Von Willem Eicke den Hertog
VORBEMERKUNG
Die vorliegend veröffentlichte Predigt ist merkwürdig sowohl hinsichtlich des Predigers, von dem sie gehalten, als auch des Ortes an dem sie gehalten, als auch der Gemeinde, vor der sie gehalten wurde.
Der Prediger, ein jüngerer holländischer Pfarrer, war um seiner freimütigen Verkündigung der Osterbotschaft willen in seiner niederländischen Heimat von der Gestapo verhaftet und eines Tages nach Dachau verschleppt worden, wo es des Eingreifens der 7. amerikanischen Armee bedurfte, um ihn aus deren Hetzen zu befreien.
Der Ort, an dem sie gehalten wurde, war die sogenannte Kapelle des Blockes 26. Seit Ende des Jahres 1940 diente die erste Stube des Pfarrerblockes unter dieser euphemistischen Bezeichnung als Gottesdienstraum für die gefangenen Geistlichen beider Konfessionen. Diese hatten Zutritt, aber auch nur sie; den übrigen Häftlingen war nicht nur der Besuch der Gottesdienste streng verboten: schon das Betreten des Pfarrerblockes, geschweige der Kapelle zog empfindliche Strafen nach sich. Eine wachsende Anzahl von Gefangenen ließ sich aber auch durch die schwersten Drohungen den Weg zur Kapelle nicht verlegen. Verstohlen nahmen die Ärmsten, meist in wenig feierliche Lumpen gehüllt, an dem Gottesdienst teil. So bildeten sie mit den Geistlichen zusammen eine Gemeinde, die für die Verkündigung des Evangeliums vielleicht aufgeschlossener war als so manche in großen Kathedralen und Domen versammelte Zuhörerschaft.
Pastor den H e r t o g s Osterpredigt wurde am Abend des Ostermontags 1944 gehalten. Sie machte auf die Hörer einen gewaltigen Eindruck, der in den Tagebuchblättern des Häftlings Nr. 16921 näher geschildert ist. Diese Aufzeichnungen werden demnächst im NEU BAU-VERLAG MÜNCHEN veröffentlicht und dem Leser in dem zweibändigen Werke von K. A. Groß: „2000 Tage Dachau“ und „5 Minuten vor 12“ zugänglich gemacht.
Möchte der markerschütternde Ernst dieser Botschaft wie die sieghafte Freude, die sie vermittelt, zu einem Kraftstrom werden, der in dieser Osterzeit in vielen Lesern die Not der Tage, die Schuld ihres Lebens und die Angst vor dem Todesgericht hinwegspült.
Der Herausgeber.
UND GOTT LACHT . . .
Ostern 1944
Johannes 20: 11-18.
Maria aber stand vor dem Grabe und weinte draußen. Als sie nun weinte, guckte sie in das Grab und sieht zwei Engel in weißen Kleidern sitzen, einen zu den Häupten und den anderen zu den Füßen, da sie den Leichnam Jesu hingelegt hatten. Und diese sprachen zu ihr: Weib, was weinst du? Sie spricht zu ihnen: Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hin gelegt haben. Und als sie das sagte, wandte sie sch zurück und sieht Jesum stehen und weiß nicht, daß es Jesus ist. Spricht Jesus zu ihr: Weib, was weinest du? Wen suchst du? Sie meint, es sei der Gärtner, und spricht zu ihm: Herr, hast du ihn weggetragen, sage mir, wo hast du ihn hingelegt, so will ich ihn holen. Spricht Jesus zu ihr: Maria! Da wandte sie sich um und spricht zu ihm: Rabbuni (das heißt: Meister)! Spricht Jesus zu ihr: Rühre mich nicht an! denn ich bin noch nicht auf gefahren zu meinem Vater. Gehe aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott. Maria Magdalena kommt und verkündigt den Jüngern: Ich habe den Herrn gesehen, und solches hat er mir gesagt.
Ostermorgen.
Morgen der Freude! Morgen des neuen lachenden Lebens! Und doch sind wir schon längst daran gewöhnt, Ostern zu feiern, als ob die Osterfreude eine Selbstverständlichkeit wäre. Ostern wurde gleichgeschaltet in das Auf und Nieder unseres Daseins, in die Lüste und Schmerzen unseres Lebens. Ein Fest, das wir von uns aus feiern, vielleicht fromm und andächtig, aber ohne Ahnung von dieser alles umstürzenden Bewegtheit, die Kennzeichen ist des Osterfestes, das Gott mit uns feiern will. So wurde Ostern eine Illusion. Wir Menschen sind so elastisch, daß wir im schwärzesten Dunkel doch auf das Licht hoffen! Unser K.Z. hat es oft genug gezeigt. Ostern ist für viele schöner Optimismus, das Leben ist ja nicht so schlimm. Das Leid der Welt wird durch Freude kompensiert. Weinen und Lachen hat seine Zeit, hat der Prediger schon gesagt.
