Judas Ischariot – verteufelt und verloren? „Judas, der geborene Verräter, findet selbst keine Erlösung. Aber sollte Christus, der geborene Heiland aller Menschen (1 Tim 4,10), nicht auch für ihn gestorben sein?“

Judas Ischariot – verteufelt und verloren?

Zwei Bilder des Judas sind mir vor Augen, beide zeigen ihn in einer Begegnung mit Jesus. Im geschnitzten Schrein des Heilig-Blut-Altars in Rothenburg ob der Tauber hat Tilman Riemenschneider das letzte Abendmahl Jesu mit seinen Jüngern dargestellt. Judas, dem Jesus den Brotbissen reicht, steht dabei im Mittelpunkt. Das Kinn mit dem Spitzbart und der Geldbeutel in der linken Hand weisen den Verräter aus Habgier aus. Auf dem Passionszyklus in der Lindauer Peterskirche hat Hans Holbein der Ältere die Gefangennahme Jesu in Gethsemane gemalt. Judas gelbgewandet küsst Jesus. Physiognomie und Farbsymbolik ächten wiederum die niederen Beweggründe eines Verräters. Wenn aber der Verrat aus Habgier dem Judas ins Gesicht geschrieben sein sollte, war dann Jesus etwa ein schlechter Menschenkenner, der einen Doppelagenten als Apostel engagiert hatte? Oder gab es für den Verrat des Judas ehrenwerte Gründe? Schriftsteller und Wissenschaftler, beide phantasiebegabt, haben sich an der Ehrenrettung Judas versucht. Der Verrat wird in den Dienst einer höheren Sache gestellt: Judas wollte durch Jesu Gefangennahme diesen zur Offenbarung seiner Messiaswürde provozieren oder ein Fanal zum Aufstand gegen die ver­hasste römische Herrschaft schaffen.

Niedere Beweggründe oder politischer Plan. Beides Mal bleibt beim Verrat des Judas der Teufel aus dem Spiel. Dabei wird in der Bibel erzählt, dass es der Teufel war, der sich Judas bemächtigt hatte (Lk 22,3). „Einer von euch ist ein Teufel“, sagt auch Jesus zu seinen zwölf Jüngern und meint damit Judas, den von ihm Erwählten (Joh 6,70). Aber es ist nicht einmal die Verteufelung, die Judas unter den Zwölfen auszeichnet. „Fort mit dir, Satan, hinter mich! Du willst mich zu Fall bringen, denn nicht Göttliches, sondern Menschliches hast du im Sinn“, so herrscht Jesus den Petrus an (Mt 16,23), als dieser Jesus vor seinem angekündigten Todesgang nach Jerusalem bewahren will. „Was du tust, das tue bald!“ Mit diesen herausfordernden Worten reicht Jesus, dem sein Vater alles in die Hände geben hatte (Joh 13,3) dem Judas beim letzten Abendmahl den Brotbissen (Joh 13,26f). Judas nimmt diesen Bissen, mit dem der Satan in ihn eindringt. Es scheint so, dass Jesus selbst den Judas mit dem Teufel abgespeist hat, ihm also den Verrat erst ermöglicht hat. „Der Menschensohn wird ausgeliefert in die Hände von Menschen, und sie werden ihn töten“. Mit diesen Worten hatte Jesus längst vor dem Judas-Verrat den Jüngern sein Todesschicksal angekündigt (Mk 9,31). Judas ist dazu auserwählt, diese Überantwortung in die Hände der Menschen vorzunehmen.

Während die übrigen Jünger in Jerusalem allesamt im Schatten ihres Meisters stehen, agiert Judas selbständig. So tritt er in Verhandlung mit dem Hohen Rat (Mt 26,14-16) und führt schließlich die Tempelwache an, die Jesus in Gethsemane gefangen nimmt (Lk 22,47-53). Trotz dieser Eigenmächtigkeit wird er zum unfreiwilligen Erfüllungsgehilfen des göttlichen Willens. Er tut mit dem, was er will und vollbringt, das, was der Gott getan haben will. „Ich habe gesündigt, unschuldiges Blut habe ich ausgeliefert.“, sagt Judas, nachdem der Verrat geschehen ist. Was er getan hat, war kein belangloser Handgriff, sondern tatsächlich der Verrat an einem Unschuldigen. Und es ist keiner da, der ihm die Reue über diese verwerfliche Tat abnimmt. Die Menschen, Hohepriester und Ältesten, denen er Jesus verraten hatte, wehren ab: „Was geht uns das an? Sieh du zu!“ (Mt 27,4) Wohin jedoch sehen, ohne Aussicht auf Vergebung. Judas der Verräter zerbricht an seinem Verrat im wahrsten Sinne des Wortes; so jedenfalls erzählt es später Petrus: „Dieser kaufte von dem Lohn für seine Untat ein Grundstück; dort stürzte er, riss sich den Leib auf, und alle seine Eingeweide quollen heraus.“ (Apg 1,18) Die Unheilsprophetie aus dem Munde Jesu hat sich damit erfüllt: „Der Menschensohn geht zwar dahin, wie über ihn geschrieben steht, doch wehe dem Menschen, durch den der Menschensohn ausgeliefert wird. Für diesen Menschen wäre es besser, wenn er nicht geboren wäre.“ (Mk 14,21) Nur einem Ungeborenen wäre das Schicksal des Verräters erspart geblieben. Judas, der geborene Verräter, findet selbst keine Erlösung. Aber sollte Christus, der geborene Heiland aller Menschen (1 Tim 4,10), nicht auch für ihn gestorben sein?

Hier mein Text als pdf.

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