
Was kann man kraft der eigenen Vernunft von Gott wissen? Dieser Frage geht Martin Luther in seine Auslegung zum Jonabuch nach. Er bezieht sich dabei auf Jona 1,5: „Und die Leute fürchteten sich und schrien, ein jeder zu seinem Gott.“
Die Vernunft spielt Blindekuh mit Gott
Hier siehst du, daß es wahr ist, was S. Paulus sagt (Röm. 1,19), wie Gott bei allen Heiden bekannt sei, das heißt: Alle Welt weiß von der Gottheit zu reden und der natürlichen Vernunft ist bekannt, daß die Gottheit etwas Großes sei gegenüber allen andern Dingen. Das beweist sich daraus, daß diejenigen hier Gott anrufen, die doch Heiden waren. Denn wenn sie nichts von Gott oder der Gottheit gewußt hätten, wie wollten sie dann angerufen und zu ihm geschrien haben? Obwohl sie nun nicht recht an Gott glauben, haben sie doch solchen Sinn und die Meinung, Gott sei ein solches Wesen, das da helfen könne im Meer und in allen Nöten. Solch Licht und Verständnis ist in aller Menschen Herzen und läßt sich nicht unterdrücken oder auslöschen. Es sind zwar einige da gewesen, wie die Epikuräer, Plinius und dergleichen, die es mit dem Munde leugnen. Aber sie tun’s mit Gewalt und wollen das Licht in ihren Herzen unterdrücken, sie tun wie [50] diejenigen, die mit Gewalt die Ohren zustopfen oder die Augen zuhalten, daß sie nicht sehen noch hören. Aber das hilft ihnen nicht, ihr Gewissen sagt ihnen anderes. Denn Paulus leugnet nicht, daß »Gott hab’s ihnen offenbart«, daß sie von Gott etwas wissen (Röm. 1,19).
So laßt uns hier auch aus der Natur und Vernunft lernen, was von Gott zu halten sei. Denn so meinen diese Leute von Gott, daß er ein solcher sei, der von allem Bösen helfen könne. Daraus folgt weiter, daß die natürliche Vernunft bekennen muß, daß alles Gute von Gott komme. Denn wer aus allem Bösen und Unglück helfen kann, der kann auch alles Gute und Glück geben. So weit reicht das natürliche Licht der Vernunft, daß sie Gott als einen gütigen, gnädigen, barmherzigen, milden ansehen. Das ist ein großes Licht. Aber es fehlen noch zwei große Stücke. Das erste: Sie (die Vernunft) glaubt richtig, daß Gott solches vermöge und wisse, zu tun, zu helfen und zu geben. Aber daß er es wolle oder willig sei, solches auch an ihr zu tun, das kann sie nicht (glauben). Darum bleibt sie nicht fest bei ihrem Sinn. Denn die Macht glaubt sie und kennt sie, aber am Willen zweifelt sie, weil sie das Gegenteil im Unglück fühlt. Das siehst du hier gut; denn die Leute rufen recht zu Gott, womit sie bekennen, daß er helfen könne, wenn er wollte. Sie glauben auch, daß er andern helfen wolle. Dabei lassen sie es bleiben, höher können sie nicht kommen. Denn sie versuchen ja alle ihre Macht, tun ihr Bestes und Höchstes. Hier kann der freie Wille nicht mehr. Aber sie glauben nicht, daß er helfen wolle; denn wenn sie das glaubten, dann handelten sie nicht so, würden nicht das Gerät und die Ware aus dem Schiff werfen, würden auch nicht zu Jona laufen und ihn heißen, seinen Gott anzurufen, sondern stille sein und auf Gottes Hilfe harren. Ferner wäre auch das Meer stille geworden um ihres Glaubens willen. Nun ist aber vonnöten solcher Glaube, der nicht zweifelt, Gott wolle nicht alleine andern, sondern [51] auch mir gnädig sein. Das ist ein rechter, lebendiger Glaube und eine große, reiche, eigentümliche Gabe des heiligen Geistes, wie wir es bei Jona sehen werden.
Das zweite (Stück) ist, daß die Vernunft die Gottheit nicht recht austeilen noch recht zueignen kann demjenigen, dem sie alleine gebührt. Sie weiß, daß Gott ist. Aber wer oder welcher es sei, der da mit Recht Gott heißt, das weiß sie nicht. Und es geht ihr ebenso, wie es den Juden ging, als Christus auf Erden wandelte und von dem Täufer Johannes bezeugt war, daß er gegenwärtig sei. Da stand es mit ihrem Herzen so, daß sie wußten, Christus wäre unter ihnen und ginge zwischen den Leuten. Aber welches die Person wäre, das wußten sie nicht; denn daß Jesus von Nazareth Christus wäre, das konnte niemand ausdenken. So spielt auch die Vernunft Blindekuh mit Gott und tut lauter Fehlgriffe und tappt immer daneben, so daß sie das Gott nennt, was nicht Gott ist, und umgekehrt nicht Gott nennt, was Gott ist, was sie beides nicht täte, wenn sie nicht wüßte, daß Gott wäre, oder gerade wüßte, welches oder was Gott wäre. Darum plumpst sie so herein und gibt den Namen und göttliche Ehre und nennt Gott, was sie meint, daß es Gott sei, und trifft so nimmermehr den rechten Gott, sondern überall den Teufel oder ihre eigene Meinung, die der Teufel regiert. Darum ist es ein ganz großer Unterschied, zu wissen, daß ein Gott ist, und zu wissen, was oder wer Gott ist. Das erste weiß die Natur und ist in alle Herzen geschrieben. Das andere lehrt alleine der heilige Geist.
