Dietrich Bonhoeffers Kanzelabkündigung nach dem Umsturz des NS-Regimes: „Nur in Buße und Umkehr kann uns geholfen werden“

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Für den geplanten Umsturz des NS-Regimes hatte Dietrich Bonhoeffer wohl Ende 1942 folgende Kanzelabkündigung zur Erneuerung der Gemeinden und des persönlichen Glaubens entworfen:

Entwurf einer Kanzelabkündigung nach dem Umsturz (unvollendet)

Von Dietrich Bonhoeffer

Gott hat seine Kirche nicht vergessen. In seiner unergründlichen Barmherzigkeit ruft er seine ungetreuen und geplagten Knechte zur Umkehr, zur Erneuerung des Lebens nach seinem hei­ligen Willen. Er stellt uns zugleich vor eine Aufgabe sondergleichen.

Mitten in einer über die Maßen schuldverstrickten Christenheit soll das Wort von der Verge­bung aller Sünde durch Jesus Christus und der Ruf zu einem neuen Leben im Gehorsam gegen Gottes heilige Gebote noch einmal ergehen dürfen.

Darum rufen wir alle Amtsträger und alle Glieder der Gemeinde Jesu Christi unter dieses Wort, wie es uns in seiner ganzen Fülle geschenkt wird.

Wir rufen zur Predigt. Verkündigt und hört an allen Orten den Trost der sündevergebenden Liebe Gottes in Jesus Christus. Verkündigt und hört an allen Orten die heilsamen Gebote Gottes zu einem neuen Leben. Kommt zu den Gottesdiensten zusammen, so oft es möglich ist.

Wir rufen zur persönlichen Beichte. Drückende Schuld langer Jahre hat unsere Herzen ver­stockt und stumpf gemacht. Christus hat seiner Gemeinde die Gewalt gegeben, Sünde zu vergeben in seinem Namen. In der persönlichen Beichte dürfen wir in besonderer Weise der Befreiung von der Sünde und der Versöhnung mit Gott gewiß werden. Ihr Pfarrer, sagt euren Gemeinden von diesem weithin nicht mehr gekannten Gnadenweg und Angebot [588] Gottes, sucht selbst die brüderliche Beichte und Lossprechung und gebt euren Gemeindegliedern Gelegenheit, die Gnade der persönlichen Beichte und Sündenvergebung zu empfangen.

Wir rufen zum Sakrament des heiligen Abendmahls. Empfangt in ihm leibhaftige Gemein­schaft mit Jesus Christus, dem Versöhner und Herrn. Empfangt auch leibhaftig ewige Gemeinschaft untereinander als Glieder des Leibes Christi, als Brüder und Schwestern vor unserem Bruder und Herrn Jesus Christus.

Wir rufen zur Gemeinschaft der brüderlichen Liebe und der brüderlichen Zucht. Helft einan­der zurecht und zurück zum Glauben und Gehorsam, zeigt den Irrenden und Gefallenen den Weg zur Buße und zur Vergebung und geht ihnen auf diesem Wege voran. Nur in Buße und Umkehr kann uns geholfen werden.

Wir rufen euch zum Gebet […]

Öffnet eure Kirchen dem stillen Gebet. Laßt die Glocken läuten zu Morgen- und Abendgebet.

An die Pfarrer und Amtsträger.

Wir rufen euch zu einer neuen Ordnung eures Lebens. Lange genug haben wir daran gelitten, daß jeder seinen eigenen Weg gehen wollte und sich vom Bruder schied. Das war nicht der Geist Christi, sondern der des Eigenwillens, der Bequemlichkeit und des Trotzes. Er hat weithin unserer Verkündigung schweren Schaden getan. Kein Pfarrer kann heute sein Amt allein ausrichten. Er braucht die Brüder. Wir rufen euch zur treuen täglichen Innehaltung fe­ster Zeiten für das Gebet, fester Zeiten für die Schriftbetrachtung und für das Schriftstudium. Wir bitten euch, die Hilfe der brüderlichen Aussprache und der persönlichen Beichte in An­spruch zu nehmen, und wir legen es einem jeglichen als heilige Amtspflicht auf, dem Bruder zu diesem Dienst zur Verfügung zu stehen. Wir bitten Euch zur Vorbereitung eurer Predigt unter Gebet zusammenzukommen und einander zu helfen, das rechte Wort zu finden. Sam­melt euch in Vertrauen und brüderlicher Ehrerbietung um eure kirchlichen Oberen, betet für sie und helft ihnen in jeder Weise, ihr schweres Amt [589] treu z u tun. Alle, die der Gemein­de Jesu Christi in irgendeinem Amte dienen, mögen zu Gebet, Beratung und Aussprache zusammenkommen in neuem Vertrauen und Brüderlichkeit.

Seid Hüter des reinen und unverfälschten Evangeliums und hütet euch vor Irrlehre und Spaltung.

An die Gemeinde.

Hört das Wort der Predigt, gebraucht die Beichte, empfangt das Sakrament. Gebt der Liebe Jesu Christi weiten Raum, wehrt dem Haß und der Vergeltung und bezeugt durch Wort und Leben die Herrschaft Jesu Christi. Laßt eure Häuser durch Christi Geist regieren. Sammelt euch um eure Pfarrer, betet für sie und helft ihnen, wo ihr könnt.

Die Bekennenden Gemeinden rufen wir auf, ihren Dienst an der ganzen Gemeinde weiter zu tun wie bisher.

Quelle: Dietrich Bonhoeffer Werke, Band 16: Konspiration und Haft 1940-1945, hrsg. v. Jør­gen Glenthøj, Ulrich Kabitz und Wolf Krötke, München: Chr. Kaiser Verlag 1996, S. 587-589.

Hier Bonhoeffers Text als pdf.

1 Kommentar

  1. Allen, aber wirklich allen Respekt und die gebotene Verehrung den Mutigen. Bonhoeffer ist hier als einer der Klarsten zu nennen. Auch den (meist unbekannt gebliebenen) Befehlsverweigerern, einfachen Soldaten bis bekannteren Offizieren. Für ihren Mut, natürlich, denn sie wußten ja, was die Antwort war, hatten sie, sofern Offizier, wahrscheinlich selbst schon oft genug gegeben. Denn, auch das darf man nicht unterschlagen, soll aber den letzten Entschluß nicht entwerten, die selbstsamerweise einzig hochgefeierten Widerständler, dadurch bekannter als die weiße Rose, die rote Kapelle, geschweige denn andere, die Offiziere der letzten Stunde waren ja, solange alles gut lief ganz bereitwillig mitgelaufen und hatten sich erst zu einem Zeitpunkt, als das Kriegsende deutlich sichtbar wurde ihres (christlichen) Gewissens erinnert. Aber gleichwohl, allen Respekt diesen immer noch Wenigen. Alle Hochachtung, keine Ahnung, ob ich den Mut, die Entschlossenheit in egal welcher schlimmen Situation aufbrächte. Nein zum Bösen zu sagen, das vorne lockt (Erfolg, Raub, Enteignung, Orden…) und hinten droht, das braucht schon enorme Kraft.

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