Aber was wissen wir schon von Ostern, wenn wir nicht hören, wie Gott von sich aus den Ostermorgen gegeben hat als die größte Überraschung denen, die nichts mehr hofften und erwarteten. Wenn wir nicht sehen, wie Gott von sidi aus seine Herrlichkeit offenbart hat in einer verlorenen, untergehenden Welt. Wie gerade am Ende unserer Möglichkeiten diese neue Möglichkeit Gottes sich Bahn bricht, die uns in der Auferstehung des Herrn Jesu Christi gegeben ist.
Wie anders als wir denken, fängt der Ostermorgen im Evangelium an. Maria Magdalena steht am Grabe. Gebrochen unter dem schweren Leid, unter der Furchtbarkeit dieses ersten Tages der Woche. So war dieser Morgen für alle, die Anteil hatten an dem Leiden und Sterben des Herrn, für die Jünger, für die Frauen der Anfang eines Schreckenstages, einer dies irae. Ein Anlaß zum Klagen und Weinen.
Am ersten Tag war der Herr ermordet worden. Die Erde erbebte, die Felsen zerrissen. Das Ende aller Dinge schien nahe.
Am zweiten Tage war es Sabbath. Gott ruhte von seinen Werken. Eine kurze Pause, eine kurze Aufschubfrist.
Und dann kommt der dritte Tag. Nun wird endgültig entschieden werden!
Gott muß sich jetzt spüren lassen. Schwarze Drohung liegt über dem dritten Tag. Die Welt fängt aufs neue an. Aber wie sieht diese Welt aus? Eine Welt ohne Gott. Eine Welt ohne Christus. Eine Welt in der hoffnungslosen Finsternis. Hören wir nicht, wie die beiden Jünger auf dem Wege nach Emmaus sagten: „Wir hofften, er sollte Israel erlösen. Und über das alles ist heute der dritte Tag!“
Der dritte Tag! Der Tag des Weinens! Er würde für uns alle gewesen sein, wie er für Esau war: Wir würden keinen Raum zur Buße finden, wiewohl wir ihn mit Tränen suchten. Tief erschüttert sieht Paulus in diese Möglichkeit hinein. „Wenn Christus nicht auferstanden wäre“ — sagt er zu den Korinthern — „wäre unsere Predigt vergeblich, wäre auch euer Glaube vergeblich!“ Das ganze Leben würde vergeblich sein: ohne Sinn, ohne Zweck …
Konnten die Jünger von sich auch etwas anderes erwarten?
Jedenfalls wußten sie, daß mit ihrem Herrn ihre letzte Hoffnung, ihre letzte Möglichkeit gestorben war. Judas hat den dritten Tag nicht tragen können, aber wie würde es dem Petrus und den anderen gegangen sein, wenn Christus nicht auferstanden wäre?
Was das Leben ohne den auferstandenen, lebendigen Christus wäre, zeigt uns die weinende Maria am Ostermorgen. „Sie stand vor dem Grabe, und weinte draußen.“
Der dritte Tag war für sie die letzte Möglichkeit den Herrn zu sehen, ihre besten Gaben dem Herrn zu geben. Sie kommt zum Grabe mit ihren Spezereien, aber auch mit der Totalität ihres ganzen, liebenden, hoffenden, glaubenden Lebens für den toten Herrn. Und dann ist das Grab leer, die letzte Möglichkeit verschwunden. Maria kommt zu spät. Schreckliche Entdeckung des dritten Tages! Wir kommen zu spät!
Wie hat Maria den Herrn geliebt! Er hat sie befreit aus der Macht der Dämonen. Sie folgte ihm nach bis auf Golgatha. Ihre Liebe treibt sie zum Grabe und läßt sich durch den Tod nicht abschrecken. Ihre Liebe ringt um den Herrn. Ihre Liebe, stärker als der Tod. Und doch Liebe, vom Tode beherrscht. Liebe, die nur mit einem toten Herrn rechnet. Liebe, die nur weiß, der Herr ist im Grabe!