Davon wollen wir Beispiele geben. Die Papisten und Geistlichen laß uns zuerst vornehmen, welche solchen Wahn von Gott haben, daß sie meinen, Gott sei ein solcher, der sich mit guten Werken bewegen oder genügen lasse. Darum haben sie auch so viele Stände, Sekten und mancherlei Weisen zu leben, mit denen sie alle meinen, Gott zu dienen und zu gefallen. Nun sage mir: Wenn nun kein Gott wäre, [52] der so gesinnt oder dieses Willens wäre, was ehren solche Leute als Gott? Ist’s nicht wahr, sie ehren ihren eigenen falschen Wahn und Einfall als Gott? Denn es ist in Wahrheit kein Gott, der so gesinnt sei; sie verfehlen mit solchem Wahn den rechten Gott und es bleibt da nichts als ihr falscher Wahn, der ist ihr Gott, dem geben sie den Namen und die Ehre Gottes. Nun kann unter dem falschen Wahn niemand sein als der Teufel, der ihn eingibt und regiert. So ist nun ihr falscher Wahn ihr Abgott und das Bild des Teufels in ihrem Herzen. Denn der rechte, einige, wahrhaftige Gott ist der, dem man nicht mit Werken, sondern mit rechtem Glauben von reinem Herzen dient, der seine Gnade und Güter völlig umsonst ohne Werk und Verdienst gibt und schenkt. Das glauben sie nicht. Darum kennen sie ihn auch nicht und müssen fehlgreifen und daneben tappen.
Da sieht du, woher alle Abgötterei kommt und warum es entsprechend Abgott, Aberglaube und Abgötterei heiße: Ohne Zweifel darum, weil solch Wahn uns abführt von Gott und abwendet von rechtem Gottesdienst. Oh, gewiß ein Abgott und Aberglaube, der uns von Gott zum Teufel hinab in die Hölle weist. Denn weil ein jeder etwas vornimmt, wovon er wähnt und glaubt, es gefalle Gott, und meint, Gott sei eben so gesinnt, der doch nicht so gesinnt ist und kein Gefallen daran hat: Darum müssen so viele Abgöttereien sein, wie es vielerlei Wahngebilde gibt, die vorgenommen werden, damit sie so Gott gefallen, ausgenommen allein die Meinung des Glaubens, die der heilige Geist gibt. So kam bei dem König Ahab der Abgott Baal auf; denn weil der König wußte, daß ein Gott sei, wähnte er, das wäre Gott, der sich diejenige Weise gefallen ließe, die er im Gottesdienst vornahm, und nannte so Gott »Baal« und umgekehrt nannte er den Baal »Gott«, wie das aus Hosea 2,16 deutlich wird.
Weiter meinte der König Jerobeam, das wäre Gott, der sich den Gottesdienst vor den goldenen Kälbern gefallen ließe; [53] und so mußten die Kälber »Gott Israels« heißen und umgekehrt Gott ein »Kalb« genannt werden (1. Kön. 12,28). Gleichwie wenn man jetzt Christus, unsern Herrn, »Kappenhold« oder »Plattenhold« nennen würde, weil man meint, er sei ein Gott, der den Kappen und Platten hold wäre und ihm solcher Dienst wohlgefalle, wie denn die Mönche und Pfaffen ihn bestimmt im Herzen so ansehen und nennen. Aber das ist ein Abgott und Aberglauben und Irrwahn, der weit fehlgeht, und richtige Erzabgötterei. So gibt es unzählbare Abgöttereien, so viele Wahngebilde da sind, die anderes vornehmen und selbst erwählen, daß es Gott gefalle, abgesehen vom Glauben in Christus. Da nun aber ein solcher Gott, dem das gefalle, nirgends ist, so dienen sie damit alle dem Teufel und nicht Gott.
Ebenso siehst du auch, daß alle diese Leute im Schiff von Gott wissen, aber keinen gewissen Gott haben. Denn »ein jeder«, heißt es, »rief seinen Gott an«, das ist: Seinen Wahn oder das, was er in seinem Sinne für Gott hielt. Darum verfehlen sie alle den einzigen rechten Gott und haben unter Gottes Namen und Ehre nur Abgötter. Deshalb war auch ihr Glaube nicht richtig, sondern ein Aberglaube und Abgötterei, die ihnen auch nichts halfen. Denn ihr Gott läßt sie in der Not sinken und vergeblich rufen, so daß sie ganz verzweifeln und nicht wissen, wo sie einen Gott finden sollten, der ihnen helfe; und sie laufen hinab zu Jona, wecken ihn auf und heißen ihn, seinen Gott anrufen, für den Fall, daß ein anderer Gott da wäre als ihr Gott, der helfen wolle. Da siehst du, wie falscher Glaube in der Not nicht besteht, sondern sinkt und verlorengeht, sowohl Gott als auch Glaube, Abgott und Aberglaube, so daß nur verzweifeln dableibt. Deshalb führt alleine der einzige lebendige Gott den Namen und Merkvers, daß er ein Nothelfer sei (Ps. 9,10; 46,2 und allenthalben); denn er kann aus dem Tode helfen (Ps. 68,21).
WA 19,205,25-208,35
Quelle: Martin Luther, Die Auslegungen von Jona und Habakuk, hg. v. Gerhard Krause, Frankfurt a. Main: Insel Verlag 1983, S. 49-53.