Nachdem das Bezirksamt Neu-Ulm Karl Steinbauers Zulassung zum Religionsunterricht widerrufen hatte, schrieb dieser folgenden Brief:
Karl Steinbauer, Senden, am 2. Januar 1939
Evang. luth. Pfarrer
An das
Bezirksschulamt
Neu-Ulm.
Betreff: Widerruf der Zulassung zum Religionsunterricht.
Durch noch so häufige Wiederholung von Behauptungen wie: „ständige staatsabträgliche Hetze“, oder wie es in vorliegendem Schreiben heißt „unverbesserlicher, gehässiger Gegner des heutigen Staates und der Partei“ werden diese nicht bewiesen. Damit, dass die Kreisleitung Neu-Ulm auf Grund des Berichtes der Gendarmerie Weißenhorn vom 31. Juli 1938 den Widerruf der Zulassung zum Religionsunterricht beantragt, ohne sachlich in irgend einer Form darauf eingegangen zu sein, sind die dort ausgesprochenen Tatsachen nicht aus der Welt geschafft.
Entspricht es etwa nicht dem klaren Ziel der NS-Weltanschauung, Christus langsam, aber konsequent nicht nur aus der Schule, sondern auch aus dem gesamten öffentlichen Leben und überhaupt vollkommen aus dem Denken des ganzen Volkes zu entfernen? — Wer hier noch einen Zweifel hegt, befrage sich bei dem Herrn Reichsleiter Alfred Rosenberg persönlich.
Entspricht es etwa nicht den Tatsachen, dass die wahre Kirche Christi durch die staatlich aufgezwungenen Finanzabteilungen unterdrückt und vergewaltigt wird ? Wer daran noch Zweifel hegt, der erkundige sich etwa persönlich bei Herrn Klotsche in Dresden, der sein Amt als „Oberkirchenrat“ sich mit dem Revolver in der Hand erkämpft hat. Oder er lasse sich Einzelheiten erzählen von Herrn Superintendent Dr. Hahn, der über antichristliche Erfahrungen im Baltikum und in Sachsen reichlich Aufschluss geben kann.
Oder er lasse sich von Sachkennern unterrichten über die Tätigkeit der Finanzausschüsse im Rheinland, Baden, Hannover und anderswo.
Entspricht das. was ich über die Sonnwendfeier in Ulm berichtet habe, nicht dem, was jeder in der entsprechenden Zeitungsnummer selbst hat lesen können und heute noch jederzeit nachlesen kann?
Entsprechen etwa meine Angaben über die Schulfrage, besonders die Verhältnisse in den Schulen Württembergs nicht der Wahrheit? Herr Kultusminister von Württemberg kann über seine Auffassung und sein Ziel in der Jugenderziehung heute, insbesondere was den Religionsunterricht anlangt, persönlich gefragt werden, wenn die in dieser Frage vorliegenden, amtlichen Erlasse nicht deutlich genug sprechen sollten. (Das beigelegte Schriftstück kann hier auch genügende Aufklärung geben.)
Entspricht es nicht der Wahrheit, dass Baldur von Schirach sagt: „Der Weg Rosenbergs ist auch der Weg der H.J.“? Wir verweisen hier erneut auf die Aussprache im Hochlandlager der B.D.M.-Führerinnen von Bayern und Schwaben im vorvergangenen Jahr, in deren Verlauf die Führerin Königsbauer nach dem bekannten Brief aus München vom 29. Juni 1937 sagte: Es gehe jetzt darum klare Fronten auf weltanschaulichem Gebiet zu schaffen. Dem Volk könne man damit noch nicht kommen, aber sie müsse in ihrem Stab unter ihren eigenen Mitarbeiterinnen Klarheit haben. Sie wisse, dass sie alle mit ihr einig seien in der Ablehnung des politischen Katholizismus, aber darum gehe es in letzter Linie gar nicht. Es gehe um die Ausrottung des Christentums überhaupt. Die Parole heiße: hie NS-Weltanschauung, hie christliche Weltanschauung. Wer sich für die letztere entscheide, sei ein Verräter. Dies deckt sich genau mit den entsprechenden Berichten von Studenten-Schulungslagern oder sonstigen weltanschaulichen Schulungskursen.