Liebe, die eigentlich nur treue Dienerin des Todes ist. Kann unsere Liebe von uns aus anderes als tote Liebe sein? Unser Leben ist von der Krippe bis zum Grabe ein fortwährendes Sterben. Wir können die Liebe loben als das Höchste und Schönste auf Erden, —freilich ist sie das — aber wie grausam ist die Entdeckung des dritten Tages: sie kommt zu spät. Sie kann nur da sein, um vom Tode gefressen zu werden. Das leere Grab gähnt ihr entgegen. Und deshalb steht Maria beim Grabe und weint.
Ach wir armen liebenden und hoffenden Menschen! Wir ergreifen den letzten Strohhalm, um nicht zu ertrinken. Was hoffte Maria noch, nachdem ihr Herr gestorben war! Sie möchte Ihm so gerne noch einmal ihre Liebe erweisen. In dieser Hoffnung eilt sie am frühen Morgen zum Grabe. Ihn noch einmal zu sehen, sich Ihm noch einmal ganz zu widmen. Hoffnung schafft Leben. Wie sie sich beeilt! Aber die Hoffnung Marias findet den Tod. Sie kommt zu spät! Das Grab ist leer. Die Hoffnung verflogen. So geht es unseren Hoffnungen. Die Menschen leben und hoffen. Seibt hier, mitten im Totenreich Dachau. Ist es wirklich Leben? Am Ostermorgen kommt die schreckliche Entlassung! Nein, unsere menschliche Hoffnung — auch diese erhabene, daß Jesus der Erlöser Israels sein würde — ist tot. Wir hoffen wie Maria vergebens.
Aber vielleicht kann der Glaube Leben schaffen, wo Liebe und Hoffnung den Tod finden . . . Maria hatte Glauben. Glauben an den Herrn. Sie hat ihr Los in seine Hände gestellt. Er, der sie vom Teufel rettete, verbürgt die Wirklichkeit ihres erlösten Lebens. Aber auch der Glaube kommt zu spät. Was nützt es Maria, daß sie weiß: der Herr hat mich gerettet, wenn der Herr selbst nicht mehr da ist?
Ihr Glaube kann nur Erinnerung sein. Erinnerung, die immer kraftlos wird, bis sie bleich und blutarm stirbt. Glaube, der nur Erinnerung ist! Wir können ihn schmücken mit großen Worten, aber am Ostermorgen wird er gerichtet. Mit diesem Glauben sind wir doch die elendsten unter allen Menschen. Und Maria ist das Bild dieses tiefen Elends: Sie steht draußen beim leeren Grabe und weint.
Ja, soll sie nicht weinen? Alles ist tot. Maria weint und will sich nicht trösten lassen, denn es ist aus mit ihr. Maria hat den Herrn gesucht und den Tod gefunden. Die letzte Hülle ist weggerissen. Da liegt das nackte Leben mitten in dem Tod. „Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen.“ Schrecklicher Ostermorgen! Ein für allemal steht fest: wir kommen zu spät.
Zu spät mit unserer Zuwidmung, unserer Frömmigkeit, unserer Religiosität. Was einmal verspielt wurde, bekommen wir nicht wieder. Am Ende aller unserer Möglichkeiten, aller unserer Anstrengungen wartet das leere Grab, der grinsende Tod. So sieht die Welt ohne den lebendigen Christus aus: Da liegen wir noch in unseren Sünden, da sterben wir noch in unserem Elend. Grau und grausam ist der dritte Tag von uns aus. Ein elendes, fürchterliches, tödliches Weinen. Ein Weinen ohne getröstet zu werden. Das Weinen derer, die draußen stehen.
„Maria stand vor dem Grabe und weinte draußen.“
In dieser furchtbaren Lage erreicht uns das Osterevangelium. Gott Lob und Dank; der Ostermorgen bedeutet für uns nicht das Ende, weil Gott selbst von sich aus die große Wende eingeleitet hat. Und wir sollen heute hören, wie es von der anderen Seite herkommt: Mächtig, herrlich, wunderbar.
Was geschah eigentlich am ersten Tag? Alle Feinde Gottes haben sich empört und versammelt wider den Herrn und seinen Christus: Herodes und Pilatus mit den Heiden und dem Volke Israel. Alle Feinde Gottes: Sünde, Teufel und Tod haben sich zusammengeschlossen, den Herrn Christus zu besiegen. Aber am dritten Tag geht in Erfüllung das andere Psalmwon: „DER IM HIMMEL WOHNET, LACHT!“
Ostermorgen. Morgen des Lachens! Gottes Lachen über seine Feinde, Gottes Lachen über unsere grauenhafte Welt, Gottes Lachen über Tod und Todesschrecken, aber auch Gottes Lachen über Maria Magdalena, die draußen steht und weint.
