Karl Steinbauers Predigt über 1. Korinther 2,2 zur Einweihung der evangelischen Kirche in Seeshaupt 1935: „Die größte Not der Gemeinde und Kirche ist, wenn sie nimmer in Not ist und sein will und der Not und Angst ausweichen möchte und sich damit betrügt um das liebe Kreuz und seinen köstlichen Gewinn.“

Evangelische Kirche in Seeshaupt 1935

Predigt über 1. Korinther 2,2

Von Karl Steinbauer, exponierter Vikar, Penzberg (Obb.).

Denn ich hielt mich nicht dafür, daß ich etwas wüßte unter euch, als allein Jesum Christum, den Gekreuzigten.

Wovon sollen und wollen wir an unserm heutigen Festtage reden und predigen? Von unserm Herrn Christus! Was ist das Großes, und wir wollen uns dankbar drüber freuen, daß wir mit Gottes Hilfe haben eine Stätte bauen können, an der sich Menschen zusammenfinden, die wir auf den Herrn Christus hin anreden dürfen, und die nichts anderes wollen, als auf diesen ihren Herrn hin angeredet zu werden. Eine Kirche haben wir gebaut, daß sich darin Kirche ver­sammle, Kyr-iakae. Und ihr wißt, was das heißt: Dem Herrn hörig und gehörig; die Schar derer, die Jesus Christus zum Herrn haben. Und daß das Häuflein der Evangelischen hier zu Lande einen Unterschlupf habe, [23] wo ihr in Wort und Sakrament gepredigt werden kann und darf, daß Jesus Christus der Herr sei zur Ehre Gottes des Vaters, dazu sind diese Steine und Balken aufgefügt.

Es ist jämmerlich wenig, ja es ist doch offensichtlich Narrheit, so wird mancher in Korinth gedacht haben, was dieser sonderbare Heilige, der Jude Paulus aus Tarsus, uns gelehrten und hochgebildeten Griechen zu bieten hat. Sein ganzes „Wissen“, seine ganze „Weisheit“ ist: allein Jesus Christus — noch dazu der Gekreuzigte. Und dazu durchfährt und durchwandert dieser seltsame Mann die halbe Welt!?

Denn ich hielt mich nicht dafür, daß ich etwas wüßte unter euch, als allein Jesum Christum, den Gekreuzigten. — Allein Jesus Christus, den Gekreuzigten! Das ist alles! — Mehr haben auch wir nicht zu bieten, und auch unsere Weisheit ist am Ende mit der Botschaft vom Kreuze Christi, wir sind auch so töricht — denn die göttliche Torheit ist weiser als die Menschen sind —, daß wir glauben in Christus dem Gekreuzigten das köstlichste Kleinod und die tiefste Weisheit zu haben; denn Christus ist uns gemacht von Gott zur Weisheit und zur Gerechtig­keit und zur Heiligung und zur Erlösung (1. Kor. 1,30). — Und dafür haben wir diesen Bau gebaut, als eine Stätte, da der Gekreuzigte gepredigt werde. Und zum Zeichen dafür haben wir auf den Turm obendrauf ein Kreuz gepflanzt, und den Hahn, der uns mahnt zum gehorsamen Bekenntnis zu dem, dessen Weg auf dieser Welt am Kreuz endet.

Ursprünglicher Altar und Kanzel in der evangelischen Kirche in Seeshaupt (1935)

Das war auch des Künstlers Wollen mit seiner Kreuzaufrichtung auf der Altarplastik. In einer Zeit, in der das Kreuz ausgerissen werden soll — vielleicht klüger und listiger als noch vor drei und vier Jahren, aber wahrlich nicht weniger gefährlich — in solcher Zeit wollen wir das Kreuz neu aufrichten.