Die NS-Weltanschauung steht in einem oft mehr oder weniger gut getarnten, aber dadurch unleugbaren, radikalen Frontalangriff gegen die Kirche Jesu Christi und die durch sie auftragsgemäß verkündigte biblische Botschaft. Alle Tarnungsversuche einerseits und alle Vogelstraußpolitik andererseits ändert nichts an dieser brutalen Tatsache.
Dazu nur einige hinweisende Beispiele, die beliebig vermehrt werden können.
Dr. Ley sagt in „Volk und Glaube“ (Folge 32) „Die tausend Jahre des Christentums sind gegenüber unserer vieltausendjährigen Kultur eine Episode und je eher wir diese überwinden, desto besser ist es für unser Volk.
Typisch sind folgende Sätze aus dem Aufsatz „Partei und Dogma“ (Schwarzes Korps vom 20. Jan. 1938), in dem die Dogmen, die Glaubenssätze der Kirche, als Märchen für Erwachsene verspottet und karikiert werden, die aus verstaubten Regalen von auf staatsfeindlichen Gummisohlen daherschleichenden Dogmatikern hervorgeholt werden, und in dem es dann heißt: „Wir sind die Jugend und das Leben, sie aber sind das Alter, das nur im Fischbeinkorsett der Dogmen aufrecht stehen kann, ja eigentlich sind sie schon tot und leben nur noch in ihrer eigenen Erinnerung.“
In „Der Deutsche Textilarbeiter“ (1938, Nr. 1): „die einen bekennen, d.h. sie schwören auf einen mit jüdischem Ungeist und Abschaum gefüllten Teil der Bibel als eine Offenbarung Gottes …, die andern wollen der Zeit den Schritt halten und unserer neuen Gemeinschaft dienen und sehen nicht, dass sie bereits in den Strudel hineingezogen sind, aus dem nicht einmal mehr Trümmer gerettet werden können.“
Weiter verweise ich besonders auf den Bericht über den 5. Gautag der schwäbischen Erzieher, unter Punkt 4 der Beilage.
Soll ich weiter noch erinnern an die Richtlinien für die kulturelle Dienstgestaltung in der SA, die die oberste SA-Führung im Juli 1937 herausgebracht hat. Mit Erschütterung lesen wir in diesen Richtlinien auf S. 26 ff., dass bei sogenannten Appellen des Glaubens unter anderem Bierschenken und auch das Kruzifix, das etwa im Raum hängt, als Symbol einer vergangenen Zeit zu verkleiden oder zu entfernen ist. Erschütternd deshalb, weil jeder der solches uneingeweiht liest, meinen muss, es könne sich nur um Schilderung russischer Zustände und Verhältnisse handeln.
Jeder nun, der mit steigender Besorgnis diese antichristlichen Machenschaften verfolgt, und um seines an das Wort Gottes gebundenen Gewissens willen, dazu nicht zu schweigen wagt, wird mit Namen wie „unverbesserlicher, gehässiger Gegner des heutigen Staates und der Partei“ tituliert. Wollte ich zu solchen Vorwürfen einigermaßen erschöpfend Stellung nehmen, müsste ich alle meine früheren Protokolle und Erklärungen, die sich mit diesen Fragen eingehend befassen, neuerdings beilegen, die meist auch den maßgebendsten Stellen zugeleitet worden sind. Es ist ja durchaus verständlich, dass dieser systematische, antichristliche Feldzug möglichst in Vernebelung vorgetragen werden soll, und dass es deshalb unangenehm und peinlich ist, wenn da und dort einer den Nebel etwas zerreißt, aber die bösen Tatsachen werden durch noch so große Verleumdung dieser Zeugen für die Wahrheit und die Freiheit des Evangeliums nicht aus der Welt geschafft, auch nicht durch Schutzhaft, wie in meinem Falle (auf die Sie in Ihrem Schreiben hinweisen ) oder gar durch Verdingung ins Konzentrationslager, wie es bei Pfarrer D.D.M. Niemöller (trotz anderslautenden Gerichtsurteiles) oder bei Pfarrer Schneider, Dickenschied und anderen geschehen ist.