Hört sie es nicht, sieht sie es nicht?
„Sie guckte in das Grab und sah die Engel.“ Hat sie die Engel wirklich gesehen? Nein: sie sieht ja nur den Tod. Liebe ist blind, sagen wir. Diese weinende Maria ist tatsächlich blind. Sie sieht sich selbst in ihrem Elend und Tod, sie sieht das leere Grab und sonst nichts. Und doch ist Gottes Lachen da. Die Engel sitzen im Grabe als Zeugen des Sieges Jesu Christi. Das Grab ist nicht leer, sondern erfüllt von Gottes Herrlichkeit. Hier ist nicht der Tod Herr, hier waltet die starke Freude Gottes. Aber Maria sieht nicht, wie die frohe Botschaft Gottes ihr entgegeneilt aus dem Grabe, wie hell es ist im Reich des Todes, wie Gottes Lachen ihr entgegenklingt in der Frage: „Weib, was weinest du?“. Maria ist taub und blind. Sie hört allein das Klopfen ihres Herzens: „Zu spät, zu spät!“ Sie sieht allein die Trostlosigkeit des verlorenen Tages. „Sie haben meinen Herrn weggenommen und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben,“
„Meinen Herrn“, sagt sie. Mit beiden Händen, mit ihrer ganzen Existenz klammert sie sich fest an ihren Herrn. Mit ihrer ganzen dem Tode gehörenden Existenz versucht sie, den Herrn im Grabe zu halten. Sie fordert den Herrn für sich auf, sie will mit Ihm handeln nach ihren Gedanken, sie will über Ihn herrschen. Aber der im Himmel wohnt, lacht. Soll Er nicht lachen? Wenn Sünde, Teufel und Tod zusammen den Herrn nicht im Grabe halten konnten» was kann denn diese Maria? Diese eine schwache Frau? Sie kann nur weinen! Aber ihr Weinen kann Gottes Lachen nicht übertönen.
Maria ist wieder draußen. Da sieht sie Jesus. Sieht sie Jesus wirklich? Nein, sie weiß nicht, daß es Jesus ist. Sie meint, es sei der Gärtner. Die weinende Maria bleibt blind und taub. So viel Macht hat der Tod über sie. Wieviel Mühe und Sorgen des Todes will sie auf sich nehmen! Wo ihr toter Herr sich auch befindet, sie will Ihn holen.
Und doch: Gottes Lachen kommt näher und näher. „Weib, was weinest du? Wen suchst du?“ So spricht Jesus ihr zu. Und da muß der lebendige Jesus aus Marias Mund vernehmen, wie sie den toten Jesus sucht.
Verloren, wie wir alle, die im Reich des Todes schon gehört haben von Ostern, aber die Kraft der Auferstehung in unserem Leben noch nicht gespürt haben. Die schon wissen, daß Gottes Lachen über diese Todeswelt triumphiert, aber es ist keine Lebenswirklichkeit für uns. Es geht uns wie den Jüngern am Ostertage: „Sie hören die Botschaft wohl, aber sie meinen, Märchen zu hören, und sie glaubten sie nicht.“ Immer wieder suchen wir falsch. Suchen bei uns selbst, obgleich wir mit unserem ganzen Dasein dem Tode gehören, suchen einen toten Herrn. Immer wieder müssen wir entdecken, daß wir enttäuscht zurückkehren und der dritte Tag unseres Lebens ein blindes Weinen ist!