Denn ich hielt mich nicht dafür, daß ich etwas wüßte unter euch, als allein Jesum Christum, den Gekreuzigten!“ In solchen Dienst sind wir gerufen, in den Dienst des Gekreuzigten. Das macht unsere Predigt so ernst, daß wir gar nichts anderes haben und haben dürfen, daß wir, ganz intolerant, nichts anderes daneben gelten lassen, weil wir nichts daneben gelten lassen dürfen. Daß wir nichts wissen als ganz allein Jesum Christum; denn „es ist in keinem andern Heil, [24] ist auch kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben darin wir sollen selig werden“ (Apg. 4,12). Damit ist ein für allemale gesagt: das Schauen auf Men­schen führt zuletzt zum Unheil, damit sind auch ein für allemale alle Menschennamen durch­gestrichen.

Darum müssen wir jeden Menschen, den wir nur erreichen können, vor diesen Jesus Christus hinstellen und ihm sagen: So, jetzt entscheide dich und wisse, hier fällst du die einzige, wirk­lich ausschlaggebende Entscheidung deines Lebens: Für oder wider, und das heißt: Heil und Seligkeit oder — ewige Heillosigkeit und Verdammnis. Er selber sagt uns ja: „Ich bin der weg und die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zum Vater denn durch mich.“ Damit sind alle andern Wege zu Gott — und erschienen sie menschlich als die schönsten — ausnahmslos Irrwege, und wenn er die Wahrheit ist, dann ist alles außer ihm Unwahrheit und Lüge, und wenn er das Leben ist, dann ist alles andere Tod! Christus, das ist Leben oder Tod, das ist Fall oder Auserstehen. Darum darf sich keiner an Jesus Christus vorbeidrücken, wenn er nicht ver­loren gehen soll.

Die Wege, an Jesus Christus sich vorbeizudrücken, sind mannigfaltig. Der offensichtlichste ist der, den die ausgesprochenen Gottesleugner gehen. Ein viel beliebterer, weil auch vornehme­rer Weg an Christus vorbei ist der Irrweg der „Religion“. Horche nur auf! Ja, der Irrweg der „Religion“. Da heißt es: „Eine Religion muß ein Mensch haben“ und gleich dazu: „Jeder soll nach seiner Fasson selig werden.“ Nach Fasson selig werden geht nicht: „Niemand kommt zum Vater denn durch mich!“ Nach Fasson kann man nur in die Hölle fahren! — „Fassonreli­gionen?“ Etwa wie bei der Damen-Hutmode, einmal trägt man sie hoch, dann flach, einmal mit schmalem, dann wieder mit breitem Rand. Einmal Religion nach Vernunft — Unvernunft! — fassoniert, ein andermal nach Blut und Boden, je nach Wunsch und Zeitgeschmack. Mer­ken wir denn unser gotteslästerliches Treiben nicht? — Mit „Religion“ ist uns nicht geholfen, die Hottentotten und Zulukaffern haben das auch. Es geht darum, daß ich sagen kann: „Ich glaube, daß du bist Christus der Sohn des lebendigen Gottes!“ Und wißt ihr, was der Herr Christus zu Petrus damals gesagt hat nach diesem Bekenntnis?: „Fleisch und Blut hat dir das nicht ge-[25]offenbart, sondern mein Vater im Himmel.“ Hörst du: Fleisch und Blut — nicht! wir haben diesen sonderbaren Ausdruck bisher vielleicht nicht recht verstanden, heute verste­hen wir ihn.