Ich kann hier nur wiederholen, was ich am 9. April 1937 in einem Schreiben an die Geheime Staatspolizei München geschrieben habe: „Ich bin mir nicht bewusst „ständige staatsabträgliche Hetze“ betrieben zu haben. Hätte ich sie betrieben, so müsste mir ein derartiges Vorgehen doch unschwer in einem ordentlichen Gerichtsverfahren nachweisbar sein. Einem ordentlichen Gerichtsverfahren kann und will ich mich keineswegs entziehen. Im Gegenteil, ich verlange ein solches als mein gutes Recht. Mit der summarischen Beschuldigung aber, dass ich „ständige staatsabträgliche Hetze“ betrieben – oder im vorliegenden Fall, dass ich ein „unverbesserlicher, gehässiger Gegner des heutigen Staates und der Partei sei“ – kann und darf ich mich nicht abfinden lassen. Indem ich so handle, bin ich bestrebt, dem deutschen Staat die Ehre und den Charakter eines Rechtsstaates es zu geben und erhalten zu helfen.“
Mit einer Auslegung Dr. M. Luthers zum 1. Vers vom 82. Psalm darf ich schließen: Gott steht in der Gemeinde Gottes und ist Richter unter den Göttern (damit ist die Obrigkeit als Träger eines göttlichen Amtes gemeint.) „Wohlan, so gibt dieser erste Vers an. dass es nicht aufrührerisch, ist die Obrigkeit zu strafen, wo es geschieht nach der Weise, die hier angeführt ist, nämlich, dass es durch göttlich befohlenes Amt und durch Gottes Wort geschehe, öffentlich frei und redlich, sondern es ist löbliche, edle, seltene Tugend und ein sonderlicher großer Gottesdienst, wie hie der Psalm beweist. Das wäre vielmehr aufrührerisch, wo ein Prediger die Laster der Obrigkeit nicht strafete, denn damit macht er den Pöbel böse und unwillig und stärkte der Tyrannen Bosheit und macht sich derselben aller teilhaftig und schuldig, darüber Gott erzürnen möchte und zur Strafe Aufruhr kommen lassen.“
Wer einigermaßen ehrlich die Gesamtlage des Kampfes gegen Christus überschaut, wird Verständnis haben müssen für die Schwere und Verantwortung, die gerade heute einem Prediger Jesu Christi zukommt. Aber es keinen schöneren Beruf, als Zeuge der Wahrheit Jesu Christi zu sei, nur wolle Gott uns allen helfen, dass wir unser Amt redlich und unerschrocken ausrichten. Wehe uns, wenn wir stumme Hunde werden, die das Wort Gottes verabscheut.
gez. K. Steinbauer
evang. luth. Pfarrer
P.S. Aus dem oben Gesagten ist ersichtlich, dass ich kein Anhänger der NS-Weltanschauung bin und sein kann, und somit muss es auch verständlich sein, dass ich den Hitlergruß nicht gebrauche. Dass ich den Kindern in der Schule gesagt haben soll, man dürfe mich tausendmal mit „Heil Hitler“ grüßen, ich erwidere den Gruß doch nicht, ist freie Erfindung.
Quelle: Karl Steinbauer, Einander das Zeugnis gönnen, Bd. 3, Erlangen 1985, S. 228-235.
so gut,daß Sie diese Zeit für uns zum Glüch Nachgeborene darstellen und aufarbeiten!