Von der überdrüssigen Ewigkeit
Von Peter Noll (1926-1982)
Die beste Analyse von Ewigkeitsvorstellungen ist leider in meiner Sammlung nicht enthalten, doch habe ich das Märchen von Kindheit her im Gedächtnis.
Ein reicher Mann und ein armer Mann kommen gleichzeitig in den Himmel. Petrus lässt sie ein und erklärt ihnen, dass jetzt alle ihre Wünsche in Erfüllung gehen würden, doch müssten sie sie ihm genau beschreiben. Der reiche Mann wünschte sich ein großes Schloss mit einem riesigen Park, einem See davor, eine große Dienerschaft, täglich gutes Essen usw.; der arme Mann wünschte sich, für immer vor dem Angesicht Gottes zu sitzen. Beider Wünsche gingen in Erfüllung. Schon nach wenigen Jahren wurde der reiche Mann seines «ewigen» Lebens überdrüssig; immer dasselbe, und am Rande seines großen Besitztums das Nichts. Er quälte sich, versuchte sich abzulenken, kam sich vor wie ein Gefangener, stieg eines Tages in den Dachstock des Hauses, öffnete dort ein Dachfensterchen und sah einen kleinen Schimmer, der vom Antlitz Gottes ausstrahlte. Von nun an verbrachte er, Tag und Nacht mühsam auf einem hohen Stuhl stehend, seine Ewigkeit an dem Fensterchen, alles übrige war ihm verleidet. Schließlich sagte ihm Gott, dass er, der reiche Mann, nun lange genug gelitten habe und ebenfalls eintreten dürfe zu ihm, vor das Angesicht Gottes. Da war der reiche Mann endlich erlöst.
Das Märchen muss, da es eine Art Gleichnis für das Fegefeuer ist, von einem katholischen Geist erfunden worden sein. Doch enthält es zugleich die metaphysische Antwort auf die Frage nach der konkreten Ewigkeit. Jede Ewigkeit wird zur Hölle, wenn sie aus konkreten Details besteht. Da helfen auch Vorstellungen wie ewige Jugend und dergleichen nichts. Es sei denn, man gehe zugleich von der Annahme aus, der körperliche Mensch könne in der Ewigkeit sich ständigem Wechsel, immer neuen Überraschungen und nie der Gewöhnung unterziehen. Da sind wir dann bei den echten Märchen.
Peter Noll, Diktate über Sterben und Tod, Zürich: pendo, 1984, S. 224f.