Kirche Brauch konsekriert und hätte zum gemeinen Volk gesagt, wer das Sakrament unter beiderlei Gestalt nehmen wollte, sollte es am Altäre empfangen, was von vielen geschehen wäre. Danach hätte der „Eschei“ (Flurwächter) Thurenbeck ein Partikel in seine Hand genommen und es dem Pfarrer gegeben. Wir müssen diese Mitteilung der Weißenhorner Historie sehr behutsam aufnehmen. Daß der lutherisch gerichtete Wehe die Bildnisse der Apostel in den Kot habe treten lassen, ist durchaus nicht wahrscheinlich, und daß dem römisch gesinnten Thoman eine Konsekration nach luthe­rischem Ritus, als gegen die Ordnung der Christenheit und den Brauch der Kirche erschien, ist ja begreiflich genug.

Die Folge des Auftretens Wehes war ein Einschreiten des Bischofs Stadion von Augsburg. Nach der Darstellung Eberlins verbot er dem Wehe, Messe zu lesen und zu hören. Das Predigen aber verbot er ihm nicht, eine etwas auffallende Maßregel, da doch gerade die Predigt Wehes das Mittel war, wodurch er die reformatorischen Grundsätze weiter verbreitete. Auch den übrigen Leipheimer Geistlichen wurde vom Bischof 2 verboten, in Leipheim Messe zu lesen, so lange Wehe in seinen Mauern weilte. Diese selbst, nämlich die Meßpriester der Diepoltskapelle und der Leonhardskirche, hielten am Alten fest, dagegen scheint Wehes Vikar sich näher an ihn angeschlossen zu haben, da jener nach Veesenmeyer mehrmals den Rat in Ulm um eine Untersuchungskommission für sich und seinen Vikar bat.

Das Verbot der Predigt, welches der Bischof von Augsburg unterlassen haben soll, wurde vom Rat in Ulm nachgeholt; denn dieser gebot ihm, Leipheim zu verlassen. Durch das sonstige Ulmer Gebiet sollte er wandeln dürfen, jedoch mit der Einschränkung, darin weder zu predigen noch sein Anwesen zu haben. Nach Veesenmeyer hätte es der Rat mit seinem Ausweisungsbefehl nicht besonders ernst gemeint; denn Wehe wäre nach wie vor in Leipheim geblieben und die Weißenhorner Historie bemerkt hiezu: Es war die Sage um Bartholomäi (24. August), die von Ulm hätten dem Pfarrer daselbst ausboten, aber mir sagte ein frommer Priester, er wäre nie aus der Stadt gekommen, war ein Spiegelfechten. Es waren sonst fromme, redliche, christliche Priester da zu Leipheim, mußten viel leiden und Geduld tragen“ (Bau­mann, S. 60).

Indessen ist aus den Ulmer Ratsprotokollen ersichtlich, daß Wehe Leipheim auf Befehl des Rates wirklich verlassen und daß der Frühmesser die Pfarrei versehen hat, daß Wehe aber bisweilen wieder nach Leipheim hereingekommen ist. Man hat ihn aber in diesen Fällen wohl nicht besonders beunruhigt. Es erklärt sich das aus den damaligen Ulmer Verhältnissen. Einerseits mußte ja der in der Majorität immer noch gut katholisch gesinnte Rat Rücksicht nehmen auf den Bischof von Augsburg und den schwäbischen Bund, welche beide ein Einschreiten gegen Wehe verlangten, weshalb auch der Rat seinen Gesandten beim Bundestage, dem Bürgermeister Ulrich Neithart, den Auftrag gab, dem Bischof anzuzeigen, daß er sich des Pfarrers zu Leipheim entschlagen und ihn von dort verwiesen habe, andrerseits aber mußte man doch schon einiger­maßen Rücksicht nehmen auf die evangelisch Gesinnten im Rate und in der Bürgerschaft; daher der Rat beim Bischof Wehes Bitte um eine Untersuchung seiner Lehre und seiner Aufführung durch eine Kommission unterstützte. Da mag man wohl auf eine strenge Handhabung der Mandate gegen Wehe zeitweise verzichtet haben.