Das Lachen Gottes würde für Maria ein Märchen geblieben sein, wenn der lebendige Herr in seiner Erbarmung dieses verlorene und verirrte Schaf nicht gesucht hätte. Das ist eben die Herrlichkeit des Osterfestes: Gott lacht nicht unser, wie Er seiner Feinde lacht, ein hartes, grimmiges Lachen, sondern Gott lacht das gute und herrliche Lachen des Vaters, der den verlorenen Sohn in seine Arme schließt. Jetzt muß es Maria hören. Denn dieses Lachen kommt auf sie zu, nimmt sie auf und trägt sie fort. Es kommt so nahe, daß es in ihr Herz einzieht, daß es sie loskämpft aus der Umklammerung des Todes, daß es sie in seinen Besitz bringt, so wie sie da steht, draußen und weinend. Jesus spricht zu ihr: „Maria!“. Ein Wort, ein Name, ihr Name, Maria, du elendeste aller Menschen, du Verlorene, wie du bist, mit deinem ganzen gebrochenen Leben, wie du einst das Eigentum warst von sieben Dämonen und jetzt das Eigentum des Todes bist, wie du dich verbunden hast mit meinen Feinden, um mich im Grab zu halten, Maria, die du nur noch weinen kannst, die du blind und taub bist für mich. Maria, so wie du bist, bist du mein Eigentum. O herrliches Lachen des Ostermorgens: „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein!“ Das spricht der Auferstandene, dem alle Macht im Himmel und auf Erden gegeben ist, weil Er der Sieger über Sünde, Teufel und Tod. Er bleibt nicht ferne, Er kommt zu uns, persönlich. Er sucht uns auf und besiegt mit seinem Machtwort unser Weinen, unsere Blindheit, unsere Verstocktheit. „Maria!“ ruft Er. Nichts mehr. Aber es genügt. So ruft Er uns, persönlich, wie wir sind. Nicht schöner und besser. Nicht im sonntäglichen Kleid, wie wir sind im Kleide des Todes, verlorene Sünder, die nichts mehr zu hoffen haben, deren am Ende das gähnende Grab wartet. So sagt Er zu uns: Du bist mein Eigentum im Leben und Sterben. Herrliches Lachen des Ostermorgens! Wenn wir wach werden aus unserem Todesschlaf, steht Er bei uns: der Lebendige. Und das Lachen Gottes geht breit durch Himmel und Erde. Freude über den einen Sünder, der zurückgekehrt ist. Und wir sind verwundert, daß wir so blind und taub waren, daß wir dieses göttliche Lachen nicht früher gehört haben, und daß wir nicht eher gespürt haben, wie am dritten Tage die Sonne der Gerechtigkeit aufgegangen ist.
Jetzt hat Maria es tatsächlich gehört! „Da wandte sie sich um und spricht zu ihm: „Rabbuni!“ Da hat der lebendige Herr ihr den Star gestochen. Nicht der Tod steht vor ihr, sondern das Leben. Sie suchte den toten Herrn, bis der lebendige Herr sie fand. Sie probierte Jesus im Grabe zu halten, bis Jesus sie dem Todesreich entriß. Sie konnte nur weinen, bis Gott anfing zu lachen tief in ihrem Herzen, so daß sie wohl lachen muß: das Lachen Gottes über Himmel und Erde, das Lachen der Engel im leeren Grabe, das Lachen Christi über ihr verlorenes Leben. Und da lacht sie unter Tränen: „Rabbuni! Göttlicher Meister!“
Seliges Wissen: Ich bin geborgen für Zeit und Ewigkeit. Gott hat mir ein Lachen zugerichtet. Heute hat Er mir das Kind seiner Verheißung, den Erstgeborenen von den Toten geschenkt. Gerade als ich meinte, jetzt ist alles aus und gehört alles dem Tode. Aber am Ostermorgen ist es aus mit dem Tode. Königlich steht der Herr auf, und der Tod ist verschlungen in seinem Sieg. Jetzt können wir dem Tod ins Gesicht lachen: „Tod, wo ist dein Stachel?“
Ostermorgen. Morgen des Lachens. Wir dürfen lachen von Gott her. Denn Er hat uns den Sieg gegeben durch Jesus Christus unsern Herrn! Wo wir nur weinen konnten, wächst Gottes Lachen wunderbar. Diese Freude klingt durch in dem einzigen Wort der Maria, in dem immer wiederholten Bekenntnis der Kirche: „Meister!“
Meister, der uns lachen lehrt am dritten Tage. Mitten in unserem Elend und Tod. Frei und unbekümmert lachen. In der Gewißheit seines Sieges. In der Kraft seiner Auferstehung.
Meister. In der völligen Hingabe an Ihn, der es allein weiß und wir wissen es nicht. Der allein das Wort hat, und alle anderen müssen schweigen. Der unser Leben führen wird nach seiner Weisheit, königlich, priesterlich und prophetisch. Königlich, weil Er am Ostermorgen das Regiment über unser Leben gesichert hat wider Hölle und Tod. Priesterlich, weil es sein Osterwerk ist, die Verlorenen zu suchen und für sie einzutreten mit seinem vollbrachten Opfer. Prophetisch, weil Er seine Jüngern lehrt Ostern zu feiern in der überschwenglichen Freude Gottes.