Es gibt noch einen gefährlicheren Weg, auf dem sich Menschen an dem Herrn Christus vor­bei­drucken wollen: das Christentum! — Das Christentum? Ja, es gibt ein Christentum, sogar ein „positives Christentum“, „ein Christentum der Tat“, das sich an Jesus Christus vorbeidrü­cken will, das gar nichts weiß und wissen will von dem lebendigen Herrn. Das nicht weiß, daß ich nicht „Christentum“, auch nicht „positives Christentum“ sagen und treiben kann, ohne Christ zu sein, d. h. ohne zu bekennen: „Ich glaube, daß Jesus Christus sei mein Herr, der mich verlornen und verdammten Menschen erlöset hat.“ — Nach einem Gottesdienst kam eine ältere Dame zu mir und sagte, sie sei durch den Gottesdienst ganz erschüttert und sie möchte mit mir reden. Ich freute mich, weil ich dachte, die Christusbotschaft hat sie getroffen. Beim Hausbesuch stellte es sich heraus, sie war darüber erschüttert, daß wir Pfarrer es nicht verstün­den, den Menschen von heute zu sagen, was sie sich erwarteten. Ich sagte, das könnten und dürften wir nicht, weil wir kein Recht dazu haben, denn wir sind Prediger und sind ver­pflich­tet und beauftragt, die Botschaft von Jesus Christus im Gehorsam gewissenhaft weiter­zugeben und dürfen sie nicht ändern, was Menschen gerne hören wollen und sich erwarten, das können sie sich am besten selbst sagen, Botschafter Christi sind dazu nicht da. — „wir Pfarrer hätten kein Verständnis für die neuen Ideen und gingen nicht auf den Zeitgeist ein. wenn Luther leb­te, der gesagt hat: Meinen lieben Deutschen bin ich geboren, der würde ganz anders predi­gen.“ Mein Einwand, daß Luther ein Prediger des Gekreuzigten war und deshalb gerade alle die Leute schwer enttäuschen müßte, die eben nicht wüßten, was das hieße, weil sie offenbar auch nicht wüßten, was das heißt, ein Christ zu sein und damit unter der alleini­gen Befehlsge­walt Jesu Christi zu stehen, führte nicht zum Ziel. Da bat ich: Darf ich Ihnen etwas sagen? Und ich begann langsam Wort für Wort: „Ich glaube, daß Jesus Christus, wahr­haftiger Gott vom Vater in Ewigkeit geboren, und auch wahrhaftiger Mensch von der Jung­frau Maria gebo­ren, sei mein Herr, der mich verlornen und verdamm-[26]ten Menschen erlö­set hat, erworben und gewonnen von allen Sünden, vom Tod und von der Gewalt des Teufels, nicht mit Gold oder Silber, sondern mit seinem heiligen, teuren Blut und mit seinem unschul­digen Leiden und Sterben; auf daß ich sein eigen sei und in seinem Reiche unter ihm lebe und ihm diene in ewiger Gerechtigkeit, Unschuld und Seligkeit, gleichwie er ist auferstanden vom Tode, lebet und regieret in Ewigkeit. Das ist gewißlich wahr.“ — „Was sagen Sie dazu?“ — „Das ist mir alles vollkommen fremd!“ — „Wissen Sie auch, von wem das ist?“ — Wissen wir es, die wir hier beisammen sitzen? — „Das ist die Auslegung von Martin Luthers, mit der er seinen lie­ben Deutschen den zweiten Glaubensartikel hat klar machen wollen.“ — Liebe Gemeinde, was ist das für ein Jammer, daß eine 65jährige sich einbildet, eine evangelisch-lutherische Christin zu sein, und sagt zu dem, worüber das Herz eines Christen aufjubelt vor Freude, das ist mir vollkommen fremd. Sehet das ist „Christentum“ ohne Christus.

