Wenn das Fehlen ökonomischer Anreize einen „volkskirchlichen“ Protestantismus perspektivlos macht
Ruinös – anders lässt sich religionsökonomisch die evangelische Rechtfertigungslehre nicht beurteilen. Wenn im Glauben an das Evangelium die gerichtsbeständige Vergebungszusage Jesu Christi erhalten wird, erübrigt sich jeglicher Heilskommerz. Die Rechtfertigung des Sünders im Glauben an das zugesagte Heilgeschehen in Jesus Christus lässt keine individuellen Vorteilserwägungen bzw. eigenökonomischen Verhaltensweisen zu. Eigene Werke und Taten zahlen sich nicht auf die postmortale Zukunft hin aus. So hat die Reformation Menschen ihres Himmelslohnes beraubt. „Vergelt’s Gott“ können nur fromme Katholiken sagen.
Will man dem kulturellen und insbesondere dem baulichen Bestand des Christentums in Europa auf den Grund gehen, muss man die frühmittelalterliche Geschichte der christlichen Heilskommerzialisierung erzählen, wie dies Peter Brown mit seinem Werk The Ransom of the Soul, auf Deutsch Der Preis des ewigen Lebens. Das Christentum auf dem Weg ins Mittelalter (übersetzt von Tobias Gabel, Darmstadt: Philipp von Zabern, 2018) getan hat. Eine vermeintlich menschenmögliche „Heilsökonomie“ im Hinblick auf ein postmortales Leben im Familienverbund hat überhaupt erst Geld zum dauerhaften Einsatz in Kirchen und Klöstern gebracht.
Der Anknüpfungspunkt ist die Vorstellung von einem beeinflussbaren Weiterleben nach dem Tod unter der Bedrohung von Hölle und Jüngstem Gericht. Es geht um einen religiösen Totenkult im christlichen Gewand. Durch transaktionale Bußleistungen bzw. Messstipendien – dauerhaft in Form von Stiftungen – sollte Einfluss auf den eigenen postmortalen Status bzw. auf das jenseitige Weiterleben verstorbener Angehöriger genommen werden. Der Leitspruch dazu entstammt den Sprüchen Salomos: „Der Reichtum eines Mannes ist das Lösegeld für sein Leben“ (Sprüche 13,8). Entsprechend der Vertragsformel „do ut des“ (ich gebe, damit du gibst) ließ sich in kalkulierbarer Weise mit eigenem Vermögen etwas für das eigene Seelenheil im Raum der Kirche bewirken, was gesellschaftlich anerkannt wurde.
Wo eine heilskommerzielle Religion durch die Reformation ihre ökonomische Grundlage verloren hatte, musste die kirchliche Organisation in staatliche Hände überführt werden. Protestantisch lässt sich ja der Unterhalt von Kirchengebäuden und Klerus nicht heilskommerziell erwirtschaften. Kostenloses Heil trägt nichts zum Umsatz bei. So ist die Einführung der Kirchensteuer im 19. Jahrhundert die ökonomische Konsequenz des „volkskirchlichen“ Protestantismus, der als klerikales Syndikat außerhalb der Versammlung der Gläubigen seinen Bestand erhalten will.
Was einen „volkskirchlichen“ Protestantismus perspektivlos macht, ist das Fehlen ökonomischer Anreize. Man kann in der Kirche nichts bewirken, was man für sein Leben auf Dauer als vorteilshaft wertzuschätzen vermag. Kirche gibt einem nichts. Das erklärt, warum trotz mehr als doppelt so hohem gesellschaftlichen Vertrauen prozentual betrachtet mehr evangelische als katholische Mitglieder in Deutschland aus der Kirche austreten.
Die evangelische Rechtsfertigungslehre erweist sich nur in verbindlichen gemeinschaftlichen Lebensformen als dauerhaft heilsam. In der christusbezogenen Anteilhabe wird die eigenökonomische Vorteilslogik nachhaltig transformiert. Als Schwestern und Brüder im Herrn sind wir uns so verbunden, dass wir – wie in einer integren Familie – nichts für selbst herauszunehmen suchen. In einer protestantische „Volkskirche“ mit liberalistischer Unverbindlichkeit ist dies nicht möglich.
Lieber Jochen, ein toller Text! Ich danke Dir, dass Du mich teilhaben lässt an dem, was Dir wichtig ist. Einen guten Sonntag wünsche ich Dir. Wir bleiben verbunden – sehr,
Bleib bei Trost,
Dein Rolf Wischnath
Freut mich, dass er Dir zusagt. Ich mach mich jetzt an die Weinbergpredigt.