Am Ostermorgen geht in Erfüllung das Wort des Herrn: „Selig seid ihr, die ihr jetzt weinet, denn ihr werdet lachen.“ Wir brauchen nicht mehr draußen zu stehen und zu weinen. Wir dürfen es nicht mehr. Wir können, wir müssen lachen. Wir sind getröstete Menschen, die aus Christi Mund selbst gehört haben: „Du bist mein Eigentum im Leben und Sterben!“ Keiner hat mehr Recht. Durch seine Auferstehung hat der Lebendige sich das Alleinrecht auf unser Leben erworben.
Meister. Das neugeborene Herz springt auf vor Freude. Und doch liegt in diesem Namen auch ein alter, bekannter Klang. Es ist derselbe Jesus von damals, den Maria wiedergefunden hat. Derselbe, der einmal ihr Leben rettete vor den Dämonen, dem sie gefolgt war von Ort zu Ort, bei dessen Kreuz sie gestanden hat. Derselbe Jesus, der gestorben war, ist auferstanden. Und damit erscheint alles Alte in neuem Lichte. Wie schön und herrlich glänzt es überall. Mit Ihm wandeln, mit Ihm sterben, mit Ihm auferstehen! Derselbe Jesus! Ihr Jesus! Wie groß ist die Versuchung — Maria beweist es — alte Rechte auf diesen Jesus geltend zu machen! Alte Rechte, die am Ostermorgen neuen Glanz bekamen. O die Herrlichkeit der Begegnung mit dem auferstandenen Herrn! Maria wollte diesen Augenblick Tür immer festhalten. Sie wollte den Herrn bei sich behalten: Jetzt hab ich Ihn und lasse Ihn nicht mehr los! Ist er doch ihr Herr. Wie Petrus auf dem Berge der Verherrlichung den leuchtenden Herrn für sich behalten möchte, so möchte Maria alles andere vergessen: die Welt, den Tod, das Weinen, und nur lachen in der Seligkeit der Nähe Jesu. Wir verstehen das alles so gut aus dem Verlangen unseres eigenen Herzens!
Aber der Herr weist sie zurück. „Rühre mich nicht an.“ Das heißt: „Halte mich nicht fest.“ Er weiß, wie wir sein Werk hemmen können mit unseren oft gutgemeinten Bewegungen. Aus Liebe zu Ihm versuchte Maria, Ihn im Grabe zu halten, und wurde dabei ungewollt Bundesgenossin des Todes. Aus Liebe zu Ihm versucht sie jetzt Ihn zurückzuhalten, Ihn ganz für sich in Besitz zu nehmen. Was wäre — wenn es ihr gelungen wäre — aus Thomas und Petrus und den anderen Jüngern geworden, was wäre aus der ganzen Kirche Christi geworden, und aus dem Evangelium des Ostermorgens? So blind sind wir aber, daß wir nicht sehen, wie wir selbst immer der Herrlichkeit Gottes im Wege stehen, bis der Herr es uns entdeckt. Nein, Ostern kommt nicht für die eine Hälfte von Gott und für die andere Hälfte von Maria oder von uns her. Mit Maria, mit uns ist es nicht getan, wir bleiben mitten im Tode liegen. Ostern lehrt uns gerade: nicht wir, sondern Christus. Die Freude von Ostern heißt: nicht ich lebe, sondern Christus in mir.
„Halte mich nicht fest.“ Halte mich nicht von meinem Werke zurück. Soll Maria denn wieder weinen müssen?
Weinen über sich selbst, über den Herrn, der sie verlassen will, über die Herrlichkeit, die sie verlieren muß. Aber Maria braucht nicht zu weinen. Ostern ist viel herrlicher noch als sie meint. Sie braucht Ihn nur mit ihr Ostern feiern zu lassen. Christus will Maria ihren Trost nicht nehmen. Er will sie immer mehr trösten. „Denn — sagt Er — Ich bin noch nicht aufgefahren zu meinem Vater.“ Er war gehorsam auf dem Wege seiner Erniedrigung, jetzt wird Er auch gehorsam auf dem Wege seiner Erhöhung. Wie Er vom Vater ausgegangen ist, kehrt Er zu Ihm zurück, um Ihm den erfüllten Auftrag wieder zu geben. Er hat den Sieg davongetragen, jetzt soll Er aus des Vaters Händen die Siegeskrone empfangen. Er soll noch den Platz einnehmen, der Ihm gebührt, zur Rechten des Vaters, wo er in der Fülle des Wortes „Meister“ heißen soll, König der Könige, Herr der Herren, ein Name, der über alle Namen ist.