Es gibt kein Christentum ohne das Bekenntnis zu Jesus Christus, es gibt aber auch kein Be­kenntnis zu Jesus ohne das Bekenntnis zum Gekreuzigten. „Denn ich hielt mich nicht dafür, daß ich etwas wüßte unter euch, als allein Jesum Christum, den Gekreuzigten.“ Keiner darf sich am Kreuz Jesu Christi vorbeidrücken. „Den Thorvaldsen-Christus, der mit ausgebreiteten Händen einladend dasteht und ruft: Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken, den liebe ich, aber den schauderbar Gemarterten, den kann und will ich nicht sehen“, so wurde mir ein andermal gesagt. „Ja gute Frau …, — Hab ich dage­gen gesagt —, wenn Sie schon glauben auf den angewiesen zu sein, der sagt: Kommt her zu mir alle …, dann brauchen Sie ja gerade den Gekreuzigten. Der seine Arme ausbreitet und so ruft, kann es ja nur, weil er der ist, der dafür ans Kreuz zu gehen bereit ist, der alle Mühsale und alle Beladenheit der Welt ans Kreuz trägt, und deshalb breitet er seine Arme gerade am Kreuz bangend am erschütterndsten und in der Vollmacht aus.“ wenn wir den nicht wollen, der am Kreuz endigt, so betrügen wir uns um die ganze Christusbotschaft. Denken wir doch an Petrus! Der Herr redet mit seinen Jüngern zum ersten Male davon, daß sein Erdenweg am Kreuz enden wird. Da fährt [27] Petrus dazwischen — o, es ist doch einfach der natürlich denkende Mensch, der hier dazwischen fährt —: „Das widerfahre dir nur nicht!“ Du wirst doch dein so viel verheißendes Leben nicht so jämmerlich abschließen. — Was sagt der Herr? „Hebe dich, Satan, von mir! Du bist mir ärgerlich; denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist!“ lind das sagt er zu seinem Lieblingsjünger, der es doch wirklich gut mit ilnn meint, warum denn das furchtbare, entsetzlich Karte Wort? Ja einfach, weil der Herr den Petrus wirklich lieb hat, nicht menschlich, sondern göttlich. Denn hier gehts ums Letzte, hier gehts um Leben und Tod! Um Leben und Tod der ganzen Welt! Der Herr weiß: Mein Lieb­lingsjünger ist betrogen um mich und ist für immer verloren, wenn er mich nicht will als den, der ans Kreuz geht. Als wollte ER sagen: „Guter Petrus, mich haben wollen ohne Kreuz, das ist der allergefährlichste Teufelsgedanke! Denn ein solcher Mensch meint, er hat Anteil, und hat doch keinerlei Gewinn an mir. Nur im Kreuz bin ich der Heiland der Welt!“ — wo ein Christentum, wo ein Christus ohne Kreuz gepredigt werden will, ja, wo an die Kirche selber das Ansuchen gestellt wird, das anstößige Kreuz beiseite zu lasten, muß sie wach und hellhö­rig auf dem Plan sein, nicht zu schimpfen, aber aus der feierlichen Verpflichtung und Voll­macht ihres Auftrages heraus in heiligem Zorn gegen den Allbetrüger und aus verantwortli­cher Liebe gegen die ihr anvertrauten Glieder dreinzufahren: Weiche von mir, Satan! Und wehe der Kirche, die nicht mehr den Mut und die Liebe aufbringt, den Satan beim Namen zu nennen, wo und wann ec sich auch zeigt, bei seinem Teufelswerk, das Kreuz Christi zunichte machen zu wollen, auch dadurch, daß er der Gemeinde das Kreuz ersparen und vorenthalten will, mit dem der Herr seine Jüngerschaft segnen muß und will. Um den Gewinn des Kreuzes geht ja alles!