Aus dem Jahr 1524 wird uns nun von diesem nichts mehr berichtet, ebensowenig aus dem Anfänge des Jahres 1525. Nun aber beginnt für ihn eine verhängnisvolle Zeit, die Zeit, da der Bauernkrieg auch Leipheim in Mitleidenschaft zog.

Die Unruhen hatten sich im Juni 1524 in der Landschaft Stühlingen nordwestlich von Schaffhausen erhoben, hatten dann immer weiter ’um sich gegriffen und zur Bildung dreier Haupt­haufen geführt, der Allgäuer, der Baltringer und der Seebauern. Diese schlossen nach gemeinschaftlicher Beratung ihrer Ab­gesandten in Memmingen, die am 6. März 1525 begann, eine christliche Vereinigung mit gemeinschaftlicher Bundesordnung vom 10. März dieses Jahres. Ihre Forderungen machten die Bauern geltend in den bekannten 12 Artikeln. An diese christliche Vereinigung und zwar zunächst an den Baltringer Haufen schloß sich wahrscheinlich in den ersten Tagen des März ein weiterer größerer Hauf aufständischer Bauern an, den wir mit dem Gesamtnamen Leipheimer Haufe bezeichnen wollen. Er bestand zunächst aus Leuten der Weißenhorner und Kloster Roggenburger Gegend, wo die Bewegung anfangs Februar begann. Versammlungen in Ettenbeuern am 25. Februar und am 6. März führten zur Errichtung einer Bruderschaft, zu der man auch die benachbarten Adeligen beiziehen wollte. Dieselbe befahl auch den Pfarrern, daß sie bei Strafe der Absetzung nur das heilige Evangelium predigen sollten. An diesen Versammlungen soll auch Wehe sich beteiligt haben. Was das Verhalten der Leipheimer betrifft, so liefen sie sehr bald in großen Haufen den Bauern zu, so daß der Ulmer Rat am 3. März sich zu folgendem Beschluß veranlaßt sah (bei Radlkofer S. 638 etc.):

„Mein Herr Bürgermeister und die 5 sollen eine Schrift an die Bauern vergreifen. Der von Leipheim halb sollen meine Herren, der Herrschaft Pfleger erfahren, wer dieselben Prügelmeister (Anfänger) seien, die die Schrift gegen Günzburg geschickt haben, sollen sie dieselben, auch den alten Pfarrer (d. i. Wehe), so er zu Leipheim ist, fänglich einnehmen.“

Im Bundesrate war infolge der Vorgänge zu Leipheim die Frage besprochen worden, ob der Ulmer Rat Leipheim besetzen sollte. Man unterließ es, hatte aber bald Grund genug, diese Unterlassung zu bereuen; denn schon am 17. März wird be­richtet, daß Leipheim von den Bauern eingenommen sei.

Die nächste Zeit brachten diese damit zu, ihren Anhang zu ver­größern und sich nach Kräften zum Kampfe zu rüsten. Es dauerte nicht mehr allzulange, bis derselbe entbrannte. Am 30. März war es, da zog das Heer der verbündeten Fürsten und Städte unter Führung des zum Oberbefehlshaber ernannten Georg Truchseß von Waldburg, des sogenannten „Bauernjörg“, zunächst gegen den Baltringer Haufen, der im Ried bei Laupheim lag. Unterdessen zogen die Leipheimer nach Weißenborn, von dessen Bewohnern schon viele mit den Bauern verkehrten, während der Rat mit aller Entschiedenheit gegen sie agierte. Nach dem Berichte „des Schreibers des Truchsessen“ soll der Leipheimer Pfarrer, sein Name ist nicht genannt, die Leute animiert haben, sie sollten nur keck sein, der Bündischen Büchsen würden sich aus besonderer Schickung Gottes umkehren und auf sie selbst zuwenden, desgleichen die Spieße (Baumann, S. 552). Ähnliches lesen wir auch in Knebels Donauwörther Chronik, in welcher aber der Pfarrer nicht Wehe, sondern Thoman heißt (Baumann, S. 252). Es ist aber doch nicht wohl anzunehmen, daß Wehe eine solche Thorheit wirklich begangen hat.

