Wie ein Theologe den Doktor der Philosophie (Dr. phil./PhD) beförderte. Friedrich Schleiermachers Gutachten über akademische Würden von 1810

Immanuel Kant war nie Doktor der Philosophie, sondern (nur) Magister Artium. bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts war der Doktorgrad als höchster Grad nur den drei oberen Fakultäten (Theologie, Jurisprudenz, Medizin) vorbehalten und setzte den Magistergrad der unteren Fakultät voraus. Erst in der 1809 neu gegründeten Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin wurde in der philosophischen Fakultät der Grad des Dr. phil. verliehen, der dann weltweit exportiert und in den USA als PhD reüssierte. Maßgeblich für die Einführung des Dr. phil. war folgendes Gutachten des Theologie Friedrich Daniel Ernst Schleiermachers:

Professor Schleiermachers Gutachten über akademische Würden, der Einrichtungs­commission vorgelegt am 24. October 1810

Um die akademischen Würden dagegen zu sichern, daß sie nicht früher oder später in Verfall kommen, muß man zuvörderst nicht genöthigt sein, an ein mäßiges oder angehendes Ver­dienst gleich die höchste hinzugeben. Darum wird es gut sein, soviel möglich in allen Facul­täten zwei Grade zu errichten. Nur in der medicinischen muß es, so lange der Titel eines Doctors für die Praxis ein nothwendiges Erforderniß ist, da sich über diesen kein höherer ertheilen läßt, beim alten bleiben. In Absicht der übrigen ist folgendes beliebt worden:

Die philosophische Facultät ertheilt zwei Grade, den eines M. A. und den eines Doctors.

Der erste ist die allgemeine Basis aller akademischen Grade und es kann keiner erworben werden, ohne daß er vorangegangen. Er bekundet denjenigen Grad von Bildung in den all­gemeinen Wissenschaften, welchen jeder bedarf, der in einem besonderen Felde etwas leisten will. Er wird erworben zuerst durch eine Prüfung, bei welcher außer der allgemeinen Philo­sophie auch auf alte Sprachen, Mathematik, Naturwissenschaft und Geschichte jedoch nur im Allgemeinen Rüksicht ge­nommen wird. Auf das Examen folgt eine öffentliche Dis­putation, welche jedoch über von der Fa­cultät gebilligte Theses gehalten werden kann. Hier­auf wird, wenn das Urtheil günstig ausfällt, der Candidat in dem Conseß der Facultät zum M. procla­mirt und das Diplom am schwarzen Brett ange­schlagen. Will ein M. A. als Privatdocent in der philosophischen Facultät auftreten, so hat er noch die in den andern Facultäten für die Licen­tiaten vorgeschriebenen öffentlichen Vorlesungen aus dem Gebiete der Wissenschaft über die er lesen will, zu halten.

Wer Doctor in der philosophischen Facultät werden will, muß eine lateinische Dissertation ein­reichen aus dem Gebiete derjenigen Wissenschaft, der er sich besonders widmen will. Wenn diese nicht verworfen wird, folgt das Examen, welches sich auf dasselbe wissenschaft­liche Gebiet und auf [222] die Philosophie, insofern sie die Principien dazu enthält, be­schränkt. Nach der Prüfung fällt die Facultät ihr Urtheil, und wenn es günstig ausfällt, wird die Dissertation öffentlich sine praeside vertheidigt und darauf der Candidat öffentlich und feierlich proclamirt.

Bei beiden Disput, dürfen die ordentlichen Opponenten nur solche sein, welche den gesuchten Grad schon haben, wobei natürlich alle Professoren als Doctoren angesehen werden.

Da bei den Prüfungen nicht alle Facultätsmitglieder nöthig haben, zugegen zu sein, so hat der Decan das Recht, zu deputiren. Er selbst ist immer gegenwärtig, jedoch ist nicht nothwendig, daß er jedesmal selbst examinire.

Die theologische und juridische Facultät ertheilen zwei Grade, den eines Licentiaten und den eines Doctoris. Nur ein M. A. kann Licentiat werden. Man wird es durch ein Examen der Facultät, Disputation über Theses und einige öffentliche Vorlesungen über einen aufgegebe­nen Gegenstand, von denen die erste oder lezte lateinisch muß gehalten werden. Bei der Dis­putation präsidirt der Decan und die Opponenten müssen wenigstens M. sein. Die Würde selbst wird ertheilt durch eine Proclamation im Conseß der Facultät und Anschlag derselben am schwarzen Brett.

Nur ein Licentiat darf Privatvorlesungen über Facultäts-Wissenschaften halten. Auf anderen Universitäten creirte Dr. oder Licentiaten nostrificiren sich zu diesem Behufe allein durch die öffent­lichen Vorlesungen.

Um als Doctor zu promoviren, muß zuerst eine lat. Dissertation eingeschikt werden. Ueber diese wird von allen Facultätsmitgliedern schriftlich votirt, ob der Candidat zum Examen zuläßig sei. Hierauf folgt das Examen und die Disputation, bei welcher nur Dr. oder Licen­tiaten opponiren dürfen. Der Doctorand respondirt selbst sine praeside. Wenn er Professor designatus ist, steht ihm frei, einen Respondenten aus den Studiosen zu wählen. Der Decan verrichtet hierauf die Promotion.

Außer dieser gewöhnlichen Weise können sowol diese beiden als die philosophische Facultät die Doctorwürde auch durch ein bloßes Diplom ertheilen, wobei aber folgendes festgesezt wird.

Der Antrag dazu muß durch 2 Fac.-Glieder oder durch eines, und 2 auswärtige Doctores ge­schehen. Demselben muß ein gelehrtes in die Fac.-Wiss. einschlagendes Werk des Doctoran­di bei­gelegt sein, welches jedoch nicht grade lateinisch abgefaßt sein muß. Ueber dieses wird ebenso wie über die eingeschikte Dissertation schriftlich votirt. Wenn alle Facultäts-Mitglie­der einstimmig urtheilen, daß es ein eigenthümliches Verdienst habe und von dem Vf. zu erwarten sei, daß er sich noch mehrere erwerben werde, so wird das Diplom mit Bezugneh­mung auf dieses Werk ertheilt. Eine solche Promotion wird der anderen völlig gleichge­schätzt, geschieht aber allemal gratis und findet nur für Abwesende Statt.

Was die Gebühr betrifft, so ist beliebt, daß alle Facultäts-Mitglieder daran Theil nehmen, jedoch auf folgende Weise.

1. Bei der philosophischen Facultät werden alle während eines Decanats einkommende Gebühren gesammelt, der Decan nimmt einen bestimmten Theil (den 6. etwa) voraus und alles Uebrige wird gleich vertheilt.

2. Bei der theologischen, juridischen und medicinischen nimmt jedesmal der Decan einen be­stimmten Antheil voraus. Das übrige wird in 5 Theile getheilt, von denen die 4 ältesten jeder einen erhalten, und das Uebrige unter die Uebrigen getheilt wird.

Quelle: Rudolf Köpke, Die Gründung der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, Berlin 1860, S. 221f.

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