Denn ich hielt mich nicht dafür, daß ich etwas wüßte unter euch, als allein Jesum Christum, den Gekreuzigten.“ Die Kirche hat wirklich nichts anderes, als daß sie Jesum Christum den Gekreuzigten predigen darf. Sein ganzes Leben ist weg zum Kreuz. Schon im Stall zu Bethle­hem nahm er das Kreuz auf sich, und seine Taufe, was war sie anders als das Kreuz auf sich zu nehmen. Sein ruheloses, gehetztes Leben — er hatte nicht da er sein Haupt [28] hinlegte —, die Anfeindung und Verfolgung, was war das anderes als Kreuz? Erst recht wie die Kriegs­knechte ihn bei Nacht wie einen Verbrecher einfangen und ihn von Kaiphas über Herodes schließlich vor Pilatus gezerrt haben. Und da reißen ihm die verrohten Söldner seine Kleider vom Leibe, mit Geiseln schlagen sie ihn blutig am ganzen Körper und überschütten ihn oben­drein geradezu mit ganzen Kübeln von Spott und Hohn und Speichel und Geifer. Ich sehe da immer den einen Kriegsknecht in der Nägelsbachschen Illustration unserer Biblischen Ge­schichte vor mir, wie er dasteht mit aufgeblasenen Backen und zugespitzten Mund, in die Kniee gegangen, ausholend zum Schwung, dem Herrn erneut ins Gesicht zu spucken. Ihm drücken diese rohen Gesellen die Dornenkrone bis tief in die Stirne, daß aus vielen neuen Wunden das Blut herabläuft, ein Schilfrohr stecken sie ihm in die Hand als Szepter, einen roten Fetzen werfen sie ihm über und schmähen ihn, — der Teufel johlt über seine gelungene Schandkrönung! — Vor dieser Jammergestalt, dem Musterbild des „entmächtigten Gottes“ für die Gottlosenumzüge aller Zeiten, steht Pilatus, der Machthaber des gewaltigen Imperators von Rom in seiner Galauniform, — und zittert und fürchtet sich. Noch sitzt ihm die bange Fra­ge in den Gliedern: „Bist du der Juden König?“ — „Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“ — „So — bist — du — dennoch — ein König?!“ Es ist, als schaute Pilatus für einen Augen­blick in die ganze weite und Tiefe dieses göttlichen Anspruches hinein: wenn dieser nun wirk­lich König ist im Geist und in der Wahrheit, und in einem Ausmaße, daß dir Hören und Sehen vergehen muß! — Der Teufel hatte mit seinen Krallen nach dem Herrn gefaßt und er wollte ihn nimmer auslassen, bis er ihn endgültig ruiniert und bloßgestellt hätte, seinen Königsan­spruch in den Schmutz getreten hätte vor der ganzen Welt durch die überfülle seines teufli­schen Hohnes und Geifers und Schimpf und Schande der Spottkrönung — und welches Wun­der vor unsern Augen! Gerade damit mußte der Satan Christus zum König krönen, und nur er konnte es tun! Dort, wo er in satanischem Gift und Haß sich austobt im Aufbieten all seiner teuflischen Bosheit, da verausgabt er sich, da überschlägt sich seine Bosheit, wer kann von daher ausreden, was das heißt: „Gott hat den, der von keiner Sünde wußte, für uns zur Sünde ge-[29]macht?“ „welcher unsere Sünden selbst hinaufgetragen hat an seinem Leibe auf das Holz“ (1. Petr. 2,24). Und wenn ER, von dem es heißt: ER ist um unserer Missetat willen ver­wundet und um unserer Sünde willen zerschlagen, die Strafe liegt auf Ihm, auf daß wir Frie­den hätten, und durch Seine Wunden sind wir geheilet!, wenn dieser vom Kreuz herunter sagt: Es ist vollbracht! was dürfte und könnte sich neben dieser Nachricht noch Froh-Botschaft heißen?! wer dafür nur ein wenig Ohren hat, der versteht, daß die Kirche mit Paulus und allen Aposteln in ihrer ganzen Lehre und predigt nichts zu tun hat als an diesem Wunder, das kein Mund je wird ausreden können, zu verkündigen. Darum sagt der Apostel: „Denn ich hielt mich nicht dafür, daß ich etwas wüßte unter euch, als allein Jesum Christum, den Gekreuzig­ten.