Am 1. April traten die Leipheimer ihren Zug nach Weißen­born an. Auf dem Wege dahin plünderten sie die Schlösser zu Bühl und Kleinkötz. Über Pfaffenhofen rückten sie dann gegen Weißenhom vor. Ihr Verlangen, man sollte sie einlassen und ihnen gegen Bezahlung Essen und Trinken geben, wurde ab­gewiesen, ebenso ein zweites Begehren, man sollte ihnen hinaus­geben, was die fremden Priester in die Stadt geflüchtet hätten. Darauf zogen sie gen Attenhofen. Hier soll Wehe persönlich ins Pfarrhaus gegangen sein, soll sich ein „geschmalztes Brot“ haben machen lassen, auch angeordnet haben, es solle alles im Hause hinweggetragen und das Pfarrhaus selbst „niedergeworfen“ werden. Er soll aber auf Bitten eines Weibes seinen Befehl zurückgenommen haben.

Nach Wiederholung des Begehrs um Einlaß in Weißen­born begann ein Angriff aller Bauern auf die Stadt, der ihnen aber sehr schlecht bekam. Sie mußten mit blutigen Köpfen- abziehen und traten den Rückzug nach Leipheim an.

Währenddessen war der Truchseß gegen den Baltringer Haufen vorgegangen. Derselbe leistete nicht gerade sehr energischen Widerstand und zog sich bis Munderkingen, einem Wilhelm Truchseß gehörigen Städtchen, zurück. Hier traf den Georg Truchseß der Befehl des Bundes, schleunigst umzukehren, um sich gegen den Leipheimer Haufen zu wenden. Vermutlich hörte er schon auf dem Wege von dem Rückzüge der Bauern nach Leipheim und wandte sich deshalb über Ulm direkt dahin.

Hier hatten die Bauern auf die Kunde von der Rückkehr des Truchsessen Anstalten zum Widerstande getroffen. An der Ulmer Straße, am sogenannten Bibersteig, hatten sie eine äußerst günstige Stellung vorbereitet, in welcher sie dem hündischen Heere gegenüber treten wollten. Steil führt hier die Straße, von Ulm aus gerechnet, den Biberberg hinan. Auf der einen Seite bot die Donau und das sog. Jungholz den Bauern Schutz, auf der andern hinderte ein Moor eine starke Entwicklung der feindlichen Streitkräfte, namentlich ihrer Reiterei, und unten am Berge zwischen den beiden Heeren floß der Biberbach, an dem die Bauern eine Art Wagenburg errichtet hatten. Hätten sie nun frischen Mut gehabt und eine tüchtige Leitung, so hätten sie entschieden ihren Gegnern einen schweren Stand bereiten können. Aber an beiden fehlte es. Es scheint überhaupt keine recht einheitliche Befehlsführung vorhanden gewesen zu sein und, was den Mut der Bauern anlängt, so schossen sie mit Falkonetten fest darauf los, sobald die ersten Reihen der Feinde in Sicht kamen. Als sie aber die große Heeresmasse des Truchsessen sich entwickeln sahen, da überkam die Bauern eine förmliche Panik und sie wendeten sich nach Leipheim zu in die Flucht. Der Truchseß, persönlich der Gegend kundig, liess einen Teil seiner Reiterei auf das steinere Kreuzbild zureiten, das sich auf dem Wege von Buehl nach Leipheim befand, kurz, nachdem sich der Weg nach Echlishausen abgezweigt hat. (Nach dem Katasterplane heisst ein dortiger Güterkomplex heute noch „am Kreuz“.) Von hier aus gelang es, den flüchtigen Bauern den Weg nach Leipheim abzuschneiden. Wer noch nicht in die Stadt entkommen war, wurde hier nieder­gemacht oder kehrte nach dem Walde um und fiel dem dortigen Feinde in die Hände oder wurde in die Donau gesprengt und ertrank. Einem Teil der Bauern gelang es, bei Leipheim über die Donau zu kommen, aber diese Flüchtlinge begegneten nun den Hessischen Reitern, welche von Elchingen herkamen und wurden von diesen niedergemacht. Die ganze sogenannte Schlacht bei Leipheim war eigentlich nichts als ein ununter­brochenes Abschlachten flüchtender Bauern, denn sie leisteten auch nicht den geringsten Widerstand mehr, als sie einmal zur Flucht sich gewendet hatten, also daß das Heer der Bündischen auch nicht den geringsten Verlust an Leuten erlitt. Die Zahl der Toten auf Seite der Bauern wird in den ver­schiedenen Quellen auf 3000 bis zu 8000 Mann angenommen.

