Jaroslav Hašek, Die Religionsstunde: „Die Kinder von Koroupow wußten von der Religion gerade so viel, dass Gott in seiner unendlichen Güte das Schilfrohr geschaffen habe und nach dem Schilfrohr den Katecheten Horat­schek. Danach lehrte Gott die Menschen, aus dem Schilfrohr Rohrstöcke machen, und den Katecheten Horatschek, die Rohrstöcke ungewöhnlich gewandt gebrauchen …“

Heute vor 100 Jahren ist der tschechische Schriftsteller Jaroslav Hašek, Autor des Romans „Der brave Soldat Schwejk“, verstorben.

Die Religionsstunde

Von Jaroslav Hašek

Die Kinder von Koroupow wußten von der Religion gerade so viel, daß Gott in seiner unendlichen Güte das Schilfrohr geschaffen habe und nach dem Schilfrohr den Katecheten Horat­schek. Danach lehrte Gott die Menschen, aus dem Schilfrohr Rohrstöcke machen, und den Katecheten Horatschek, die Rohrstöcke ungewöhnlich gewandt gebrauchen.

Meistens begann es so, daß der Kaplan Horatschek, nachdem er die Klasse betreten hatte, die zerknirschten Gesichter seiner Schüler ansah und sagte: „Vanitschek, blöder Sklave du, mir will scheinen, daß du die sieben Hauptsünden nicht von rückwärts hersagen kannst.“

Der Katechet Horatschek trieb eine wahre Eskamotage im Fragestellen. Er ließ sie die zehn Gebote Gottes von hinten hersagen oder er fragte: „Ludwig, Halunke, sag schnell, wie lautet das dritte Gebot von hinten, nach dem ‚Du sollst nicht stehlen‘.“ Es war eine Mathematik der Religion und Prügel waren das traurige religionsmathematische Resultat.

Wer aufgerufen war, der Vanitschek oder der Buchar oder der Ludwig, schlich traurig aus der Bank hervor und ging vor das Katheder.

Sie gingen, gebrochen in ihrem Glauben an die unendliche Güte Gottes und überzeugt davon, daß alles unabänderlich sei und daß die Religionsbegriffe nicht im Katechismus enthalten sei­en, sondern in dem Teil der Hosen, auf dem man sitzt.

Es war so einfach und sicher. Man streckte den Hintern aus und ließ sich verwichsen mit dem sausenden Rohrstock und durch die erprobte Hand des Katecheten.

Jeden zweiten Tag gab es die gleichen Szenen. Mit freundlichem Lächeln nahm er einen nach dem andern übers Knie und sagte: „Danket gott, verdammt Knaben, daß ihr hier könnt Prügel haben.“

Eines Tages brachte der Weprtschek aus Ziegenhof die Nachricht, es solle gut sein, wenn man den Rohrstock mit Knoblauch einschmiert. Angeblich schmerze es dann nicht nur nicht so sehr, sondern der Rohrsteck gehe auch nach dem Schlagen entzwei …

Solche verzweifelt optimistischen Gedanken gingen durch ihre Köpfe, und sie faßten so viel Vertrauen zu dem Knoblauch, daß der Kratochvil vor Freude weinte, als sie den Rohrstock einschmierten.

Man könnte es die verzweifelte Hoffnung der Schule von Koroupow nennen, ein trauriges Kapitel verlorener Illusionen.

Der Katechet gab ihnen eine gründliche Erklärung auf ihre Hosen. Dann hielt er ihnen einen Vortrag darüber, daß das, was sie mit dem Knoblauch gemacht haben, ein Betrug war, selbstverständlich ein lächerlicher Betrug, wie sie sich überzeugt hätten. Die Strafe war ganz gerecht. Sie hatten versucht, Gott zu täuschen. Er schilderte ihnen, welche vernichtenden Folgen für ihr ganzes Leben daraus erwachsen könnten. Es war die erste Stufe zum moralischen Verderb und Untergang. Obendrein wette er um seine Seligkeit, daß sie den Knoblauch gestohlen hätten. Und darum verprügele er sie zum zweitenmal. Es sei ganz sicher, er sieht sie schon alle, bis auf den Venouschek, den Sohn des Herrn Direktor, und den Zdenek (die wurden nie geprügelt, Zdeneks Vater war Schulrat) am Galgen hängen.