Aber die Gemeinde und Kirche, die weiß: Christus nur am Kreuz, die weiß auch, daß das für sie heißt: Kirche nur unter dem Kreuz. Der Herr selbst, der in die Nachfolge ruft, sagt: „wer mir Nachfolgen will, der nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.“ Und der Apostel Paulus schreibt dem Timotheus, seinem jungen Mit-Botschafter an Christi Statt: „Alle die gottselig leben wollen in Christo Jesu, müssen Verfolgung leiden.“ Und Petrus schreibt den erwählten Fremdlingen hin und her … zum Gehorsam und zur Besprengung mit dem Blut Jesu Christi: „Denn dazu seid ihr berufen, sintemal auch Christus gelitten hat für uns und uns ein Vorbild gelassen, daß ihr sollt Nachfolgen seinen Fußtapfen.“ Und Johannes mahnt: „wundert euch nicht, wenn euch die Welt haßt.“ Die Apostel und die Urgemeinde wußten noch, daß ihnen nichts absonderliches widerfährt mit dem Kreuz, dem Leiden um Christi willen, ja daß es zum Christen gehört, wie das Wasser zum Fisch; es ist ihnen Leben und Segen, das sie im Gehorsam auf sich nehmen, ja dessen sie sich dankbar freuen. So schreibt der Apostel aus dem Gefängnis in Rom den Philippern: „Denn euch ist gegeben, um Christi willen zu tun, daß ihr nicht allein an ihn glaubet, sondern auch um seinetwillen leidet.“ Und im Römerbrief sagt er: „wir rühmen uns auch der Trübsale.“ So bezeugt auch Petrus: „Denn das ist Gnade, so jemand um des Gewissens willen zu Gott das Übel verträgt und leidet das Unrecht.“ Was wis­sen wir von dem: Kirche nur unter dem Kreuz? [30] Was ist dagegen uns die Kreuzestat­sache geworden? Ist sie uns praktisch mehr als eine Frage des Goldschmiedes oder Juweliers? Schmuckfrage? In welch erschreckender Harmlosigkeit tragen wir Kreuze in Silber und Gold und mit Edelsteinen besetzt um den Hals? was haben wir aus dem Kreuz gemacht? Er hat das Kreuz hinaufgeschleppt und hat damit unsere Sünden hinaufgetragen an seinem Leibe auf das Holz! Er war gehorsam zum Tode, Er war gehorsam zum Kreuz um unseretwillen. Er ruft seine Kreuzgemeinde in den gleichen Gehorsam, Er stellt seine Kirche unter das Kreuz, daß wir des Gewinnes des Kreuzes teilhaftig werden. — Und Er hat seine Jünger von Anbeginn wirklich nicht im unklaren darüber gelassen. Es war, als der Herr zum allerersten Male Jünger mit seiner Botschaft in die Welt ausgesendet hat, doch sicher ein Augenblick von ganz selte­nem Gewicht und einzigartiger Bedeutung, wir werden wohl nicht bezweifeln, daß der Herr sich dessen auch bewußt war und daß Er deshalb Anlaß genommen bat, seinen Jüngern ein grundsätzliches und programmatisches Wort dabei zu sagen. Und meinen wir nicht, wir kön­nen es Ihm Zutrauen, daß Er imstande ist, die Lage zu überschauen und daß Er auch dazu fähig ist, seine Kenntnis und sein Verständnis der Lage in die nötigen Worte zu kleiden? Und nun hat Er offenbar die Situation seiner Botschafter nicht wahrer und sachgemäßer auszudrü­cken vermocht als in dieser trefflichen Kürze und plastischen Bildhaftigkeit: „Siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe.“ wehrlos und ungesichert stehen die Botschafter Christi in der Welt, sollen sie in der Welt stehen: Kirche Christi gibt es nur unter dem Kreuz; denn der Jünger ist nicht über seinen Meister, „wie Schafe mitten unter Wölfen!“ Eine schau­erliche, unheimliche Situation! Diese armen Schafe, die Abbilder absoluter Wehrlosigkeit! Ist es darum nicht blanker Wahnsinn, wenn Schafe selber in die Zähne der Wölfe hineinlaufen? Wer aber so etwas unternimmt, dem geschiehts ganz recht und es gehört ihm nicht anders, wenn ich ein wehrloses Schaf bin, hab ich eben nicht in die Wölfe hineinzulaufen, das wäre verrückt, hirnlos, enthusiastisch und schwärmerisch. — Das ist klug und menschlich gedacht, wer es aber auf Christus gewagt hat, hört auf menschlich klug zu denken, sondern versucht ihm gehorsam zu sein. „Siehe, ich sende euch wie Schafe [31] mitten unter die Wölfe.