Nach Leipheim selbst war eine stattliche Anzahl Bauern entkommen, welche sich, geschützt von den Mauern der nicht gerade schlecht befestigten Stadt, noch hätten zur . Wehre setzen können. Aber die Panik war zu gross. Als man sah, wie der Truchseß Anstalten machte zur Beschiessung der Stadt, bat man um Gnade. Er aber nahm sie nur in Gnade und Ungnade auf (Baumann S. 553). Zur Bedingung wurde sofort gemacht, daß Wehe ausgeliefert werden müßte. Dieser suchte nun, sobald er merkte, daß man es auf seine Person abgesehen habe, aus der Stadt zu entkommen. Holzwart erzählt (Baumann S. 668), er habe sich schon vorher ausserhalb der Stadt eine verborgene Höhle gegraben, auch habe er in der Stadtmauer eine Spalte ausfindig gemacht, durch die er kriechen könnte. Durch sie habe er sich mit seinem Gesellen, dem Günzburger Parochus, in die Höhle geflüchtet; ein junger Hund habe aber beide durch sein Gebell verraten. Bei Thoman (Baumann S. 83) dagegen lesen wir, Wehe sei durch ein kleines Thürlein in der Stadtmauer im Pfarrhofe an die Donau entkommen, sei aber von einem Bauern verraten und daraufhin von Reitern gefangen genommen worden, welche ihn an ein Halfter gelegt und nach Bubesheim geführt hätten. Das Pförtlein in der Stadtmauer am Pfarrhause, durch das Wehe entfloh, ist heute noch vorhanden. Es führt hinaus an die Bergabhänge, welche am südlichen Donauufer sich hinziehen. In ihnen finden sich schluchtenartige Einschnitte und, wenn sie damals so reich mit Niederholz bewachsen waren wie noch vor einigen Jahren, hatte Wehe gar nicht nötig, sich eine Höhle zu graben. Das Terrain bot wenigstens für kurze Zeit von Natur schon Schlupfwinkel genug. Nach Thoman und Holzwart soll er noch einen Versuch gemacht haben loszukommen, dadurch daß er seinen Häschern 200 fl. als Lösegeld geboten habe, die er bei sich führte, und 600 fl. dazu, die sich in seinem Tische finden sollten. Allein vorausgesetzt auch, daß Wehe in der That 800 fl. besessen hätte, so konnte er sich doch unmöglich der Hoffnung hingeben, daß man gerade ihn gegen dieses Geld freilassen würde, musste vielmehr von vorne herein als wahrscheinlich annehmen, daß man sich sowohl seiner Person als seines Geldes bemächtigen würde.

Wir übergehen nun, was in Leipheim selbst weiter erfolgte, die über die Stadt beschlossene, aber doch noch abgewendete Plünderung und die weitere Bestrafung der Stadt und beschäftigen uns nur noch mit dem Schicksale Wehes. Derselbe wurde bei Bubesheim nebst anderen Gefangenen vor den Truchseß geführt, um von ihm gerichtet zu werden. Das Urteil lautete auf den Tod durch das Schwert. Mit Wehe wurden noch einige Gefangene gerichtet; der mitgefangene Pfarrer von Günzburg wurde, nachdem er längere Zeit mit dem Truchsessen hin und hergeführt worden war, um 70 fl., desgleichen mit dem Verlust seiner Pfarrei gestraft, wozu noch das Verbot kam, im Augs­burger, Konstanzer und Speierer Bistum zu predigen.