Die Osterfreude ist nicht das Teilerlebnis einer kleinen Seele, sie hat die Aussicht der ewigen Freude in der Herrlichkeit des Vaters, in der alles umfassenden Glorie unzählbarer Welten. Sie ist nicht gebunden an einen Augenblick, an dich und diese Erde. Die Osterfreude ist allein an den Herrn gebunden, der sie weiterträgt bis zum Vater, wo er sie austeilen kann mit vollen Händen. Davon soll Maria Ihn nicht zurückhalten, vielmehr: sie soll Ihm dabei helfen, denn — sagt Er — „Gehe hin zu meinen Brüdern“.
Für welche Leute ist die Osterbotschaft des Herrn bestimmt? Welche Menschen nennt der Herr seine Brüder? Diese Jünger, die Ihn in der Stunde der Entscheidung alle verlassen haben. Diesen Petrus, der Ihn verleugnete. Diese armen, hoffnungslosen Menschen, die am dritten Tag nur weinen können. Er schämt sich nicht sie Brüder zu heißen. Brüder in seiner Auferstehung. Er, der Erstgeborene von den Toten, aber mit Ihm die vielen, die Er sich erworben hat durch seinen Sieg. Die Osterbotschaft geht aus in diese Welt des Todes, worin wir leben, und wir werden angesprexhen, obgleich wir mit dem Tode umfangen sind, als Brüder des lebendigen Christus. Spüren wir es nicht, wie Er selbst hier in Dachau, in der traurigen Wirklichkeit unseres jetzigen Schattendaseins, in der düsteren Kameradschaft des Todes, uns ruft zu seiner Osterfreude? Wie Er seine Hand auf unsere Schulter legt und sagt: „Meine Brüder“?
Ja, mein Bruder, — sagt Er — du sollst heute Ostern feiern. Denn „Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott“. Damit nimmt der Herr uns, Seine Brüder, die Jünger, Maria, alle zusammen, mit in die Herrlichkeit seines Vaters. Am Ostermorgen erwarb Er sich das Eigentumsrecht auf die Seinen. Er hat das Gefängnis gefangen, und dann fährt Er auf in die Höhe, um seine Gaben den Menschen auszuteilen. Seine Ostergaben. Denn wir bekommen an Ostern den lebendigen Christus zum Bruder, seinen Vater zu unserem Vater, seinen Gott zu unserem Gott. Derselbe Vater, der Christus auferweckt hat von den Toten, wird auch uns auferwecken. Derselbe Gott, der Christi Seele in der Hölle nicht verlassen hat und nicht zugegeben, daß sein Heiliger verwese, tut auch uns den Weg zum Leben kund. Das Lachen Gottes in dem auferstandenen, lebendigen Herrn leuchtet über uns, so daß wir ausrufen: „Vor dir ist Freude die Fülle und lieblich Wesen zu deiner Rechten ewiglich,’“ Unser Leben wird aufgehoben aus dem fürchterlichen Sumpf des Todes. Er wird getragen von Christi Sieg. Durch Ihn ist es recht Leben geworden. Durch Ihn hat es erst wirklich eine Zukunft bekommen. Strahlend liegt es vor uns unter dem erlösenden Lachen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes.
Da sind wir am dritten Tage in einer Welt ohne Gott, ohne Christus, erfüllt von Haß und Neid, von Mord und Totschlag, von des Teufels Geist. Es ist alles zum Weinen, nur zum Weinen. Aber Gott schenkt uns am dritten Tage ein Lachen, so reich, daß wir es immer hören müssen und wieder hören: wie Gott lacht über uns, selig, rettend, herrlich.
Damit werden wir getröstet in Christi Auferstehung, daß Er zu uns gekommen ist quer durch die starke Feindesfront, quer über die Todeslinie, um uns bei unseren Namen zu rufen und sein zu machen. Wir haben einen Herrn, von dessen Liebe niemand und nichts uns scheiden kann. Er hat uns einen Gott und Vater im Himmel gegeben. Wir dürfen aufstehen und zu Ihm gehen. Wir dürfen erwarten, daß Er alle unsere Sünden von Herzen vergibt, daß Er uns krönt mit Gnade und Barmherzigkeit. Wir dürfen zu Ihm beten und wissen, daß Er uns allezeit hört: ein Gott und Vater unser aller.
Christus geht zum Vater, um alle seine Brüder zu sich zu ziehen. Er schickt uns seinen heiligen Geist, um uns täglich zu trösten, um unsere Sehnsucht zum Vaterhaus zu stärken, um uns die Gewißheit zu geben, daß wir Ihm einmal gleich sein werden. Durch Ihn haben wir den heiligen Geist. Wir brauchen nicht liegen zu bleiben in unserer Sünde, in unserem Tod, sondern wir werden erneuert dem inneren Menschen nach von Tag zu Tag, bis wir alles lassen, was uns jetzt noch beschwert, um zu leben in der Fülle der Gemeinschaft Gottes.