So flossen traurig die Tage hin, und es nahm kein Ende. Es hatte den Anschein, daß die Burschen von Koroupow nichts zu ihrer Rettung tun könnten und daß sich alles weiter hoffnungslos wiederholen werde. Aber der hinkende Melhuba gab der ganzen Religionsfrage eine neue Wendung.

Am Teich erklärte er die Bedeutung des Papiers. Neulich hatte er zu Hause einen Versuch gemacht. Er hatte sich die Hosen mit Papier ausgestopft und eine Schüssel mit Milch fallen lassen. Da wurde er mit dem Riemen geschlagen und er verspürte dabei nur halb so viel Schmerzen wie unter normalen Verhältnissen. Nun begannen sie das Papier zu ehren wie die Chinesen, die jedes Stück Papier aufsammeln, um es vor dem Untergang zu retten. Misterka, der Kaufmannssohn, war der Lieferant dieses Schutzmittels, und der Katechet bemerkte, daß die Zeichen des Schmerzes auf den Gesichtern der Elenden weniger sichtbar seien.

Er dachte darüber nach und kam zu der Ansicht, daß allem Anschein nach ihre Haut schon hart geworden sei und daß man für die Religionsstunde einen besseren Rohrstück anschaffen müsse. Denn der liebe Gott läßt auch ein Schilfrohr wachsen, das stärker und größeren Durchschnitts ist.

Er stellte also die, die dezimiert werden sollten, in eine Reihe vor das Katheder und erklärte, er sähe, daß sie sich an dünne Rohrstöcke schon gewöhnt hätten. „Hier hast du Geld,“ sagte er zu Misterka, „und der Vater soll einen ganz dicken Rohrstock schicken.“

Er bemerkte, daß irgend etwas über die Gesichter der Delinquenten flog, und er rieb sich die Hände. Er kniff die Lippen zusammen und spürte, wie ihm ein solcher Aufschub der Prügel ein neues Gefühl der Wonne bereite.

Misterkas Vater wählte einen perfekten Rohrstock aus, dessen Stärke den papierenen Schutzmantel neutralisierte.

So war es nötig, die Erfindung zu vervollkommnen. Der Melhuba ließ am Teich das rettende Wort fallen: „Pappendeckel“. Danach dröhnte es in den Religionsstunden, und der Katechet stöhnte: „Mein Gott, haben die eine harte Haut.“

Also sagte er zu Misterka, er solle einen noch dickeren Rohrstock holen. Es war der stärkste Rohrstock, der je nach Koroupow gekommen war. Unter seinem Schlag brachen die Pappdeckel in Fetzen.

„Jetzt hilft uns nichts mehr,“ stöhnte am Teich der Melhuba.

In der nächsten Religionsstunde sahen sie in den Bänken traurig vor sich hin. Sie wußten, jeder Kampf sei vergebens; nur der Weprtschek lächelte ein wenig.

Desto unsicherer antworteten sie auf die Frage, wann Gott zum erstenmale seine göttliche Barmherzigkeit offenbart habe.

Zu Fünfzehn standen sie vor dem Katheder, einschließlich Weprtschek. Zehn waren schon verhauen und brüllten, zur Wonne des Katecheten. Die Reihe kam an Weprtschek.

Schon lag er über’m Knie, der dicke Rohrstock sauste durch die Luft und – bumm! Ein großer Schlag ertönte, als ob man mit voller Kraft in die Tschinellen schlägt, als ob man mit einem Kolben in einen großen Tam-Tam haut.

Der Katechet ließ den leise lächelnden Weprtschek los und brüllte auf: „Hosen runter!“

Weprtschek hörte auf zu lächeln, ließ die Hosen herunter und reichte dem Katecheten eine blecherne Tafel, die er gestern in der Kirche eingesteckt hatte.

Und der Katechet las niedergeschmettert:

UM GABEN FÜR DIE AUSSCHMÜCKUNG
DES GOTTESHAUSES WIRD GEBETEN!

(Aus dem Tschechischen von Jarmila Haasová).

Quelle: Das Tagebuch, Heft 20, 1926, S. 686-688.

Hier der Text als pdf.

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