“ Wie schwer mußten diese Worte die Jünger treffen! Aber sie wußten: ER ist es, der solches uns zumutet, und dies allein sollte und mußte ihnen genügen, daß Er sie sendet. Ego apostello heißt es im Urtext — apostel-lo. Hörst du’s heraus? Apostel: Siehe, Ich sende euch! Ihr seid Apostel, seid von mir ausgesandt! Kann es eine größere und herrliche Vollmacht geben? Da darf nun jeder Jünger sagen: „Ich komme nicht auf eigene Faust und in eigener Sache. Dahin­ten ist Er, der hat mich geschickt! Er trägt allein die Verantwortung für diese gefährliche La­ge.“ wir wissen gut, das bleibt: Kirche nur unter dem Kreuz: wie Schafe mitten unter Wölfen! Die Schafe werden unruhig, blöken verhalten vor Angst, zittern am ganzen Körper, die Wölfe bellen immer näher! „Mitten wir im Leben find mit dem Tod umfangen, wen suchen wir, der Hilfe tu, daß wir Gnad erlangen?“ Als die Traurigen, verfolgt, unterdrückt, als die nichts inne haben, als die Sterbenden! was können und wollen die Schafe weiter tun als auf das Zerreißen warten? — Aber es geschieht ihnen nichts! „Als die Sterbenden, und siehe, wir leben!“ Im gefährlichen Augenblick steht er auf, der Hirte, der gute Hirte und läßt sein Leben für seine Schafe. Nur vom Tode ihres guten Hirten lebt die Herde. Jeden Augenblick dankt sie Ihm ganz allein ihr Leben. Und wollte sie es ihm nicht danken, sie hätte es schon verloren. Darum soll bei uns es laut bleiben: „Denn ich hielt mich nicht dafür, daß ich etwas wüßte unter euch, als allein Jesum Christum, den Gekreuzigten.“ „wir tragen allezeit das Sterben des Herrn Jesu an unserem Leibe, auf daß auch das Leben des Herrn Jesu an unserem Leibe offenbar werde“ (1. Kor. 4,10). Die größte Not der Gemeinde und Kirche ist, wenn sie nimmer in Not ist und sein will und der Not und Angst ausweichen möchte und sich damit betrügt um das liebe Kreuz und seinen köstlichen Gewinn. „In der Welt habt ihr Angst — aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ Im Geängstetsein soll euer Trost liegen, „wie Schafe mitten unter Wölfen! Aber „siehe ich sende euch!“ Daß wir keine andere Vollmacht haben und suchen wollten als diese vom Herrn gewollte in der Ohnmächtigkeit, daß wir keine andere wehr und Waffen haben wollten als diese neutestamentliche Wehrlosigkeit. Nur eine solche machtlose Kirche ist die Kirche [32] der Vollmacht, nur eine solche wehrlose Kirche ist die Kirche mit guter Wehr und Waffen. Wer aber nicht den Glaubensgehorsam aufbringen will dazu, der darf sich nicht wundern, wenn die Vollmacht der Sendung und Verkündigung verloren geht. Den Gekreuzigten der Welt predigen kann nur, wer weiß, daß er damit selber das Kreuz auf sich nimmt und dazu willig und bereit ist. Er, der seine Gemeinde und Kirche unter das Kreuz stellt und zum Gehorsam zum Kreuz ruft, der hat uns ja den Gewinn des Kreuzes selber er­worben durch seinen eigenen Gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz. „Darum hat ihn auch Gott erhöhet und hat ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen ist, daß in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Kniee, die im Himmel und auf Erden und unter der Erden sind, und alle Zungen bekennen sollen, daß Jesus Christus der Herr sei, zur Ehre Gottes des Vaters« (Phil. 2,9-11). Was haben wir doch für einen herrlichen Herrn und König! Und daß wir diese Froh-Botschaft von ihm hören dürfen, das erfüllt uns mit Dank und großer Freu­de. Wir wollen uns willig und gern unter das Kreuz stellen und stellen lassen und unter dem Kreuz es je langer je mehr mit dem Apostel Paulus lernen: Ich hielt mich nicht dafür, daß ich etwas wüßte unter euch, als allein Jesum Christum, den Gekreuzigten.«

Freude, Freude über Freude!
Christus wehret allem Leide
Wonne, Wonne über Wonne
Christus ist die Gnadensonne!

Gehalten bei der Einweihung des Evangelischen Kirchleins in Seeshaupt am Starnberger See am 24. November 1935.

Abgedruckt in: Bekenntnis-Predigten, herausgegeben von Julius Sammetreuther, Heft 15, München: Chr. Kaiser, o.J. [1936], S. 22-32.

Hier Steinbauers Predigt als pdf.

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