Zur Etymologie des Begriffs „Gott“: „Je nachdem, an welche indogermanische Wurzel es anzuknüpfen ist, kann es be­deuten ‹das Angerufene oder ‹das (Wesen), dem man Opfer bringt› oder ‹das (in Erz) Ge­gossene›.“

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Wir reden ganz selbstverständlich von „Gott“ (bzw. von „Göttern“). Aber was hat dieses Wort im Germannischen ursprünglich bedeutet? Dazu findet sich in Hans Eggers Deutsche Sprachgeschichte folgende Etymologie:

Lat. deus: ahd. got

Alle germanischen Sprachen besitzen das Wort Gott in seiner christlichen Bedeutung. Diese lückenlose Verbreitung beweist, daß die Germanen sich schon sehr früh mit dem neuen, ihnen noch frem­den Glauben beschäftigt haben. Das ist freilich kein Anzeichen für eine ebenso frühe Bekehrung, läßt aber doch erkennen, wie nach­denklich man den einen Herrn Himmels und der Erden mit dem eigenen Vielgötterhimmel verglich. Man setzte nicht etwa den Chri­stengott mit dem eigenen obersten Gott gleich, so wie man in den Wochentagsnamen die römischen mit den heimischen Göttern iden­tifizierte, und darin prägt sich die ahnende Erkennt­nis aus, daß dieser Gott, den die Christen verehrten, mit den herge­brachten heidnischen Begriffen nicht zu erfassen war.

Das Wort Gott selbst allerdings stammt aus uraltem germani­schen Spracherbe, und es muß daher eine andere Bedeutung gehabt haben, bevor es sich mit christlichem Inhalt füllte. In seiner christ­lichen Bedeutung ist es also ein Bedeutungslehnwort. Aber die christ­liche Lehnbedeutung ist hier schon in so früher Zeit geprägt, daß sie alle Spuren einer älteren heidnischen Bedeutung völlig verwischt hat. Nur aus dem etymologischen Vergleich mit anderen indogermanischen Sprachen kann man versuchen, die ur­sprüngliche Bedeutung zu ermitteln. Aber auch das führt gerade hier zu keinem sicheren Ergebnis. Das Wort, dessen germanische Grundform als * gudam anzusetzen ist, ist neutralen Geschlechts und seiner Bil­dung nach ein Partizip, also eine Verbform. Je nachdem, an welche indogermanische Wurzel es anzuknüpfen ist, kann es be­deuten ‹das Angerufene oder ‹das (Wesen), dem man Opfer bringt› oder endlich – freilich weniger wahrscheinlich – ‹das (in Erz) Ge­gossene›. Von der erstgenannten Bedeutung her wäre die spätere Verwendung im christlichen Bereich am ehe­sten zu verstehen. Jeden­falls hat das Wort aber auch in seiner heidnischen Bedeutung be­reits der numinosen Sphäre angehört. Daß * gudam ein Neutrum war, deutet an, daß es ein Un­nennbares und Unfaßbares bezeich­nete. Es mag, wie das Schicksal, hinter und über den Göt­tern gestan­den haben, die man zu kennen glaubte und mit Namen anrufen konnte. Ist das richtig, so hätten die Germanen schon in der Be­zeichnung, die sie wählten, ausgedrückt, wie unbegreiflich fern und hoch für sie der eine Gott der Christen über der vertrauten Welt der eigenen Götter stand. Zwar nehmen manche Forscher an, das Wort sei von Missionaren zur Bezeichnung des Christengottes auserse­hen worden. Aber das hat wenig Wahrscheinlichkeit. In der frühen Zeit, in der die christliche Bedeutung des Wortes entstanden sein [113] muß, um sich über alle germanischen Sprachen ausbreiten zu kön­nen, ist von einer Missionstätigkeit noch nichts bekannt. Wie sollte sie auch, wenn wirklich schon früh hie und da einsetzend, so weite Kreise gezogen haben? Und wie hätten Missionare, die man doch als Sprachfremde zu be­trachten hat, aus der Fülle von möglichen Ausdrücken gerade ein mehr verhüllendes als ein deutlich bezeich­nendes Wort auswählen sollen, dabei die christliche Vorstellung des persön­lichen Gottes, wie die Wahl eines Neutrums beweist, zunächst aufgebend? Die Übertragung des deus-Begriffs ins Germanische kann vielmehr nur als eine germanische Leistung verstan­den wer­den.

Vom unbegreiflichen, fernen Es geht der Weg des Verständnisses zum Er. Erst in engerer Berührung mit dem Christentum rückt den Germanen auch der christliche Gott näher. Sein Bild wandelt sich zu dem des persönlichen Gottes und Herrn der Schöpfung. Sprachlich drückt sich das darin aus, daß das einst sächliche Wort sich in allen germanischen Sprachen zum männlichen wandelt. Nur in Spuren ist der ältere grammatische Sachverhalt noch zu erkennen. So entbehrt das Wort im Gotischen, obwohl als Maskulinum gebraucht, der En­dung der Maskulina, und im Althochdeutschen heißt das Komposi­tum, das den Götzen oder Hei­dengott bezeichnet, daz abgot. Aber auch dies war nicht eine Leistung der Missionare, son­dern die Um­prägung kann nur im Volke selbst durch immer engere Vertraut­heit mit dem Wesen des Christengottes entstanden sein. Im Munde der Missionare (eines oder gar aller?) wäre eine solche Änderung des grammatischen Geschlechts ein Akt sprachlicher Willkür gewesen, und unmöglich könnten alle germanischen Sprachvölker sich gleich­mäßig einer solchen Willkür gebeugt haben. Entwicklungen solcher Art gehen nur in langen Zeiträumen und auf ganz ungezwungene Weise vor sich.

Quelle: Hans Eggers, Deutsche Sprachgeschichte, Bd. 1: Das Althochdeutsche und das Mittel­hochdeutsche, Reinbek: Rowohlt Verlag 21991, S. 112f.

Hier der Text als pdf.

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