Unter den Gefangenen, welche zum Tod verurteilt wurden, befand sich Jörg Ebner, genannt der Bayer. An diesen wandte sich nach Thoman der Truchseß zunächst. Derselbe leugnete entschieden alles, dessen man ihn schuld gab, und behauptete, er habe nie etwas Böses gethan; aber der Bürgermeister Diepold Schwarz von Weissenhorn hielt dem Bayer ein Stück nach dem andern vor und fragte ihn jedesmal: Ist dem also, wie ich gesagt habe? Da bekannte er alle seine Handlungen ein Stück naeh dem andern.

Die Hinrichtung Wehes erzählt Thoman in ziemlich kühler Weise. Dem Manne ist recht geschehen, diesen Gedanken liest man fortwährend aus seiner Darstellung heraus und sogar des Hohnes kann er sich in derselben nicht enthalten, wenn er sagt: „Er ist da nit so kien gewesen, als da er predigt hat und die leyt vertiert“ (Baumann S. 84). Anders die Darstellung beim Schreiber des Truchsessen, der wahrscheinlich der nämliche Kaplan ist, welcher bei der Hinrichtung den Wehe zur Beichte ermahnte. Wir geben seine Darstellung wörtlich (Baumann S. 552 ff.):

„Als man den pfarrer ausfueren und richten wollte, sagt Herr Georg: „Pfarrer, darvor weren ir euch und uns wol gewessen, heten ir das wort gottes, wie euch gezimbt, und den friden gebrediget, derften ir nit in der not sein, weren wol sicher voi’ mir“. Darauf antwort er: „Gnaediger Herr, mir geschieht unrecht, ich hab nichts aufrieriges geprediget, sonder das goettlich wort“. Sprach der truchseß: „Ich hab vil anders erfaren, weren ir ein evangelish man, ir heten den leuten das ir nit helfen entfueren und nemmen, darum richten eur sach zue gott.“ Und richtet man die redlinfuerer am ersten und den pfarrer am letzten. Alß er nun in den ring käme, fragt ine herr Georgen kaplan, ob er beichten wolte sagt er „Nein“ und dabey: „Lieb herren, ich bit euch, daß ir euch ob mir nit engeren wolten, daß ich nit beicht, dann ich hab gott, meinem himmlischen Vatter gebeicht, der mein herz baß, dann niemants anderer, erkent“, und vor dem, ehe man anfleng richten, troestet der pfarrer seine underthonen und sprach: „Seyet getroest, dann heut wollen wür bein ainondern sein im paradeys“, huebe also seine äugen auf und sprach: „Grossmaechtiger gott, ich sag dir lob und dank, daß ich umb deines göttlichen worts willen sterben soll, und du mich auß diesem Jammertal zue dir nemen wilt, nit um das gottswort, aber umb der aufrur willen.“ Darnach hueb er an einen lateinishen psalmen zu betten : „In te domine speravi“ und sprach: „Vatter vergib inen, dann si nit. wissen, waß sie thuen, nicht darumb, daß ich so gerecht welle sein, sonder ir unwuessen halb.“ In dem fueret ine der maister auf den platz, kniet nider und sprach: „Vatter in deine hend beveiche ich meinen gaist“ und ward also gericht.“

So weit der Schreiber des Truchsessen. Die Darstellung ist einfach, aber tief ergreifend. So, muß man sagen, stirbt nur ein überzeugungstreuer, frommer Christ und dieses Ende muß man anschauen, wenn man ein schließliches unparteiisches Urteil über Wehe fällen will.

Das freilich muß zugestanden werden, daß die vorhandenen Quellen bezeugen, er habe sich bei den aufständischen Bauern aufgehalten und sei mit ihnen gezogen, und wenn dies auf Wahrheit beruht, so soll es in keiner Weise in Schutz genommen werden. Doch muss man bedenken, daß nur katholische Quellen davon berichten und daß unter diesen namentlich die Weissenhorner Historie sich als keineswegs unparteiisch beweist.