Diese trostreiche Osterbotschaft hat der Herr Maria in die Hände gelegt. Sie ist seine Gabe und Aufgabe zugleich. Sie soll nicht allein Trost empfangen, sondern auch spenden. Dieser Trost soll durch die ganze Welt gehen und überall, wo geweint wird oder wo die Zähne zusammengebissen werden, um nicht zu weinen, oder wo gelacht wird, weil man sonst weinen muß, dort überall soll das Lachen Gottes hörbar werden.
Da geht Maria auf leichten Füßen, um es den Jüngern zu sagen. Die Freude hat angefangen, aber sie geht weiter, weiter, bis heute und hier im Lager. Sie stellt sich vor uns hin und sagt zu uns: Hörst du es, Bruder, hörst du es? „Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten. Sie gehen hin und weinen und tragen edlen Samen und kommen mit Freuden, und bringen ihre Garben/* So trägt Maria die Garben ihrer Freude. So dürfen wir die unseren tragen aus der Fülle der Auferstehung Christi. Aus der Kraft und der Gemeinschaft seines Lebens. Aus dem Sieg seines Wortes. Aber — sagst du — Ostern ist mir so ferne, so fremd. Die Wirklichkeit sieht so ganz anders aus. In und um mich sehe ich den Tod. Die Macht des Bösen ist mir eine tägliche Tatsache. Überall, wo ich hinschaue, sehe ich Anlaß zum Weinen. Wie komme ich aus der elenden Lage, worin ich mich befinde? Was kann ich armer Mensch, geworfen in die Fürchterlichkeit meiner fortwährend bedrohten Existenz, anderes als weinen?
Gott sei Dank. Du kannst lachen, weil Gott dir zu lachen gibt. Und wie Er gelacht hat damals bei der Schöpfung über das Werk seiner Hände, da Er sah, daß es gut war, so lacht er am Ostermorgen, als der Herr auferstanden ist. Er sieht, wie er es gemacht hat, und siehe, es ist sehr gut. Wir brauchen uns nur mit dem vollen und herzlichen Ja des Herrn zu unserem Leben abzufinden. Das, was Er getan hat, in Ehrfurcht zu empfangen und Amen dazu sagen. Wenn Gott Ostern mit uns feiert, verschwinden unsere Schwierigkeiten. Da lachen wir unter Tränen.
Ostermorgen. Morgen der Freude. Wir haben es nicht ausgedacht. Wir hätten es auch nicht ausdenken können. Aber Gott hat es ausgedacht und ausgeführt nach seinem ewigen Rat und Wohlgefallen.
Es ist kein Märchen.
Es ist göttliche Tat an unserem geschlagenen Leben. Es ist Gottes Geschenk für uns nach dem Tag unserer Sünde, nach dem Tag seines Zorns, am dritten Tage seiner Erbarmung.
Ja, mein Bruder, heute legt Gott seine Freude dir und mir ins Herz hinein.
Heute lehrt Er uns lachen.
Weil wir am Ostermorgen mit ihm auferstanden sind, weil wir am Ostermorgen seine Brüder wurden und den Vater wiederfanden.
Weil wir am Ostermorgen die Verheißung unserer Heimkehr in die Freude des Vaterhauses bekamen. Weil wir am Ostermorgen mitgenommen sind in den Sieg des Herrn, darum dürfen wir heute den Sieg davontragen.
Tod, Sünde, Welt und mein böses Fleisch, ich lache euer.
Denn am Ostermorgen hat Gott mir ein Lachen zugerichtet. Und ich darf die Freude weitertragen als seine Gabe und Aufgabe in diesem schrecklichen Leben, in dieser tödlichen Welt im K.Z., ja gerade im K.Z., bis einmal alles vorbei ist,
und Gott wird abwischen alle Tränen von unseren Augen,
und der Tod nicht mehr sein wird,
noch Leid, noch Geschrei, noch Schmerz mehr sein wird.
Denn das wird alles vorübergehen.
Nur Gottes Lachen wird bleiben.
Der Anfang und das Ende.
Halleluja! W. E. den Hertog.
Willem Eicke den Hertog, Und Gott lacht … Predigt eines holländischen Pfarrers gehalten am Ostermontag 1944 im Konzentrations-Lager Dachau, München: Neubau-Verlag, [1946].