Ist Wehe aber wirklich mit dem Bauernhaufen gezogen, dann hat er es sicher nicht gethan, um Rebellion zu predigen. Angesichts des gewissen Todes, dem gegenüber er sich als einen entschiedenen Christen beweist, versichert er seinem Richter: „Herr, mir geschieht unrecht, ich habe nichts aufrieriges gepredigt sondern das göttliche Wort.“ (Baumann S. 553).

Während Thoman von Wehes Mitangeklagten Jörg Ebner erzählt, er habe seine Schuld bekennen müssen, da ihm der Bürgermeister Schwarz als Zeuge gegenüber gestellt worden sei, weiß er von Wehe nichts derartiges zu berichten. Dagegen bezeugt der Schreiber des Truchsessen mit offenbarer Teilnahme seine Standhaftigkeit bis in den Tod.

Es ist auch bemerkenswert, dass wir von einem geordneten Verfahren gegen Wehe gar nichts lesen, daß von Zeugen, die man ihm gegenübergestellt, gar nichts erwähnt wird. Der Truchseß hat ihn nach seiner Gefangennehmung in kürzester Frist hinrichten lassen, nachdem er „von‘ ihm viel anders erfahren“.

Um Aufruhr war es dem Manne sicher nicht zu thun; noch weniger war er geleitet von gemeiner Gewinnsucht. Was lesen wir in dieser Hinsicht in den Quellen? Indem Thoman von dem Zuge nach Weißenhorn berichtet, weiß er doch eigentlich von Wehe nichts weiter anzuführen, als daß er sich zu Attenhofen im Pfarrhause ein „geschmalztes Brot“ bereiten liess, während er den Befehl alles im Pfarrhause hinwegzutragen und dieses niederzuwerfen selbst widerrufen haben, soll. Freilich läßt Thoman seiner Erzählung über Wehes Gefangennahme die Bemerkung folgen: „Auf das, so er soll 800 fl. gehabt haben, muß man seine Frömmigkeit spüren, wie er so treulich mit der Bauern Schatz umgegangen ist, angesehen, daß er nicht ein Jahr zuvor gar nichts gehabt hat, außer daß er große Schulden machte. Der hat recht brüderliche Liebe gehabt.“ (Baumann S. 83.)

Indessen immer wieder vorausgesetzt, daß Wehe wirklich den Bauern sich angeschlossen und daß wirklich 800 fl. bei ihm gefunden wurden, so ist ja höchst wahrscheinlich, daß man ihm von seifen der Bauern die Verwaltung der gemeinschaft­lichen Gelder anvertraut hatte, die dann naturgemäß in seinem Hause deponiert waren, und es braucht sich dabei durchaus nicht um geraubtes Gut zu handeln; denn es ist doch wohl anzunehmen, daß das auf dem Zuge nach Weißenborn geraubte Bargeld von den Einzelnen in der eigenen Tasche behalten wurde; man muß vielmehr an die regelmäßigen Beiträge zur gemeinschaftlichen Kasse denken, welche von den einzelnen Bundesgliedern zu zahlen waren, wovon auch Thoman selbst erzählt. (Baumann S. 63.)

Also Aufruhr zu predigen, sich mit unrechtem Gute zu bereichern, das war nach unserer Ansicht keineswegs der Grund, der Wehe in das Lager der Bauern trieb. Was aber dann? Wir können darüber nur Vermutungen aufstellen. Jedenfalls haben verschiedene Beweggründe zusammengewirkt. Wir müssen uns daran erinnern, dass dem Wehe die Stadt Leipheim auf Betrieb des Bischofs Stadion und des schwäbischen Bundes verboten, daß ihm die Pfarramtsführung abgenommen und er genötigt war, die Stadt zu verlassen. Wenn man nun vielleicht um der schon früher (S. 149 f.) geschilderten Verhältnisse willen im Anfänge milde gegen Wehe auftrat, so änderte sich das ganz gewiß, wenn etwa Wehe, ähnlich wie Luther, nach Beginn der Bauernbewegung den damals wirklich schwei­gedrückten Bauern Wohlwollen entgegenbrachte und ihre Forderungen, wenn auch ohne aufrührerische Absicht, vertrat, was bei seiner milden Gemütsrichtung sehr wahrscheinlich ist. Geächtet war er bereits, wer weiß, ob er nicht im Anschluß an die Bauern das letzte Mittel zu erkennen glaubte, sein Leben und seine Freiheit zu sichern, welche durch seinen bisherigen Eifer um die neue Lehre gefährdet waren. Auch konnte er wohl meinen, er würde durch seine Beteiligung an der Bauernsache manches Schlimme abwehren, mancher Roheit und Gewaltthat steuern, wie sich ja sogar bei Thoman Anhalts­punkte für diese Meinung finden. Man kann das z. B. recht gut herauslesen aus Thomans Darstellung von der Verschonung des Attenhofer Pfarrhofes, der eingerissen werden sollte; auch spricht dafür der Umstand, daß beim Erscheinen der Bauern vor Weissenhorn (hier erwähnt Thoman ausdrücklich die An­wesenheit Wehes) diese zunächst nur begehrten „sie einzulassen und ihnen Essen und Trinken um ihren Pfennig zu geben“. (Baumann S. 72.)

Aber welches auch immer die Beweggründe Wehes gewesen sein mögen, wir müssen doch sagen: Hat er sich wirklich der Bauernbewegung irgendwie thätig angeschlossen, so können wir das nicht gut heissen. Luther hat es bei all seiner Teil­nahme für das gedrückte Volk doch anders gemacht. Wenn unser Wehe es dem grossen Reformator nicht gleich gethan, wenn er sich in die Bauernbewegung mit eingelassen hat, so hat er dann für sein Vergehen schwer gebüsst. Zu einem gemeinen habsüchtigen Rebellen aber, als welchen Thoman ihn darstellt, wollen wir ihn doch nicht stempeln lassen und den Christenmut, den er angesichts des Todes bewiesen, die Standhaftigkeit, die er auf der Richtstätte noch an den Tag gelegt, wollen wir doch anerkennen, auch wenn ein trüber Schatten aus Seinem Leben nicht zu entfernen sein sollte.

Es ist eine eigentümliche Fügung, daß Luther und Wehe auf Einem Gedenksteine bei einander stehen. Auf dem Wege zwischen Leipheim und Bubesheim, dort, wo die Hinrichtung Wehes stattgefunden haben soll, hat am Lutherjubiläum 1883 die Gemeinde Leipheim beiden ein gemeinsames Denkmal errichtet. Es besteht aus einem einfachen Stein, der auf der einen Seite die Inschrift trägt: „Gestiftet an Dr. Martin Luthers 400. Geburtsfeste von der Gemeinde Leipheim, 10. November 1883“; auf der andern Seite die Worte: „Zum Andenken an Hans Jakob Wehe, ersten luth. Pfarrer in Leipheim, † 5. April 1525“.

Als man im Jahre 1883 diesen Gedenkstein setzte, wußte man allem Anscheine nach in Leipheim nichts davon, daß auf Wehe der Verdacht thätiger Teilnahme am Bauernkriege ruht. Man hat diesen Stein einfach dem Andenken des ersten luth. Pfarrers von Leipheim geweiht und dem Gefühle des Dankes dafür Ausdruck geben wollen, daß Wehe der Bahnbrecher für die reformatorische Lehre in Leipheim war und als solcher sich unbestritten Verdienste erworben hat. Es ist sein Leben nicht über jeden Verdacht eines trüben Schattens erhaben. Wir müssen das bedauern, werden aber allezeit der Wahrheit die Ehre geben und wirkliche Fehler, die Wehe etwa begangen, niemals beschönigen, aber auch seiner Thätigkeit, soweit sie eine segensreiche gewesen ist, ein dankbares Gedächtnis bewahren.

Beiträge zur bayerischen Kirchengeschichte, herausgegeben von D. Theodor Kolde, Band 2, Heft 4, Erlangen 1896, Verlag von Fr. Junge, S. 145-159.


[1] Vgl. zu folgendem Keim, Die Reformation der Reichsstadt Ulm. Stuttgart 1851.

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